Rubbel-Stielchen

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Ralph Ronneberger

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ürsprünglich nur als eine mact-Fingerübung gedacht (wir sollten das Märchen vom Rumpelstielzchen aus der Sicht des auch so bösen Zwerges neu erzählen) entstand diese ein ganz klein wenig vom Original abweichende Geschichte, die ich ihrer Länge wegen hier bei "Erzählungen" rein stelle. Ich hoffe, es gibt ein paar Leute, die sich durchbeißen. Nur Mut - es ist leichte Kost :))



Rubbel-Stielchen

Mitten im Wald, dort wo er wohl am dichtesten ist und wo die Wege zu dürftigen Trampelpfaden verkümmern- spätestens dort wird der einsame Wanderer von einem Schild aufgehalten, das ihn zur Umkehr auffordert.

T O T A L R E S E R V A T
Betreten verboten!

So steht es in großen schwarzen Lettern auf lindgrünem Grund.
Der junge Mann, der an einem herrlich warmen Sommernachmittag an diese Stelle kam, scherte sich nicht um dieses Verbot, sondern schritt zügig weiter. Er folgte kaum erkennbaren Pfaden, turnte über massenhaft herumliegendes Totholz, sprang geschickt über unzählige Wurzeln und gelangte so schließlich an einen wild dahin gurgelnden Bach. Er folgte dem stark mäandrierenden Bett, bis er schließlich zu einem reichlich mannshohen Wasserfall kam. Rasch entledigte er sich seiner Schuhe und Strümpfe und watete schließlich direkt auf die in breiter Front herab stürzenden Wassermassen zu. Ein winziges Zögern, dann ein entschlossener Schritt, begleitet von einem "Scheiße, iss das kalt!", dann war er bereits durch den Schleier aus Wasser und Gischt hindurch. Und siehe da. Im Felsen fand sich eine, hinter dem breiten Wasserstrahl verdeckte Öffnung, die sich als Eingang zu einer niedrigen Höhle entpuppte. Eigentlich handelte es sich mehr um einen engen, leicht aufwärts führenden Gang.
Gebückt ging der Mann einige Schritte weiter, ehe er halblaut "Hallo!" rief und für einen Moment horchend verharrte.
"Ja, ich bin zu Hause", kam es arg krächzend zurück.
Der Mann setzte seinen Weg fort und gelangte nach wenigen Metern in eine zwar niedrige, aber durchaus geräumige Höhle. Durch zwei schmale Felsspalten fiel etwas Licht in den Raum und malte helle Kringel auf die Platte eines klobigen Tisches, um den drei aus Weidengeflecht gefertigte Sessel gruppiert waren. Auf einem dieser rustikalen Sitzmöbel saß ein kleines schrumpeliges Männchen, das jetzt den Kopf hob, seine leicht ausgefranste Jacke zurecht zupfte und dem Eintretenden freundlich entgegen blinzelte. Ächzend schob er sich von seinem Sitz.
"Hallo Maik. Schön, daß Du gekommen bist. Hast Du das Buch dabei?"
Der Angesprochene nickte und ging auf den Hausherren zu, um ihm die Hand zu schütteln. Er mußte sich sogar ein wenig bücken, denn das alte Männchen reichte ihm gerade mal bis zum Bauchnabel.
"Nimm Platz. Darf ich dir einen Tee anbieten?"
"Ja gern", sagte Maik höflich. Der Alte huschte davon und verschwand hinter einem Vorhang aus dickem Filz. Maik war nicht zum ersten Mal hier und besaß daher keinen Blick für die verschiedenfarbigen Felle, die den der Fußboden bedeckten und die Wände verzierten. Er blätterte vielmehr in dem mitgebrachten Buch, suchte eine bestimmte Stelle und ließ es dann aufgeschlagen liegen.
Der Alte kam mit einem zerbeulten Teekessel zurück und goß die bereit stehenden Tassen randvoll.
"So. Dann wollen wir mal. Ist es das?" Damit zog er das dicke Buch an sich und machte es sich wieder auf dem Sessel bequem.
"Zumindest handelt die Geschichte von einem einsamen Zwerg", sagte Maik und wagte ein heimliches Grinsen. "Aber lies selbst."
"Rum...pel...stilz...chen", buchstabierte der Alte. Dann vertiefte er sich in den Text. Schon bald fing er an, heftig mit dem Kopf zu wackeln. "Von wegen Müllerstochter", grunzte er verächtlich. "Ihr Vater war weiter nichts als ein versoffener Knecht."
Er schien immer erregter zu werden, denn die giftig genuschelten Kommentare rissen nicht mehr ab. Mit jedem Satz, den er las, schwollen seine Stirnadern gefährlicher an. Schließlich ließ er das Buch mit einem lauten Knall zuschlagen.
"Das ist eine bodenlose Frechheit", schnappte er aufgebracht. "Aber so ist das eben in unseren Gefilden. Jeder, der sich von der Normalität unterscheidet, der anders denkt oder auch nur anders aussieht, der wird diskriminiert und verteufelt. Welcher Schmierfink hat dieses Machwerk verfaßt?" Er schielte auf den Einband. "Gebrüder Grimm", las er laut. "Noch nie gehört, aber wenn ich diesen Brüdern einmal begegnen sollte, dann werde i c h grimmig."
"Sie sind längst tot", warf Maik ein und erntete ein: "Da haben die aber wirklich großes Glück."
Das zornige Männlein sprang auf, verschränkte die Arme hinter dem krummgezogenen Rücken und stürmte, wütend vor sich hin brabbelnd, im Raum auf und ab. Plötzlich blieb er vor Maik stehen, linste ihn von unten herauf an und fragte: "Soll ich dir erzählen, wie es sich wirklich zugetragen hat?"
Maik nickte eifrig. Der schnurrig poltrige Zwerg gefiel ihm, und sein mit einem mal so listiges Blinzeln verriet, daß es eine vergnügliche Geschichte werden würde.

