Romananfang experimentell

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Noch ohne Titel

„Ein bisschen ist es so wie beim ersten Mal“, sagt Merle und lehnt sich zurück ins Gras. Ihre massigen, wirren Haare umranden jetzt das Gesicht wie die Strahlen einer handgemalten Blumensonne. „Am Anfang ist es halt scheiße, aber dann gewöhnst du dich dran und irgendwann gehört es eben dazu, genauso wie die ganze andere Scheiße.“
Julia guckt von den Haaren runter zu Merles Achselhöhlen, wo sich fettige Fusseln von weißgrauer Haut abheben, zu den ausgefransten Enden ihrer Shorts. Dort lugt der Saum altem Taschentuch ähnlicher Innentaschen hervor wie ein Pflaster. Sie guckt einer Ameise hinterher, die an Merles dünn bestrumpfter Wade entlang zur Kniekehle läuft, ohne dass es jemanden stören würde. Die Stadt ist seit Minuten still. Es scheint, als wollte auch sie nur noch Merle zuhören. Merles munterer Stimme, die aus ihr heraus summt wie Luft aus einem regulierbaren Deckenventilator. Sie redet so viel, dass es Julia, die immer aufmerksam ist, schwer wird, ihr weiter zuzuhören. Nach den letzten Tagen Einsamkeit setzt sich der Zuspruch wie Kopfschmerz in ihrer Stirn fest. Sie wendet sich ab und dem platten Gras zu, das unter ihnen erstickt, weil die vielen Menschen es beinahe lückenlos geflutet haben. Die Sonne hat sie hervorgelockt. Ihre sorglose Fröhlichkeit scheint Julia fremd, wie ein Moment geschuldetes Lächeln, das im Gesicht eines Anderen noch fremder wirken würde.
„Die, die mit dem Scheiß nicht klarkommen, meinen es sowieso nicht ernst“, sagt Merle und ist wie das Gras, richtet sich wieder auf, streckt die Beine und knallt vorne hektisch die Sohlen ihrer Chucks gegeneinander, dass es aussieht, als hätte sie keine Arme und wolle jemandem Beifall klatschen. Auf ihren runden Deltamuskeln wirkt die Haut dunkler mit noch dunkleren, kleinen und großen Kratern, einige in der Mitte noch rot und frisch, andere in der Unterhaut wie ein Schmutzfleck unter gläserner Oberfläche. Julia fährt flüchtig über die rauen Knötchen auf ihrem linken Pulloverärmel. Merle zerreibt einen Grashalm zwischen den Sohlen.
„Und bei dir, Linda?“, fragt sie, guckt dabei in den Himmel über ihnen, ein fast wolkenloses Blau und eine Sonne, in die man nicht gucken kann. Also senkt Merle das Kinn wieder zum Ausschnitt ihres weit geleierten T-Shirts,„Du redest nicht viel, was?“, und dreht den Kopf und saugt unbekümmert mit weichen Lippen den Rest aus der Bierflasche, die sie zusammen mit zwei 0,3er Fanta aus dem Spätverkauf gestohlen hat, in dem Julia gestanden und ein Toastbrot in den Händen gewogen hatte. Nur, um eine weiche Stelle zu finden, nur, um sich über die Zeit zu retten.
Eine lärmende Truppe Schulkinder hatte den asiatischen Besitzer hinter dem Tresen um ein Viertel des dort aufgestellten Gummizeugs erleichtert. Sie waren nicht nennenswert älter als Julia gewesen und doch hatte sie einen unüberwindbaren Abstand zu ihnen bemerkt. Anders als der, der sich schon vorher zwischen sie und das Leben geschoben hatte, anders als der, den das Fräulein Parschek heraufbeschwor, wie es in den Umkleiden vor Julia gestanden und so beängstigend wachsam geschaut hatte.
Dieses Mal keine Menstruation - eine Lüge, die bei Julia noch größer wirkt, denn da will bis heute nichts kommen. Kein Fleisch auf die Hüfte, kein Ansatz von Brüsten, vielleicht ein undeutlicher Flaum Schambehaarung, wenn Julia einmal richtig hingesehen hätte - keine Kopfschmerzen, keine Zerrung. Nur die Frau Parschek mit ihren schmal gekniffenen Augen und einem Satz auf den glitzernden Lippen, der Julia ein kurzes und schneidendes Gefühl der Angst schenkt, das sie in diesem Moment nicht einordnen kann, weil es ihr schwer geworden ist, etwas zu fühlen.
Es hätte nichts ausgemacht, dass Claudia Karma das neue Fräulein für verantwortungslos hielt, weil es auf dem Grillfest einen schwarzen BH unter der transparenten Bluse getragen hatte. Julia hat der Frau Parschek ihren vollständigen Namen sagen sollen und hat nichts herausbekommen.

„Hallo? Noch anwesend?“ Eine nachlässig geballte Faust schlägt gegen Julias Schulter und wirkt wie eine Stimmgabel. Alles in ihr fängt zu summen an, überraschend, dann schmerzlich und dann voller klebriger Hingabe.
„Ich muss langsam los, hab noch eine Verabredung“, sagt Merle mit ihrer summenden Stimme, und wie sie den Rucksack schultert, glaubt Julia, etwas darin vergessen zu haben.
 
