Grenadilla
Mitglied
Es war einmal eine Frau, die hieß Adelheid und hatte zwei Töchter. Als die Mädchen ins heiratsfähige Alter kamen, nahm die eine einen Kaufmann, der ein fleißiger Mann war und sie gut versorgte. Sie zog zu ihm in sein Haus in der Stadt und hatte drei Dienstboten. Die jüngere Tochter verliebte sich in einen Förster und nachdem die Hochzeit gefeiert war, lebte sie mit ihm in seinem Forsthaus mitten im Wald. Die Frau blieb allein in ihrem Häuschen, besorgte ihren Garten, sammelte Heilkräuter und verdiente sich das Wenige, das sie zum Leben brauchte, indem sie den Menschen in ihrem Dorf mit ihren selbst hergestellten Kräutertees, Salben und Tinkturen Heilung von ihren Krankheiten und Gebrechen verschaffte. 
Von Zeit zu Zeit kamen ihre Töchter zu Besuch und dann war munteres Leben im Haus, vor allem, nachdem die ältere Tochter einen Sohn und eine Tochter geboren hatte und die Kinder durchs Haus sprangen und lachten.
Als die Zeit der jüngeren Tochter heran war und sie ebenfalls einen Knaben gebar, machte sich die Frau auf den Weg, um sich um die junge Mutter und ihr Kind dort im einsamen Forsthaus mitten im Wald zu kümmern. Sie buk einen Kuchen und legte ihn in ihren Henkelkorb, in dem schon ein winziges selbstgestricktes Jäckchen bereit lag. Gerade als sie losgehen wollte, erhielt sie die Nachricht, dass es ihrer Tochter im Kindbett nicht gut ginge. Da legte sie ihren ganzen Vorrat an getrocknetem Blutweiderich, ein paar Mistelzweige, frisch geschnittenen Frauenmantel,ein Glas mit den getrockneten Samenkapseln vom Hirtentäschel und ein paar Lebensmittel für unterwegs dazu, denn es war ein weiter Weg bis zum Forsthaus.
Sie schlüpfte in ihre roten Schuhe, mit denen sie laufen konnte, als hätten ihre Füße Flügel. Adelheid hatte die Schuhe einst beim Aufräumen in der kleinen Kammer unter der Treppe gefunden und vermutete, dass sie verzaubert waren. Irgendwann würde sie den Zauber herausfinden, aber erst einmal konnte sie mit ihnen laufen ohne je müde zu werden.
Adelheid schloss ihre Haustür ab und machte sich auf den Weg. Sie schritt schnell aus, denn es war eine weite Strecke und sie machte sich große Sorgen um ihre Tochter. Was, wenn es ihr immer schlechter ging? Jede Minute, die ihr geliebtes Kind mit Schmerzen verbringen musste, war eine Minute zu viel.
Die Luft war warm und duftete nach Sommer, nach Insekten und Heu und nach dem Staub der Straße und nach Wärme. Adelheid hörte anfangs den munteren Vogelstimmen zu, doch je mehr sich die Sonne dem Zenit näherte, desto weniger Gezwitscher war zu hören. Und als sie von der Straße abbog und auf einem schmalen Pfad den Wald betrat, vernahm sie nur noch ihre eigenen schnellen Schritte und ihren schweren Atem. Zum Glück war im grünen Schatten der Blätter an Bäumen und Büschen von der Hitze des Tages kaum noch etwas zu fühlen. Sie wischte sich den Schweiß von der Stirn und beeilte sich voranzukommen.
Das Wandern im Wald war recht angenehm, doch zur Mittagszeit musste sie dennoch an einem kleinen See, den sie schon seit ihrer Kindheit kannte, Rast machen. Hier war sie einst mit ihren Geschwistern hergekommen, um zu toben und zu baden. Heute lag er verlassen und sie setzte zum Picknick sich auf einen flachen Stein. Das stille Seewasser warf ihr Spiegelbild zurück und Adelheid nickte ihm zu. Plötzlich glitzerte die Wasseroberfläche und Adelheid wurde kurz geblendet. Als sie die Augen wieder öffnete, sah sie im Wasser eine blasse Gestalt. Adelheid blinzelte und dann war das Wasser wieder ruhig und leer. So etwas! Sie schenkte sich noch einen Becher Tee ein. Es wurde Zeit, dass sie weiter ging. Aber zuerst wollte sie sich ein wenig erfrischen. Sie stieg vom Felsen und ging ans Seeufer, um sich Wasser ins Gesicht zu spritzen. Da sah sie die Gestalt wieder. Sie hatte lange schlanke Glieder und ein ebenmäßiges Gesicht mit großen grünen Augen, die sie unverwandt ansahen.
