Rohe Diamanten

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Klaus K.

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Rohe Diamanten

Ich hatte den Brief gefunden, er lag in einem alten Buch über die deutsche Kolonialgeschichte. Es war nur ein zusammengefalteter Bogen Papier, von Hand beschrieben mit blauer Tinte. Die Anrede ging an eine "Liebe Isolde", unterschrieben war er mit "Dein Bruder Theo". Der eigentliche Text handelte von Theo's Aufenthalt in Namibia, wo er wohl einige Zeit verbracht hatte. Und dort hatte er gesucht und gefunden, wonach er bei seinen privaten und unerlaubten Ausflügen in das dortige "Sperrgebiet" als Geologe und Hobby-Mineraloge auch eifrig geforscht hatte. Er hatte ein Areal entdeckt, wo Diamanten auf dem Boden lagen, natürlich noch teilweise in Gestein und hartes Erdreich eingebettet, völlig roh und ungeschliffen. Seine Vermutungen waren bestätigt worden, man hatte unmöglich die riesige Fläche unfruchtbaren und ansonsten staubtrockenen und sandigen namibischen Bodens komplett untersuchen und erforschen können. Es gab immer noch weiße Flecken auf den Landkarten. Er hatte Glück gehabt, und mehr als ein Pfund sehr vielversprechender Steine eingesackt. Und dann sofort seiner Schwester davon per Brief berichtet. Diesen Brief hielt ich jetzt in meinen Händen. Aber wer war dieser Theo?
Ahnenforschung war also zuerst angesagt. Und wahrlich, da tauchte ein weit entfernter Verwandter namens Theo auf. Die Schwester von meiner Mutter hatte ein zweites mal geheiratet, und dieser Mann hatte einen Bruder, und der hatte einen Sohn. Das war Theo, und seine Schwester hieß Isolde. Wie der Brief dann in das Buch gekommen war, wen interessierte das jetzt noch? Viel spannender war doch der weitere Inhalt. Denn dieser Theo gab an, seinen wertvollen Fund seinem Freund Paul Kasulke in Windhuk kurz zur Aufbewahrung überlassen und damit anvertraut zu haben. Weitere Nachforschungen standen an, ich zog alle Register. Erfolgreich, wie sich schnell herausstellte. Aber der Reihe nach. Erstens, der deutsche Staatsbürger Theo Lennertz war dann irgendwann in Namibia als verschollen registriert worden, da er nicht mehr ausgereist war, nie mehr irgendwo gesehen worden war, und daher nach einiger Zeit dann für tot erklärt wurde. Die inzwischen verstorbene Schwester hatte ebenfalls nach seinem Verbleib geforscht, war aber zeitlebens wohl nie direkt vor Ort, denn es gab ja auch kein Grab.- Zweitens, dass der namentlich genannte Paul Kasulke quietschfidel noch in Windhuk lebte und dort ein Geschäft für Schmuck und Edelsteine betrieb. Hört, hört. Herr Kasulke handelte mit Steinchen. Und in Windhuk. Auf nach Namibia!

