Römerfest

Pennyfeather

Mitglied
Es war dieser milde Spätnachmittag, an dem eine Stadt nach gebrannten Mandeln riecht und nach Lederfett. Das Römerfest hatte das Kopfsteinpflaster in eine Bühne verwandelt: Holztribünen, ein sandiges Rund, dahinter Stände mit Helmen, Schildbuckeln, Tuniken. Zwei „Gladiatoren“ gingen aufeinander zu, die Klingen klapperten nicht, sie sangen; Showkampf, aber mit genug Ernst, dass man unwillkürlich die Luft anhielt, wenn der Schild auf den Brustpanzer traf. Kinder tuschelten, Teenager taten so, als würden sie nichts fühlen, sahen aber doch nicht weg. Alte und junge Gesichter, dicht an dicht, dieses höfliche Gedränge, in dem man sich kurz entschuldigt, wenn man jemandem die Schulter streift.

Ich weiß noch, wie die Stimmung vibrierte: ein kollektives „Oh!“, als einer der Kämpfer einen weiten Schritt machte und der Sand spritzte. Eine ältere Dame neben mir stellte sich auf die Zehenspitzen, eine zweite hielt die Hand über die Augen, als mache sie einen Rahmen für die Szene. Es war eines dieser Bilder, die eine Stadt für ein paar Stunden zu einem Dorf machen.

Dann trat von links ein Mann in die dichte Reihe. 1,80 vielleicht, auf dem Arm eine Dreijährige, die in seinem Griff zu klein wirkte. „Machen Sie mal bitte Platz“, rief er in die Gruppe aus vier, fünf älteren Leuten, nicht laut, aber mit dieser Härte im Ton, die wie ein Kantenstein ist. „Ich habe hier ein Kind. Die will auch was sehen.“

Es war keine Bitte, eher eine Durchsage. Die Köpfe wandten sich. Die ältere Dame, die eben noch gerahmt hatte, lächelte kurz verunsichert und rückte einen halben Schritt. Der Mann drängte sich durch die Lücke, die eigentlich keine war, stellte sich hin – er, das Kind auf dem Arm – und schob mit seiner bloßen Gegenwart ein neues Vordergrund-Hintergrund-Verhältnis in die Menge. Für ihn aufgerissen, für andere geschlossen.

Die Alte mit der Hand über den Augen sagte freundlich: „Wir würden aber auch gern was sehen.“ Keine Schärfe, nur dieses Dabei-Bleiben, das Würde hat. Der Mann drehte den Kopf und sagte: „Ja klar, aber das hier ist ein Kind – und Sie sind eine alte Frau.“ Der Satz fiel wie etwas Schweres ins Wasser. Er plumpste, machte Wellen, und dann war er da.

Das Kind hatte in der ganzen Zeit nichts gesagt. Es starrte nicht in den Sand, es starrte zur Seite, dorthin, wo Stimmen waren, die weicher klangen. Als die Klinge wieder gegen den Schild schlug, zuckte es, zog die kleine Hand höher an den Kragen des Vaters. Die Unterlippe fing an zu zittern. „Mama“, sagte es leise, mehr Atem als Wort.

Der Mann hob die freie Hand, als winke er der Vernunft zu, näherzukommen. „Komm her!“, rief er in eine Richtung, in der eine Frau stand – sein Gegenüber, seine Partnerin, man sah es daran, wie ihr Gesicht auf den Ton reagierte. „Sie braucht dich auch. Komm an meine Seite. Die anderen sollen Platz machen.“

Die Frau schüttelte den Kopf, kaum merklich. Dieses winzige, müde Nein, das man lernt, wenn man Konflikte aus zehn Metern Entfernung erkennt. Sie trat nicht näher. „Ich komme nicht“, sagte sie, nicht laut, aber fest. „Gib mir die Kleine. Wir gehen.“

Der Mann hielt den Blick der älteren Menschen, die jetzt nicht mehr lächelten, und seinen eigenen. Jemand sagte „Sie können uns nicht einfach so verscheuchen“, und es war kein Vorwurf, eher eine Erinnerung an eine Regel, die man nicht ausschreibt und die trotzdem alle kennen.

Für einen langen Moment stand die Szene still, obwohl unten im Sand zwei Männer weiter Klingen kreuzten. Der Vater schien abzuwägen, aber nicht darüber, ob er recht hatte, sondern darüber, ob es sich lohnte, das noch zu zeigen. Dann trat er einen halben Schritt zurück, reichte seiner Frau das Kind. Es hörte auf zu zittern, als ihre Hand an seine kleine Schulter kam. „Komm“, sagte sie. Keine Predigt, nur Richtung.

