So hier nun der 2. Teil vom Anfang, diesmal aber aus der bereits überarbeiteten Fassung
Der König war außer sich vor Zorn als er von dem Vorfall hörte. „Diese wahnsinnigen Prediger! Meine Tochter in Gefahr durch diese Fanatiker. Wie konnte das passieren.“ Er brüllte so laut das man ihr selbst noch auf den Gängen des Schlosses hören konnte. Der Hauptmann des Stadtwache duckte sich und versuchte mit dem Fußboden zu verschmelzen auf dem er stand.
„Eure Majestät, wie konnten wir ahnen.“ stammelte er. Er brach ab als er das zorngerötete Gesicht des Königs sah.
„Ich hätte sie gleich aus dem Land werfen sollen als sie vor mich traten mit ihren fanatischen Lehren. Hauptmann Winhelg ihr werdet jeden einzelnen dieser Weißroben finden und aus der Stadt werfen. Wer sich weigert wird eingesperrt und laßt überall im Land bekanntmachen das einer von ihnen die Prinzessin angegriffen hat und die Prediger damit das Recht verwirkt haben in Thorin zu lehren. Sie sollen alle das Land verlassen. Was steht ihr noch herum? Ich will bis heute abend keinen Jünger mehr in Val Thorin sehen.“ Wutschnaubend drehte sich der König um und ließ den Hauptmann stehen als er aus dem Arbeitszimmer stürmte um nach seiner Tochter zu sehen.
„Wie ihr wünscht, Majestät“ murmelte der Hauptmann. Doch der König konnte ihn nicht mehr hören. Er hatte den Raum bereits verlassen. Alle Jünger aus Val Thorin entfernen. Wie stellte sich der König das vor. Die Stadtwache hatte bis jetzt nur mit kleinen Betrügern, Kneipenschlägereien und höchstens mal einem Messerstecher zu tun. Und jetzt sollen wir die Jünger aus der Stadt jagen. Das ist verdammt noch mal die Aufgabe der Soldaten und nicht die der Stadtwache. Der dichte schwarze Schnurrbart des Hauptmanns wackelte als er vor sich hin murmelnd und sinnend das Arbeitszimmer des Königs verließ um die Befehle auszuführen.
Die Bediensteten wichen dem König eilig aus als er durch die Gänge stürmte. König Siban war eigentlich ein gutmütiger Mann doch wenn es um seine jüngste Tochter ging war er keinem vernünftigen Argument zugänglich. Als wäre nicht die Situation schon schlimm genug mit diesem elend langen Winter. sinnierte der König Nein, da kommen diese dahergelaufenen Prediger und greifen so mir nichts dir nichts meine Tochter an. Ich war ein solcher Narr ihr den Besuch in der Stadt zu erlauben. König Siban stapfte durch die Gänge und sein Gesichtsausdruck jagte den jüngeren unter den Dienern einen mächtigen Schrecken ein. Er sah aus als würde er geradewegs durch eine Wand laufen, sollte eine es wagen sich ihm in den Weg zustellen. Endlich hatte der König die Räume der Prinzessin im Westflügel des Palastes erreicht. Er stürmte hinein um seiner Tochter gehörig den Kopf zu waschen.
„Rhiana, was hast du dir dabei gedacht...“ Er verstummte. Die Prinzessin lag blaß und zitternd auf ihrem Bett. Mehrere der Hofdamen und auch Anina standen daneben. Ein kalter Schrecken durchfuhr den König. Er versuchte an seinem Zorn festzuhalten. „Kind, was machst du für Sachen. Wie konntest du dich mit diesem Kerl anlegen. Kann man dich denn gar nicht aus den Augen lassen.“ Wieder verstummte er und blickte fragend zu Anina. „Majestät, die Prinzessin steht unter Schock. Es ist ihr nichts passiert. Aber ich fürchte die Aufregung und der Schreck...“ König Siban runzelte die Stirn als er näher an das Bett seiner Tochter herantrat. Er konnte sehen, daß seine Tochter geweint hatte. Feuchte Spuren lagen auf den bleichen Wangen der Prinzessin „Mein kleines Mädchen. Wie geht es dir. Es wird ja alles wieder gut. Ich habe dafür gesorgt, daß diese Fanatiker aus dem Land verschwinden. Niemand wird dir so etwas je wieder antun.“
„Ach Vater“ die Stimme der Prinzessin klang tränenerstickt. „Er hat versucht mich zu töten. Er hat schlecht von dir gesprochen. Das konnte ich doch nicht zulassen. Aber er hat versucht mich zu töten.“ Die Prinzessin begann wieder zu weinen. Der König winkte den Hofdamen beiseite zu treten und setzte sich auf die Bettkante. Anina führte die Damen leise aus dem Raum. Ernst blickte König Siban auf seine Tochter hinunter. Sie wirkte klein und zerbrechlich wie sie da schluchzend in den Kissen lag. Das rote Haar umrahmte ein bleiches Gesicht, das von schier grenzenloser Verzweiflung gezeichnet war. Sachte strich Siban seiner Tochter eine widerspenstige Locke aus der Stirne. „Sch Sch Kleines. Es ist ja gut. Er hat dir ja nichts getan und niemand wird dir etwas tun.“ Langsam verebbte das Schluchzen und die Prinzessin beruhigte sich. Siban blieb noch lange auf der Bettkante sitzen, als die Prinzessin längst eingeschlafen war.
Rhiana schlief unruhig in dieser Nacht. Sie wurde von seltsamen Träumen gequält in denen ein Mann sie durch dichten, grauen Nebel verfolgte. Sie floh vor dem Verfolger und wußte das sie sich nur retten konnte, wenn sie einen bestimmten Gegenstand fand. Aber sie wußte nicht wo sie suchen sollte und der Nebel nahm ihr jeden Orientierungssinn. Sie rannte und rannte und die Notwendigkeit den Gegenstand zu finden wurde immer stärker. Schweißgebadet wachte sie auf. In den folgenden Nächten wiederholte sich der Traum. Sobald sie eingeschlafen war, fand sie sich in der nebelverhangenen Landschaft wieder und rannte um ihr Leben. Jedesmal wachte sie keuchend und schweißgebadet auf.