„Wer bist du?“ flüsterte Adelheid.
Ihre Stimme schien kurz über dem See zu schweben, ehe sie sich ins Wasser senkte. Die Oberfläche glitzerte und als sie den Blick in die Tiefe freigab, war das Wasserwesen verschwunden. \'Schade\', dachte Adelheid bei sich und wusch sich das Gesicht, ehe sie nach ihrem Korb griff und weitergehen wollte. Sie war allen Wesen der Natur gut, fütterte im Winter die Rehe und die Vögel, stellte im Sommer in ihrem Garten Trinkplätze für die Amseln auf und hatte schon manches Mal ein aus dem Nest gefallenes Vogeljunges aufgezogen. Doch dieses Wasserwesen war zu scheu.
„Leb wohl, Wasserwesen!“ rief Adelheid leise über den See. „Ich muss schnell weiter gehen, um meiner Tochter nach der Geburt ihres ersten Kindes beizustehen. Wenn ich zurück komme, besuche ich dich wieder, aber jetzt muss ich eilen.“
Gerade als sie sich abwenden wollte, glitzerte der See erneut und diesmal sah sie sogar zwei Wasserwesen. Das von vorhin mit hellgrünlichen Haaren, die weit um seinen Kopf wallten, und eins mit kürzeren dunkleren Haaren. Sie sahen Adelheid mit großen Augen an und dann hoben beide ihre Arme und wiesen in eine Richtung.
Sie zögerte kurz, doch dann sagte sie:
„Ihr Wesen, ich habe keine Zeit für euch. Meine Tochter wartet auf mich!“
Der See glitzerte erneut und als sich Adelheid endgültig abwenden wollte, sah sie viele Wesen und alle deuteten zur selben Stelle am Seeufer.
„Was ist dort? Braucht ihr Hilfe?“
Adelheid sah, dass die Seite des Sees, zu der die Wesen zeigten, nicht schwer zu erreichen war, und nahm sich vor, nachher noch schneller zu laufen, um die verlorene Zeit wieder aufzuholen. Sie würde es schon schaffen, aber erst einmal wollte sie den Wesen helfen. Sie musste ein paar Felsen umrunden und über einen hinüber klettern, doch die Wesen im Wasser warteten geduldig und zeigten immer weiter den Weg. Am Seeufer lag ein flacher roter Stein. Er war nass und hatte eine merkwürdige Form, als hätte ihn ein Riese kräftig gedrückt. Adelheid bückte sich und hob ihn auf. Der Stein schien in ihren Händen zu kribbeln. Sie fragte die Wasserwesen, die geduldig ausharrten:
„Habt ihr mich zu diesem Stein gewiesen? Was soll ich mit ihm tun?“
Sie hielt ihn auf ihrer offenen Handfläche übers Wasser, damit die Wesen ihn erreichen konnten, wenn sie ihn haben wollten. Doch die zeigten nach unten, immer wieder nach unten.
„Hineinwerfen?“ fragte Adelheid.
Das blonde Wesen schüttelte energisch den Kopf. Der dunkelhaarige Wassermann hob einen Fuß und zeigte darauf. Dann zeigte er auf Adelheid.
„Meine Füße? - Meine Schuhe?“
Die Wassermenschen sahen sie freundlich und erwartungsvoll an. Adelheid steckte den Stein in ihren linken Schuh und fühlte ein Kribbeln und Wirbeln. Sie dachte an ihren Henkelkorb und fand sich plötzlich an ihrem Picknickstein wieder. Sie setzte sich erst einmal und zog schnell den Stein aus dem Schuh.
„Ist das der Zauber der Schuhe?“ rief sie über den See.
Die Wesen tauchten unter ihr aus der Dunkelheit des Wassers auf und winkten ihr zu. Dann verschwanden sie. Adelheid sah auf den roten Stein in ihrer Hand. Jetzt konnte sie es rechtzeitig schaffen. Sie hängte sich ihren Korb mit den Heilkräutern über den Arm, steckte den Stein in den Schuh und sagte laut und deutlich:
„Ich möchte zu meiner Tochter ins Forsthaus.“
In ihren Schuhe kribbelte es, ein Rauschen war um sie und dann landete sie in Sichtweite des Hauses.