Noch ohne Titel

„Ein bisschen ist es so wie beim ersten Mal“, sagt Merle und lehnt sich zurück ins Gras. Ihre massigen, wirren Haare umranden jetzt das Gesicht wie die Strahlen einer russischen Sonne. „Am Anfang ist es halt scheiße, aber dann gewöhnst du dich dran und irgendwann gehört es eben dazu, genauso wie die ganze andere Scheiße.“
Julia guckt von den Haaren runter zu Merles Achselhöhlen, wo sich fettige Fusseln von weißgrauer Haut abheben, zu den ausgefransten Enden ihrer Shorts. Dort lugt der Saum altem Taschentuch ähnlicher Innentaschen hervor wie ein Pflaster. Sie guckt einer Ameise hinterher, die an Merles dünn bestrumpfter Wade entlang zur Kniekehle läuft, ohne dass es jemanden stören würde. Die Stadt ist seit Minuten still. Es scheint Julia, als wollte auch sie nur noch Merle zuhören, Merles munterer Stimme, die aus ihr heraus summt wie Luft aus einem regulierbaren Deckenventilator. Sie redet so viel, dass es Julia, die immer aufmerksam ist, schwer wird, ihr weiter zuzuhören. Nach den letzten Tagen Einsamkeit setzt sich der Zuspruch wie Kopfschmerz in ihrer Stirn fest. Sie wendet sich ab und dem platten Gras zu, das unter ihnen erstickt, weil die vielen Menschen es beinahe lückenlos geflutet haben. Die Sonne hat sie hervorgelockt. Ihre sorglose Fröhlichkeit scheint Julia fremd, wie ein Moment geschuldetes Lächeln, das im Gesicht eines Anderen noch fremder wirken würde.
„Die, die mit dem Scheiß nicht klarkommen, meinen es sowieso nicht ernst“, sagt Merle und ist wie das Gras, richtet sich wieder auf, streckt die Beine und knallt vorne hektisch die Sohlen ihrer Chucks gegeneinander, dass es aussieht, als hätte sie keine Arme und wolle jemandem Beifall klatschen. Auf ihren runden Deltamuskeln wirkt die Haut dunkler mit noch dunkleren, kleinen und großen Kratern, einige in der Mitte noch rot und frisch, andere in der Unterhaut wie ein Schmutzfleck unter gläserner Oberfläche. Julia fährt flüchtig über die rauen Knötchen auf ihrem linken Pulloverärmel. Merle zerreibt ein braunes Büchel Gras zwischen den Sohlen.
„Und bei dir, Linda?“, fragt sie, guckt dabei in den Himmel über ihnen, ein fast wolkenloses Blau und eine Sonne, in die man nicht gucken kann. Also senkt Merle das Kinn wieder zum Ausschnitt ihres weit geleierten T-Shirts,„Du redest nicht viel, was?“, und dreht den Kopf und saugt unbekümmert mit weichen Lippen den Rest aus der Bierflasche, die sie zusammen mit zwei 0,3er Fanta aus dem Spätverkauf gestohlen hat, in dem Julia gestanden und ein Toastbrot in den Händen gewogen hatte. Nur, um eine weiche Stelle zu finden, nur, um sich über die Zeit zu retten.
Eine lärmende Truppe Schulkinder hatte den asiatischen Besitzer hinter dem Tresen um ein Viertel des dort aufgestellten Gummizeugs erleichtert. Sie waren nicht nennenswert älter als Julia gewesen und doch hatte sie einen unüberwindbaren Abstand zu ihnen bemerkt. Anders als der, der sich schon vorher zwischen sie und das Leben geschoben hatte, anders als der, den die Frau Parschek heraufbeschwor, wie sie in den Umkleiden vor Julia gestanden und so beängstigend wachsam geschaut hatte.
Dieses Mal keine Menstruation - eine Lüge, die bei Julia noch größer wirkt, denn da will bis heute nichts kommen. Kein Fleisch auf die Hüfte, kein Ansatz von Brüsten, vielleicht ein undeutlicher Flaum Schambehaarung, wenn Julia einmal richtig hingesehen hätte - keine Kopfschmerzen, keine Zerrung. Nur die Frau Parschek mit ihren schmal gekniffenen Augen und einem Satz auf den glitzernden Lippen, der Julia ein kurzes und schneidendes Gefühl der Angst schenkt, das sie in diesem Moment nicht einordnen kann, weil es ihr schwer geworden ist, etwas zu fühlen.
Es hätte nichts ausgemacht, dass Claudia Karma das neue Fräulein für verantwortungslos hielt, weil es auf dem Grillfest einen schwarzen BH unter der transparenten Bluse getragen hatte. Julia hat der Frau Parschek ihren vollständigen Namen sagen sollen und hat nichts herausbekommen.

„Hallo? Noch anwesend?“ Eine nachlässig geballte Faust schlägt gegen Julias Schulter und wirkt wie eine Stimmgabel. Alles in ihr fängt zu summen an, überraschend, dann schmerzlich und dann voller klebriger Hingabe.
„Ich muss langsam los, hab noch eine Verabredung“, sagt Merle mit ihrer summenden Stimme, und wie sie den Rucksack schultert, glaubt Julia, etwas darin vergessen zu haben.
 
A

aligaga

Gast
Ich bin sehr, sehr gespannt auf Kommentare!
Stell dir vor - das sind alle, die hier ihre Texte einstellen!

Wenn sie sich aber alle so benehmen wie du, nämlich nur ihren eigenen Seim streicheln und den der anderen komplett links liegen lassen, dann geht das Forum ein wie eine Mehlprimel ohne Wasser.

TTip: Schreib mal zehn schlaue Kommentare zu zehn Texten Dritter. Dann, und erst dann, reden wir weiter.

Kopfschüttelnd

aligaga
 

FrankK

Mitglied
Hallo, hobbyschreiber
Ich bin sehr, sehr gespannt auf Kommentare!
Schwierig, sehr, sehr schwierig.
Worauf will die Geschichte hinauslaufen – wird es ein sozialkritisches Drama?
Oder begleiten wir Julia auf ihrer „Reise“ durch das Erwachsen werden?
Oder entwickelt sich – möglicherweise – aus diesem verstörenden Anfang eine Kriminalgeschichte und damit die „Suche“ nach dem Bösen?

Äh – ja – verstörender Anfang.
Ich habe irgendwo mal etwas davon gelesen, dass in einem Roman die ersten 5 Sätze entscheidend seien, ob ein Leser dabei bleibt oder nicht. Schauen wir mal:
„Ein bisschen ist es so wie beim ersten Mal“, [blue]sagt[/blue] Merle und lehnt sich zurück ins Gras.
Mit „beim ersten Mal“ weckst Du Assoziationen an den ersten intimen Akt. Das könnte interessant werden.
Anmerkung: Die wörtliche Rede klingt eher nach einem doziert und nicht nur gesagt.