Der König begann sich ernstliche Sorgen zu machen. Seine Tochter schien krank zu sein. Zwar konnte keine der Heilerinnen etwas finden und doch sah Rhiana jeden Tag schlechter aus. Sie hatte Ringe unter den Augen und war unruhig und nervös. Manchmal war sie so in Gedanken versunken daß sie die Welt um sich herum gar nicht wahrzunehmen schien. Es schien, daß der Vorfall mit dem fanatischen Priester sie mehr aus dem Gleichgewicht geworfen hatte als man ahnen mochte. Er war ratlos und er hatte Angst um seine geliebte Tochter. Anina war mehrere Male an ihn herangetreten und hatte um die Erlaubnis gebeten, daß Rhiana zu ihrer Cousine reisen durfte. Die Gesellschafterin seiner Tochter hatte ihn darauf hingewiesen, daß eine Abwechslung der Prinzessin vielleicht helfen könnte sich zu erholen. Doch er hatte aus Sorge um ihre Sicherheit immer wieder abgelehnt. Langsam fragte er sich jedoch ob die Frau nicht doch recht hatte. Um für die Sicherheit der Prinzessin zu sorgen konnte er eine Leibgarde abstellen, die sein kleines Mädchen sicher nach Mingal bringen würden. Es war ja nur eine Reise von 4 Tagen und die Straßen waren gut ausgebaut und bewacht. Sicher wäre das Risiko nur gering. Seufzend faßte er seinen Entschluß und schickte nach Anina um ihr mitzuteilen, daß die Prinzessin in das Haus seines Schwagers und seiner Schwester reisen sollte. Er wußte wenn er länger darüber nachdachte würde er Rhiana doch hier behalten. Anina war hocherfreut über seinen Sinneswandel und machte sich sogleich daran alles für die Reise vorzubereiten. Sie ging Rhiana suchen um ihr die Neuigkeit zu erzählen und fand sie in ihrem Bett schlafend vor wie bereits die letzten Tage. Stirnrunzelnd blickte sie auf die junge Frau hinunter. Sie konnte sich nicht erklären weshalb die Prinzessin immer so müde war, und den halben vormittag verschlief und sich meist auch am Abend früh zurückzog. Wenn sie dann erwachte sah sie nicht erholt aus. Im Gegenteil die dunklen Ringe unter ihren Augen wurden immer tiefer.
Es war bereits spät in der Nacht als Prinzessin Rhiana Ihr Gemach verließ. Als Anina am Abend nach ihr gesehen hatte gab Rhiana vor sie habe Kopfschmerzen und wolle sich bald zu Bett begeben. Ihre alte Amme hatte sie merkwürdig angesehen aber nichts gesagt. Rhiana hatte sich angekleidet auf das breite Bett gelegt und gewartet. Als die Glocke die Nachtruhe verkündete und die Geräusche im Palast langsam verklangen war sie wieder aufgestanden und ruhelos in ihrem Zimmer herum gewandert. Schließlich hatte sie es nicht mehr ausgehalten und ihren Umhang übergeworfen und war auf den Gang hinausgeschlichen. Schneeregen prasselte auf die Dächer des Palastes. Und ein eisiger Wind heulte um die Türme und Zinnen. Leise schloß sie die Türe hinter sich und eilte den langen, schwach erleuchteten Gang hinunter. Die Wandteppiche hingen wie dunkle Schatten zu beiden Seiten und die darauf abgebildeten Szenen wirkten in dem flackernden Licht der Fackeln fast lebendig. Langsam und vorsichtig schlich sie die Treppe hinunter und durchquerte die große Eingangshalle. Sie zog den dunklen Umhang enger um sich und blickte sich aufmerksam um. Die Halle war leer. Die Säulen zu beiden Seiten ragten wie stumme Wächter auf und verloren sich in der Dunkelheit über ihr. Der große Kristallüster in der Mitte des Raumes war dunkel und das Feuer im Kamin war zu glühenden Kohlen heruntergebrannt. Rasch eilte sie weiter.
Sie wandte sich nach links und verschwand in dem Gang, der zum Wirtschaftstrakt führte. Als Sie die Kellertreppe erreichte schaute sie nochmals um sich, dann nahm sie die Laterne vom Haken neben der Türe und entzündete sie. Vorsichtig stieß sie die Türe auf und stieg hinunter.
Sie konnte nicht erklären, warum sie das tat. Bereits die 3. Nacht stieg sie nun schon von einem inneren Zwang getrieben in den Keller hinunter. Heimlich wie ein Dieb und voller Angst, das jemand sie entdecken könnte. Stundenlang war sie durch die Gänge gelaufen, die wie ein Labyrinth unter dem Königspalast von Thorin lagen. Immer wenn sie schon dachte sie hätte alle Gänge gesehen, bog sie um eine Ecke und es gab einen neuen Weg, der vorher nicht dagewesen war. So schien es ihr jedenfalls. Sie wußte nicht wie groß die Kelleranlage war. Längst schon hatte sie auf ihren nächtlichen Streifzügen die noch benutzen Räume hinter sich gelassen und die Gewölbe, durch die sie schritt waren von Spinnweben verhangen und der Staub lag in dicken Schichten auf dem Boden.
Erschöpft lehnte sie sich an eine Wand. Sie dachte daran, umzukehren doch wieder spürte sie einen Zug, ein Zerren in ihren Gedanken, das sie weitereilen ließ, vorbei an weiteren gähnenden Türöffnungen, durch alte Gewölbe, die seit vielen Jahren kein Mensch mehr betreten hatte. Sie hatte jedes Zeitgefühl verloren. Es gab nur noch die Gänge des Kellers und die Notwendigkeit etwas zu finden. Sie schalt sich selbst eine Närrin, sie sollte jetzt wie jeder andere im Bett liegen und schlafen. Dennoch ging sie weiter, folgte dem Zug in ihrem Kopf, ohne zu wissen wohin. Das Zerren wurde intensiver. Sie konnte nicht mehr stehenbleiben, selbst wenn sie es gewollt hätte.
Der Gang war so plötzlich zu Ende, daß sie fast gegen die Wand gelaufen wäre, welche die Stirnseite abschloß. Unentschlossen blieb sie stehen. Sie mußte hier durch um dem geheimnisvollen Zwang zu folgen. Sie überlegte kurz ob sie einen anderen Weg finden konnte. Da begann die Wand vor ihr zu glühen. Sie wich ängstlich einen Schritt zurück. Was geschieht hier. dachte sie bei sich. Das Glühen verstärkte sich. Eine Stimme klang auf.