Auf dem Heimweg ging sie zum See und brachte den Wesen einen Strauß Margeriten, die sie im Garten ihrer Tochter geschnitten hatte. Und als es Winter wurde, hackte sie ein großes Loch ins Eis, damit den Wassermenschen ein Fenster zur Luftwelt offen stand.
								Von Zeit zu Zeit kamen ihre Töchter zu Besuch und dann war munteres Leben im Haus, vor allem, nachdem die ältere Tochter einen Sohn und eine Tochter geboren hatte und die Kinder durchs Haus sprangen und lachten.
Als die Zeit der jüngeren Tochter heran war und sie ebenfalls einen Knaben gebar, machte sich die Frau auf den Weg, um sich um die junge Mutter und ihr Kind dort im einsamen Forsthaus mitten im Wald zu kümmern. Sie buk einen Kuchen und legte ihn in ihren Henkelkorb, in dem schon ein winziges selbstgestricktes Jäckchen bereit lag. Gerade als sie losgehen wollte, erhielt sie die Nachricht, dass es ihrer Tochter im Kindbett nicht gut ginge. Da legte sie ihren ganzen Vorrat an getrocknetem Blutweiderich, ein paar Mistelzweige, frisch geschnittenen Frauenmantel,ein Glas mit den getrockneten Samenkapseln vom Hirtentäschel und ein paar Lebensmittel für unterwegs dazu, denn es war ein weiter Weg bis zum Forsthaus.
Sie schlüpfte in ihre roten Schuhe, mit denen sie laufen konnte, als hätten ihre Füße Flügel. Adelheid hatte die Schuhe einst beim Aufräumen in der kleinen Kammer unter der Treppe gefunden und vermutete, dass sie verzaubert waren. Irgendwann würde sie den Zauber herausfinden, aber erst einmal konnte sie mit ihnen laufen ohne je müde zu werden.
Adelheid schloss ihre Haustür ab und machte sich auf den Weg. Sie schritt schnell aus, denn es war eine weite Strecke und sie machte sich große Sorgen um ihre Tochter. Was, wenn es ihr immer schlechter ging? Jede Minute, die ihr geliebtes Kind mit Schmerzen verbringen musste, war eine Minute zu viel.
Die Luft war warm und duftete nach Sommer, nach Insekten und Heu und nach dem Staub der Straße und nach Wärme. Adelheid hörte anfangs den munteren Vogelstimmen zu, doch je mehr sich die Sonne dem Zenit näherte, desto weniger Gezwitscher war zu hören. Und als sie von der Straße abbog und auf einem schmalen Pfad den Wald betrat, vernahm sie nur noch ihre eigenen schnellen Schritte und ihren schweren Atem. Zum Glück war im grünen Schatten der Blätter an Bäumen und Büschen von der Hitze des Tages kaum noch etwas zu fühlen. Sie wischte sich den Schweiß von der Stirn und beeilte sich voranzukommen.
Das Wandern im Wald war recht angenehm, doch zur Mittagszeit musste sie dennoch an einem kleinen See, den sie schon seit ihrer Kindheit kannte, Rast machen. Hier war sie einst mit ihren Geschwistern hergekommen, um zu toben und zu baden. Heute lag er verlassen und sie setzte zum Picknick sich auf einen flachen Stein. Das stille Seewasser warf ihr Spiegelbild zurück und Adelheid nickte ihm zu. Plötzlich glitzerte die Wasseroberfläche und Adelheid wurde kurz geblendet. Als sie die Augen wieder öffnete, sah sie im Wasser eine blasse Gestalt. Adelheid blinzelte und dann war das Wasser wieder ruhig und leer. So etwas! Sie schenkte sich noch einen Becher Tee ein. Es wurde Zeit, dass sie weiter ging. Aber zuerst wollte sie sich ein wenig erfrischen. Sie stieg vom Felsen und ging ans Seeufer, um sich Wasser ins Gesicht zu spritzen. Da sah sie die Gestalt wieder. Sie hatte lange schlanke Glieder und ein ebenmäßiges Gesicht mit großen grünen Augen, die sie unverwandt ansahen.
„Wer bist du?“ flüsterte Adelheid.