Drei Tage später war ich bereits da. Und das Geschäft war schnell lokalisiert, entpuppte sich aber als eher klein und nicht besonders einladend. "Open", und "Man spricht deutsch" an der Tür. Drinnen sah man auf eine bescheidene Auslage an Ringen und Steinen ohne Fassung, alles unter Glas. Und hinter der Verkaufstheke stand zweifellos Paul Kasulke. Irgendwie erinnerte dieser Mann an ein Relikt aus der deutschen Kolonialzeit, denn er trug einen verschlissenen Hut, einen völlig veschlissenen uralten "Südwester", die bevorzugte Kopfbedeckung der ehemals kaiserlichen Schutztruppen, vornehmlich der Offiziere, mit einer einseitig hochgeschlagenen Krempe.
"Deutsch, English, Afrikaans?" fragte er.
"Guten Tag - Sie sind Herr Kasulke?"
"Aber ja! Uns gibt es hier seit 1890 - wie kann ich helfen?"
"Ich habe hier etwas, einen Brief. Und Sie hatten einen Freund, Theo Lennertz, stimmt's?"
"Genau! Theo! Ist schon ein paar Jahre her..."
"Und Theo hat Ihnen etwas zur Aufbewahrung gegeben. Wir sind miteinander verwandt, wissen Sie. Hier habe ich seinen Brief, da steht alles drin. Eine Ledertasche mit seinen Initialen drauf, und mit einem speziellen Inhalt!"
"Stimmt, erst war es nur zur Aufbewahrung, später hat er sie mir dann geschenkt. Er war noch mal da, sagte, er könne damit sowieso nichts mehr anfangen, ich könne sie behalten. Dann verschwand er und wurde nie mehr gesehen, das werden Sie aber sicher wissen, denn sonst wären Sie ja nicht hier!"
Ich hakte nach: "Sie behaupten also, er habe Ihnen die Tasche samt Inhalt einfach so überlassen?"
"Beweisen Sie das Gegenteil, haha! Sie können ihn ja leider nicht mehr befragen, er wurde nie gefunden!"
Ich blickte nach oben, hinter ihm standen hölzerne Regale.
"Und was ist das da oben links? Ich sehe da eine Ledertasche mit Trageriemen, und kann von hier ein großes "T" entziffern?"
"Kein Problem, Moment!"
Er griff nach oben und zog die Tasche heraus. "T" und dann ein "L" waren deutlich zu erkennen, denn diese Buchstaben waren in das Leder eingebrannt worden. Jetzt öffnete er die Verschlußklappe und zog einen Beutel heraus. Der war ziemlich schwer, aber Kasulke schüttete dann sofort den Inhalt auf den Ladentisch.
Unglaublich! Man konnte die eingeschlossenen Diamanten auch als Laie sofort erkennen, sie sahen aus wie Glassplitter. Aber die Größe war enorm, es waren ungeschliffene und unbearbeitete Rohdiamanten, vor mir lag ein wahrer Schatz.
"Dies, mein Freund....."...er machte eine Pause..."dies ist meine Altersversorgung, klar? Und da können Sie hundertmal mit Theo verwandt sein, die gehört jetzt mir! Und glauben Sie ja nicht, die Tasche würde hier immer so herumliegen, denn sie kommt mit einigen wertvollen Stücken nachts immer unter Verschluß! So, und ich vermute mal, dass Sie nie etwas bei mir kaufen wollten, oder? Wenn dem so ist, sollten Sie jetzt wohl besser wieder gehen.."
Er hatte recht. Und ich wußte nicht, was ich noch sagen sollte. Ich verließ den Laden. Paul Kasulke. Seriös? Unseriös? Ein Mörder vielleicht? Fragen über Fragen. Ich ging zurück zu meinem Hotel. Unterwegs kam ich am Bahnhof vorbei. Und auf den Stufen vor dem Eingang saß ein ungepflegtes männliches Faktotum, unrasiert, lange strähnige Haare, kurz ein Mensch, den man nicht unbedingt anspricht. Er drehte sich gerade eine Zigarette, und mir kam eine spontane Idee. Denn der Bursche war kräftig und ungefähr 35 Jahre alt.
"Interesse an einem speziellen Auftrag? 500 Dollar sind drin, 100 jetzt als Vorschuß, dann noch einmal 400 bei Erledigung!"
Er musterte mich. "Hoho mein Freund, der Himmel schickt mir ein Signal, die Götter sind mir wohlgesonnen, es geschehen noch Zeichen und Wunder in diesem großartigen Land!"
Was war das? Ein Durchgeknallter? Oder ein verhinderter Dichter? Ich duzte ihn jetzt sofort. "Pass auf, eine Kleinigkeit. Es geht um eine Tasche, die mir gehört. Die liegt mit etwas Inhalt in einem Laden hier in einem Regal. Der Besitzer will sie mir nicht geben. Ich will sie haben. Zurückhaben, wegen unserer Familiengeschichte. Wenn du sie mir besorgst, nimmst du aber nicht nur die Tasche mit, sondern auch ein paar Sachen aus der Auslage für dich. Damit meine ich Schmuck, der interessiert mich aber nicht, ich will nur die lederne Tasche mit den zwei Initialen "T" und "L" drauf, samt Inhalt. Ein Erbstück, verstehst du?"
"Ein Auftrag mir entgegen lacht, die Sache sei hier abgemacht!"
Der Typ war ein Unikum.
Ich gab ihm die 100 Namibia-Dollar, umgerechnet waren es ja nur wenige Euro, wir besprachen den Zeitpunkt, er wollte sich für die Aktion maskieren, ich wollte ihn aus sicherer Entfernung und zwecks späterer Übergabe beobachten. Und dann nannte ich ihm die Adresse von Paul Kasulkes Geschäft. Es war alles vorbereitet. Und der Zufall wollte es, dass ich bereits den nächsten Schritt in Angriff nehmen konnte. Hilfestellung lieferte die einschlägige Literatur.
Ein besonderer Teil der indigenen Bevölkerung Namibias, die "Bushmen", produzierte Kunsthandwerk auch von Objekten, mit welchen sie normalerweise auch noch heute auf die Jagd gingen. Pfeil und Bogen, zum Beispiel. Die waren dann aber nur Dekorationsstücke für den Weltenbummler und dessen Wohnzimmer. Sie waren definitiv nicht tödlich, nicht für den täglichen Gebrauch, wurden ausdrücklich als Kunsthandwerk deklariert und durften entsprechend ausgeführt werden. Und dazu waren sie teilweise aus einem Material hergestellt, das nicht unbedingt authentisch war. Das Holz der Bögen zum Beispiel. Es war relativ dick, rund und hatte innen eine "Seele" aus einer Art Mark. Und das ließ sich entfernen, dann war der Bogen mehr oder weniger hohl. Ein Bohrer und ein stabiler Draht genügten, schon konnte man den so entstandenen freien Raum anderweitig nutzen und dann die beiden Öffnungen oben und unten wieder mit dem Mark verschließen. Vier der Bögen würden für meine Steinsammlung genügen, die dazugehörenden Pfeile blieben unbehandelt. Dem Export meiner Mitbringsel stand damit nichts mehr im Wege. Ja, Lesen bildet. Ich bereitete alles vor.
Am nächsten Tag erfolgte dann der Einsatz von meinem Dichter. Wie vereinbart erschien er abends kurz vor Ladenschluss vor Kasulkes Geschäft, mit einer Kappe über den weggesteckten Haaren und einem großen Tuch über Nase und Mund. Nach knapp einer Minute war er bereits wieder draußen und flüchtete zu unserem vereinbarten Treffpunkt. Niemand war ihm gefolgt.
"Was hast du mit Kasulke gemacht? Warum kam der nicht hinterher raus?"
"Ein kräftiger Schlag aufs Kinn, das raubte ihm dafür den Sinn! Ein ehemaliger Boxer zur rechten Zeit, das schafft Freude und auch Heiterkeit!"
Nun denn. Ich bekam meine Tasche ausgehändigt, und weitere 400 Namibia-Dollar wechselten den Besitzer. Man trennte sich. Im Hotel begann dann meine akribische Füllung der Bögen. Alles lief wie geplant, meine Steine ließen sich in ihren hölzernen Röhren perfekt verstauen. Morgen ging es zurück nach Hause!