„Endlich kommst du, Rose von Thorin um dein Erbe anzutreten.“ Die Stimme schien direkt aus der Wand zu kommen, so als ob die Kellergewölbe selbst zu ihr sprächen. „Folge mir, folge mir zu deiner Bestimmung Rhiana“ Das Licht zog sich durch die massive Mauer zurück und die Stimme klang jetzt weit entfernt. „Folge mir...“ Dann war es wieder still.
Rhiana spürte immer noch das Ziehen in sich. Unsicher trat sie auf die Wand zu. Zögernd streckte Sie die Hand aus und bewegte die Fingerspitzen langsam näher an die Mauer, die Ihr den Weg versperrte. Kurz vor der Berührung zuckte sie zurück. Sie konnte spüren, daß da etwas war. Etwas Altes, das auf sie wartete. Die Haut ihrer Finger begann zu kribbeln als sich die Hände wieder ausstreckte. Sie fürchtete sich vor dem was sie hinter der Mauer finden mochte. Doch der innere Zwang war stärker. Behutsam legte sie die Hände auf die alten Steine. Seltsamerweise fühlte sich die Mauer warm an, fast lebendig. Eine leise Stimme in einem kleinen Winkel ihres Bewußtseins sagte ihr das sie fortlaufen sollte, soweit sie nur konnte. Statt dessen preßte sie die Handflächen fester auf die Steine vor ihr. Plötzlich war ein scharfes Klicken zur hören und die Mauer bewegte sich unter ihren Händen. Rhiana keuchte und fuhr zurück. Die Wand glitt mit einem trockenen Knirschen zur Seite und gab den Weg frei.
Die Prinzessin sah, daß der Gang vor ihr geradeaus weiterführte. Es war heller in dem Gang. So hell, daß sie ohne die Laterne die neben ihr auf dem staubigen Fußboden stand, sehen konnte. Dennoch konnte Sie keine andere Lichtquelle ausmachen. Die Helligkeit schien geradewegs aus der Luft zu sickern. Zögernd schritt Rhiana weiter. Auch hier lag der Staub dick auf dem Boden, doch es war warm. Die Wände zu beiden Seiten schienen diese Wärme auszustrahlen.
Der Gang weitete sich bald zu einem hohen Gewölbe. Die Wände wichen zurück und Rhiana stand in einem Saal, dessen Ausmaße sie nicht zu schätzen vermochte. Hoch über ihr wölbte sich die Decke und auch hier herrschte diese seltsame, diffuse Helligkeit. Sie sah sich um konnte aber immer noch keine Lichtquelle ausmachen. Offenbar hatte sie ihr Ziel nun erreicht.
Das Zerren in ihren Gedanken war verschwunden. Neugier war das Einzige was geblieben war. Etwas hatte sie hierher gerufen. „Folge deiner Bestimmung“ hatte die Stimme gesagt. Was ist diese Bestimmung, warum bin ich hier?
Unentschlossen ging die junge Frau weiter und drang tiefer in den großen Saal ein. Der Boden des Saales bestand aus glatt poliertem Stein der in dem seltsamen grünlichen Licht wie Onyx schimmerte. Die Wände bestanden offensichtlich aus weißem Marmor und schimmerten ebenfalls wie poliert. Kein Staubkörnchen beeinträchtigte den vollkommenen Schimmer des Bodens oder der Wände. Es war fast als ob jeden Tag Dienstmädchen hierher kämen um sauberzumachen und sicherzustellen, daß alles in Ordnung war. Auch die Luft wirkte frisch, so als würden täglich die Fenster geöffnet und gelüftet. Doch der Raum hatte keine Fenster und Rhiana konnte auch keine Lüftungsschächte sehen, wie sie in den modrigen Kellergewölben angebracht waren.
In der Mitte des Raumes stand ein steinernes Podest. Stufen führten rundherum hinauf. Rund um das Podest war ein kreisförmiges Mosaik angelegt. Seltsame Kreaturen waren darauf zu sehen. Wesen, die man nur aus dem Märchen kannte: Chimären, Centauren, Harpyien und Drachen. Andere Gestalten wirkte beinahe menschlich aber eben nur beinahe. Die Gesichter wiesen Züge auf die irgendwie fremd schienen. Die junge Frau sah diese Wesen an und etwas in ihr wollte sich erinnern. Gerade außerhalb ihrer Reichweite fühlte sie Bilder. Doch wenn sie sich darauf konzentrierte waren sie weg. Sie stand unbeweglich da, am Rand der Bilder auf dem Fußboden, ganz in die Betrachtung der fremden Gesichter versunken und versuchte zu erfassen worauf sie hier gestoßen war. Aber die Erkenntnis entzog sich ihr immer wieder.
Langsam hob sie den Blick. Auf dem Podest lag etwas. Rhiana konnte nicht erkennen was es war, jedoch schien die Helligkeit damit im Zusammenhang zu stehen. Sie schritt über den Mosaikboden auf das Podest zu. Kaum hatten ihre Füße die Bilder berührt, klangen wispernde Stimmen. Sie sprachen zu Rhiana von grünen Wäldern, steilen Klippen, blauen Seen und blühenden Wiesen. Von Zeiten die lange vergangen waren. Wunderschöne Melodien kündeten von vergangenen Königreichen und tapferen Helden. Rhiana stieg die Stufen hinauf und betrachtete den Gegenstand der in der Mitte lag.
Es war aus Silber gearbeitet und hatte die Form eines Kreuzes das von einem Kreis durchdrungen war. Die Enden des Kreuzes waren zugespitzt und der Kreis und die Balken waren durchbrochen. An den Enden des Kreuzes und in der Mitte waren Vertiefungen zu sehen. Offensichtlich fehlte dort etwas. Das ganze Gebilde war etwa so groß wie 2 Hände und sah aus als wäre es aus einem Stück gegossen. Die Prinzessin spürte einen inneren Zwang den Gegenstand zu berühren. Sie streckte die Hand danach aus und fuhr sanft mit den Fingerspitzen die Konturen der Vertiefung in der Mitte nach. Das Silber fühlte sich warm an und irgendwie - machtvoll. Ihre Hand begann wieder zu prickeln. Behutsam hob sie das Kreuz hoch. Sie war überrascht wie leicht es wahr. Ein sanftes Pulsieren ging nun von dem Stein aus. Das Glühen im Saal verstärkte sich.