******************************************
"Weißt Du, mein Junge", begann er. "ich war nicht immer ein kränklich krächzender und vom Rheuma verbogener Greis. Oh, nein - obwohl klein von Wuchs, so fühlte ich mich doch als ein recht kerniger Bursche. Ich war damals in die Gegend von... ach, das sagt dir ja doch nichts... gezogen, hatte die von meinem seligen Vater vermachten und durch mich nicht unwesentlich vermehrten Schätze in eine Komforthöhle geschleppt und damit begonnen, die nähere Umgebung ein wenig zu beschnuppern. Ganz in der Nähe meiner neuen Wohnhöhle lag eine kleine Stadt, in der auch der gnädige Landesvater sein bescheidenes Schloß hatte. In dem Buch ist natürlich von einem König die Rede. Typischer Fall von maßloser Übertreibung. Ein kleiner Graf war's, der über ein Ländchen gebot, das selbst ich mit meinen kurzen Beinen in knapp zwei Stunden zu durchqueren vermocht hätte.
Es war an einem der ersten warmen Frühlingstage, als ich mich ein wenig in diesem Kaff umzuschauen begann. Da gerade Markt abgehalten wurde, konnte ich im allgemeinen Gewühl nahezu untertauchen. Irgendwann fiel mein Blick auf einen Verkaufsstand, wo ein junges Mädchen vom Lande ihre selbst gebastelten Strohblumen feil bot. Hin und wieder blieben einige Leute stehen, um sich die kleinen Kunstwerke anzuschauen, sie zu befühlen, oder wenigstens anerkennend zu nicken. Nicht wenige ließen sich sogar zum Kauf hinreißen. Auch ich blieb stehen. Nein - nicht wegen der Strohblumen, das Mädchen war's daß mich mit ihrer auffälligen Schönheit in ihren Bann zog. Als ich diesen gertenschlanken Körper, diese wohlgeformten Glieder und dieses niedliche, leicht stupsnäsige Gesicht betrachtete, kochten seit Langen mal wieder sinnliche Gelüste in mir hoch, und ich begann mich zu erinnern, daß es schon verdammt lange her war, seit ich zum letzten Mal... Na, ja - du weißt schon. Grinse nicht - auch Zwerge haben ein Recht auf ein einigermaßen geregeltes Sexualleben. Ich ließ gerade meine Phantasie wilde Sprünge vollführen, als sich ein junger Mann, dessen hünenhafte Gestalt in der Livree eines gräflichen Bediensteten steckte, dem Stand näherte. Mit selbstverständlicher Leichtigkeit gelang es ihm, die schöne Strohblumenflechterin in eine nette Plauderei zu verstricken. Die sichtbare Bewunderung, mit der ihr Blick auf seinem athletischen Körper ruhte, erinnerte mich schmerzhaft an meine körperliche Abnormität. So begrub ich seufzend meine sinnlichen Träume und beschloß, unauffällig in der Menge unterzutauchen. Just in dem Moment trat ein älterer, ziemlich nachlässig gekleideter und wohl auch ein wenig angetrunkener Mann zu den Beiden. Er legte ungeniert seinen schweren Arm um die zarten Schultern des Mädchen und gab ihr einen widerlich schmatzenden Kuß auf die Wange.
"Nun, mein Herr - da staunen Ihr, was?" hörte ich ihn sagen. "Ja, meine Tochter Christine ist sehr geschickt. Sie vermag Stroh zu purem Gold zu flechten."
Und damit ließ er prahlerisch ein paar kleine Münzen - wahrscheinlich der Verkaufserlös der letzten Stunden - durch seine groben Hände gleiten. Das Mädchen lächelte ein wenig geschmeichelt. Der gräfliche Diener hob erstaunt die Augenbrauen, verabschiedete sich und lief hastig davon.
Am nächsten Markttag kreuzte ich wieder in der Stadt auf. Mein suchender Blick galt sofort eben diesem Mädchen, doch ich fand es nirgends. Als ich einen Einheimischen daraufhin ansprach, musterte der mich erst mal mißtrauisch, ehe er mit dem ausgestreckten Arm zum Schloß wies.
"Eingesperrt hat man das Mädchen. Sie soll für den Grafen aus Stroh Gold flechten."
Ich begriff nicht gleich, erinnerte mich aber an die Worte ihres Vaters und zog weitere Erkundigungen ein. Langsam begann sich das Bild zu runden. Der gräfliche Diener hatte die Prahlerei des Vaters wörtlich genommen und die Nachricht von den ungewöhnlichen Gaben dieser Christine seinem Herren hinterbracht. Du mußt wissen, das Wort "Gold" besaß damals noch wesentlich magischere Anziehungskraft, als heute Dollar oder T-Aktie. Selbst große Herrscher hatten einen Goldtick und sperrten kluge Leute jahrelang ein, in der Hoffnung sie würden aus ein paar Tonklumpen dieses edle Metall gewinnen. Irgendwo habe ich mal aufgeschnappt, daß auf diese Weise das Porzellan erfunden worden wäre. Kann aber auch genauso ein Lügenmärchen sein, wie das in dem Buch da.
Während ich mich kopfschüttelnd über so viel Dummheit auf den Heimweg machte und auch das Mädchen ein wenig zu bedauern begann, kam mir plötzlich eine Idee, die schlichtweg zu einer fixen wurde und mich einfach nicht mehr loslassen wollte. In meiner Höhle angekommen, steckte ich ein paar kleine Goldstücken in die Tasche und machte mich bei einbrechender Dunkelheit auf den Weg zum Schloß. Ich hatte erfahren, welches Fenster zu dem Zimmer gehörte, in dem der Graf das Mädchen gefangen hielt. Es lag zwar im dritten Stock, aber das störte mich nicht. Ich klettere besser als jede Katze. Die reichlich ausgewaschenen Fugen des heruntergekommenen Gemäuers vermochte ich wie eine Leiter zu benutzen. Es war eine mondlose Nacht, und so konnte ich unbemerkt bis zum glücklicherweise unvergitterten Fenster vordringen. Da dies obendrein nur leicht angelehnt war, gelang es mir, nahezu geräuschlos in das Gemach einzudringen.
Das schöne Mädchen saß beim Schein einer blakenden Ölfunzel auf einem wackligen Holzstuhl, um sich eine Schütte Stroh gebreitet und war so sehr damit beschäftigt, sich die Augen aus dem Kopf zu heulen, daß sie mich erst bemerkte, als ich ihr sacht auf die Schultern tippte.
Entsetzt ließ sie den Rockzipfel fahren, in den sie sich gerade lautstark geschneuzt hatte, schaute mich entgeistert an, und ich mußte sie sogar festhalten, damit sie nicht vom Stuhl kippte.
"Wer bist Du?" fragte sie schließlich vor Angst fast schon hechelnd.
"Namen sind Schall und Rauch", sagte ich weise und begann vorsichtig ihr Knie zu streicheln. Sofort prallte sie zurück, und segelte nun wirklich vom Stuhl. Nie werde ich ihre furchtsam aufgerissenen Augen vergessen, als sie schrie: "Was willst Du von mir? Du...Du...Du alter häßlicher Zwerg!"
Also den Zwerg hätte ich ja noch durchgehen lassen, aber alt und häßlich? Du sollst nicht feixen - das ist immerhin ein paar hundert Jahre her! Damals war ich ein ausgesprochen schöner Zwerg. Verdammt, wo war ich stehen geblieben? Ach ja. Ich muß gestehen - ich war ein wenig wütend und fand sie mit ihrer verheult verschreckten Fratze auch gar nicht mehr so wahnsinnig anziehend. Vielleicht wurde sie es aber wieder, wenn sie sich auszog?
Da es mir greulich um die Lenden herum kribbelte, unterdrückte ich meinen berechtigten Ärger und sprach salbungsvoll "Ich bin hier, um dir zu helfen, mein Kind."
Schon ließ ich mich neben sie ins raschelnde Stroh gleiten.
"Ich weiß, daß Du aus diesen Strohhalmen hier Gold zusammenbasteln sollst. Der Graf muß reichlich bescheuert sein, wenn er so etwas für bare Münze nimmt."
"Er ist aber nicht davon abzubringen. Er hat sogar gedroht, mich töten zu lassen, wenn es mir nicht gelingt."
"Oh, was für ein arger Tyrann, aber Tyrannen wollen beschissen werden.
"Und wie?"
"Der Graf will nur Gold sehen, egal woher es kommt. Und ich werde es dir beschaffen. Nicht zu viel, denn wir wollen ja den Erlauchten nicht übermäßig verwöhnen."
"Was hast Du vor?" Sie schaute mich mit einer Mischung aus Mißtrauen, Zweifel und allmählich durchschimmernder Hoffnung an. In ihrer Angst würde sich an jeden Strohalm klammern.
"Nun, ich vermag ein wenig zu zaubern."
"Du kannst Gold herbei zaubern?" Sie hatte sich aufgesetzt, die Knie dicht ans Kinn gezogen und musterte mich nun mißtrauisch von oben herab. Ich genoß einen Moment lang den Anblick ihrer hübsch geformten Waden und riskierte sogar einen Blick auf die verführerisch weißen Schenkel, auf die das zuckende Öllicht verheißungsvoll tanzende Schatten warf. Meine Stimme muß wohl ziemlich belegt geklungen haben, als ich ihr sagte, daß ich das sehr wohl könne. Sie müsse mir dabei nur ein wenig zur Hand gehen.
Ich sprach's und öffnete meine ohnehin schon reichlich eng gewordene Hose, was ihr einen kleinen spitzen Aufschrei entlockte.
"Was ist das? Etwa ein Zauberstab?"
Oh, welch Glück widerfuhr mir hier. Das Mädchen schien noch einfältiger, als ich es im Stillen erhofft hatte.
"Das ist mein Rubbel-Stielchen", sagte ich ernsthaft und nicht ganz ohne Stolz, denn im Gegensatz zu meinen sonstigen Körperproportionen vermochte sich mein Zauberstab durchaus mit denen von normal gebauten Männern zu messen.
"Rubbel-Stielchen? Davon habe ich noch nie etwas gehört", staunte sie und schaute mit neugieriger Skepsis auf die Zierde meiner Zwergigkeit.
Und nun begann ich mit einer recht langatmigen Erläuterung darüber, woher diese Bezeichnung stamme und wie man das Stielchen benutze. Ich vergaß auch nicht, vorsorglich darauf hinzuweisen, daß man die Rubbelei auf keinen Fall allzu wörtlich nehmen dürfe und sehr viel Einfühlungsvermögen geboten sei.
Christine begriff viel schneller, als ich zu erklären vermochte. Ihr weiblicher Instinkt sagte ihr mehr, als meine blumigen Worte. Und sie erwies sich wirklich als äußerst einfühlsam. Als ich nach geraumer Zeit ihres lustspendenden Tuns schließlich mit verdrehten Augen genießerisch japsend beim Uiih, Ooohhh und Aaaahhh angekommen war, besaß ich gerade noch soviel Geistesgegenwart, ihr eines meiner Goldstücke in die feucht gewordenen Hände zu schmuggeln. Sie betrachtete es mit kindlichem Erstaunen und meinte schließlich, daß sie sich das Ganze wahrlich nicht so leicht vorgestellt habe.
"Vor allem, wie schnell das ging!"
"Tja - wenn das Stielchen sehr lange nicht mehr benutzt wurde, dann geht es besonders rasch."
Eine Weile sann sie vor sich hin, drehte das Gold hin und her und äußerte schließlich Zweifel, ob den Herrn Grafen dieses kleine Stückchen auch zufrieden stellen würde. Ich wackelte ebenfalls bedenklich mit dem Kopf und meinte, ein wenig mehr müsse es wohl sicherlich noch sein.
"Funktioniert er denn noch?" fragte sie mit einem scheelen Seitenblick auf das trostlos in sich verkrochene Etwas, das wahrlich keine Ähnlichkeit mit einem Stab mehr besaß.
"Du vermagst dem Rubbel-Stielchen seine Zauberkraft wieder zurück zu geben. Du mußt nur kräftig..."
Aber da war sie auch schon zu Gange. Christine mühte sich nach Kräften und schien richtig begeistert, als sie spürte, daß die Zauberkraft tatsächlich zurück zu kehren schien. Ihre Bemühungen wurden nach und nach ungeduldiger, energischer und schließlich schmerzhaft fordernd.
"Du hast gelogen", sagte sie schließlich ganz außer Atem und rieb sich das schmerzende Handgelenk.
"Nein, ihm ist nur kalt", erklärte ich und wollte gerade zu weiteren Erläuterungen ausholen, als sie mir ins Wort fallend vorschlug, doch einfach die Ölfunzel drunter zu halten.
"Neiiin!" schrie ich entsetzt, und endlich gelang es mir - ich gebe zu, es geschah ziemlich umständlich - ihr klar zu machen, an welche sensibler Stelle ihres Körpers die Wärmeübertragung unbedingt stattfinden müsse, wenn sie den gewünschten Erfolg haben solle. Es kostete mich schon einige Mühe, ihr Mißtrauen zu zerstreuen, um schließlich zur Tat schreiten zu dürfen. Als sie den kleinen Schmerz spürte, den ich ihr ganz einfach zufügen mußte, zuckte sie merklich zurück, und ich hatte schon Angst, sie würde in Wehgeschrei ausbrechen, welches unter Umständen sogar die Dienerschaft im Schloß aufgeweckt hätte. Doch meine Sorge erwies sich als unbegründet, vom kleinen Aufschrei bis zu einem wohligen Seufzer war es nur ein winziger Moment und dann...

****************************************************

Hier brach der Alte ab, und Maik sah, wie er mit verklärt glasigen Augen einen imaginären Punkt im Raum anstarrte.
"Es war wahrlich traumhaft schön", sagte er nach einer Weile. Allmählich gelang es ihm, auch seinen Blick wieder zurück zu holen. und auf Maik zu heften.
"Aber was schwärme ich dir hier vor. Du weißt sicherlich viel besser als ich, wie beglückend es mit einer schönen Frau sein kann. Uns Zwergen ist das leider nur sehr selten vergönnt."
Seine Mundwinkel hingen einen Moment lang traurig herab, aber dann verzog sich sein Gesicht zu einem heiteren Grinsen. "Dafür leben wir länger."
"Und wie ging es dann weiter?" fragte Maik. "War der Graf mit dem Gold zufrieden?"
"Natürlich nicht. Solche goldgeile Kreaturen können nie genug bekommen. Christine flocht auf meinen Rat hin einige hübsche Strohblumen, die sie mit den Goldstücken verzierte. Der Graf war zwar entzückt, ließ sich aber von ihrem Betteln, sie doch bitte nach Hause zu lassen, nicht im geringsten erweichen. Sie blieb weiter eingesperrt, wurde nur mit mehr Aufmerksamkeit behandelt. Sogar ein vortrefflich weiches Federbett stellte man in ihr Zimmer. Was für aufregende Nächte durfte ich dort mit ihr verbringen! Ich hätte es sicherlich noch lange so ausgehalten, aber allmählich schmolz mein hart erschufteter Goldvorrat spürbar zusammen. Außerdem wollte ich nicht einsehen, daß ich große Teile meines Schatzes diesem gräflichen Nimmersatt in den Rachen werfen sollte. Ich grübelte lange, und eines nachts, es war das elfte Mal, daß ich Christine besuchte, kam mir eine Idee.
"Weißt Du Christine, ich muß dir etwas gestehen. Der Zauberstab kann nur zwölfmal hintereinander Gold bescheren. Ab dem dreizehnten Mal funktioniert es zwar immer noch, aber das Gold bringt dann seinem Besitzer sehr großes Unglück. Nicht mal sein Tod läßt sich ausschließen. Übermittle das dem Grafen. Vielleicht läßt er es nicht darauf ankommen und schickt dich wieder nach Hause.
"Und wenn nicht?"
"Dann wird ihn tatsächlich ein Unglück ereilen, das dir die Freiheit beschert", sagte ich, besaß aber keinen Schimmer, wie das funktionieren sollte. Doch mir würde schon etwas einfallen. Im Moment vertraute ich einfach auf die Dummheit des Grafen. Und ich besaß Glück. Zwar war der vornehme Herr stocksauer, aber er wollte wohl kein unkalkulierbares Risiko eingehen. Mit meinem Gold war es ihm bereits gelungen, seinen maroden Haushalt zu sanieren. Der Rest würde wohl noch für etliche rauschende Feste reichen. Also entließ er Christine schweren Herzens, befahl jedoch einem Diener, das Mädchen auf Schritt und Tritt zu beobachten. Zufällig - oder absichtlich - wählte er den gleichen Knaben, der ihm schon die Nachricht von Christines angeblichen Künsten überbracht hatte. Sie kehrte glücklich ins Vaterhaus zurück und nahm ihr gewohntes Leben wieder auf. Stroh flocht sie allerdings nicht mehr.
 