Windhuk ist anerkanntermaßen die sauberste und absolut sicherste Stadt Afrikas. Da legt man Wert drauf, da tut man alles dafür. Am nächsten Morgen stand ich kurz vor dem Check-in am Flughafen, als sich vier Herren näherten. Moment mal, den einen von ihnen, den kannte ich doch? Der hatte jetzt zwar einen Pferdeschwanz, war glatt rasiert, und er trug eine Uniform mit Sternen auf den Schultern! Mein Dichter!
"Mein Freund, das Spiel ist aus, dein Weg führt dich nicht nach Haus! Windhuk will nicht seinen guten Ruf verlieren, du wirst durch unorthodoxe Methoden keine Diamanten exportieren! Du bist an den Falschen geraten - nehmt ihn mit, bei dem kommt ordentlich was zusammen!" Und wer stand da hinter ihm? Der verschlissene Südwester, Paul Kasulke! Der deutete auf den Dichter und sagte nur: "Verwandtschaft!"
 
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onivido

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Hallo Klaus,
es ist wohltuend diese unterhaltsame Geschichte an einem regnerischen Tag zu lesen. Die Nachkommen europaischer Siedler sind sich immer noch zu schade, sich auch in Oshiwambo ausdruecken zu koennen. Mit Englisch, Afrikaans und Deutsch reicht es ihnen.
Bei einem Juwelier eigentlich verstaendlich.
Beste Gruesse///Onivido
 

Klaus K.

Mitglied
@ onivido

Hoppla! Venezuela, dachte ich? Namibia....dort also auch "Oshiwambo" als vierte (und vor allem indigene!) Sprache? Ja, ganz entfernt habe ich davon schon einmal gehört, und man lernt nie aus! Auch dafür Dank an dich! Mit Gruß, Klaus
 