„Wahrhaftig, die Rose von Thorin ist endlich gekommen. Die Prophezeiungen sprachen davon seit dem letzten Zeitalter.“
Rhiana schrak zusammen und blickte hoch. Ihr gegenüber auf der anderen Seite des Podestes hatte sich das Glühen verdichtet und die ungefähre Form einer menschlichen Gestalt angenommen. Diese Gestalt war es die bereits vorher an der Mauer zu ihr gesprochen hatte. Rhiana erkannte die Stimme wieder. Es war eine weibliche Stimme und irgendwie klangen darin Glocken wenn sie sprach.
„Zur Drachenzeit wird die jüngste Tochter des Königs kommen und den Talisman holen. Sie wird die Macht besitzen und die Kraft leiten, wenn niemand die kalten Winde bannen kann und das Land erfriert. Nur Sie, die Rose von Thorin, vermag den Weg zu finden der in die Vergangenheit des Landes führt. Sie allein kann den Schatz bergen der die Quelle des Lichtes ist. Wenn dieser Tag kommt ist die Bestimmung erst am Anfang doch die Tage zur Begegnung sind gezählt. Finde rasch die Anderen und vollende der Silberschmiede Werk, denn diese Aufgabe ist deine Bestimmung vom Anbeginn der Zeit und die Begegnung ist dein Schicksal.“
Rhianas Mund fühlte sich ausgetrocknet an und sie konnte kaum sprechen. Ihre Gedanken überschlugen sich als sie den Mund öffnete. „Was ist... wieso...ich...“
„Die Hoffnung der Welt liegt auf dir meine Tochter. Der Dunkle hat sich erhoben und wirft seine Schatten aus um die Welt in Eis zu hüllen, er haßt das Licht. Die Götter haben dies vorher gewußt und den Talisman geschaffen um die Schatten zu bannen und den Dunklen aufzuhalten. Loris, der Grüne gab die Kraft der Natur. Silgar die Gelbe gab die Kraft der Luft, Tolmak der Rote gab die Kraft des Feuers, Amarys die Blaue gab die Kraft des Wassers und Aimene die Lichte gab die Kraft des Geistes. Die Siegel der Macht wurden in würdige Hände zur treuen Aufbewahrung gegeben um der Rose von Thorin und den Ihren in der Not beizustehen. Finde die Anderen und finde die Siegel der Macht.“
Rhiana kannte die Namen der Götter und oft hatte sie im Tempel zu diese gebetet. Doch hatte sie noch nie von einem Dunklen gehört, außer als die Prediger vor ihren Vater getreten waren. Sie war noch immer verwirrt.
„Die Prediger sprachen vom Dunklen, wer ist er? Sollen wir in die Tempel flüchten und zu den Göttern flehen, so wie die Jünger der letzten Tage uns befahlen?“
„So viele Fragen und so wenig Zeit. Ich kann nicht länger bleiben. Doch soviel noch um dir zu helfen. Der Dunkle ist der Bruder vom Aimene, Kalsis mit Namen. Er war eifersüchtig auf die Macht seiner Schwester, die im Licht steht und von den Menschen verehrt wurde. Er versuchte 4 x seine Schwester zu töten. Beim ersten Mal rief Aimene die Erde zur Hilfe an und Loris der Grüne entstand. Beim zweitem Mal rief Sie die Luft zur Hilfe und Silgar die Gelbe entstand. Beim dritten Mal rief sie das Feuer zur Hilfe und Tolmak der Rote entstand beim letzten Mal rief sie das Wasser zur Hilfe und Amarys die Blaue entstand. Gemeinsam gelang es der großen Göttin des Lichtes und den vier Göttern der Elemente den Dunklen zu bannen. Aimene alleine hätte es nicht gekonnt, denn ihre Macht ist genauso stark wie die von Kalsis. Zu den Predigern nur soviel: Sie sind verblendet. Hüte dich vor ihnen denn sie spielen dem Dunklen die Karten zu und können dir schaden. Sie sind wie Kinder welche die rechte Tat tun wollen doch in gutem Gewissen das Böse vollbringen. Ich muß jetzt gehen. Geh’ nach Engalon und finde die Propheten. Sie werden dir helfen. Nimm den Talisman mit dir doch laß ihn niemanden sehen der nicht von der rechten Art ist. Die Macht wird dir zeigen wer zu dir gehört. Doch sei gewarnt und säume nicht. Die Zeit drängt.“
„Warte! Ich habe keine Macht. Ich kann keine Schatten bannen. Du mußt dich irren. Ich kann nicht die Rose von Thorin sein.“
Die Gestalt aus glühendem Licht begann zu zerfließen. Die Stimme klang jetzt sehr weit entfernt.
„Du hast die Macht meine Tochter. Frage die Ailan. Du bist die Rose von Thorin.“
Die Stimme verklang und das Glühen verblaßte. Rhiana blickte auf den Talisman in ihren Händen nieder. Verwirrt blickte sie um sich aber sie war allein. Das Mosaik war verstummt und die Helligkeit, die aus der Luft kam, ließ merklich nach. Die Aussicht ohne Licht in dieser unterirdischen Halle zu bleiben brachte die Prinzessin in die Wirklichkeit zurück. Rasch stieg sie die Stufen hinunter und eilte durch den Gang zurück dorthin wo sie ihre Laterne gelassen hatte. Hinter ihr hüllte Dunkelheit die Bereiche ein die sie bereits verlassen hatte. Als sie die verborgene Tür erreichte, lag der Saal und der Gang hinter ihr in undurchdringlicher Dunkelheit. Erleichtert nahm sie die Laterne auf und machte sich auf den Weg zurück. Hinter ihr glitt die Wand knirschend wieder in ihre alte Position zurück. Rhiana bemerkte es nicht. Sie war so in Gedanken versunken, daß sie erstaunt aufblickte als sie die Türe zu ihrem Zimmer vor sich sah. Sie konnte sich nicht einmal an den Rückweg durch die Kellergewölbe erinnern. Durch die hohen Fenster in ihrem Gemach sickerten bereits die ersten grauen Schleier der Morgendämmerung. Rasch verbarg sie den Talisman zwischen den Kleidern in ihrem Schrank und entkleidete sich. Ihr Kopf hatte das Kissen kaum berührt als sie auch schon einschlief. Sie schlief und in ihren Träumen hörte sie die Stimme mit den Glockenklängen und sie sah Bilder aus einer Märchenwelt und seltsamen Gestalten die fast menschlich waren.
