Rost

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Ralf Langer

Mitglied
Rost

Meiner Mutter gefällt der Grabstein nicht.
Sie murmelt, beäugt den Stein.
Die Inschrift ist auf einer früh verosteten Stahlplatte eingraviert.
„Der ganze Rost... .“
„Vater hätte er gefallen.“
Ich erwarte keine Antwort. Sinnlose Widerrede.
Aber man muß ja reden. Am Grab herrscht sonst nur Stille.
Dann beugt sie sich vor, flüstert zu den Nelken, zupft
ein paar verblüte Blätter, schüttelt den Kopf.
„Der ganze Rost... .“
Für einen Moment bricht die Sonne aus den Wolken hervor.
Auch der Aprilwind gönnt sich eine kleine Pause.
Sie greift nach meinem Arm, verankert sich, richtet sich auf.
„Weißt du, Mama,“sage ich, „Rost ist der einzige Weg für Stahl
in Würde zu altern.“
Sie nickt. „Du meinst zu sterben.“
Ein Lächeln mäandert mit der Sonne über ihr Gesicht.
 
U

USch

Gast
Hallo Ralf,
eine sehr schöne kleine Geschichte. Rost kann auch edel sein, z.B. bei Kupfer die Patina, die sich alle herbeisehnen, wenn ein Dach neu damit gedeckt wurde, aber doch in Würde altern muß.
LG Uwe
 

Ralf Langer

Mitglied
Rost

Meiner Mutter gefällt der Grabstein nicht.
Sie murmelt, beäugt den Stein.
Die Inschrift ist auf einer früh verrosteten Stahlplatte eingraviert.
„Der ganze Rost... .“
„Vater hätte er gefallen.“
Ich erwarte keine Antwort. Sinnlose Widerrede.
Aber man muß ja reden. Am Grab herrscht sonst nur Stille.
Dann beugt sie sich vor, flüstert zu den Nelken, zupft
ein paar verblüte Blätter, schüttelt den Kopf.
„Der ganze Rost... .“
Für einen Moment bricht die Sonne aus den Wolken hervor.
Auch der Aprilwind gönnt sich eine kleine Pause.
Sie greift nach meinem Arm, verankert sich, richtet sich auf.
„Weißt du, Mama,“sage ich, „Rost ist der einzige Weg für Stahl
in Würde zu altern.“
Sie nickt. „Du meinst zu sterben.“
Ein Lächeln mäandert mit der Sonne über ihr Gesicht.
 

Anysa

Mitglied
Hallo Ralf,

ein sehr schöner und bewegender Text. Du beschreibst in kurzen Sätzen die Wandlung eines Gefühls und vor allem der letzte Satz lässt auch mich lächeln.

LG
Anysa
 

Ralf Langer

Mitglied
hallo anysa,

freue mich über deine meldung.

hatte eine zeitlang versucht dieses bild
in ein gedicht zu "packen" - was mir nicht gelingen wollte.

so hab ich`s "erzählt"

lg
ralf
 
A

Architheutis

Gast
Hallo Ralf,
„Rost ist der einzige Weg für Stahl
in Würde zu altern.“
ein ganz starker Satz!

Ich hatte beim ersten Lesen das spontane Gefühl: Warum packt er es nicht in ein Gedicht. Dann habe ich deinen Kommentar gelesen, dass du es versucht hast, aber gescheitert bist.

Ich finde das völlig OK. Bevor man einen guten Gedanken in ein grauseliges Gedichtkorsett schnürrt, darf man es gerne in Prosa-Tüll kleiden.

Ein Lächeln [red]mäandert[/red] mit der Sonne über ihr Gesicht.
Hmpf, mäandern heisst ja soviel wie "in viele kleine Ableger zerfliessen". Das kann ich mir bei einem Mund (der ja nunmal lächelt) schwer vorstellen. Du wolltest hier sicher auf ein durchs Leben und von Falten zerfurchtes Gesicht hinaus, dass beim Lachen zu neuen Formen verworfen wird. Ist halt etwas unscharf formuliert.

Schönen Gruß,
Archi
 

Anysa

Mitglied
Ich finde das Wort [red]mäandert [/red]gar nicht so schlecht gewählt. Zwar kenne ich es eher in einem anderen Zusammenhang, aber ich kann mir gut vorstellen, wie nach unten hängende Mundwinkel fließend nach oben wandern. Vielleicht stockt der letzte Satz etwas wegen diesem Wort, dennoch passt es durchaus.

LG
Anysa
 

Ralf Langer

Mitglied
Rost

Meiner Mutter gefällt der Grabstein nicht.
Sie murmelt, beäugt den Stein.
Die Inschrift ist auf einer früh verrosteten Stahlplatte eingraviert.
„Der ganze Rost... .“
„Vater hätte er gefallen.“
Ich erwarte keine Antwort. Sinnlose Widerrede.
Aber man muß ja reden. Am Grab herrscht sonst nur Stille.
Dann beugt sie sich vor, flüstert zu den Nelken, zupft
ein paar verblüte Blätter, schüttelt den Kopf.
„Der ganze Rost... .“
Für einen Moment bricht die Sonne aus den Wolken hervor.
Auch der Aprilwind gönnt sich eine kleine Pause.
Sie greift nach meinem Arm, verankert sich, richtet sich auf.
„Weißt du, Mama,“sage ich, „Rost ist der einzige Weg für Stahl
in Würde zu altern.“
Sie nickt. „Du meinst zu sterben.“
Ein Lächeln wandert mit der Sonne über ihr Gesicht.
 



 
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