Ole

Mitglied
Hallo Ralph,

einfach grandios, Deine Erzählung.
Du hast ja gestern selbst erleben dürfen, wie gut diese ankommt, und wieviel Spaß der erste Teil dem Zuhörer bereitet. (für die Anderen zur Erklärung: Ralph las nur den ersten Teil vor)
Der zweite Teil ist, wenn auch nicht mehr mit so vielen "Lachern" besetzt, ebenso lesenswert. Und das Ende öffnet dem geneigten Leser endlich die Augen. Bin ja nun richtig neugierig geworden, wie die anderen Grimmschen Märchen im Zusammenhang mit dieser Erzählung stehen.
Stoff für einen ganzen Roman: "Ronnys Enthüllungen über die von Grimm erzählten "Märchen"" *lach* das Buch muß ich mir kaufen !!!!!
sehr erfreute Grüße von
Ole.
 
W

willow

Gast
Hallo Ralph,

ja, die Idee, die Ole ansprach, nämlich die Neuinterpretation von Grimms Märchen, drängte sich mir nach dem Lesen auch sofort auf... vielleicht mal die Erzählung von Hänsel und Gretel aus Sicht der Hexe ("Jo, mei... wenn´s doch so lecker san, die Kinder... do kann i net widerstehn!")

Deine Geschichte hat einen wunderbaren Aufbau... lustig aber auch ein wenig traurig, wenn man den armen Zwerg betrachtet. Das Ende finde ich klasse, die Idee, die Märchen zu verknüpfen, hatte mich echt überrascht.

Ich habe mit Vergnügen gelesen und warte einfach mal, was dir zum Thema Märchen noch so einfallen mag...

Ganz liebe Grüße,

willow
 
Lieber Ralph,
ich bin hin und weg. Normalerweise lese ich keine längeren Texte am PC, aber diesmal gab es kein Aufhören mehr. Sagenhaft, was du da hingezaubert hast. Ist mit Abstand die beste Geschichte, die ich in der LL gefunden habe. Klar gegliedert und echt gekonnt formuliert.
Da kann man nur noch von ganzem Herzen gratulieren.
Es grüßt dich herzlich
Willi
 

Breimann

Mitglied
Tief beeindruckt

Lieber Ralph,
du hast bemerkt, dass ich nur noch selten poste. Aber heute musste es sein. Ich bedaure so sehr, dass ich in Berlin nicht dabei sein konnte. Die Einladung kam ja so spät, dass es mir unmöglich war, noch etwas zu realisieren (du weißt von meinen Problemen).
Als ich jetzt las, dass du dort dieses "Märchen" geleen hast, war ich noch betrübter. Und so musste ich mich mit der PC-Version begnügen.
Aber das war ein Vergnügen . und es macht Freude, den Text noch einmal zu lesen. Einfach genial geschrieben, der Aufbau ist wunderbar, deine Wortwahl spricht mich an. Es gibt nicht einen einzigen Anlass zur Kritik.
eduard
 

Ralph Ronneberger

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo liebe Kommentatorengemeinde,

ich weiß, ich bin wieder mal spät dran, aber hoffentlich nicht zu spät, um euch für eure netten Lobesworte herzlich zu danken.

@ Ole
Mit dem "Umschreiben" von Märchen haben sich schon echte Profis befaßt. Ich denke da nur an Jochen Petersdorf, der dann immer zwischen Frühstück und Gänsebraten seine modernen Versionen vorstellte. Leider wird aus einem Ronny'schen Märchenbuch wohl nichts werden. Im vorliegenden Falle war es das Wortspiel "Rumpelstilzchen zu Rubbel-Stielchen", das mir die Idee lieferte. Aber ganz bin ich noch nicht weg von der Thematik und brüte zur Zeit über einen passenden Einstieg für "Rapunzel" (siehe Fingerübungen). Mal sehen, ob ich durchhalte

@ willow

("Jo, mei... wenn´s doch so lecker san, die Kinder... do kann i net widerstehn!")

Mensch, willow, dieser Satz ist doch fast schon die halbe Miete! Also, das Märchen von Hänsel und Gretel wirst Du uns auf deine Art erzählen. Wenn ich an deinen herzerfrischenden Schreibstil denke, kriege ich jetzt schon das breite Grinsen. Haste Lust? Ich (und mit Sicherheit ne Menge anderer Lupianer) würden sich freuen.


@ Willi

Vielen Dank auch für dein fast schon verlegen machendes Lob. Da bin ich ja richtig stolz, dich mal zum Lesen eines längeren Textes animiert zu haben. Glaub mir, es gibt nicht wenige davon hier auf der Lupe. Ich lese sie häufig, aber es braucht viel Zeit. Vielleicht ist das mit ein Grund, warum ich viel zu selten dazu komme, auf alle Geschichten, die mir gefallen (wobei ich deine auf alle Fälle und nach wie vor hinzu rechne) mit Kommentaren zu reagieren. Ich würde mich auch ganz gern in der Schreibwerkstatt ein wenig mehr herum treiben, aber da muß man auch stets dran bleiben können. Vielleicht kommen wieder bessere Mehrzeit-Zeiten. Zumindest habe ich die Hoffnung noch nicht aufgegeben und freue mich drauf.


@ Eduard,
herzlichen Dank auch dir. Als ein ebenfalls eher zu längeren Texten neigender "Leidensgenosse" kannst Du dir sicherlich vorstellen, welche Freunde eure Reaktionen auf die Geschichte in mir ausgelöst haben. Das spornt an.


Für heute seid alle ganz herzlich gegrüßt
Von Ralph
 

majissa

Mitglied
lieber ralph,

deine umgestaltung von rumpelstielzchen hat mir gut gefallen und nicht nur die verknüpfung zu schneewittchen am ende läßt auf eine wirklich große fantasie schließen.

einige kleinigkeiten sind mir aufgefallen, die meiner meinung nach nicht zum märchenhaften erzählstil passen.

feilst du noch an der geschichte rum oder lässt du sie so, wie sie jetzt ist?

lieben gruß
majissa
 

Ralph Ronneberger

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo majissa

ich bedanke mich für deinen netten Kommentar. Ich glaube, eine Geschichte wird nie so richtig fertig. Wenn Du mir eventuell ein paar von den "Kleinigkeiten" verrätst, die nicht zum Erzählstil passen, dann werde ich gern auch wieder die Feile schwingen. So ganz glücklich macht mich der Text eh noch nicht. (Vor allem ab zweiter Hälfte)

Lieben Gruß
Ralph
 

majissa

Mitglied
kleinste kleinigkeiten

hallo ralph,

was den 2. teil deiner geschichte angeht, so beschlich mich das gefühl, daß du unbedingt fertig werden wolltest.

nun komme ich zu den kleinigkeiten:

"...turnte über massenhaft herumliegendes Totholz..."

mich stören die begriffe "turnen" und "massenhaft", wobei "turnen" nicht in ein märchen passt und "massenhaft" zu abgegriffen klingt.

"...schon reichlich eng gewordene hose..."
gibt es keine etwas märchenhaftere alternative? :)

der name "claudia" (belehr' mich eines besseren) scheint mir zu modern.

du erwähnst "das (neutrum) männchen" fährst aber mit "er" fort. gleiches wiederfährt dir mit "das (neutrum) mädchen" und der weiteren verwendung von "sie" anstatt "es".

auch auf die gefahr hin, zu pedantisch gewirkt zu haben...

grüßt ganz herzlich

majissa
 

Ralph Ronneberger

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo majissa,

erst mal vielen Dank für deinen mit kokreten Hinweisen versehenen "Nachschlag". Ich empfand deine Hinweise in keiner Weise als pedantisch. Hier meine Meinung dazu:

"...was den 2. teil deiner geschichte angeht, so beschlich mich das gefühl, daß du unbedingt fertig werden wolltest."

Oh, hier hast Du mich voll erwischt! Es stimmt - ich habe den zweiten Teil in einer Nacht zusammengedroschen. Ich habe den Text zwar dreimal überarbeitet, war jedoch nie zufrieden dabei. Die Urfassung ist noch um einiges länger. Hier agiert vor allem der gräfliche Aufpasser. Als ich das raus nahm, entstand ein Loch, das ich nicht etwa sorgfältig stopfte, sondern nur eilig mit zu heißer Nadel zusammenzog. Ich bin am Überlegen, ob ich den zweiten Teil, der wohl auch einen Stilbruch zum ersten Teil darstellt, nicht völlig neu schreibe.

"mich stören die begriffe "turnen" und "massenhaft", wobei "turnen" nicht in ein märchen passt und "massenhaft" zu abgegriffen klingt."

O.K - mit dem "massenhaft bin ich einverstanden. Ich glaube, dem Text fehlt nichts, wenn ich es einfach streiche. Klar, man kann auch "turnen" ersetzen, aber wenn es nur für "wenig märchenhaft" steht, dann könnte man es auch lassen, denn ich weiß nicht, ob der Text insgesamt überhaupt noch etwas von einem Märchen an sich hat. Zumindest habe ich dieses Ziel nicht bewußt verfolgt.

Die zu eng gewordene Hose hat auch mact schon kritisiert. Er meinte, da sich der Zwerg nur wenig später wesentlich gewählter ausdrückt, darin einen Widerspruch zu sehen. Da muß ich ihm und dir Recht geben und denke, es wird sich eine Alternative finden lassen.

"der name "claudia" (belehr' mich eines besseren) scheint mir zu modern."...........Hmmm - stimmt!