Ihre massigen, wirren Haare [blue]umranden[/blue] jetzt das Gesicht wie die Strahlen einer russischen Sonne.
Ich musste tatsächlich erst einmal nachsehen, wie eine „russische Sonne“ aussehen sollte, danach hatte mich das Bild noch weniger überzeugt. Lyrisch überfrachtet, passt es nicht zum Fortgang der Geschichte.
Anmerkung: Dieses umranden würde ich eher als ein umrahmen beschreiben. Die Haare geben dem Gesicht einen Rahmen und keinen Rand.

„Am Anfang ist es halt [blue]scheiße[/blue], aber dann gewöhnst du dich dran und irgendwann gehört es eben dazu, genauso wie die ganze andere [blue]Scheiße[/blue].“
Nach der russischen Sonne rumpelst Du tief in eine Fäkalsprache. Kann man auch noch akzeptieren, es scheint zu Merle zu passen. Allerdings scheinen wir uns jetzt von einem „ersten intimen Akt“ zu entfernen.

Julia guckt von den Haaren runter zu Merles Achselhöhlen, wo sich fettige Fusseln von weißgrauer Haut abheben, zu den ausgefransten Enden ihrer Shorts.
Merle wird nicht gerade sympathisch gezeichnet, zusammen mit ihrer Sprache erscheint sie stark asozial geprägt, unsauber – schmuddelig – abgerissen.

Dort lugt der Saum altem Taschentuch ähnlicher Innentaschen hervor wie ein Pflaster.
Komplizierte Beschreibung für „Überreste von Innentaschen“.

Sie guckt einer Ameise hinterher, die an Merles dünn bestrumpfter Wade entlang zur Kniekehle läuft, ohne dass es jemanden stören würde.
Danke, ich als Leser habe längst begriffen, dass Merle wohl keinen Schönheitspreis gewinnen wird, dass ihr das eigene Erscheinungsbild ziemlich egal ist.

Die Stadt ist seit Minuten still. Es scheint Julia, als wollte auch sie nur noch Merle zuhören, Merles munterer Stimme, die aus ihr heraus summt wie Luft aus einem regulierbaren Deckenventilator.
Tja, das waren jetzt sogar die ersten 8 Sätze, außer einem gewaltigen Schwung an mehr oder weniger farbenfrohen Bildern habe ich nichts bemerkt, was mich als Dein Leser auf irgendeine Art und Weise in die Geschichte hinein zöge oder daran binden würde.


Im weiteren Verlauf kommen zusätzliche Verwirrungen, die Deinem Textanfang einen eher konfusen, statt ausgereiften Stil verleihen:
  • Merle nennt Julia „Linda“
  • Was soll „Frau Parschek“ hier?
  • Welche Rolle spielt „Claudia Karma“?
Ich will damit nicht sagen, dass keine zusätzlichen Figuren erwähnt werden dürfen, aber hier wirken diese beiden eher nur wie zufällig eingestreut. Da passen die Schulkinder beim asiatischen Händler harmonischer in das Gefüge.

Eine nachlässig geballte Faust schlägt gegen Julias Schulter und wirkt wie eine Stimmgabel.
Langsam aber sicher wird das bisschen Text mit symbolischen Bildern überfrachtet.

Alles in ihr fängt zu summen an, überraschend, dann schmerzlich und dann voller [blue]klebriger Hingabe[/blue].
Was habe ich mir darunter vorzustellen?

… und wie sie den Rucksack schultert, glaubt Julia, [blue]etwas darin vergessen zu haben[/blue].
Hihi – vielleicht das Toastbrot?
Allerspätestens an dieser Stelle wäre ich als Leser ausgestiegen. Ein paar Andeutungen, von denen keine in eine bestimmte Richtung führt, reichen nicht aus, um mich neugierig auf den weiteren Verlauf zu machen.

Der fast schon spannendste Moment war die Gruppe Schulkinder, die den
… asiatischen Besitzer hinter dem Tresen um ein Viertel des dort aufgestellten [blue]Gummizeugs[/blue] erleichtert.
Was haben die gekauft? Seinen Vorrat an Kondome?
Neben dieser einzigen konkreten Szene ist lediglich die Beschreibung des äußerlichen Erscheinungsbildes Merles scharf gezeichnet, alles andere wirkt irgendwie diffus / nebulös.
Nach zweiter Lesung habe ich fast das Gefühl, dies sei die sprachliche Umsetzung eines in schrillen Farben gezeichneten „Manga“.


Was könnte helfen?
1. Entschlacken
Die (gefühlt) zwei Dutzend bildlichen Vergleiche ausdünnen. Angefangen bei der russischen Sonne, die so gar nicht zum Rest von Merle passt.
2. Konkretisieren
Auch das hängt mit den vielen Metaphern zusammen, aber auch an einer konkretisierten Richtung. Da ich nicht weiß, worauf Deine Geschichte abzielt, kann ich Dir da leider keinen Hinweis geben.


Korrektur – zu Beachten:
Mit den „Zeiten“ rumpelst du ziemlich hin und her.
Wenn die Situation (auf der Wiese) in der Gegenwahrt geschildert ist, gehört auch die Gruppe Schulkinder dazu, die sind aber in der Vergangenheitsform dargestellt.
Die Rückblende mit dem Ladendiebstahl gehört in die Vergangenheit verfrachtet, da ist aber die Gegenwartsform gewählt.
Bei Erscheinen der beiden zusätzlichen Figuren springt die Erzählzeit sogar hin und her.

Die Erzählzeit „Gegenwart“ bringt den Leser näher an das Geschehen heran, ist aber sehr schwierig konstant einzuhalten. Jede Rückblende, jede Rückerinnerung, muss sehr genau beachtet werden.


Zum Schluss noch etwas positives:
Die Erzählperspektive ist – zumindest in diesem kurzen Abschnitt – sehr gut beibehalten. Wir betrachten die Umgebung mit Julias Augen, werden zusammen mit Julia von Nebensächlichkeiten abgelenkt (die Ameise, die Schulkinder), wir befinden uns mitten in Julias Gedankenwelt. Das passt soweit ganz gut.