Der König war außer sich vor Zorn als er von dem Vorfall hörte. „Diese wahnsinnigen Prediger! Meine Tochter in Gefahr durch diese Fanatiker. Wie konnte das passieren.“ Er brüllte so laut das man ihr selbst noch auf den Gängen des Schlosses hören konnte. Der Hauptmann des Stadtwache duckte sich und versuchte mit dem Fußboden zu verschmelzen auf dem er stand.
„Eure Majestät, wie konnten wir ahnen.“ stammelte er. Er brach ab als er das zorngerötete Gesicht des Königs sah.
„Ich hätte sie gleich aus dem Land werfen sollen als sie vor mich traten mit ihren fanatischen Lehren. Hauptmann Winhelg ihr werdet jeden einzelnen dieser Weißroben finden und aus der Stadt werfen. Wer sich weigert wird eingesperrt und laßt überall im Land bekanntmachen das einer von ihnen die Prinzessin angegriffen hat und die Prediger damit das Recht verwirkt haben in Thorin zu lehren. Sie sollen alle das Land verlassen. Was steht ihr noch herum? Ich will bis heute abend keinen Jünger mehr in Val Thorin sehen.“ Wutschnaubend drehte sich der König um und ließ den Hauptmann stehen als er aus dem Arbeitszimmer stürmte um nach seiner Tochter zu sehen.
„Wie ihr wünscht, Majestät“ murmelte der Hauptmann. Doch der König konnte ihn nicht mehr hören. Er hatte den Raum bereits verlassen. Alle Jünger aus Val Thorin entfernen. Wie stellte sich der König das vor. Die Stadtwache hatte bis jetzt nur mit kleinen Betrügern, Kneipenschlägereien und höchstens mal einem Messerstecher zu tun. Und jetzt sollen wir die Jünger aus der Stadt jagen. Das ist verdammt noch mal die Aufgabe der Soldaten und nicht die der Stadtwache. Der dichte schwarze Schnurrbart des Hauptmanns wackelte als er vor sich hin murmelnd und sinnend das Arbeitszimmer des Königs verließ um die Befehle auszuführen.
Die Bediensteten wichen dem König eilig aus als er durch die Gänge stürmte. König Siban war eigentlich ein gutmütiger Mann doch wenn es um seine jüngste Tochter ging war er keinem vernünftigen Argument zugänglich. Als wäre nicht die Situation schon schlimm genug mit diesem elend langen Winter. sinnierte der König Nein, da kommen diese dahergelaufenen Prediger und greifen so mir nichts dir nichts meine Tochter an. Ich war ein solcher Narr ihr den Besuch in der Stadt zu erlauben. König Siban stapfte durch die Gänge und sein Gesichtsausdruck jagte den jüngeren unter den Dienern einen mächtigen Schrecken ein. Er sah aus als würde er geradewegs durch eine Wand laufen, sollte eine es wagen sich ihm in den Weg zustellen. Endlich hatte der König die Räume der Prinzessin im Westflügel des Palastes erreicht. Er stürmte hinein um seiner Tochter gehörig den Kopf zu waschen.
„Rhiana, was hast du dir dabei gedacht...“ Er verstummte. Die Prinzessin lag blaß und zitternd auf ihrem Bett. Mehrere der Hofdamen und auch Anina standen daneben. Ein kalter Schrecken durchfuhr den König. Er versuchte an seinem Zorn festzuhalten. „Kind, was machst du für Sachen. Wie konntest du dich mit diesem Kerl anlegen. Kann man dich denn gar nicht aus den Augen lassen.“ Wieder verstummte er und blickte fragend zu Anina. „Majestät, die Prinzessin steht unter Schock. Es ist ihr nichts passiert. Aber ich fürchte die Aufregung und der Schreck...“ König Siban runzelte die Stirn als er näher an das Bett seiner Tochter herantrat. Er konnte sehen, daß seine Tochter geweint hatte. Feuchte Spuren lagen auf den bleichen Wangen der Prinzessin „Mein kleines Mädchen. Wie geht es dir. Es wird ja alles wieder gut. Ich habe dafür gesorgt, daß diese Fanatiker aus dem Land verschwinden. Niemand wird dir so etwas je wieder antun.“
„Ach Vater“ die Stimme der Prinzessin klang tränenerstickt. „Er hat versucht mich zu töten. Er hat schlecht von dir gesprochen. Das konnte ich doch nicht zulassen. Aber er hat versucht mich zu töten.“ Die Prinzessin begann wieder zu weinen. Der König winkte den Hofdamen beiseite zu treten und setzte sich auf die Bettkante. Anina führte die Damen leise aus dem Raum. Ernst blickte König Siban auf seine Tochter hinunter. Sie wirkte klein und zerbrechlich wie sie da schluchzend in den Kissen lag. Das rote Haar umrahmte ein bleiches Gesicht, das von schier grenzenloser Verzweiflung gezeichnet war. Sachte strich Siban seiner Tochter eine widerspenstige Locke aus der Stirne. „Sch Sch Kleines. Es ist ja gut. Er hat dir ja nichts getan und niemand wird dir etwas tun.“ Langsam verebbte das Schluchzen und die Prinzessin beruhigte sich. Siban blieb noch lange auf der Bettkante sitzen, als die Prinzessin längst eingeschlafen war.
Rhiana schlief unruhig in dieser Nacht. Sie wurde von seltsamen Träumen gequält in denen ein Mann sie durch dichten, grauen Nebel verfolgte. Sie floh vor dem Verfolger und wußte das sie sich nur retten konnte, wenn sie einen bestimmten Gegenstand fand. Aber sie wußte nicht wo sie suchen sollte und der Nebel nahm ihr jeden Orientierungssinn. Sie rannte und rannte und die Notwendigkeit den Gegenstand zu finden wurde immer stärker. Schweißgebadet wachte sie auf. In den folgenden Nächten wiederholte sich der Traum. Sobald sie eingeschlafen war, fand sie sich in der nebelverhangenen Landschaft wieder und rannte um ihr Leben. Jedesmal wachte sie keuchend und schweißgebadet auf.