"du erwähnst "das (neutrum) männchen" fährst aber mit "er" fort. gleiches wiederfährt dir mit "das (neutrum) mädchen" und der weiteren verwendung von "sie" anstatt "es".
Peinlich, peinlich. :)) Ich hoffe, Du akzeptierst es, wenn ich von vermeidbaren Flüchtigkeitsfehlern spreche.


Nochmals vielen Dank für deine "Analyse". So macht das Dasein auf der Lupe wirklich Spaß.

Herzliche Grüße
Ralph
 

majissa

Mitglied
hallo ralph,

freut mich, daß du dich mit meiner kleinen "kritik" auseinandergesetzt hast.

als neues mitglied der leselupe bedeutet es überwindung, die vorangegangene kommentarreihe voller "lobpreisungen" mit liebevoller nörgelei zu durchbrechen :)
aber wenn du schreibst, daß das leben in der leselupe dadurch lebenswerter wird, werde ich auch in zukunft nicht zögern, konstruktive kritik zu üben.

nun, die sache mit dem vergessenen neutrum habe ich von anfang an als flüchtigkeitsfehler betrachtet...;-)

deine version des rumpelstielzchen hat durchaus märchenhaften charakter. und nur deshalb sind mir auch die kleinen störfaktoren aufgefallen, die den märchenhaften erzählstil durchbrechen.

bin schon gespannt, was du zu "vanity" sagst.

liebe grüße
majissa
 
B

Bruno Bansen

Gast
Hi Ralph! Nachdem ich angelesen hatte ca. viertelvorzwei pm, erschien hier unten bei mir im Büro eine Gestalt im weißen Flattergewand, welches sich als Nachthemd entpuppte dessen Inneres von meinem Eheweibe Meike ausgefüllt war. Ich sagte zu ihr, ich müsse ihr unbedingt etwas vorlesen, was sie mit den Worten "du hast ja eine Meise, würdest du bitte freundlicherweise mal auf die Uhr kucken" und so weiter . Also habe ich mich auf unser Gästeklo verzogen, da diess weit unten ist, wohingegen die Schlafzimmer weiter oben, getrennt durch 1 mittleres Geschoss und habe mich da, bei geschlossener Tür mit Deinen Papieren, und nach Lektüre dieser, mit noch weiteren beschäftigt, wobei letztere hier nicht relevant sind, die kannste vergessen.

Welche man allerdings nicht vergessen sollte, sind die 15 ausgedruckten Seiten, die allerfeinst beschrieben sind und die genau so auf mich wirken, wie das, was Eduard - sei gegrüßt! Willy und die anderen Herren und Damen schon vor mir gesagt haben.

Allerdings höre ich jetzt von ganz oben (also nicht in Zeus'schen Höhen, ne Ebene drunter isses schon) wiederum mein Weib und der Tonfall wirkt gereizt, finde ich.

Also, lieber Ralf, werde ich Dich jetzt nur noch schnell mal grüßen und den Hauptteil dessen, was ich Dir eigentlich jetzt sagen wollte, morgenfrüh nee, heute schreiben. Nur soviel: Mein Märchenbuch ist ja auch schon recht weit fortgeschritten (Titel: Skandal im Knusperhaus) und einige Märchen stehen ja auch hier in der Lupe, z.b. Tischlein deck dich, Die sieben Zwerge, des Kaisers neue Kleider vor allem auch der gestiefelte Kater - nee, das gestiefelte Kätzchen und, nicht zu vergessen, Pamela Andersen- verkehert, muß Rapunzel heißen) und wird wohl in Leipzig zum ersten Mal frei gelassen, wo wir beide dann ganz bestimmt auch nicht nur klönen, sondern möglicherweise, wenn ich dran denke, wenigstens 'n Kaffee trinken könnten! Und üprinx: Mein Wetterfrosch im Spreewälder Gurkenglas steht zur Zeit in Humor, Satire, Ironie und das Froschvieh beklagt sich immer wieder und noch, über die konkave Wölbung in selbigem, sodaß er keinerlei Durch- und Übersicht in Sachen TV hat, weil das logischerweise alles verzerrt!

Erstmal viele Grüße und Kritik kommt morgen!
...und nächtliche Grüße an Eduard!

Bruno
 

Ralph Ronneberger

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ich faß es nich

Also Bruno,

ich war ja echt platt, als ich gestern meine Mailbox durchforstete und unter "Erzählungen" eine Antwort von dir signalisiert bekomme. Bruno auf literarischen Abwegen (bis hin zum Gästklo) und dabei in ständiger Gefahr, den Hausfrieden zu gefährden. Wirklich - dein Kommentar war fast so vergnüglich wie deine Gedichte. Hab vielen Dank. Das war eine echte und obendrein äußerst angenehme Überaschung.
Ich habe hier schon mehrere Erzählungen und Kurzgeschichten stehen. Das ist es, wo hinein ich meine meiste (schreibende) Zeit investiere. Das Verseschmieden ist eher eine, wenn auch ernst genommene, Nebenbeschäftigung. Meist fehlen auch die zündenden Einfälle. Aber ein richtiger Profi-Schriftsteller sagte mir vor wenigen Tagen, ich solle öfter mal dichten. Er hat mir sogar angeboten, gemeinsam mit ihm ne Lesung zu machen. Na, ich laß es langsam angehen. Was lange währt......wird vielleicht auch mal ein Buch. Na, bis zur nächsten Leipziger Buchmesse wird da noch nichts draus, aber ich werde als Besucher da sein. Ich würde mich freuen, dem nicht nur körperlich großen Bruno wieder die Hand schütteln zu dürfen und bei einem "Schälchen Hees'n" ein wenig zu plaudern.

Apropos plaudern. Mein Beitrag hier grenzt tatsächlich an Plauderei, und das mögen die gestrengen Moderatoren gar nicht so recht. Also mache ich Schluß, bedanke mich noch einmal recht artig und sage Tschüs für heute
Ralph
 

Ralph Ronneberger

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ürsprünglich nur als eine mact-Fingerübung gedacht (wir sollten das Märchen vom Rumpelstielzchen aus der Sicht des auch so bösen Zwerges neu erzählen) entstand diese ein ganz klein wenig vom Original abweichende Geschichte, die ich ihrer Länge wegen hier bei "Erzählungen" rein stelle. Ich hoffe, es gibt ein paar Leute, die sich durchbeißen. Nur Mut - es ist leichte Kost :))



Rubbel-Stielchen

Mitten im Wald, dort wo er wohl am dichtesten ist und wo die Wege zu dürftigen Trampelpfaden verkümmern- spätestens dort wird der einsame Wanderer von einem Schild aufgehalten, das ihn zur Umkehr auffordert.

T O T A L R E S E R V A T
Betreten verboten!

So steht es in großen schwarzen Lettern auf lindgrünem Grund.
Der junge Mann, der an einem herrlich warmen Sommernachmittag an diese Stelle kam, scherte sich nicht um dieses Verbot, sondern schritt zügig weiter. Er folgte kaum erkennbaren Pfaden, turnte über massenhaft herumliegendes Totholz, sprang geschickt über unzählige Wurzeln und gelangte so schließlich an einen wild dahin gurgelnden Bach. Er folgte dem stark mäandrierenden Bett, bis er schließlich zu einem reichlich mannshohen Wasserfall kam. Rasch entledigte er sich seiner Schuhe und Strümpfe und watete schließlich direkt auf die in breiter Front herab stürzenden Wassermassen zu. Ein winziges Zögern, dann ein entschlossener Schritt, begleitet von einem "Scheiße, iss das kalt!", dann war er bereits durch den Schleier aus Wasser und Gischt hindurch. Und siehe da. Im Felsen fand sich eine, hinter dem breiten Wasserstrahl verdeckte Öffnung, die sich als Eingang zu einer niedrigen Höhle entpuppte. Eigentlich handelte es sich mehr um einen engen, leicht aufwärts führenden Gang.
Gebückt ging der Mann einige Schritte weiter, ehe er halblaut "Hallo!" rief und für einen Moment horchend verharrte.
"Ja, ich bin zu Hause", kam es arg krächzend zurück.
Der Mann setzte seinen Weg fort und gelangte nach wenigen Metern in eine zwar niedrige, aber durchaus geräumige Höhle. Durch zwei schmale Felsspalten fiel etwas Licht in den Raum und malte helle Kringel auf die Platte eines klobigen Tisches, um den drei aus Weidengeflecht gefertigte Sessel gruppiert waren. Auf einem dieser rustikalen Sitzmöbel saß ein kleines schrumpeliges Männchen, das jetzt den Kopf hob, seine leicht ausgefranste Jacke zurecht zupfte und dem Eintretenden freundlich entgegen blinzelte. Ächzend schob er sich von seinem Sitz.
"Hallo Maik. Schön, daß Du gekommen bist. Hast Du das Buch dabei?"
Der Angesprochene nickte und ging auf den Hausherren zu, um ihm die Hand zu schütteln. Er mußte sich sogar ein wenig bücken, denn das alte Männchen reichte ihm gerade mal bis zum Bauchnabel.
"Nimm Platz. Darf ich dir einen Tee anbieten?"
"Ja gern", sagte Maik höflich. Der Alte huschte davon und verschwand hinter einem Vorhang aus dickem Filz. Maik war nicht zum ersten Mal hier und besaß daher keinen Blick für die verschiedenfarbigen Felle, die den der Fußboden bedeckten und die Wände verzierten. Er blätterte vielmehr in dem mitgebrachten Buch, suchte eine bestimmte Stelle und ließ es dann aufgeschlagen liegen.
Der Alte kam mit einem zerbeulten Teekessel zurück und goß die bereit stehenden Tassen randvoll.
"So. Dann wollen wir mal. Ist es das?" Damit zog er das dicke Buch an sich und machte es sich wieder auf dem Sessel bequem.
"Zumindest handelt die Geschichte von einem einsamen Zwerg", sagte Maik und wagte ein heimliches Grinsen. "Aber lies selbst."
"Rum...pel...stilz...chen", buchstabierte der Alte. Dann vertiefte er sich in den Text. Schon bald fing er an, heftig mit dem Kopf zu wackeln. "Von wegen Müllerstochter", grunzte er verächtlich. "Ihr Vater war weiter nichts als ein versoffener Knecht."
Er schien immer erregter zu werden, denn die giftig genuschelten Kommentare rissen nicht mehr ab. Mit jedem Satz, den er las, schwollen seine Stirnadern gefährlicher an. Schließlich ließ er das Buch mit einem lauten Knall zuschlagen.
"Das ist eine bodenlose Frechheit", schnappte er aufgebracht. "Aber so ist das eben in unseren Gefilden. Jeder, der sich von der Normalität unterscheidet, der anders denkt oder auch nur anders aussieht, der wird diskriminiert und verteufelt. Welcher Schmierfink hat dieses Machwerk verfaßt?" Er schielte auf den Einband. "Gebrüder Grimm", las er laut. "Noch nie gehört, aber wenn ich diesen Brüdern einmal begegnen sollte, dann werde i c h grimmig."
"Sie sind längst tot", warf Maik ein und erntete ein: "Da haben die aber wirklich großes Glück."
Das zornige Männlein sprang auf, verschränkte die Arme hinter dem krummgezogenen Rücken und stürmte, wütend vor sich hin brabbelnd, im Raum auf und ab. Plötzlich blieb er vor Maik stehen, linste ihn von unten herauf an und fragte: "Soll ich dir erzählen, wie es sich wirklich zugetragen hat?"
Maik nickte eifrig. Der schnurrig poltrige Zwerg gefiel ihm, und sein mit einem mal so listiges Blinzeln verriet, daß es eine vergnügliche Geschichte werden würde.