Fazit:
Nahezu unmöglich, konkrete Hinweise zum Text zu geben.
Vielleicht könntest Du etwas näher erzählen, worum es in Deiner Geschichte gehen soll.
Wir haben Julia kennengelernt, die, von der Entwicklung her, etwas hinterher zu hinken scheint.
Wir haben Merle kennengelernt, die wie eine … mir will das passende Wort nicht über die Tastatur geraten.

Ich bin sehr, sehr gespannt auf Kommentare!
Stell Dir vor, Du liest vom „Herr der Ringe“ die ersten zehn Seiten und wirst um einen Kommentar gebeten. Wird schwer, wenn Du nichts über die nächsten rund 1000 Seiten weißt.

Hier, unter diesem „Textfragment“, wäre es zunächst hilfreich, wenn Du näher erläutern würdest, in welche Richtung dein Text führen soll, dann könnte Dir geholfen werden zu überprüfen, ob der „Anfang“ schon mal in die richtige Richtung führt.
Weiterhin wäre es wichtig zu erläutern, was der Inhalt der Geschichte sein soll, dann könnte Dir geholfen werden, die Einleitung so zu konkretisieren, dass die Thematik den Leser in die Geschichte lockt.
Auch wäre es interessant zu erfahren, ob die potentielle Geschichte nicht sogar einem bestimmten Genre zuzuordnen wäre.


So – ich habe dich jetzt (hoffentlich) ausreichend demoralisiert. ;)
Vielleicht gibst Du ja noch ein paar Details bekannt.


Aufmunternde vorweihnachtliche Grüße
Frank
 
Hallo Frank,
vielen Dank fürs Lesen und die produktive Arbeit an dem Text!

Schwierig, sehr, sehr schwierig.
Worauf will die Geschichte hinauslaufen – wird es ein sozialkritisches Drama?
Oder begleiten wir Julia auf ihrer „Reise“ durch das Erwachsen werden?
Oder entwickelt sich – möglicherweise – aus diesem verstörenden Anfang eine Kriminalgeschichte und damit die „Suche“ nach dem Bösen?
Die Frage nach dem Krimi ergibt sich wohl aus den anderen Texten, die ich bisher hier eingestellt habe, so du sie denn gelesen hast. ;)
Ich habe mich lange nicht mehr hier umgesehen und bin damals verschüchtert, nach dem einer meiner Texte zum Werk des Monats gestempelt und daraufhin leider auch berechtigterweise verrissen wurde, von dannen gezogen. Ich denke, oder hoffe vielleicht auch nur, während dieser Abwesenheit, eine Entwicklung im eigenen Lesen und Schreiben gemacht zu haben. So gerüstet bin ich nun also wieder an der „Front“ und wollte mir ein wenig Bestätigung holen....
Sozialkritisches Drama und Adoleszenzroman trifft es ganz gut. Im Großen und Ganzen geht es um Jugendliche, die auf der Straße leben, um ihr verfrühtes und defektives Erwachsenwerden und im Kern um die Frage, was es auf diesem Weg zur Selbstbestimmung wohl besonders braucht: Geborgenheit und Nestwärme, materielle Sicherheit und vorbildliche Erziehung oder grenzenlose Freiheit und bedingungslose Liebe. Wie du ja schon erkannt hast, könnten Merle und Julia unterschiedlicher nicht sein. Trotz dessen tragen sie in ihren Tiefen einen gemeinsamen Nenner, Grund dafür, dass sie sich dergestalt annähern können. Nun möchte ich aber auch nicht zu viel verraten, denn noch beabsichtige ich,mich mit diesem Text zu bewerben.
Ganz unbefleckt bin ich in dieser Sache auch schon nicht mehr. Die Bewerbung kam jedoch mit den Worten zurück, dass der Roman für Jugendliche „zu schwere Kost“ wäre. Und da sind wir dann auch schon beim Problem der Genrezuordnung. Die lässt sich nämlich leider nicht eindeutig treffen und ich denke, hoffe oder rede mir zumindest ein, dass es eben an dieser fehlenden Eindeutigkeit des Textes liegt, dass ihn sich bisher niemand in einem Bücherregal vorstellen kann.
Allerdings bist du nicht der Erste, der mir den Vorwurf der Überfrachtung macht. Das eigentliche Problem daran ist, dass die Bilder nicht einfach so aus dem Blauen kommen. Ich habe mir durchaus etwas dabei gedacht, weiß aber auch, dass die Bedeutung der Symbolik mitunter erst zum Tragen kommt, wenn das Buch ausgelesen ist. Das war dabei aber auch mein Anspruch: ein Buch, das man nicht nur ein Mal lesen kann.

Mit „beim ersten Mal“ weckst Du Assoziationen an den ersten intimen Akt. Das könnte interessant werden.
Anmerkung: Die wörtliche Rede klingt eher nach einem doziert und nicht nur gesagt.
Ja, es geht hier um das erste Mal als intimen Akt. Ich hatte anfangs mehr Dialekt und Mundart in der wörtlichen Rede, aber habe das dann verworfen, weil ich mir dachte: einfach too much

Ich musste tatsächlich erst einmal nachsehen, wie eine „russische Sonne“ aussehen sollte, danach hatte mich das Bild noch weniger überzeugt. Lyrisch überfrachtet, passt es nicht zum Fortgang der Geschichte.
Anmerkung: Dieses umranden würde ich eher als ein umrahmen beschreiben. Die Haare geben dem Gesicht einen Rahmen und keinen Rand.
Zunächst stand dort handgemalte Blumensonne. Dann habe ich überlegt, was ich damit eigentlich meine und stiess auf die russische Sonne und erst dann wurde mir auch klar, worauf ich mit diesem Bild subjektiv empfunden eigentlich hinauswollte. Die Sonne als Bild einer kindlich unbedarften Ausgelassenheit und, noch tiefer gegraben, als Ausdruck einer politischen Ideologie. Klingt blöd, ich weiß, ist aber tatsächlich so empfunden. Mich wundert eher, dass du nichts an den massigen, wirren Haaren auszusetzen hast. Die wurden mir nämlich einstimmig schon als komplett verfehlt angemahnt.
In den Augen der meisten Leser kann massig wohl nur als etwas Betonartiges durchzugehen.
Ebenso wie das platte Gras, das von den Menschen geflutet wird. Das ist Dir nicht quer gekommen?


