Rotkohl und Iphigenie

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Gelöschtes Mitglied 21114

Gast
Heraus in eure Schatten, rege Wipfel
Des alten, heil'gen, dichtbelaubten Haines,
Wie in der Göttin stilles Heiligtum
Tret' ich noch jetzt mit schauderndem Gefühl,
Am Mittwoch Rotkohl, oder Frikadellen
Auf Sauerkraut und mit Kartoffelbrei,
Denn ach! mich trennt das Meer von den Geliebten,
Und an dem Ufer steh' ich lange Tage,
Das Land der Griechen mit der Seele suchend,
Besuchen, Herrgott, hab ich ganz vergessen,
Die Oma Ruth ist jetzt im Altersheim,
Und gegen meine Seufzer bringt die Welle
Nur dumpfe Töne brausend mir herüber,
Was sich der Goethe bei dem Text gedacht hat,
Ihm schwärmen abwärts immer die Gedanken,
Ich krieg den Text nicht rein, die Frikadellen
Warn letztes Mal versalzen, wo die Sonne
Zuerst den Himmel vor ihm aufschloss, wo
Hab ich den Haustürschlüssel wieder hingelegt,
Der Lütte wird bei Tante Soffie klingeln,
Der Frauen Zustand ist beklagenswert,
Zu Haus und in dem Kriege herrscht der Mann,
Und wenn der Herbert heute wieder schwächelt,
Dann wird das nix mit unsern Liebesnächten,
Ich bleib beim Eberhard, ihn krönt der Sieg,
Wie enggebunden ist des Weibes Glück!
O wie beschämt gesteh' ich, dass ich dir
Mit stillem Widerwillen diene, Goethe,
Ich krieg den Text nicht rein, wenn ich an Rokohl
Und Frikadellen denken muss, verdammt,
Ich geh nicht zum Theater, als Friseurin
Kann ich nach Feierabend in die Disko,
Die Kunst ist lang und kurz ist unser Leben …
 



 
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