Rudi ist traurig

Die Abenteuer der SUPER-KIDS
4. Geschichte
Julian und Alexander spielten zusammen in Julians Zimmer als es an dessen Fenster klopfte. Anstatt wie zu früheren Zeiten zusammenzuzucken, schauten sie sich nur verwundert an.
„Ob er das ist?“ fragte Julian seinen kleinen Bruder.
„Bestimmt!“ meinte Alexander, „eine Katze kann nicht an das Dachfenster klopfen!“
Die Kinder erhoben sich vom Spiel und gingen zum Fenster. Julian öffnete es und blickte in das kleine bärtige Gesicht des Sandmannes.
„Hei,“ sagte Julian cool.
„Hei,“ sagte auch Alexander, einen Hauch cooler.
Der Sandmann stieg wortlos ins Zimmer. Regen hing in seinen Haaren. Draußen war Herbstwetter.
„Kannst du nicht mehr sprechen?“ fragte Alexander
Der Sandmann schaute die Kinder traurig an. Dann sagte er:
„Ich brauche eure Hilfe!“
„Du?“ stieß Julian erstaunt hervor.
„Ich, der Weihnachtsmann, der Nikolaus, das Christkind, alle eben..“
„Erzähle!“ sagte Julian und sie hockten sich auf den Boden des Kinderzimmers. Der Sandmann sprach leise einen Zauberspruch und bannte das Zimmer samt seiner Insassen in eine Zeitblase. So konnte die Eltern nicht mitbekommen, was oben geschah.
„Der Weihnachtsmann in der seiner Eisigen Festung ist tot unglücklich. Und voller Sorge. Bald ist Weihnachten und die Trolle arbeiten mit Volldampf an den Geschenken für euch Kinder und natürlich auch für die Erwachsenen – obwohl es die meistens gar nicht verdient haben, beschenkt zu werden – aber ich schweife ab! Wenn das Weihnachtsgeschäft losgeht, sind alle gefordert. So auch die Rentiere, die den Zauberschlitten des Weihnachtsmannes ziehen.“
„Wo ist das Problem?“ fragte Alexander altklug.
„Rudi Rotnase!“ stieß der Sandmann hervor.
„Rudi Rotnase,“ lachte Julian, „der mit dem roten Knubbel auf der Nase, der den Weg leuchtet?!“
Der Sandmann nickte traurig mit dem Kopf.
„Ja, Rudi Rotnase. Er ist gar nicht mehr fröhlich. Er steht nur noch in seinem Stall und stiert stumpf vor sich hin. Nichts und niemand kann ihn aufheitern. Er will nicht mehr vor den Schlitten! Ohne Rudi und seine Zauberleuchte auf der Nase, wagt es der Weihnachtsmann nicht, auf die Reise zu gehen. Und so müssen viele Geschenke unverschenkt im Lager der Eisigen Festung liegen bleiben und der


Weihnachtsmann kann seinen Auftrag vom Christkind, alle Kinder mit Geschenken zu versorgen, nicht erfüllen.“
Julian und Alexander schauten sich ratlos an.
„Was können wir denn jetzt dabei tun, Sandmann?“ fragte Julian.
Der Sandmann zuckte mit den Schultern. „Weis nicht...“
Alexander rutschte zum Sandmann hin und streichelte ihn über die Schulter.
„Armer Sandmann. Du hast Rudi bestimmt sehr lieb...“.
„Ja,“ schluchzte der Sandmann, „ich kann gar nicht haben, wenn der gute Rudi so traurig schaut. Und so dachte ich mir, ich frage meine beiden Erdenkinder um Rat!“
„Danke, Sandi,“ rief Julian, „lass uns zur Eisigen Festung fliegen. Wir möchten mal nach Rudi schauen!“
Der Sandmann erhob sich und kratzte sich am Kopf.
„Noch nie war ein Mensch in der Eisigen Festung – aber, vielleicht können ja Kinder Rudi helfen, wenn schon nicht wir mit unseren Zauberkräften!“ Er ging zum Fenster und winkte den Kindern.
„Kommt mit. Steigt in mein fliegendes Schlauchboot. Wir müssen uns beeilen.“
„Und unsere Eltern?“ fragte Alexander.
„Macht euch keine Sorgen. Ich habe an diesem Ort die Zeit gebannt. Eure Eltern werden gar nicht bemerken, dass ihr fort seid!“
So stiegen die beiden Brüder unternehmungslustig in das Schlauchboot, dass der Sandmann am Dach mit einem kleinen Anker in den Dachschindeln festgemacht hatte.