Nach der russischen Sonne rumpelst Du tief in eine Fäkalsprache. Kann man auch noch akzeptieren, es scheint zu Merle zu passen. Allerdings scheinen wir uns jetzt von einem „ersten intimen Akt“ zu entfernen.
Ja, wir entfernen uns. Vom intimen Akt zum Leben ohne Dach über dem Kopf, zum Vergleich dieser beiden Ausnahmezustände.



Sie guckt einer Ameise hinterher, die an Merles dünn bestrumpfter Wade entlang zur Kniekehle läuft, ohne dass es jemanden stören würde.

Danke, ich als Leser habe längst begriffen, dass Merle wohl keinen Schönheitspreis gewinnen wird, dass ihr das eigene Erscheinungsbild ziemlich egal ist.
Es ging mir hier in erster Linie darum, dass es auch Julia nicht stört, jedenfalls nicht dergestalt, dass sie Merle etwa darauf hinweisen würde.

Tja, das waren jetzt sogar die ersten 8 Sätze, außer einem gewaltigen Schwung an mehr oder weniger farbenfrohen Bildern habe ich nichts bemerkt, was mich als Dein Leser auf irgendeine Art und Weise in die Geschichte hinein zöge oder daran binden würde.
Das ist sehr schade!
Was für ein Leser bist Du? Was liest Du? Und welches Buch könntest Du als Buch aller Bücher vorstellen?
Das klingt jetzt zwar überheblich und als zweifelte ich an Deiner Lesekompetenz. Es geht mir aber viel mehr um die Frage, welche Art Leser ich mit diesem Buch erreichen könnte bzw. ob da überhaupt jemand wäre, der sich damit erreichen lässt. Deine Anmerkungen zum Aufräumen und Kürzen ergeben Sinn, stauchen das "Gesamtkunstwerk" dann aber auch wieder auf ein "einfaches" Buch zusammen, dessen Symbolik sich ohne Weiteres und sofort erfassen lässt. Oder?


Im weiteren Verlauf kommen zusätzliche Verwirrungen, die Deinem Textanfang einen eher konfusen, statt ausgereiften Stil verleihen:
Also too much!?

Merle nennt Julia „Linda“
Ja, das tut sie, weil Julia sich ihr mit diesem Namen vorgestellt hat.

Was soll „Frau Parschek“ hier?

Frau Parschek ist der Auslöser dafür, dass Julia jetzt mit Merle auf dieser Wiese sitztt
Welche Rolle spielt „Claudia Karma“?
Julias Mutter. Das klärt sich noch im Verlauf.



… und wie sie den Rucksack schultert, glaubt Julia, etwas darin vergessen zu haben.

Hihi – vielleicht das Toastbrot?
Allerspätestens an dieser Stelle wäre ich als Leser ausgestiegen. Ein paar Andeutungen, von denen keine in eine bestimmte Richtung führt, reichen nicht aus, um mich neugierig auf den weiteren Verlauf zu machen.
Verstehe. Und auch das trifft mich hart, dachte ich doch, schon hier erste Hinweise auf die materielle Sicherheit bzw. Abhängigkeit Julias gegeben zu haben.





… asiatischen Besitzer hinter dem Tresen um ein Viertel des dort aufgestellten Gummizeugs erleichtert.

Was haben die gekauft? Seinen Vorrat an Kondome?
Neben dieser einzigen konkreten Szene ist lediglich die Beschreibung des äußerlichen Erscheinungsbildes Merles scharf gezeichnet, alles andere wirkt irgendwie diffus / nebulös.
Nach zweiter Lesung habe ich fast das Gefühl, dies sei die sprachliche Umsetzung eines in schrillen Farben gezeichneten „Manga“.
Ein grelles Kunstwerk also, na immerhin etwas.
Gummizeugs – wo bleibt denn deine Vorstellungskraft? Hängt sie hier etwa weiters an dem intimen, ersten Akt?


Mit den „Zeiten“ rumpelst du ziemlich hin und her.
Wenn die Situation (auf der Wiese) in der Gegenwahrt geschildert ist, gehört auch die Gruppe Schulkinder dazu, die sind aber in der Vergangenheitsform dargestellt.
Bist Du sicher? Merle und Julia sitzen JETZT auf der Wiese und sind sich vorher in dem Laden über den Weg gelaufen oder nicht?

Die Rückblende mit dem Ladendiebstahl gehört in die Vergangenheit verfrachtet, da ist aber die Gegenwartsform gewählt.
Mal so ganz blöd: hä?

Bei Erscheinen der beiden zusätzlichen Figuren springt die Erzählzeit sogar hin und her.
Das ist beabsichtigt. Es verdeutlicht Julias Innenschau. Die Geschehnisse nehmen vor ihrem inneren Auge und gegenwärtig Gestalt an.



Stell Dir vor, Du liest vom „Herr der Ringe“ die ersten zehn Seiten und wirst um einen Kommentar gebeten. Wird schwer, wenn Du nichts über die nächsten rund 1000 Seiten weißt.
Gegenfrage: Stell Dir vor, Du liest den Herrn der Ringe ohne Klappentext. Würdest du überhaupt weiterlesen?
Weiter oben habe ich ja nun ein paar wenige Geheimnisse gelüftet. Ergibt sich daraus ein Bild für Dich?

Abschließend noch ein weiteres DANKE an Dich!

Grüße
diana
 

FrankK

Mitglied
Na, das ist ja mal `ne hingebungsvolle Antwort

Hallo, hobbyschreiber
Gerne möchte ich detailliert auf Deinen Kommentar eingehen.