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"Weißt Du, mein Junge", begann er. "ich war nicht immer ein kränklich krächzender und vom Rheuma verbogener Greis. Oh, nein - obwohl klein von Wuchs, so fühlte ich mich doch als ein recht kerniger Bursche. Ich war damals in die Gegend von... ach, das sagt dir ja doch nichts... gezogen, hatte die von meinem seligen Vater vermachten und durch mich nicht unwesentlich vermehrten Schätze in eine Komforthöhle geschleppt und damit begonnen, die nähere Umgebung ein wenig zu beschnuppern. Ganz in der Nähe meiner neuen Wohnhöhle lag eine kleine Stadt, in der auch der gnädige Landesvater sein bescheidenes Schloß hatte. In dem Buch ist natürlich von einem König die Rede. Typischer Fall von maßloser Übertreibung. Ein kleiner Graf war's, der über ein Ländchen gebot, das selbst ich mit meinen kurzen Beinen in knapp zwei Stunden zu durchqueren vermocht hätte.
Es war an einem der ersten warmen Frühlingstage, als ich mich ein wenig in diesem Kaff umzuschauen begann. Da gerade Markt abgehalten wurde, konnte ich im allgemeinen Gewühl nahezu untertauchen. Irgendwann fiel mein Blick auf einen Verkaufsstand, wo ein junges Mädchen vom Lande ihre selbst gebastelten Strohblumen feil bot. Hin und wieder blieben einige Leute stehen, um sich die kleinen Kunstwerke anzuschauen, sie zu befühlen, oder wenigstens anerkennend zu nicken. Nicht wenige ließen sich sogar zum Kauf hinreißen. Auch ich blieb stehen. Nein - nicht wegen der Strohblumen, das Mädchen war's daß mich mit ihrer auffälligen Schönheit in ihren Bann zog. Als ich diesen gertenschlanken Körper, diese wohlgeformten Glieder und dieses niedliche, leicht stupsnäsige Gesicht betrachtete, kochten seit Langen mal wieder sinnliche Gelüste in mir hoch, und ich begann mich zu erinnern, daß es schon verdammt lange her war, seit ich zum letzten Mal... Na, ja - du weißt schon. Grinse nicht - auch Zwerge haben ein Recht auf ein einigermaßen geregeltes Sexualleben. Ich ließ gerade meine Phantasie wilde Sprünge vollführen, als sich ein junger Mann, dessen hünenhafte Gestalt in der Livree eines gräflichen Bediensteten steckte, dem Stand näherte. Mit selbstverständlicher Leichtigkeit gelang es ihm, die schöne Strohblumenflechterin in eine nette Plauderei zu verstricken. Die sichtbare Bewunderung, mit der ihr Blick auf seinem athletischen Körper ruhte, erinnerte mich schmerzhaft an meine körperliche Abnormität. So begrub ich seufzend meine sinnlichen Träume und beschloß, unauffällig in der Menge unterzutauchen. Just in dem Moment trat ein älterer, ziemlich nachlässig gekleideter und wohl auch ein wenig angetrunkener Mann zu den Beiden. Er legte ungeniert seinen schweren Arm um die zarten Schultern des Mädchen und gab ihr einen widerlich schmatzenden Kuß auf die Wange.
"Nun, mein Herr - da staunen Ihr, was?" hörte ich ihn sagen. "Ja, meine Tochter Christine ist sehr geschickt. Sie vermag Stroh zu purem Gold zu flechten."
Und damit ließ er prahlerisch ein paar kleine Münzen - wahrscheinlich der Verkaufserlös der letzten Stunden - durch seine groben Hände gleiten. Das Mädchen lächelte ein wenig geschmeichelt. Der gräfliche Diener hob erstaunt die Augenbrauen, verabschiedete sich und lief hastig davon.
Am nächsten Markttag kreuzte ich wieder in der Stadt auf. Mein suchender Blick galt sofort eben diesem Mädchen, doch ich fand es nirgends. Als ich einen Einheimischen daraufhin ansprach, musterte der mich erst mal mißtrauisch, ehe er mit dem ausgestreckten Arm zum Schloß wies.
"Eingesperrt hat man das Mädchen. Sie soll für den Grafen aus Stroh Gold flechten."
Ich begriff nicht gleich, erinnerte mich aber an die Worte ihres Vaters und zog weitere Erkundigungen ein. Langsam begann sich das Bild zu runden. Der gräfliche Diener hatte die Prahlerei des Vaters wörtlich genommen und die Nachricht von den ungewöhnlichen Gaben dieser Christine seinem Herren hinterbracht. Du mußt wissen, das Wort "Gold" besaß damals noch wesentlich magischere Anziehungskraft, als heute Dollar oder T-Aktie. Selbst große Herrscher hatten einen Goldtick und sperrten kluge Leute jahrelang ein, in der Hoffnung sie würden aus ein paar Tonklumpen dieses edle Metall gewinnen. Irgendwo habe ich mal aufgeschnappt, daß auf diese Weise das Porzellan erfunden worden wäre. Kann aber auch genauso ein Lügenmärchen sein, wie das in dem Buch da.
Während ich mich kopfschüttelnd über so viel Dummheit auf den Heimweg machte und auch das Mädchen ein wenig zu bedauern begann, kam mir plötzlich eine Idee, die schlichtweg zu einer fixen wurde und mich einfach nicht mehr loslassen wollte. In meiner Höhle angekommen, steckte ich ein paar kleine Goldstücken in die Tasche und machte mich bei einbrechender Dunkelheit auf den Weg zum Schloß. Ich hatte erfahren, welches Fenster zu dem Zimmer gehörte, in dem der Graf das Mädchen gefangen hielt. Es lag zwar im dritten Stock, aber das störte mich nicht. Ich klettere besser als jede Katze. Die reichlich ausgewaschenen Fugen des heruntergekommenen Gemäuers vermochte ich wie eine Leiter zu benutzen. Es war eine mondlose Nacht, und so konnte ich unbemerkt bis zum glücklicherweise unvergitterten Fenster vordringen. Da dies obendrein nur leicht angelehnt war, gelang es mir, nahezu geräuschlos in das Gemach einzudringen.
Das schöne Mädchen saß beim Schein einer blakenden Ölfunzel auf einem wackligen Holzstuhl, um sich eine Schütte Stroh gebreitet und war so sehr damit beschäftigt, sich die Augen aus dem Kopf zu heulen, daß sie mich erst bemerkte, als ich ihr sacht auf die Schultern tippte.
Entsetzt ließ sie den Rockzipfel fahren, in den sie sich gerade lautstark geschneuzt hatte, schaute mich entgeistert an, und ich mußte sie sogar festhalten, damit sie nicht vom Stuhl kippte.
"Wer bist Du?" fragte sie schließlich vor Angst fast schon hechelnd.
"Namen sind Schall und Rauch", sagte ich weise und begann vorsichtig ihr Knie zu streicheln. Sofort prallte sie zurück, und segelte nun wirklich vom Stuhl. Nie werde ich ihre furchtsam aufgerissenen Augen vergessen, als sie schrie: "Was willst Du von mir? Du...Du...Du alter häßlicher Zwerg!"
Also den Zwerg hätte ich ja noch durchgehen lassen, aber alt und häßlich? Du sollst nicht feixen - das ist immerhin ein paar hundert Jahre her! Damals war ich ein ausgesprochen schöner Zwerg. Verdammt, wo war ich stehen geblieben? Ach ja. Ich muß gestehen - ich war ein wenig wütend und fand sie mit ihrer verheult verschreckten Fratze auch gar nicht mehr so wahnsinnig anziehend. Vielleicht wurde sie es aber wieder, wenn sie sich auszog?
Da es mir greulich um die Lenden herum kribbelte, unterdrückte ich meinen berechtigten Ärger und sprach salbungsvoll "Ich bin hier, um dir zu helfen, mein Kind."
Schon ließ ich mich neben sie ins raschelnde Stroh gleiten.
"Ich weiß, daß Du aus diesen Strohhalmen hier Gold zusammenbasteln sollst. Der Graf muß reichlich bescheuert sein, wenn er so etwas für bare Münze nimmt."
"Er ist aber nicht davon abzubringen. Er hat sogar gedroht, mich töten zu lassen, wenn es mir nicht gelingt."
"Oh, was für ein arger Tyrann, aber Tyrannen wollen beschissen werden.
"Und wie?"
"Der Graf will nur Gold sehen, egal woher es kommt. Und ich werde es dir beschaffen. Nicht zu viel, denn wir wollen ja den Erlauchten nicht übermäßig verwöhnen."
"Was hast Du vor?" Sie schaute mich mit einer Mischung aus Mißtrauen, Zweifel und allmählich durchschimmernder Hoffnung an. In ihrer Angst würde sich an jeden Strohalm klammern.
"Nun, ich vermag ein wenig zu zaubern."
"Du kannst Gold herbei zaubern?" Sie hatte sich aufgesetzt, die Knie dicht ans Kinn gezogen und musterte mich nun mißtrauisch von oben herab. Ich genoß einen Moment lang den Anblick ihrer hübsch geformten Waden und riskierte sogar einen Blick auf die verführerisch weißen Schenkel, auf die das zuckende Öllicht verheißungsvoll tanzende Schatten warf. Meine Stimme muß wohl ziemlich belegt geklungen haben, als ich ihr sagte, daß ich das sehr wohl könne. Sie müsse mir dabei nur ein wenig zur Hand gehen.
Ich sprach's und öffnete meine ohnehin schon reichlich eng gewordene Hose, was ihr einen kleinen spitzen Aufschrei entlockte.
"Was ist das? Etwa ein Zauberstab?"
Oh, welch Glück widerfuhr mir hier. Das Mädchen schien noch einfältiger, als ich es im Stillen erhofft hatte.
"Das ist mein Rubbel-Stielchen", sagte ich ernsthaft und nicht ganz ohne Stolz, denn im Gegensatz zu meinen sonstigen Körperproportionen vermochte sich mein Zauberstab durchaus mit denen von normal gebauten Männern zu messen.
"Rubbel-Stielchen? Davon habe ich noch nie etwas gehört", staunte sie und schaute mit neugieriger Skepsis auf die Zierde meiner Zwergigkeit.
Und nun begann ich mit einer recht langatmigen Erläuterung darüber, woher diese Bezeichnung stamme und wie man das Stielchen benutze. Ich vergaß auch nicht, vorsorglich darauf hinzuweisen, daß man die Rubbelei auf keinen Fall allzu wörtlich nehmen dürfe und sehr viel Einfühlungsvermögen geboten sei.
Christine begriff viel schneller, als ich zu erklären vermochte. Ihr weiblicher Instinkt sagte ihr mehr, als meine blumigen Worte. Und sie erwies sich wirklich als äußerst einfühlsam. Als ich nach geraumer Zeit ihres lustspendenden Tuns schließlich mit verdrehten Augen genießerisch japsend beim Uiih, Ooohhh und Aaaahhh angekommen war, besaß ich gerade noch soviel Geistesgegenwart, ihr eines meiner Goldstücke in die feucht gewordenen Hände zu schmuggeln. Sie betrachtete es mit kindlichem Erstaunen und meinte schließlich, daß sie sich das Ganze wahrlich nicht so leicht vorgestellt habe.
"Vor allem, wie schnell das ging!"
"Tja - wenn das Stielchen sehr lange nicht mehr benutzt wurde, dann geht es besonders rasch."
Eine Weile sann sie vor sich hin, drehte das Gold hin und her und äußerte schließlich Zweifel, ob den Herrn Grafen dieses kleine Stückchen auch zufrieden stellen würde. Ich wackelte ebenfalls bedenklich mit dem Kopf und meinte, ein wenig mehr müsse es wohl sicherlich noch sein.
"Funktioniert er denn noch?" fragte sie mit einem scheelen Seitenblick auf das trostlos in sich verkrochene Etwas, das wahrlich keine Ähnlichkeit mit einem Stab mehr besaß.
"Du vermagst dem Rubbel-Stielchen seine Zauberkraft wieder zurück zu geben. Du mußt nur kräftig..."
Aber da war sie auch schon zu Gange. Christine mühte sich nach Kräften und schien richtig begeistert, als sie spürte, daß die Zauberkraft tatsächlich zurück zu kehren schien. Ihre Bemühungen wurden nach und nach ungeduldiger, energischer und schließlich schmerzhaft fordernd.
"Du hast gelogen", sagte sie schließlich ganz außer Atem und rieb sich das schmerzende Handgelenk.
"Nein, ihm ist nur kalt", erklärte ich und wollte gerade zu weiteren Erläuterungen ausholen, als sie mir ins Wort fallend vorschlug, doch einfach die Ölfunzel drunter zu halten.
"Neiiin!" schrie ich entsetzt, und endlich gelang es mir - ich gebe zu, es geschah ziemlich umständlich - ihr klar zu machen, an welche sensibler Stelle ihres Körpers die Wärmeübertragung unbedingt stattfinden müsse, wenn sie den gewünschten Erfolg haben solle. Es kostete mich schon einige Mühe, ihr Mißtrauen zu zerstreuen, um schließlich zur Tat schreiten zu dürfen. Als sie den kleinen Schmerz spürte, den ich ihr ganz einfach zufügen mußte, zuckte sie merklich zurück, und ich hatte schon Angst, sie würde in Wehgeschrei ausbrechen, welches unter Umständen sogar die Dienerschaft im Schloß aufgeweckt hätte. Doch meine Sorge erwies sich als unbegründet, vom kleinen Aufschrei bis zu einem wohligen Seufzer war es nur ein winziger Moment und dann...