Ihre Stimme schien kurz über dem See zu schweben, ehe sie sich ins Wasser senkte. Die Oberfläche glitzerte und als sie den Blick in die Tiefe freigab, war das Wasserwesen verschwunden. \'Schade\', dachte Adelheid bei sich und wusch sich das Gesicht, ehe sie nach ihrem Korb griff und weitergehen wollte. Sie war allen Wesen der Natur gut, fütterte im Winter die Rehe und die Vögel, stellte im Sommer in ihrem Garten Trinkplätze für die Amseln auf und hatte schon manches Mal ein aus dem Nest gefallenes Vogeljunges aufgezogen. Doch dieses Wasserwesen war zu scheu.
„Leb wohl, Wasserwesen!“ rief Adelheid leise über den See. „Ich muss schnell weiter gehen, um meiner Tochter nach der Geburt ihres ersten Kindes beizustehen. Wenn ich zurück komme, besuche ich dich wieder, aber jetzt muss ich eilen.“
Gerade als sie sich abwenden wollte, glitzerte der See erneut und diesmal sah sie sogar zwei Wasserwesen. Das von vorhin mit hellgrünlichen Haaren, die weit um seinen Kopf wallten, und eins mit kürzeren dunkleren Haaren. Sie sahen Adelheid mit großen Augen an und dann hoben beide ihre Arme und wiesen in eine Richtung.
Sie zögerte kurz, doch dann sagte sie:
„Ihr Wesen, ich habe keine Zeit für euch. Meine Tochter wartet auf mich!“
Der See glitzerte erneut und als sich Adelheid endgültig abwenden wollte, sah sie viele Wesen und alle deuteten zur selben Stelle am Seeufer.
„Was ist dort? Braucht ihr Hilfe?“
Adelheid sah, dass die Seite des Sees, zu der die Wesen zeigten, nicht schwer zu erreichen war, und nahm sich vor, nachher noch schneller zu laufen, um die verlorene Zeit wieder aufzuholen. Sie würde es schon schaffen, aber erst einmal wollte sie den Wesen helfen. Sie musste ein paar Felsen umrunden und über einen hinüber klettern, doch die Wesen im Wasser warteten geduldig und zeigten immer weiter den Weg. Am Seeufer lag ein flacher roter Stein. Er war nass und hatte eine merkwürdige Form, als hätte ihn ein Riese kräftig gedrückt. Adelheid bückte sich und hob ihn auf. Der Stein schien in ihren Händen zu kribbeln. Sie fragte die Wasserwesen, die geduldig ausharrten:
„Habt ihr mich zu diesem Stein gewiesen? Was soll ich mit ihm tun?“
Sie hielt ihn auf ihrer offenen Handfläche übers Wasser, damit die Wesen ihn erreichen konnten, wenn sie ihn haben wollten. Doch die zeigten nach unten, immer wieder nach unten.
„Hineinwerfen?“ fragte Adelheid.
Das blonde Wesen schüttelte energisch den Kopf. Der dunkelhaarige Wassermann hob einen Fuß und zeigte darauf. Dann zeigte er auf Adelheid.
„Meine Füße? - Meine Schuhe?“
Die Wassermenschen sahen sie freundlich und erwartungsvoll an. Adelheid steckte den Stein in ihren linken Schuh und fühlte ein Kribbeln und Wirbeln. Sie dachte an ihren Henkelkorb und fand sich plötzlich an ihrem Picknickstein wieder. Sie setzte sich erst einmal und zog schnell den Stein aus dem Schuh.
„Ist das der Zauber der Schuhe?“ rief sie über den See.
Die Wesen tauchten unter ihr aus der Dunkelheit des Wassers auf und winkten ihr zu. Dann verschwanden sie. Adelheid sah auf den roten Stein in ihrer Hand. Jetzt konnte sie es rechtzeitig schaffen. Sie hängte sich ihren Korb mit den Heilkräutern über den Arm, steckte den Stein in den Schuh und sagte laut und deutlich:
„Ich möchte zu meiner Tochter ins Forsthaus.“
In ihren Schuhe kribbelte es, ein Rauschen war um sie und dann landete sie in Sichtweite des Hauses.
Auf dem Heimweg ging sie zum See und brachte den Wesen einen Strauß Margeriten, die sie im Garten ihrer Tochter geschnitten hatte. Und als es Winter wurde, hackte sie ein großes Loch ins Eis, damit den Wassermenschen ein Fenster zur Luftwelt offen stand.