Die Frage nach dem Krimi ergibt sich wohl aus den anderen Texten, die ich bisher …
Nein, die Frage ergab sich aus dem geschilderten Tankstellendiebstahl. Es könnte ja sein, dass die Beiden Bestandteil einer größeren Gang sind, die sich mit derlei Aktivitäten „über Wasser“ hält, aber auch kontinuierlich steigern.
Dein „Werk des Monats“ hat mir einigermaßen gut gefallen. Kleine Stolpersteinchen hier und da, die den Gesamteindruck aber nicht trübten. Verrissen? Würde ich so nicht sagen …

Doch lieber zu diesem Werk hier „Romananfang experimentell“:
Mit „beim ersten Mal“ weckst Du Assoziationen an den ersten intimen Akt. Das könnte interessant werden.
Anmerkung: Die wörtliche Rede klingt eher nach einem doziert und nicht nur gesagt.
Ja, es geht hier um das erste Mal als intimen Akt. Ich hatte anfangs mehr Dialekt und Mundart in der wörtlichen Rede, aber habe das dann verworfen, weil ich mir dachte: einfach too much
Vergiss meine Anmerkung, die war in dieser Frühphase der Textentwicklung „too much“. Ich meinte die Ausdrucksform, ist aber zunächst unwichtig.

Die Sonne als Bild einer kindlich unbedarften Ausgelassenheit und, [blue]noch tiefer gegraben, als Ausdruck einer politischen Ideologie[/blue].
Vielleicht liegt da der Hund begraben – hier erwartest Du möglicherweise schon zu viel. Ich weiß nichts von Merle, Julia, der Umgebung, dem Land, den sozialen Verhältnissen – kann diese Symbolik also noch nicht deuten.

Mich wundert eher, dass du nichts an den massigen, wirren Haaren auszusetzen hast.
Eine frühere Nachbarin von uns hatte eine Haarpracht, die man einfach nur als „massig und wirr“ bezeichnen konnte.

Ebenso wie das platte Gras, das von den Menschen geflutet wird. Das ist Dir nicht quer gekommen?
Unser Stadtpark macht jedes Jahr nach dem Parkfest, nachdem ein paar 10.000 Besucher drüber marschiert sind, einen ähnlich traurigen Eindruck.

Nach der russischen Sonne rumpelst Du tief in eine Fäkalsprache. Kann man auch noch akzeptieren, es scheint zu Merle zu passen. Allerdings scheinen wir uns jetzt von einem „ersten intimen Akt“ zu entfernen.
Ja, wir entfernen uns. Vom intimen Akt zum Leben ohne Dach über dem Kopf, zum Vergleich dieser beiden Ausnahmezustände.
Okay, allerdings erscheint mir auch hier wieder das Problem: Zu früh zu viel von mir als Leser verlangt. Ich weiß noch nichts von der sozialen Situation der beiden, kann die Symboliken, derer Du dich zu bedienen versuchst, also noch gar nicht richtig interpretieren..

Tja, das waren jetzt sogar die ersten 8 Sätze, außer einem gewaltigen Schwung an mehr oder weniger farbenfrohen Bildern habe ich nichts bemerkt, was mich als Dein Leser auf irgendeine Art und Weise in die Geschichte hinein zöge oder daran binden würde.
Das ist sehr schade!
Allerdings, vor allem für Deinen Text. ;)

Was für ein Leser bist Du? Was liest Du? Und welches Buch könntest Du als Buch aller Bücher vorstellen?
Das klingt jetzt zwar überheblich und als zweifelte ich an Deiner Lesekompetenz.
Ein „Buch aller Bücher“ kann ich mir gar keines vorstellen. Wenn Du auf meine „aktuellen“ Favoriten anspielst: Harry Potter. :)
Ich habe ein Lieblingsgenre – Science Fiction und Fantasy. Horror, Krimis, Thriller, Western (vereinzelt), Erotik (vereinzelt) nehme ich auch mit. Da verlasse ich mich gerne auf die Empfehlungen meiner Frau.

Es geht mir aber viel mehr um die Frage, welche Art Leser ich mit diesem Buch erreichen könnte bzw. ob da überhaupt jemand wäre, der sich damit erreichen lässt.
Für ein „Sozialkritisches Drama und Adoleszenzroman“ ist die Zielgruppe ziemlich eingeschränkt. Erinnert mich in dieser Kombination an den einzigen Roman dieser Art, den ich gelesen habe: „Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“

Deine Anmerkungen zum Aufräumen und Kürzen ergeben Sinn, stauchen das "Gesamtkunstwerk" dann aber auch wieder auf ein "einfaches" Buch zusammen, dessen Symbolik sich ohne Weiteres und sofort erfassen lässt. Oder?
Ja und Nein, das Problem, weswegen Du diesem Text wohl auch den Zusatz „experimentell“ verpasst hast, ist in diesem Zusammenhang wirklich der Einstieg. Für meinen Geschmack ist es schon recht schwierig, den ersten Szenen zu folgen, anlocken zum Weiterlesen – Fehlanzeige. Im Moment noch.

Wenn die Situation (auf der Wiese) in der Gegenwahrt geschildert ist, gehört auch die Gruppe Schulkinder dazu, die sind aber in der Vergangenheitsform dargestellt.
Bist Du sicher? Merle und Julia sitzen JETZT auf der Wiese und sind sich vorher in dem Laden über den Weg gelaufen oder nicht?
Ah – jetzt bemerke ich die Verortung. Die Schulkinder sind also Bestandteil der Diebstahlsituation und kein Hintergrundereignis der Szene auf der Wiese.
Im Feinschliff würde ich Dir empfehlen, diese beiden Szenen dahingehend zu verknüpfen, dass Du (irgendwie) erwähnst, die Ablenkung des Ladenbesitzers würde den Diebstahl erst ermöglichen. Auch sollte der erwähnte „Spätverkauf“ dann weichen, dieser passt so gar nicht zu den Schulkindern.
(Das mit den „Kondomen“ war eher als Scherz gedacht, ist schon klar, dass es sich bei „ausgestelltem Gummizeugs“ eher um verschiedene Weingummis handelt).