„Sie haben keinen Respekt“, sagte ein älterer Mann, dessen Stimme bisher geschwiegen hatte. Kein Zorn, eine Feststellung. Der Vater sah ihn an und antwortete: „Nein. Vor Ihnen nicht.“ Kein Schimpfwort, und doch alles gesagt.

Er ging. Vielleicht ging er, weil die Frau ging. Vielleicht, weil der Satz zu Ende war und es danach keine besseren mehr gab. Die Reihe schloss sich hinter ihm wie Wasser, wenn man hindurchgeht. Ein Junge auf den Schultern seines Vaters klatschte im falschen Moment, weil er dachte, die Szene sei Teil der Show.

Die Gladiatoren im Sand verneigten sich voreinander. Applaus. Die Band am Rand spielte ein Stück, das nach Blech klang und nach Versöhnung. Ein paar der älteren Leute wechselten Blicke, dieses Nicken, das mehr ist als Höflichkeit: ein „Ich habe dich gehört“. Eine Frau neben mir nahm die Hand ihrer Freundin, drückte sie kurz, sagte nichts. Die Dreijährige war schon im Geräusch der Mandelrösterei verschwunden, in der Kuhle zwischen Mamas Hals und Schulter, in der die Welt wieder klein genug ist.

Was bleibt, sind die Ränder: die Worte, die hängen. „…und Sie sind eine alte Frau.“ Das war kein Ausrutscher, das war ein Blick auf die Welt. Auch „nein, vor Ihnen nicht“ war kein frecher Spruch; es war die Selbstgenehmigung, sich selbst zur Mitte zu erklären – und alle anderen zu Randfiguren.

Und dann bleibt dieser Gegenpol, der leiser ist und schwerer: die Partnerin, die in zwei Sätzen tat, was Menschen jeden Tag tun, wenn sie nicht diskutieren wollen, sondern schützen. Kein Drama, kein großes „So geht man miteinander um“ – nur die schlichte Handlung, die das Kind aus dem Lärm trägt.

Später, als ich die Straße hinunterging und die Sonne die römischen Helme auf den Tischen warm glänzen ließ, hörte ich Menschen über den Kampf reden, über die Technik, über die Authentizität der Rüstungen. Niemand redete laut über den Satz in der Menge. Aber er blieb trotzdem im Ohr, wie ein Ton, der erst verschwindet, wenn man ihn ausspricht.

Vielleicht ist das die eigentliche Regel für solche Tage: Öffentliche Räume sind aus vielen Mittelpunkten gemacht. Jeder bringt seinen mit – die Kleine auf dem Arm, die alte Frau mit dem gerahmten Blick, der Teenager, der tut, als sei ihm fad, aber die Augen glänzen – und der Trick ist, die Mittelpunkte so zu legen, dass sie sich nicht gegenseitig löschen. Manchmal reicht dafür ein Schritt zur Seite. Manchmal zwei. Manchmal das Schweigen, das nicht nachgibt, sondern klar bleibt.

Der Sand im Rund war am Ende des Tages wieder glattgezogen. Im Halbdunkel trugen Männer in T-Shirts die Holzschilde weg, die Kinder schliefen in Buggys, die Großeltern blieben noch fünf Minuten sitzen, weil Sitzen nach Stehen ein Fest ist. Die Stadt atmete aus. Der Satz blieb. Nicht als Gift, eher als Probe: Beim nächsten Gedränge. Beim nächsten „Mein Kind zuerst“. Bei der nächsten Hand, die „Komm“ sagt und meint: Wir gehen jetzt. Hier ist es laut, dort wird es leiser. Und alle sehen besser.
 

Shallow

Mitglied
Hallo @Pennyfeather,

toller Start, hat mir sehr gefallen, diese kleine Beobachtung von täglichen Begegnungen, schön erzählt. Und was bleibt davon?

Was bleibt, sind die Ränder

Und die sind gut erzählt.

Schönen Gruß

Shallow
 

Pennyfeather

Mitglied
Hallo @Pennyfeather,

toller Start, hat mir sehr gefallen, diese kleine Beobachtung von täglichen Begegnungen, schön erzählt. Und was bleibt davon?

Was bleibt, sind die Ränder

Und die sind gut erzählt.

Schönen Gruß

Shallow
Vielen Dank, Shallow, für das schöne Feedback. Toll, dass die Alltagsbeobachtung und besonders „die Ränder“ für dich funktionieren. Ich nehme das gern mit.
 



 
Oben Unten