Hallo, Tadeya
Eine interessante Variante für die alte Geschichte vom Unterpfand der Treue zeigst du uns mit deinem "Rubin". Allerdings muss ich gestehen, dass ich sie noch interessanter fände, wenn sich die Erzählung nicht gleich im ersten Abschnitt ziemlich heftig in diversen Klischees verhakte.
Das liest sich sicher nicht so angenehm, aber ich möchte dir meinen Standpunkt etwas näher bringen.
Du schreibst: "Aus Richtung Meer kam der Wind mit ungestümer Wut und peitschte die Wellen wie ein jähzorniger Hirte seine Tiere. Zwischen Schal und Kapuze lugten einzig Selinas Augen hervor, den Blick Richtung Horizont gerichtet, der irgendwo im Grau zwischen Meer und Himmel verschwamm. Lang schon waren die Masten des Schiffes eins geworden mit dem trüben, bleifarbenen Ozean. "
Die Masten lassen vermuten, dass es sich um ein Segelschiff handelt. Und das schafft es, bei so heftigem anlandendem Wind überhaupt loszufahren?
Gewiss, da lässt sich einwenden, dass sich das Wetter erst zusammenbraute, als das Schiff schon auf hoher See war. Aber das legt dein Text noch nicht einmal als Vermutung nahe. Kann es sein, dass das schlechte Wetter einfach zu gut zur Abschiedsstimmung passte? In meinen Augen droht immer dann das Abgleiten ins Klischee, wenn eine Naturbeschreibung zu gut zu der Stimmung der Protagonisten einer Geschichte passt.
Deine Beschreibung eines Naturereignisses mit Hilfe einer menschlichen Emotion ("mit ungestümer Wut") ist sicher Geschmackssache. Wenn du dann fortfährst "und peitschte die Wellen wie ein jähzorniger Hirte seine Tiere.", dann bist du in meinen Augen bereits tief im Klischee. Wieviele Hirten (gleich welcher Gemütsveranlagung) kennst du, die mit einer Peitsche unterwegs sind? Den Aspekt, dass es im Interesse des Hirten liegt, wenn die Tiere möglichst unbeschädigt bleiben, will ich ich hier nicht weiter erörtern.
Auch deine Beschreibung des Wassers trübt mir die Freude an deiner Geschichte. Dass es grau ist, verstehe ich schon beim ersten Mal, als zu von der Farbe "...zwischen Meer und Himmel" sprichst. Gleich im nächsten Satz sind die "die Masten des Schiffes eins geworden mit dem trüben, bleifarbenen Ozean."
Vielleicht liegt es an meinem Misstrauen gegenüber Adjektiven. Aber ich glaube, dass nicht nur ich diese Stelle "ein bisschen dick aufgetragen" empfinde. Natürlich, es kann sein, dass die von mir angesprochenen Punkte zu deinem Personalstil gehören.
Es ist ja immer schön, wenn sich jemand mit einer "eigenen Stimme" zu Wort meldet. Allerdings nehme ich mir als Lesende das Recht, für erkennbare Stile bestimmte Klänge für passender zu halten als andere.
Wie bereits am Anfang erwähnt: Deine Version finde ich interessant. Aber dein "Rubin" würde in meinen Augen noch mehr funkeln, wenn er eine dem Wert des Steins angemessene Fassung hätte.
Schöne Grüße von blaustrumpf