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Hier brach der Alte ab, und Maik sah, wie er mit verklärt glasigen Augen einen imaginären Punkt im Raum anstarrte.
"Es war wahrlich traumhaft schön", sagte er nach einer Weile. Allmählich gelang es ihm, auch seinen Blick wieder zurück zu holen. und auf Maik zu heften.
"Aber was schwärme ich dir hier vor. Du weißt sicherlich viel besser als ich, wie beglückend es mit einer schönen Frau sein kann. Uns Zwergen ist das leider nur sehr selten vergönnt."
Seine Mundwinkel hingen einen Moment lang traurig herab, aber dann verzog sich sein Gesicht zu einem heiteren Grinsen. "Dafür leben wir länger."
"Und wie ging es dann weiter?" fragte Maik. "War der Graf mit dem Gold zufrieden?"
"Natürlich nicht. Solche goldgeile Kreaturen können nie genug bekommen. Christine flocht auf meinen Rat hin einige hübsche Strohblumen, die sie mit den Goldstücken verzierte. Der Graf war zwar entzückt, ließ sich aber von ihrem Betteln, sie doch bitte nach Hause zu lassen, nicht im geringsten erweichen. Sie blieb weiter eingesperrt, wurde nur mit mehr Aufmerksamkeit behandelt. Sogar ein vortrefflich weiches Federbett stellte man in ihr Zimmer. Was für aufregende Nächte durfte ich dort mit ihr verbringen! Ich hätte es sicherlich noch lange so ausgehalten, aber allmählich schmolz mein hart erschufteter Goldvorrat spürbar zusammen. Außerdem wollte ich nicht einsehen, daß ich große Teile meines Schatzes diesem gräflichen Nimmersatt in den Rachen werfen sollte. Ich grübelte lange, und eines nachts, es war das elfte Mal, daß ich Christine besuchte, kam mir eine Idee.
"Weißt Du Christine, ich muß dir etwas gestehen. Der Zauberstab kann nur zwölfmal hintereinander Gold bescheren. Ab dem dreizehnten Mal funktioniert es zwar immer noch, aber das Gold bringt dann seinem Besitzer sehr großes Unglück. Nicht mal sein Tod läßt sich ausschließen. Übermittle das dem Grafen. Vielleicht läßt er es nicht darauf ankommen und schickt dich wieder nach Hause.
"Und wenn nicht?"
"Dann wird ihn tatsächlich ein Unglück ereilen, das dir die Freiheit beschert", sagte ich, besaß aber keinen Schimmer, wie das funktionieren sollte. Doch mir würde schon etwas einfallen. Im Moment vertraute ich einfach auf die Dummheit des Grafen. Und ich besaß Glück. Zwar war der vornehme Herr stocksauer, aber er wollte wohl kein unkalkulierbares Risiko eingehen. Mit meinem Gold war es ihm bereits gelungen, seinen maroden Haushalt zu sanieren. Der Rest würde wohl noch für etliche rauschende Feste reichen. Also entließ er Christine schweren Herzens, befahl jedoch einem Diener, das Mädchen auf Schritt und Tritt zu beobachten. Zufällig - oder absichtlich - wählte er den gleichen Knaben, der ihm schon die Nachricht von Christines angeblichen Künsten überbracht hatte. Sie kehrte glücklich ins Vaterhaus zurück und nahm ihr gewohntes Leben wieder auf. Stroh flocht sie allerdings nicht mehr.

Ich kehrte in meine Höhle zurück und ruhte mal wieder so richtig aus. Ab und an saß ich vor meiner Schatztruhe, um die mir verbliebene Barschaft zu überprüfen. Es war noch genug da, um selbst ein langes Zwergenleben mühelos bestreiten zu können.
‚Warst dem Mädchen gegenüber ganz schön knickrig', gestand ich mir ein. Und während ich so nachdachte, ertappte ich mich immer wieder bei der Fiktion, wie schön es doch wäre, den restlichen Schatz gemeinsam mit Christine zu verprassen.
Immer wieder kreisten meine Gedanken um das Mädchen. Wie mochte es ihr gehen? Dachte sie manchmal auch an mich? Die Erinnerung an die wenigen gemeinsam verbrachten Nächte ließen mich im Nachhinein noch mehr erbeben, als zu der Zeit, wo ich noch abends zu ihr geschlichen war. Es gab da mit einem Mal ein völlig neues Gefühl, das mich klammheimlich beschlich - ein Gefühl, das ich bisher noch nie erfahren hatte. Es ließ mich nur noch unruhig schlafen, blockierte systematisches Denken - machte rastlos. Sollte das Liebe sein? Aus rein sexuellem Verlangen war plötzlich der Wunsch nach ihrer Nähe, ihrer Zärtlichkeit und ihrer Wärme, geworden. Das war es, was die Sehnsucht nach ihr immer stärker werden ließ, bis ich es irgendwann nicht mehr aushielt.