Die Rückblende mit dem Ladendiebstahl gehört in die Vergangenheit verfrachtet, da ist aber die Gegenwartsform gewählt.
Mal so ganz blöd: hä?
Nun, im Text heißt es deutlich:
… die sie zusammen mit zwei 0,3er Fanta aus dem Spätverkauf gestohlen [red]hat[/red], in dem Julia gestanden und ein Toastbrot in den Händen gewogen [red]hatte[/red]. Nur, um eine weiche Stelle zu finden, nur, um sich über die Zeit zu retten.
Nun gut, zusammen mit den missinterpretierten Schulkindern ergibt sich doch ein runderes Bild.
Entschuldige, das habe ich glatt zweimal überlesen.

Gegenfrage: Stell Dir vor, Du liest den Herrn der Ringe ohne Klappentext. Würdest du überhaupt weiterlesen?
Ganz klares: Ja.
Als ich das erste Mal auf „Herr der Ringe“ (etwa 1972) gestoßen bin, gab es keinen Schutzumschlag, nur einen geprägten Stoff-Pappe-Einband, ein Stempelblatt klebte auf dem hinteren Innendeckel. Klappentext? Fehlanzeige. ;) Dennoch gelesen und für gut befunden.

Du hast hier aber keinen Klappentext sondern einen Romananfang ausgestellt, dies ist ein mehr als marginaler Unterschied.


Der Anfang einer Geschichte muss den Leser „einfangen“. Soweit ich das bisher verstanden habe, gibt es dafür nur drei Möglichkeiten:
  • Der Leser stellt sich eine Frage, er wird neugierig.
  • Der Leser erfährt eine frühe Bindung an eine der auftretenden Figuren.
  • Dem Leser wird „versprochen“, dass es interessant weitergeht.
Ich möchte Dir mal ein paar Beispiele zeigen, anhand derer Du vielleicht erkennst, warum der Einstieg in dein Werk (zumindest für mich) so schwer fällt:

Als Herr Bilbo Beutlin von Beutelsend ankündigte, dass er demnächst zur Feier seines
einundelfzigsten Geburtstages ein besonders prächtiges Fest geben wollte, war des
Geredes und der Aufregung in Hobbingen kein Ende.
(Der Herr der Ringe)
Tolkien lockt den Leser mit einem gewissen Sprachwitz in die Geschichte hinein, er weckt die Neugier, freilich läuft es im Endeffekt auf etwas ganz anderes hinaus, aber da hat er seine Leser schon im Griff.

Mr. und Mrs. Dursley im Ligusterweg Nummer 4 waren stolz darauf, ganz und gar
normal zu sein, sehr stolz sogar. Niemand wäre auf die Idee gekommen, sie könnten sich
in eine merkwürdige und geheimnisvolle Geschichte verstricken, denn mit solchem
Unsinn wollten sie nichts zu tun haben.
(Harry Potter und der Stein der Weisen [Band 1])
Miss Rowling ist es gelungen, nicht nur einen verwirrenden Start hinzulegen. Wer wäre nicht stolz darauf, als „normal“ zu gelten. Nein, es wird auch im Sinne einer Vorausdeutung ein „Versprechen“ abgegeben, dass es nämlich nicht ganz so „normal“ zugeht.

Die kleinen Jungen waren die ersten, die zum Richtplatz kamen.
Es war noch dunkel, als sie aus ihren Verschlägen schlüpften.
(Die Säulen der Erde)
Ken Follett weckt die Neugier, was haben kleine Jungen an einem Richtplatz zu suchen? Was wird da gerichtet? Oder Wer? Die Falle hat zugeschnappt, der Leser bleibt dran, weil er sich eine Frage stellt und die Antwort darauf wissen möchte.

Der Physiker Leonardo Vetra roch brennendes Fleisch, und es war sein eigenes. Er
starrte voller Angst und Entsetzen zu der dunklen Gestalt hinauf, die drohend über ihm
Stand. „Was wollen Sie?“
(Illuminati)
Dan Brown stürzt seine Leser sofort und gnadenlos mitten in die erste Szene. „Was wollen Sie?“, fragt sich auch der Leser, der sofort Sympathie und Mitgefühl für den namentlich benannten Physiker empfindet. Schon nach diesen wenigen Worten ist der Leser gepackt, fühlt sich der Leser ebenfalls von der dunklen Gestalt bedroht.

Erkennst Du das nächste Beispiel? Würde es dich weiterlocken?

„Wir Deutschen, liebe Kitty, können ein Wirtschaftswunder machen, aber keinen Salat“,
sagte Thomas zu dem schwarzhaarigen Mädchen mit den angenehmen Formen.
„Jawohl, gnädiger Herr“, sagte Kitty. Sie sagte es ein wenig Atemlos, denn sie war fürchterlich verliebt in ihren charmanten Arbeitgeber.
Zu der Story – deren Einleitung oben steht – gibt es zwei Kinofilme und eine TV-Serie.

Nun ja – einschränkend zu diesen Einleitungen ist noch zu bemerken: Sie funktionieren nur auf Dauer (also für den ganzen Roman), wenn das Genre des Werkes beim Leser Anklang findet.


Ich komme noch einmal zu Deiner Geschichte zurück.
Weiter oben habe ich ja nun ein paar wenige Geheimnisse gelüftet. Ergibt sich daraus ein Bild für Dich?
Es wird mir etwas deutlicher, worauf Du mit dem Text hinauswillst, dennoch gelingt es dem Text nicht, mich (selbst mit diesem Vorwissen) an sich zu binden.
Gerade sozialkritische Texte um heranwachsende Jugendliche müssen, so denke ich, sehr sorgfältig und behutsam aufgebaut werden. Dennoch bedarf es eines Lockmittels, um den Leser, zumindest über die ersten Seiten hinweg, in die Geschichte zu ziehen.
Möglicherweise wäre der Einstieg leichter, wenn es eine einfachere Szene gäbe, die – auf irgendeine Art und Weise – eine Sympathie-Reaktion des Lesers gegenüber Julia erzeugt.
Beispielsweise könnte Julia von Merle bei der Flucht aus dem Geschäft angerempelt werden. (Ich habe aber eher den Eindruck, Merle und Julia kannten sich da bereits?)