Der König begann sich ernstliche Sorgen zu machen. Seine Tochter schien krank zu sein. Zwar konnte keine der Heilerinnen etwas finden und doch sah Rhiana jeden Tag schlechter aus. Sie hatte Ringe unter den Augen und war unruhig und nervös. Manchmal war sie so in Gedanken versunken daß sie die Welt um sich herum gar nicht wahrzunehmen schien. Es schien, daß der Vorfall mit dem fanatischen Priester sie mehr aus dem Gleichgewicht geworfen hatte als man ahnen mochte. Er war ratlos und er hatte Angst um seine geliebte Tochter. Anina war mehrere Male an ihn herangetreten und hatte um die Erlaubnis gebeten, daß Rhiana zu ihrer Cousine reisen durfte. Die Gesellschafterin seiner Tochter hatte ihn darauf hingewiesen, daß eine Abwechslung der Prinzessin vielleicht helfen könnte sich zu erholen. Doch er hatte aus Sorge um ihre Sicherheit immer wieder abgelehnt. Langsam fragte er sich jedoch ob die Frau nicht doch recht hatte. Um für die Sicherheit der Prinzessin zu sorgen konnte er eine Leibgarde abstellen, die sein kleines Mädchen sicher nach Mingal bringen würden. Es war ja nur eine Reise von 4 Tagen und die Straßen waren gut ausgebaut und bewacht. Sicher wäre das Risiko nur gering. Seufzend faßte er seinen Entschluß und schickte nach Anina um ihr mitzuteilen, daß die Prinzessin in das Haus seines Schwagers und seiner Schwester reisen sollte. Er wußte wenn er länger darüber nachdachte würde er Rhiana doch hier behalten. Anina war hocherfreut über seinen Sinneswandel und machte sich sogleich daran alles für die Reise vorzubereiten. Sie ging Rhiana suchen um ihr die Neuigkeit zu erzählen und fand sie in ihrem Bett schlafend vor wie bereits die letzten Tage. Stirnrunzelnd blickte sie auf die junge Frau hinunter. Sie konnte sich nicht erklären weshalb die Prinzessin immer so müde war, und den halben vormittag verschlief und sich meist auch am Abend früh zurückzog. Wenn sie dann erwachte sah sie nicht erholt aus. Im Gegenteil die dunklen Ringe unter ihren Augen wurden immer tiefer.
Es war bereits spät in der Nacht als Prinzessin Rhiana Ihr Gemach verließ. Als Anina am Abend nach ihr gesehen hatte gab Rhiana vor sie habe Kopfschmerzen und wolle sich bald zu Bett begeben. Ihre alte Amme hatte sie merkwürdig angesehen aber nichts gesagt. Rhiana hatte sich angekleidet auf das breite Bett gelegt und gewartet. Als die Glocke die Nachtruhe verkündete und die Geräusche im Palast langsam verklangen war sie wieder aufgestanden und ruhelos in ihrem Zimmer herum gewandert. Schließlich hatte sie es nicht mehr ausgehalten und ihren Umhang übergeworfen und war auf den Gang hinausgeschlichen. Schneeregen prasselte auf die Dächer des Palastes. Und ein eisiger Wind heulte um die Türme und Zinnen. Leise schloß sie die Türe hinter sich und eilte den langen, schwach erleuchteten Gang hinunter. Die Wandteppiche hingen wie dunkle Schatten zu beiden Seiten und die darauf abgebildeten Szenen wirkten in dem flackernden Licht der Fackeln fast lebendig. Langsam und vorsichtig schlich sie die Treppe hinunter und durchquerte die große Eingangshalle. Sie zog den dunklen Umhang enger um sich und blickte sich aufmerksam um. Die Halle war leer. Die Säulen zu beiden Seiten ragten wie stumme Wächter auf und verloren sich in der Dunkelheit über ihr. Der große Kristallüster in der Mitte des Raumes war dunkel und das Feuer im Kamin war zu glühenden Kohlen heruntergebrannt. Rasch eilte sie weiter.
Sie wandte sich nach links und verschwand in dem Gang, der zum Wirtschaftstrakt führte. Als Sie die Kellertreppe erreichte schaute sie nochmals um sich, dann nahm sie die Laterne vom Haken neben der Türe und entzündete sie. Vorsichtig stieß sie die Türe auf und stieg hinunter.
Sie konnte nicht erklären, warum sie das tat. Bereits die 3. Nacht stieg sie nun schon von einem inneren Zwang getrieben in den Keller hinunter. Heimlich wie ein Dieb und voller Angst, das jemand sie entdecken könnte. Stundenlang war sie durch die Gänge gelaufen, die wie ein Labyrinth unter dem Königspalast von Thorin lagen. Immer wenn sie schon dachte sie hätte alle Gänge gesehen, bog sie um eine Ecke und es gab einen neuen Weg, der vorher nicht dagewesen war. So schien es ihr jedenfalls. Sie wußte nicht wie groß die Kelleranlage war. Längst schon hatte sie auf ihren nächtlichen Streifzügen die noch benutzen Räume hinter sich gelassen und die Gewölbe, durch die sie schritt waren von Spinnweben verhangen und der Staub lag in dicken Schichten auf dem Boden.
Erschöpft lehnte sie sich an eine Wand. Sie dachte daran, umzukehren doch wieder spürte sie einen Zug, ein Zerren in ihren Gedanken, das sie weitereilen ließ, vorbei an weiteren gähnenden Türöffnungen, durch alte Gewölbe, die seit vielen Jahren kein Mensch mehr betreten hatte. Sie hatte jedes Zeitgefühl verloren. Es gab nur noch die Gänge des Kellers und die Notwendigkeit etwas zu finden. Sie schalt sich selbst eine Närrin, sie sollte jetzt wie jeder andere im Bett liegen und schlafen. Dennoch ging sie weiter, folgte dem Zug in ihrem Kopf, ohne zu wissen wohin. Das Zerren wurde intensiver. Sie konnte nicht mehr stehenbleiben, selbst wenn sie es gewollt hätte.
Der Gang war so plötzlich zu Ende, daß sie fast gegen die Wand gelaufen wäre, welche die Stirnseite abschloß. Unentschlossen blieb sie stehen. Sie mußte hier durch um dem geheimnisvollen Zwang zu folgen. Sie überlegte kurz ob sie einen anderen Weg finden konnte. Da begann die Wand vor ihr zu glühen. Sie wich ängstlich einen Schritt zurück. Was geschieht hier. dachte sie bei sich. Das Glühen verstärkte sich. Eine Stimme klang auf.