Eines Tages schlich ich zu der erbärmlichen Kate nahe der Mühle, wo Christine und ihr Vater wohnten. Aus einem sicheren Versteck heraus wartete ich auf eine günstige Gelegenheit für eine Begegnung mit ihr. Doch das erwies sich als ungemein schwierig, hatte sie doch jetzt den ganzen Tag ihre Freundinnen um sich. Und selbst wenn dies nicht der Fall war, trieb sich garantiert dieser Adonis in gräflichen Diensten in ihrer Nähe herum. Und nachts? Da wagte ich mich nicht zu ihr. Ihre Kammer besaß nicht annähernd solche dicken Wände, wie das Gemach im Schloß.
Endlich - es mochten schon an die vier Wochen seit unserer letzten Begegnung vergangen sein, da sah ich sie allein nach Hause kommen. Endlich durfte ich ihr sagen, wie es um mich stand.
Ich nahm all meinen Mut zusammen, kroch aus meinem Versteck und baute mich halb freudig, halb verlegen grinsend vor ihr auf. Mein Herzschlag erinnerte mich an das Trommeln von Pferdehufen und die Hände fühlten sich klebrig feucht an. Wohin hatte sich nur mein schnoddriges Selbstbewußtsein mit einem Mal verkrümelt?
"Du?" Sie sah mich entgeistert an und hatte sichtlich Mühe, ihre Überraschung zu verbergen. Unwillkürlich trat sie einen Schritt zurück. Sie hatte sich verändert. Ich vermißte den kindlich naiven Ausdruck in ihren Augen.
"Ja, ich", sagte ich ziemlich einfältig. Mein Grinsen gefror, als ich die totale Abwehr in ihrem Gesicht erkannte.
"Was willst Du noch. Ich glaubte dich längst über alle Berge."
Ich biß mir auf die Lippen. Schon fühlte ich meinen Mut schwinden, und viel zu hastig sagte ich. "Dich will ich Christine, nur dich!" Es mißlang mir wohl gründlich, meinen Worten den beabsichtigten gefühlvollen Klang zu verleihen. Es wirkte vielmehr abgehackt und kratzig.
Sie lachte schrill auf. "Was soll das heißen: Du willst mich? Möchtest mich wohl in deine Höhle schleppen, in dein ungemachtes Bett zerren und mir deinen angeblichen Zauberstab in den Leib rammen. Ist es das?"
Sie kam drohend auf mich zu, und ich ertappte mich dabei, den Kopf leicht einzuziehen. Was war nur in den paar Wochen mit ihr geschehen? Konnte man sich so verändern?
"Aber Christine", wagte ich einen zweiten Anlauf. "Was hast Du denn mit einem Mal? Wir haben uns doch immer wunderbar verstanden. Du und ich. Denk doch nur an die unvergesslichen Nächte im Schloß."
"Erinnere mich nicht daran", zischte sie gefährlich nah an meinem Ohr. "Du hast meine Notlage und meine Naivität schamlos ausgenutzt. Meine Freundinnen haben sich halb tot gelacht, als ich ihnen von der angeblichen Zauberkraft deines Rumpelstieles erzählte. Du hast nur meine Unwissenheit für die Befriedigung deiner Begierde mißbraucht. Gut, deinem Gold verdanke ich meine Freiheit. Aber ich habe es bei dir redlich abgearbeitet. Meine Unschuld hast Du noch als Zugabe bekommen. Reicht das noch nicht?"
Ich sah die Verachtung in ihren Augen und fragte mich, ob sie wirklich mich meinte.
"Aber ich liebe dich doch Christine." stotterte ich, und erntete nur höhnisches Gelächter.
"Weißt Du eigentlich, was das ist - Liebe? Denk mal darüber nach, aber laß mich damit in Ruhe. Und noch etwas. Wage es nicht noch einmal, mir irgendwo aufzulauern. Mein Liebster prügelt dir die Seele aus dem Leib. So, und nun geh mir aus dem Weg!"
Sie schritt ganz dicht an mir vorbei. Ich hätte nur die Hand nach ihr ausstrecken brauchen. Statt dessen stand ich wie angewurzelt auf dem staubigen Weg und starrte ihr nach, bis sie hinter einer Wegbiegung verschwand.
‚Mein Liebster wird dir...', diese Worten hallten noch grausam in mir nach, als ich mich bereits mit müden Schritten zu meiner Höhle schleppte. Meine Hände besaßen kaum noch Gefühl, die Stirn schien zu glühen und die Augen verdampften die Tränen, noch ehe sie fließen konnten. Zwei Wochen lang bekam ich kaum einen Bissen herunter. Dann wurde ich krank. Hohes Fieber, Schüttelfrost - so schlimm hatte es mich noch nie erwischt. Und es wollte und wollte nicht besser werden. Mehrere Wochen blieb ich ans Bett gefesselt. Es dauerte fast den ganzen Sommer, bis ich mich wieder einigermaßen bei Kräften fühlte. Ich beschloß, diese Gegend zu verlassen. In einer anderen Umgebung würde die tiefe Wunde schneller heilen. Nur einmal noch wollte ich sie sehen, ihren Anblick in mich aufnehmen, um ihn für alle Ewigkeit in mir zu verschließen.
Ich mußte wieder lange in meinem Versteck ausharren, bis ich sie endlich aus dem Haus treten sah. Von ihrem Aufpasser keine Spur.
Sie ging mit einem vollen Wäschekorb zum Bach. Ihr Schritt wirkte irgendwie schwerfällig, und einige Male mußte sie den Korb sogar absetzen, um Luft zu schöpfen. Auch das Scheuern, Spülen und Wringen der Wäsche schien sie ungewöhnlich stark anzustrengen. Plötzlich sah ich sie taumelnd nach einem Halt suchen, doch ihre Hände griffen ins Leere, und sie fiel hintenüber ins Gras. Da hielt mich nichts mehr in meinem Versteck. Ich schoß aus dem Gebüsch, sprang in wilden Sätzen über die Wiese und kniete mich schließlich keuchend neben der Ohnmächtigen nieder. Ich tätschelte ihre blassen Wangen, küßte die blutleeren Lippen und rief sie verzweifelt beim Namen. Weil sie nur ganz flach atmete, zerrte ich beherzt an den Schnüren ihres viel zu engen Mieders, versuchte ihr Luft zu schaffen und...da fiel mein Blick zufällig auf ihren leicht gewölbten Bauch. Einem Reflex folgend, glitt meine Hand darüber hin. Aus dem besorgten Tasten wurde ein liebevolles Streicheln.
"Christine - liebe Christine. Komm zu dir. Ich bin es doch. Wach auf!"
Ich schöpfte mit der hohlen Hand etwas Wasser aus dem Bach und sprengte es vorsichtig auf ihre Stirn. Erleichtert stellte ich fest, wie die Farbe endlich wieder in ihr Gesicht zurück kehrte und ihre Lider zu zittern begannen. Ich atmete auf.
Doch nie werde ich das Entsetzen vergessen, mit dem sie plötzlich hochfuhr, als sie mich erkannte. Ja - das schmerzt heute noch. Und es tat mir damals unendlich mehr weh, als die Schläge, die nun auf mich nieder prasselten. Kaum richtig zur Besinnung gekommen, immer noch ein wenig taumelnd, schnappte sie sich ein nasses Bettuch und drosch blindwütig auf mich ein.
"Du mieser...boshafter...heimtückischer...Zwerg!"
Bei jedem Wort klatschte mir das Laken ins Gesicht, so daß mir Hören und Sehen verging. Schließlich erwischte mich ein so kräftig geführter Hieb, daß ich mich mehrmals überschlug und kopfüber in den Bach kugelte. Keuchend rettete ich mich auf einen großen Stein.
"Schau - was Du mir mit deinem Rumpelstilzchen angetan hast!" schrie sie hysterisch und streckte demonstrativ den Bauch heraus. Entehrt, wie ich nun bin, hat mein Liebster mich verlassen - nur wegen dir und deinem...deinem verfluchten Rumpelstilzchen!"
"Rubbel-Stielchen", verbesserte ich kleinlaut, doch das machte sie nur noch wütender. Mit demütig gesenktem Kopf ließ ich ihre Schimpfkanonade über mich ergehen und hob ihn erst wieder, als sie sich schwer atmend am Ufer nieder ließ und schließlich in Tränen ausbrach. Innerlich frohlockte ich ein wenig. Ihr Liebster hatte sie verlassen, daß war Musik in meinen Ohren. Das gab neuer Hoffnung Nahrung.
"Und was soll nun werden?" wagte ich zwischen zwei herzzerreißende Schluchzer zu werfen.
Sie zuckte nur mit den Schultern.
"Ich werde zur alten Kräuterhexe gehen", preßte sie schließlich heraus.
"Du willst das Kind...mein Kind...unser Kind...?" Ich vermochte es nicht zu fassen.
"Was bleibt mir weiter übrig", heulte sie. "Verführt von einem verlogenem Zwerg, entehrt von einem lüsternen Zwerg, geschwängert von einem verantwortungslosen Zwerg. Nie wieder wird mich ein Mann noch haben wollen."
Ein verlogener, lüsterner und verantwortungsloser Zwerg., hatte sie gesagt. Sollte ich wirklich so ein Scheusal sein? Vor allem das "verantwortungslos" wurmte mich.
"Christine, das kannst Du nicht machen. Es ist unser Kind! Ich habe da auch noch ein Wort mitzureden. Und außerdem - wenn es bekannt wird, landest Du für den Rest deines Lebens im Kerker. Dafür hat dich deine Mutter nicht geboren."
"Klug reden kann jeder. Weißt Du vielleicht einen Rat?" höhnte sie, aber ihre Stimme hatte bereits viel von ihrer Aggressivität eingebüßt."
"Ja", sagte ich daher rasch. "Komm mit mir. Ich habe dir schon einmal geholfen, da..."
"Geholfen? Du hast mich von einem Unglück ins andere gestürzt und auch noch Freude dabei empfunden", fauchte sie erneut aufgebracht.
"Das habe ich so nicht gewollt, und ich werde versuchen, es wieder gut zu machen", beteuerte ich im Brustton tiefster Überzeugung. "Überlege es dir. Ich werde immer für dich da sein."
Ihr Gesicht bedeckte sich mit bitterem Hohn, aber sie schwieg. Ja - sie schwieg sehr sehr lange. Nach und nach entkrampften sich ihre Züge und nahmen einen nachdenklichen Ausdruck an, während sich ihre hübschen Zähne tief in die Unterlippe gruben.
"Na gut. Ich will dir glauben - ein letztes Mal."
Ich hätte vor Glück tanzen können - auch auf die Gefahr hin, von dem glitschigen Stein abzurutschen und erneut ins Wasser zu fallen. Statt dessen schaute ich sie nur dankbar an.