Hagen

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Hallo Klaus,
Danke für diese Geschichte.
Besonders gefällt mir an Deinen Geschichten, das sie nicht immer ein zuckersüßes Happy-End haben.
Genial das Ding mit dem Dichter! - Da muss man drauf kommen und den Typen dann konsequent so reden lassen! Chapeou!
Ansonsten schließe ich mich onivido an.
Aber jetzt (leider) zu etwas Negativem.
Meinst Du nicht auch, dass etwas zuviel Zufälle mitspielen?
Die dubiose Ledertasche auf einem Holzregal in seinem Laden?
Da ist auch z.B. 'ein ungepflegtes männliches Faktotum' wie Du geschrieben hast.
Dieses 'ungepflegte männliche Faktotum' lässt sich auf einen 'Deal' ein. (ein ungesichertes 'Juwelengeschäft' zwar nicht auszurauben, aber was zu entwenden.)
So wie der Typ zunächst beschrieben wurde, hätte er dem Laden vorher längst 'einen Besuch abgestattet'!
Ein Beutel voll Dyamanten in einem Flitzebogen? - Etwas viel, für die "Seele" eines Bogens, meinst Du nicht auch?
Trotzdem ist die Idee genial; - man muss nur wissen, dass es 'sowas' gibt!

Aber, das grosse 'NOGO' in diesem Ding ist der 'Südwester'!
Ein Südwester (engl. Sou’wester; norweg. Sydvest) ist eine wasserdichte Kopfbedeckung für Seefahrer!!!! Er wird aus Öltuch oder Kunststoff als Obermaterial und teilweise Baumwolle als Futter hergestellt. Südwester haben eine breite Krempe, die hinten weit überhängt, damit kein Regenwasser in die Kleidung laufen kann. Die Benennung nach der Himmelsrichtung, aus der der meiste Regen kommt, kommt möglicherweise ebenso wie der Hut selbst aus dem Norwegischen.

Paul Kasulke jedoch dürfte einen Schutztruppenhut getragen haben!

Der Schutztruppenhut war die Kopfbedeckung der ehemaligen deutschen „Schutztruppe“ und der deutschen Soldaten in Deutsch-Neuguinea und Deutsch-Samoa. Es handelte sich um einen feldgrauen oder khakifarbenen Schlapphut aus Filz, bei dem die Krempe seitlich rechts hochgeknöpft werden kann.

Nun denn, in diesem Sinne, wir sehen uns in der ScheinBAR!
Zudem lesen wir uns weiterhin!
... und bleib' schön fröhlich, gesund und munter!
Herzlichst
Yours Hagen

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Achte auf Deine Gedanken,
denn sie werden Worte.
Achte auf Deine Gewohnheiten,
denn sie werden Dein Charakter.
Achte auf Deine Handlungen,
denn sie werden Gewohnheiten.
Achte auf Deine Worte,
denn sie werden Handlungen.
Achte auf Deinen Charakter,
denn er wird Dein Schicksal.

Asiatisches Sprichwort​
 

Klaus K.

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@ hagen

Hallo Hagen,
zuerst einmal vielen Dank ! Zufälle? Die Tasche kommt abends in einen Tresor, warum also nicht? Vielleicht hatte er ja einen Interessenten? Das "Faktotum" ist ein Kriminaler vor Ort, der seine Freizeit eben anders verbringt als du und ich, vielleicht war er undercover unterwegs, vielleicht ist er in den siebziger Jahren hängen geblieben und ein echter "freak" - du würdest mich beruflich auch ganz anders erleben als jetzt hier zu Hause, haha....., denn auch für mich gilt "let the good times roll" !
Und nun zum "Südwester". Meine Sekundär-Literatur (General von Trotha etc.) sagt da auch nur "Südwester" dazu. Dann habe ich "gegooled", also Bilder.
Sorry - dito! Die Frage ist nur, WO und WANN die Bezeichnung zuerst aufkam, ob bei der Seefahrt oder bei den "Schutztruppen" für die Offiziere des Kaisers? Wegen der Bezeichnung habe ich da eine Vermutung, und die geht eher Richtung Namibia. Notabene: Nur eine Vermutung. Und dass Paul Kasulke nun so eine Kopfbedeckung noch trägt, seine Familie ist seit 1890 im Land...lassen wir ihn doch! Ach ja, die vier Flitzebogen...Touristen-Klimbim, ich bin auch kein Botaniker, der sich mit Hölzern auskennt. "Dichterische" Freiheit muß sein, aber du bist halt akribisch genau - das ist absolut in Ordnung, bleib' bitte so! - Roll-out jetzt hier mit einem "Carlos III" und einem Pfeifchen (NO drugs!!!) , mit Gruß an dich, Klaus
 

Klaus K.

Mitglied
Oben natürlich "gegoogelt"! Ich dachte, man könnte das nachträglich noch korrigieren - war wohl nichts. Gut zu wissen!
 



 
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