Irgendetwas – ich weiß nicht was. Dafür kenne ich zu wenig von Deiner Geschichte. Du selbst hast vermutlich 100.000 Bilder zu jeder einzelnen Szene im Kopf. Betrachte doch mal diese Bilder – gibt es da irgendetwas, was den Leser für Julia einnehmen könnte? Oder anders gefragt:
Was ist es, das Dich selbst daran reizt, ausgerechnet Julias Geschichte zu erzählen?


Die Bewerbung kam jedoch mit den Worten zurück, dass der Roman für Jugendliche „zu schwere Kost“ wäre.
Wenn das Stück überhaupt gelesen wurde, kamen die Verantwortlichen möglicherweise auch nicht über die ersten zwei / drei Seiten hinaus.


Herzliche aufmunternde Grüße
und noch eine schöne Vorweihnachtszeit
Frank
 
Hallo Frank,

Na, das ist ja mal `ne hingebungsvolle Antwort
Würde ich nicht so ausdrücken wollen, auf dankbar können wir uns aber einigen. ;)

Nein, die Frage ergab sich aus dem geschilderten Tankstellendiebstahl. Es könnte ja sein, dass die Beiden Bestandteil einer größeren Gang sind, die sich mit derlei Aktivitäten „über Wasser“ hält, aber auch kontinuierlich steigern.
Tankstellendiebstahl? Du meinst den Späti. Dazu später mehr.

Dein „Werk des Monats“ hat mir einigermaßen gut gefallen. Kleine Stolpersteinchen hier und da, die den Gesamteindruck aber nicht trübten. Verrissen? Würde ich so nicht sagen …
Oh doch! Und das zu Recht, denn derjenige, welcher sich damals über den Text ergossen hat, hatte leider genau gesehen, was ich sehe, wenn ich mir diesen Text, wie vor wenigen Tagen geschehen, erneut zu Gemüte führe: Denn ich finde ihn ebenso stümperhaft und nichtssagend. Vielleicht ganz gute Unterhaltung, ok, ja.......aber eigentlich möchte ich in meinem Schreiben über Unterhaltung hinaus. Wie schon gesagt, ein Buch, das man weitere Male lesen kann und dabei immer wieder entdeckt, was einem zunächst noch nicht aufgefallen war, das wäre mein Traum und daran arbeite ich....hart. ;)
Mich würde mal interessieren, was der Herr zu diesem Text nun zu sagen hätte, sicher aber nichts sehr Schmeichelhaftes....;)

Vielleicht liegt da der Hund begraben – hier erwartest Du möglicherweise schon zu viel. Ich weiß nichts von Merle, Julia, der Umgebung, dem Land, den sozialen Verhältnissen – kann diese Symbolik also noch nicht deuten.
Das stimmt wohl und es wird mir nun endlich bewusst, dass der Text tatsächlich zu künstlich ist, dass ich mit meinem Anspruch zu hoch hinaus und dabei mal eben am Leser vorbeigeschossen bin.

Für ein „Sozialkritisches Drama und Adoleszenzroman“ ist die Zielgruppe ziemlich eingeschränkt. Erinnert mich in dieser Kombination an den einzigen Roman dieser Art, den ich gelesen habe: „Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“
Hmm, so sehr einschränken würde ich das nicht. In meinen Augen ist es bei einem guten Buch so ziemlich egal, welche Geschichte da erzählt wird. Es geht meistens eher um die Tiefen, die darin angerissen werden, um die Werte und Fragen, die den Menschen schon seit jeher und immer noch beschäftigen.

Ja und Nein, das Problem, weswegen Du diesem Text wohl auch den Zusatz „experimentell“ verpasst hast, ist in diesem Zusammenhang wirklich der Einstieg. Für meinen Geschmack ist es schon recht schwierig, den ersten Szenen zu folgen, anlocken zum Weiterlesen – Fehlanzeige. Im Moment noch.
Verstehe.....ich spiele mit dem Gedanken, noch ein weiteres Stück davon einzustellen. Habe aber Angst vor kompletter Desillusionierung.

Ah – jetzt bemerke ich die Verortung. Die Schulkinder sind also Bestandteil der Diebstahlsituation und kein Hintergrundereignis der Szene auf der Wiese.
Im Feinschliff würde ich Dir empfehlen, diese beiden Szenen dahingehend zu verknüpfen, dass Du (irgendwie) erwähnst, die Ablenkung des Ladenbesitzers würde den Diebstahl erst ermöglichen. Auch sollte der erwähnte „Spätverkauf“ dann weichen, dieser passt so gar nicht zu den Schulkindern.
Warst du schon einmal in Berlin? Glaub mir, hier passt der Späti zu den Schulkindern! ;)

Der Anfang einer Geschichte muss den Leser „einfangen“. Soweit ich das bisher verstanden habe, gibt es dafür nur drei Möglichkeiten:

? Der Leser stellt sich eine Frage, er wird neugierig.
? Der Leser erfährt eine frühe Bindung an eine der auftretenden Figuren.
? Dem Leser wird „versprochen“, dass es interessant weitergeht.
Fragen gibt es genügend im Text:
Warum nennt Merle Julia Linda?
Wer ist Claudia Karma?
Was macht Frau Parschek hier?
Nein, mal im Ernst: Es sind einfach ZU VIELE Fragen. Das überfordert den Leser.

Vielen Dank für die Textanfänge. Mir ist schon klar, wie ein "Bestseller" seine Leser fängt....;)


gibt es da irgendetwas, was den Leser für Julia einnehmen könnte? Oder anders gefragt:
Was ist es, das Dich selbst daran reizt, ausgerechnet Julias Geschichte zu erzählen?
Das gibt es und es kommt auch noch.


Wenn das Stück überhaupt gelesen wurde, kamen die Verantwortlichen möglicherweise auch nicht über die ersten zwei / drei Seiten hinaus.
Mag sein, mag durchaus sein. Aber Dein Urteil klingt hier doch sehr pauschal.

Ich bin weiterhin überzeugt, dass sich auf zwei, drei Seiten dann doch so Einiges klärt.



Ich sende ein Danke Nummer 2 und auch Dir besinnliche Feiertage
diana
 



 
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