„Endlich kommst du, Rose von Thorin um dein Erbe anzutreten.“ Die Stimme schien direkt aus der Wand zu kommen, so als ob die Kellergewölbe selbst zu ihr sprächen. „Folge mir, folge mir zu deiner Bestimmung Rhiana“ Das Licht zog sich durch die massive Mauer zurück und die Stimme klang jetzt weit entfernt. „Folge mir...“ Dann war es wieder still.
Rhiana spürte immer noch das Ziehen in sich. Unsicher trat sie auf die Wand zu. Zögernd streckte Sie die Hand aus und bewegte die Fingerspitzen langsam näher an die Mauer, die Ihr den Weg versperrte. Kurz vor der Berührung zuckte sie zurück. Sie konnte spüren, daß da etwas war. Etwas Altes, das auf sie wartete. Die Haut ihrer Finger begann zu kribbeln als sich die Hände wieder ausstreckte. Sie fürchtete sich vor dem was sie hinter der Mauer finden mochte. Doch der innere Zwang war stärker. Behutsam legte sie die Hände auf die alten Steine. Seltsamerweise fühlte sich die Mauer warm an, fast lebendig. Eine leise Stimme in einem kleinen Winkel ihres Bewußtseins sagte ihr das sie fortlaufen sollte, soweit sie nur konnte. Statt dessen preßte sie die Handflächen fester auf die Steine vor ihr. Plötzlich war ein scharfes Klicken zur hören und die Mauer bewegte sich unter ihren Händen. Rhiana keuchte und fuhr zurück. Die Wand glitt mit einem trockenen Knirschen zur Seite und gab den Weg frei.
Die Prinzessin sah, daß der Gang vor ihr geradeaus weiterführte. Es war heller in dem Gang. So hell, daß sie ohne die Laterne die neben ihr auf dem staubigen Fußboden stand, sehen konnte. Dennoch konnte Sie keine andere Lichtquelle ausmachen. Die Helligkeit schien geradewegs aus der Luft zu sickern. Zögernd schritt Rhiana weiter. Auch hier lag der Staub dick auf dem Boden, doch es war warm. Die Wände zu beiden Seiten schienen diese Wärme auszustrahlen.
Der Gang weitete sich bald zu einem hohen Gewölbe. Die Wände wichen zurück und Rhiana stand in einem Saal, dessen Ausmaße sie nicht zu schätzen vermochte. Hoch über ihr wölbte sich die Decke und auch hier herrschte diese seltsame, diffuse Helligkeit. Sie sah sich um konnte aber immer noch keine Lichtquelle ausmachen. Offenbar hatte sie ihr Ziel nun erreicht.
Das Zerren in ihren Gedanken war verschwunden. Neugier war das Einzige was geblieben war. Etwas hatte sie hierher gerufen. „Folge deiner Bestimmung“ hatte die Stimme gesagt. Was ist diese Bestimmung, warum bin ich hier?
Unentschlossen ging die junge Frau weiter und drang tiefer in den großen Saal ein. Der Boden des Saales bestand aus glatt poliertem Stein der in dem seltsamen grünlichen Licht wie Onyx schimmerte. Die Wände bestanden offensichtlich aus weißem Marmor und schimmerten ebenfalls wie poliert. Kein Staubkörnchen beeinträchtigte den vollkommenen Schimmer des Bodens oder der Wände. Es war fast als ob jeden Tag Dienstmädchen hierher kämen um sauberzumachen und sicherzustellen, daß alles in Ordnung war. Auch die Luft wirkte frisch, so als würden täglich die Fenster geöffnet und gelüftet. Doch der Raum hatte keine Fenster und Rhiana konnte auch keine Lüftungsschächte sehen, wie sie in den modrigen Kellergewölben angebracht waren.
In der Mitte des Raumes stand ein steinernes Podest. Stufen führten rundherum hinauf. Rund um das Podest war ein kreisförmiges Mosaik angelegt. Seltsame Kreaturen waren darauf zu sehen. Wesen, die man nur aus dem Märchen kannte: Chimären, Centauren, Harpyien und Drachen. Andere Gestalten wirkte beinahe menschlich aber eben nur beinahe. Die Gesichter wiesen Züge auf die irgendwie fremd schienen. Die junge Frau sah diese Wesen an und etwas in ihr wollte sich erinnern. Gerade außerhalb ihrer Reichweite fühlte sie Bilder. Doch wenn sie sich darauf konzentrierte waren sie weg. Sie stand unbeweglich da, am Rand der Bilder auf dem Fußboden, ganz in die Betrachtung der fremden Gesichter versunken und versuchte zu erfassen worauf sie hier gestoßen war. Aber die Erkenntnis entzog sich ihr immer wieder.
Langsam hob sie den Blick. Auf dem Podest lag etwas. Rhiana konnte nicht erkennen was es war, jedoch schien die Helligkeit damit im Zusammenhang zu stehen. Sie schritt über den Mosaikboden auf das Podest zu. Kaum hatten ihre Füße die Bilder berührt, klangen wispernde Stimmen. Sie sprachen zu Rhiana von grünen Wäldern, steilen Klippen, blauen Seen und blühenden Wiesen. Von Zeiten die lange vergangen waren. Wunderschöne Melodien kündeten von vergangenen Königreichen und tapferen Helden. Rhiana stieg die Stufen hinauf und betrachtete den Gegenstand der in der Mitte lag.
Es war aus Silber gearbeitet und hatte die Form eines Kreuzes das von einem Kreis durchdrungen war. Die Enden des Kreuzes waren zugespitzt und der Kreis und die Balken waren durchbrochen. An den Enden des Kreuzes und in der Mitte waren Vertiefungen zu sehen. Offensichtlich fehlte dort etwas. Das ganze Gebilde war etwa so groß wie 2 Hände und sah aus als wäre es aus einem Stück gegossen. Die Prinzessin spürte einen inneren Zwang den Gegenstand zu berühren. Sie streckte die Hand danach aus und fuhr sanft mit den Fingerspitzen die Konturen der Vertiefung in der Mitte nach. Das Silber fühlte sich warm an und irgendwie - machtvoll. Ihre Hand begann wieder zu prickeln. Behutsam hob sie das Kreuz hoch. Sie war überrascht wie leicht es wahr. Ein sanftes Pulsieren ging nun von dem Stein aus. Das Glühen im Saal verstärkte sich.