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Die Erinnerung schien den kleinen Mann, so aufzuregen, daß er schwer atmend eine Pause einlegte. Während er Tee nachschenkte zitterte er am ganzen Körper. Nachdenklich und beinahe ein wenig bedrückt nahm Maik einen vorsichtigen Schluck von dem heißen Getränk. Die Geschichte, die so flapsig angefangen hatte, begann ihn zu rühren. Er hätte gern gefragt, wie es denn nun weiter ging, aber das krampfhafte Zucken um die Mundwinkel des Alten hielt ihn davon ab. Es dauerte geraume Zeit, bis der niedrige Raum wieder von der kratzigen Stimme des Zwerges erfüllt wurde.
"Vier Tage später zogen wir los. Wir schlugen uns fast eine ganze Nacht lang durch nahezu undurchdringliches Dickicht. Während des beschwerlichen Marsches sprachen wir kaum ein Wort miteinander. Zu unterschiedlich waren wohl die Gedanken, mit denen wir uns - jeder für sich - beschäftigten.
Kurz vor dem Morgengrauen erreichten wir schließlich todmüde meine vorzüglich getarnte Erdhöhle. Christine sank völlig erschöpft auf das sorgsam von mir vorbereitete Lager. Sie schlief sofort ein und wachte erst gegen Mittag auf. Ich hatte die ganze Zeit an ihren Kopfende gesessen, hin und wieder scheu ihr Gesicht gestreichelt und mich beglückenden Träumen hingegeben. Doch die begannen bereits unmittelbar nach Christines Erwachen langsam, aber unaufhaltsam zu zerbröseln und vergingen im Laufe der folgenden Wochen im bitteren Nebel der Realität. Dabei war Christine nicht einmal unfreundlich zu mir, aber sie wahrte eine betont kühle Distanz, die ich nicht zu durchbrechen vermochte.
Wir teilten uns die wenige Hausarbeit, saßen fischend am Seeufer und wenn ich Besorgungen machte, ging sie in den Wald und suchte Beeren, Kräuter und Pilze. Abends schwatzten wir lange auf der Bank vor der Höhle, aber mein höchstes Glück war es, wenn ich im Bett vor dem Einschlafen ihre Hand halten durfte. Ja, meine Ansprüche waren im Laufe der Zeit auf ein bescheidenes Maß herab gesunken, aber ich versäumte nie, meiner eigenen Hoffnung wenigstens etwas dürftige Nahrung zukommen zu lassen. Ich gestehe: nicht selten packte mich der Wunsch, sie einfach in den Arm zu nehmen, sie zu streicheln und schließlich...
Kannst Du dir vorstellen, monatelang neben der von dir geliebten Frau Nacht für Nacht zu liegen und nicht mehr als ihre Hand berühren zu dürfen? Das ist nicht auszuhalten, wirst Du mir antworten. Ich habe es ausgehalten.
Und dann - der Winter hatte mit klirrender Kälte seinen Höhepunkt erreicht - da setzten eines Tages die Wehen ein. Obwohl mich ihre Schmerzensschreie erschütterten, empfand ich eine unterschwellige Heiterkeit. Das Gefühl, ihr beistehen zu dürfen, ihr bedingungsloses Vertrauen zu genießen und mit ihr untrennbar Verbindendes zu erleben - das übertraf alles bisher Dagewesene.
Sie gebar eine Tochter, die mit einem lauten Krähen ihre Ankunft anzeigte.
"Unsere Tochter", sagte ich und erntete ein Lächeln, das wie ein gleißender Sonnenstrahl durch die Düsternis der letzten Tage und Wochen brach. "Unsere Tochter!" jubelte ich und tanzte mit dem kleinen Bündel auf dem Arm in der Stube umher.
Wir übertrafen uns regelrecht in der Sorge um unser Kind, das wir an einem nahen Bach auf den Namen Claudia getauft hatten. Und ich war Christine unendlich dankbar dafür, daß sie nie Bedenken wegen einer eventuellen Kleinwüchsigkeit des Kindes äußerte.
Der Frühling kam, und unser Kind gedieh prächtig.
"Haben wir nicht ein wunderschönes Leben?" fragte ich Christine einmal, als wir wie gewohnt Händchen haltend auf den Schlaf warteten. "Wir besitzen ein schönes Zuhause, haben ein gesundes Kind, es fehlt uns an nichts, und die Unrast der anderen Menschen darf uns völlig gleichgültig sein."
"Ja", sagte sie nur, aber es klang aufrichtig.
"Bist Du nun immer noch so zornig auf das fürwitzige Rubbel-Stielchen?" wagte ich zu scherzen. Statt einer Antwort spürte ich plötzlich zu meinem grenzenlosen Erstaunen ihre weiche Hand, die den eben Genannten sanft zu umschließen begann. Ich genoß ihre Liebkosungen mit allen Fasern meines kleinen, aber vor Glückseligkeit plötzlich ins Unendliche wachsenden Körpers. Es war, als erlebte ich die Vereinigung mit ihr zum ersten Mal richtig.
Später lagen wir dicht aneinander gekuschelt, und ich streichelte dankbar jeden Quadratzentimeter ihrer milchig duftenden Haut. Sie schnurrte wie eine Katze und erwiderte ungemein gefühlvoll meine Zärtlichkeiten. Ich hätte platzen können vor Glück.
Irgendwann - ich war wohl gerade am Einschlafen - glitt ihre Hand tastend über das Laken.
"Was suchst Du?" fragte ich schlaftrunken.
"Da fehlt noch etwas", lachte sie gurrend.
Es dauerte einen Moment, bis ich begriff. Dann ging ich auf den Scherz ein. Ich stieg aus dem Bett, schlich zu meiner Truhe, betätigte den komplizierten Mechanismus des schweren Schlosses und holte ein Goldstück hervor. Vergnügt grinsend legte ich es ihr zwischen die Beine. Sie lächelte spitzbübisch und hauchte ein: "Danke, liebes Rubbel-Stielchen."
Dann lachten wir herzhaft und alberten noch eine Weile herum, bis uns schließlich der alte brave Morpheus still in seine Arme nahm.
Am nächsten Morgen erschien mir alles wie ausgewechselt. Christine schaukelte die Kleine auf den Knien, sang leise ein Lied dazu und strahlte mich an, als ich neben sie trat. Ich strich ihr über das nach Frühling schnuppernde Haar und küßte ihren schmalen Nacken.
In den nächsten Wochen war ich der glücklichste Zwerg unter der Sonne. Tagsüber waren wir meist ausgelassen, spielten mit der kleinen Claudia, fütterten sie abwechselnd und brachten sie abends gemeinsam zu Bett. Und während wir uns über die Wiege beugten, trafen mich nicht selten bereits wieder die verheißungsvolle Blicke meiner so wunderbar verwandelten Christine.
Eines Abends war dann der Zeitpunkt gekommen, wo ich ihr mein letztes Goldstück auf das Laken legte.
"Aber das macht doch nichts", sagte sie, als ich ihr dies gestand.. "Morgen packst Du alles wieder in die Truhe, und das Spiel beginnt von vorn."
Ich kicherte zustimmend. Ja - irgendwie gehörte dieses abschließende Ritual dazu.

"Aber heute bin ich doch dran, das Frühstück zu bereiten", rief ich, als ich am nächsten Morgen erwachte und das Bett neben mir leer fand. Doch mein scheinheiliger Protest hatte sich damit auch schon erschöpft. Mich wohlig räkelnd, beschloß ich, noch so lange zu schlafen, bis Christine nach mir rufen würde. I
Ich erwachte, als ich die Kleine schreien hörte. Sofort spürte ich, daß ich noch einmal sehr lange geschlafen haben mußte.
"Christine?"
Keine Antwort. War ihr etwas passiert? Ich fuhr aus dem Bett, sprang in die Küche. Keiner da! Ich rannte nach draußen, rief laut in den Wald hinein - nichts.
Da sprang mich urplötzlich eine noch nie erfahrene Angst an und riß mich fast zu Boden. Angst - ihr könnte etwas Schlimmes zugestoßen sein. Angst - sie könnte sogar.... ich wagte es nicht zu Ende zu denken. Als ich ratlos und schwer atmend in die Küche zurück ging, entdeckte ich auf der hellen Tischplatte die mit Holzkohle ungelenk gemalten Schriftzeichen.

Jetzt sind wir quitt, du Zwerg
Christine

Wie ein prall gefüllter Weinschlauch, den man mit einem Messer aufschlitzt, fiel ich in mich zusammen. Der Korbstuhl fing mich auf, doch das registrierte ich kaum. Ich saß, starr und schlaff zugleich - und hatte das Gefühl in einen unendlich weiten leeren Raum zu blicken. Tödliche Kälte kroch von den Beinen bis zur Brust hinauf. Ich weiß nicht, wie lange ich so gesessen, gehockt, gelegen, gekauert habe - und ich würde dort gelähmt verharrt und auf den Tod gewartet haben, wenn da nicht die kläglichen Schreie der Kleinen gewesen wären.
Irgendwann stand ich schließlich vor der Wiege, blickte verstört in das Gesicht, das noch winziger war als das meine und beschloß in grimmig aufkommender Entschlossenheit, das Sterben zu verschieben."

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Ein feines Lächeln überzog das runzelige Gesicht des Alten. Seine Augen, in denen eben noch dunkler Schmerz gewütet hatte, hellten sich wieder auf. Er beugte sich vor und ergriff erneut das Märchenbuch.
"Du wolltest mir nur dieses Buch bringen. Nun hast Du dir eine sehr lange Geschichte anhören müssen. In den Aufzeichnungen dieser Gebrüder Grimm" - die letzten beiden Worte sprach er in fast verächtlichem Unterton - "bin ich das widerliche Scheusal, das letztlich eine gerechte Strafe ereilt, während die dumme Müllerstochter zur reichen Königin und glücklichen Mutter erhoben wird. Christine war reich, als sie von mir weg ging. Ob sie glücklich geworden ist und je wieder Mutterfreuden entgegen sehen durfte - das weiß ich nicht. Wir sind uns nie wieder begegnet.
Ich habe sie wirklich geliebt, aber sie vermochte diese Liebe nicht erwidern. Ich habe es erzwingen wollen und mußte scheitern. Ich kann ihr nicht böse sein. Vor allem deshalb nicht, weil sie mir ein wunderbares Geschenk gemacht hat - Claudia. So fand ich mein Glück in der Liebe meines Kindes, dem meine Kleinwüchsigkeit etwas ganz normales war. Zwar wuchs sie mir bald über den Kopf, aber durch unser Leben in totaler Abgeschiedenheit fehlte ihr der Vergleich zu anderen Menschen. Manchmal gewann ich fast den Eindruck, sie wäre durch ihre Größe verunsichert.
Wir unternahmen lange Wanderungen durch die damals noch so undurchdringlichen Wälder. Ich lehrte sie, die Sprache der Tiere zu verstehen und die vielfältigen Pflanzen zu unterscheiden. Ich mied stets die Nähe von Siedlungen und ging, wenn es unbedingt notwendig war, stets allein dort hin. Irgendwann meinte ich aber zu spüren, daß ich kein Recht besäße, sie nur für mich zu behalten. Sie war schon fast ein junges Mädchen geworden und würde in absehbarer Zeit ihren Anspruch auf ein eigenes Leben anmelden. Also beschloß ich eines Tages, die Höhle, die mir so viel schmerzliche aber noch viel mehr glückliche Stunden beschert hatte, für immer zu verlassen. Die belebten Straßen und Wege stets meidend, wanderten wir hinüber ins Siebengebirge. Dort wußte ich ein paar alte Gefährten, die in einem schmucken Haus wohnten und gleich nebenan ein kleines Bergwerk betrieben. Dort zog es mich nun hin. Nicht zuletzt auch deshalb, weil mein Zwergenblut endlich wieder nach harter Arbeit unter Tage verlangte.
Meine sechs Freunde staunten nicht schlecht, als ich in Begleitung eines zwar etwas blassgesichtigen aber ansonsten wunderschön anzusehenden Mädchens bei ihnen aufkreuzte. Sie nahmen sich kaum Zeit, zur üblichen zeitraubenden Zwergenbegrüßung, sondern besaßen nur Augen für meine Tochter.
"Die Haut - weiß wie Schnee, die Haare - schwarz wie Ebenholz, die Lippen - so rot wie Blut", schwärmte der schon immer besonders romantisch veranlagte Kunz, und in seine Augen trat ein verklärter Glanz. "Wißt ihr was? Wir nennen sie..."
"Schneewittchen!" platzte Maik ungewollt dazwischen.
Der Alte nickte versonnen, doch dann bekam er Augen so groß wie Bierdeckel.
"Wo...woher...woher weißt Du ....?"
"Das steht auch in dem Buch der Gebrüder Grimm."
"Was sagst Du da? Das glaube ich nicht. Zeig her!"
Während der Alte unter ständigem Kopfschütteln suchend die Seiten hin und her blätterte, stand Maik unbemerkt auf und verließ leise die Höhle.
 



 
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