„Wahrhaftig, die Rose von Thorin ist endlich gekommen. Die Prophezeiungen sprachen davon seit dem letzten Zeitalter.“
Rhiana schrak zusammen und blickte hoch. Ihr gegenüber auf der anderen Seite des Podestes hatte sich das Glühen verdichtet und die ungefähre Form einer menschlichen Gestalt angenommen. Diese Gestalt war es die bereits vorher an der Mauer zu ihr gesprochen hatte. Rhiana erkannte die Stimme wieder. Es war eine weibliche Stimme und irgendwie klangen darin Glocken wenn sie sprach.
„Zur Drachenzeit wird die jüngste Tochter des Königs kommen und den Talisman holen. Sie wird die Macht besitzen und die Kraft leiten, wenn niemand die kalten Winde bannen kann und das Land erfriert. Nur Sie, die Rose von Thorin, vermag den Weg zu finden der in die Vergangenheit des Landes führt. Sie allein kann den Schatz bergen der die Quelle des Lichtes ist. Wenn dieser Tag kommt ist die Bestimmung erst am Anfang doch die Tage zur Begegnung sind gezählt. Finde rasch die Anderen und vollende der Silberschmiede Werk, denn diese Aufgabe ist deine Bestimmung vom Anbeginn der Zeit und die Begegnung ist dein Schicksal.“
Rhianas Mund fühlte sich ausgetrocknet an und sie konnte kaum sprechen. Ihre Gedanken überschlugen sich als sie den Mund öffnete. „Was ist... wieso...ich...“
„Die Hoffnung der Welt liegt auf dir meine Tochter. Der Dunkle hat sich erhoben und wirft seine Schatten aus um die Welt in Eis zu hüllen, er haßt das Licht. Die Götter haben dies vorher gewußt und den Talisman geschaffen um die Schatten zu bannen und den Dunklen aufzuhalten. Loris, der Grüne gab die Kraft der Natur. Silgar die Gelbe gab die Kraft der Luft, Tolmak der Rote gab die Kraft des Feuers, Amarys die Blaue gab die Kraft des Wassers und Aimene die Lichte gab die Kraft des Geistes. Die Siegel der Macht wurden in würdige Hände zur treuen Aufbewahrung gegeben um der Rose von Thorin und den Ihren in der Not beizustehen. Finde die Anderen und finde die Siegel der Macht.“
Rhiana kannte die Namen der Götter und oft hatte sie im Tempel zu diese gebetet. Doch hatte sie noch nie von einem Dunklen gehört, außer als die Prediger vor ihren Vater getreten waren. Sie war noch immer verwirrt.
„Die Prediger sprachen vom Dunklen, wer ist er? Sollen wir in die Tempel flüchten und zu den Göttern flehen, so wie die Jünger der letzten Tage uns befahlen?“
„So viele Fragen und so wenig Zeit. Ich kann nicht länger bleiben. Doch soviel noch um dir zu helfen. Der Dunkle ist der Bruder vom Aimene, Kalsis mit Namen. Er war eifersüchtig auf die Macht seiner Schwester, die im Licht steht und von den Menschen verehrt wurde. Er versuchte 4 x seine Schwester zu töten. Beim ersten Mal rief Aimene die Erde zur Hilfe an und Loris der Grüne entstand. Beim zweitem Mal rief Sie die Luft zur Hilfe und Silgar die Gelbe entstand. Beim dritten Mal rief sie das Feuer zur Hilfe und Tolmak der Rote entstand beim letzten Mal rief sie das Wasser zur Hilfe und Amarys die Blaue entstand. Gemeinsam gelang es der großen Göttin des Lichtes und den vier Göttern der Elemente den Dunklen zu bannen. Aimene alleine hätte es nicht gekonnt, denn ihre Macht ist genauso stark wie die von Kalsis. Zu den Predigern nur soviel: Sie sind verblendet. Hüte dich vor ihnen denn sie spielen dem Dunklen die Karten zu und können dir schaden. Sie sind wie Kinder welche die rechte Tat tun wollen doch in gutem Gewissen das Böse vollbringen. Ich muß jetzt gehen. Geh’ nach Engalon und finde die Propheten. Sie werden dir helfen. Nimm den Talisman mit dir doch laß ihn niemanden sehen der nicht von der rechten Art ist. Die Macht wird dir zeigen wer zu dir gehört. Doch sei gewarnt und säume nicht. Die Zeit drängt.“
„Warte! Ich habe keine Macht. Ich kann keine Schatten bannen. Du mußt dich irren. Ich kann nicht die Rose von Thorin sein.“
Die Gestalt aus glühendem Licht begann zu zerfließen. Die Stimme klang jetzt sehr weit entfernt.
„Du hast die Macht meine Tochter. Frage die Ailan. Du bist die Rose von Thorin.“
Die Stimme verklang und das Glühen verblaßte. Rhiana blickte auf den Talisman in ihren Händen nieder. Verwirrt blickte sie um sich aber sie war allein. Das Mosaik war verstummt und die Helligkeit, die aus der Luft kam, ließ merklich nach. Die Aussicht ohne Licht in dieser unterirdischen Halle zu bleiben brachte die Prinzessin in die Wirklichkeit zurück. Rasch stieg sie die Stufen hinunter und eilte durch den Gang zurück dorthin wo sie ihre Laterne gelassen hatte. Hinter ihr hüllte Dunkelheit die Bereiche ein die sie bereits verlassen hatte. Als sie die verborgene Tür erreichte, lag der Saal und der Gang hinter ihr in undurchdringlicher Dunkelheit. Erleichtert nahm sie die Laterne auf und machte sich auf den Weg zurück. Hinter ihr glitt die Wand knirschend wieder in ihre alte Position zurück. Rhiana bemerkte es nicht. Sie war so in Gedanken versunken, daß sie erstaunt aufblickte als sie die Türe zu ihrem Zimmer vor sich sah. Sie konnte sich nicht einmal an den Rückweg durch die Kellergewölbe erinnern. Durch die hohen Fenster in ihrem Gemach sickerten bereits die ersten grauen Schleier der Morgendämmerung. Rasch verbarg sie den Talisman zwischen den Kleidern in ihrem Schrank und entkleidete sich. Ihr Kopf hatte das Kissen kaum berührt als sie auch schon einschlief. Sie schlief und in ihren Träumen hörte sie die Stimme mit den Glockenklängen und sie sah Bilder aus einer Märchenwelt und seltsamen Gestalten die fast menschlich waren.