*

Es war eine regnerische Nacht und das kleine Schlauchboot wurde auf seinem Flug hin und her gerissen. Julian und Alexander wurden fast seekrank und sie klammerten sich kräftig an den Seilen, die am Schlauchboot hingen, fest.
Dicke Wolken flogen über den Himmel und je weiter sie nordwärts kamen, desto kälter wurde es.
„Ich mache die Fußheizung an,“ sagte der Sandmann, der bemerkte, dass die Kinder zu leicht angezogen waren.
Sofort breitete sich wohlige Wärme auf dem Boden den Schlauchbootes aus und die Kinder kuschelten sich aneinander.
Irgendwann schneite es und der Sandmann setzte seine starken Scheinwerfer ein. Die Kinder hatten die Augen geschlossen und schliefen ein wenig, zwar unruhig, aber immerhin.
Der laute Ruf des Sandmannes weckte die beiden. Sie schreckten hoch und blickte um sich. Klarer, schwarzer Himmel spannte sich über sie und unzählige Sterne blinken am Firmament. Unter ihnen, rechts, links, vor und hinter ihnen erstreckte sich eine endlos weiße Wüste.
„Der Nordpol!“ sagte der Sandmann
„Poah!“ riefen Julian und Alexander fast gleichzeitig.
So etwas hatten sie noch nie gesehen. Nur Schnee und Eis.
„Wir sind bald da!“ rief der Sandmann und beschleunigte seine Gefährt. Es ging tiefer und sie rasten mit hoher Geschwindigkeit über das Eis.
„Da vorne, schaut!“


Die Kinder blickten in die Richtung, in die der Sandmann mit seinem rechten Arm deutete.
Da war sie zu sehen.
Die Eisige Festung des Weihnachtsmannes.
Glitzerndes Eis erhob sich gewaltig gegen den Himmel. Mächtige Eismauern standen da, gesäumt von hohen Türmen. Alles war Eis und Schnee.
„Das ist die Eisige Festung. Die Ewige Festung. Die Heimstatt des Weihnachtsmannes und seiner Helfer – so wie mir..“
Je näher sie kamen, desto gewaltiger wirkte die Festung.
Der Sandmann überflog die hohen Mauern und senkte das Schlauchboot im Innern der Festung gegen den Boden.
„Geschafft, Kinder!“ rief der Sandmann glücklich und sprang aus dem Schlauchboot.
Die Kinder konnten es kaum glauben. Alles war Schnee und Eis. Die Häuser, die Bäume, die Treppen – einfach alles.
Aus den Türen der Eishäuser stürmten kleine, fellbekleidete Gestalten mit langen Zipfelmützen in allen erdenklichen Farben.
„Das sind ja die sieben Zwerge!“ rief Alexander erfreut und klatschte in die Hände.
„Eine Menge sieben Zwerge. Hunderte!“ meinte Julian und lachte.
Die Kinder verließen auch das Schlauboot und sofort wurden sie von den Zwergen umringt. Die Masse schob sie in Richtung einer großen Treppe. Die Zwerge plapperten aufgeregt in einer Sprache, die die Kinder nicht verstehen konnten.
Plötzlich verstummten die Zwerge und schauten nach oben. Julian und Alexander machten es ihnen nach.
Am Ende der Treppe erschien ein Mann.
Nicht irgendeiner.
„Der Weihnachtsmann!“ schrie Alexander und warf die Arme nach oben.
„Zschhhhhhh....“ machte es aus tausend Mündern. Alle Trolle starrte Alexander an und hielten einen Zeigefinger vor ihren Mund.
„Öh... schuldigung!“ machte Alexander kleinlaut und schaute stumm nach oben.
Der Weihnachtsmann war eine beeindruckende Erscheinung. Fast zwei Meter groß, gekleidet ganz in einen roten Umhang, aber ohne Kapuze und mit langen, weißen Haaren und einen noch längeren, weißen und wuscheligen Bart. Dieser fiel auf einen mächtigen runden Bauch. Trotz seiner beeindruckenden Größe wirkte er wie ein gutmütiger Teddybär.
Die Kinder schlossen ihn sofort in ihr Herz.
Der Weihnachtsmann kam schnell die Eisstufen herunter und die Zwerge wichen rechts und links beiseite.
„Geht wieder arbeiten, meine Zwergenfreunde. Es ist nicht mehr weit bis zum Christfest!“ sagte er mit tiefer Stimme.
Sofort wieselten die Zwerge davon und nur noch der Weihnachtsmann stand da mit den Kindern und dem Sandmann.
„Seid gegrüßt, Freunde des Sandmanns. Ich habe mir schon gedacht, dass mein kleiner Freund euch um Hilfe bitten würde. Er spricht immer gut von euch und scheint euch lieb zu haben,“ sagte der bärtige Riese.


„Rudi Rotnase geht es nicht so gut,“ wagte Julian mit stockender Stimme zu sprechen.
„Oh ja,“ antwortete der Weihnachtsmann und sein Blick wurde sofort traurig.
„Rudi spricht mit niemandem. Keinem klagt er sein Leid. Auch mir nicht. Das tut mit sehr weh. Und ich würde ihn gerne wieder froh sehen. Und wir brauchen ihn doch auch. Bald ist Weihnachten und ohne Rudi Rotnase kommt mein Schlitten nicht davon...“
„Dürfen wir Rudi sehen?“ fragte Alexander.
„Gerne, Kinder. Folgt mir!“

*

Der Weihnachtsmann führte sie zu den Ställen, die am Fuße der hohen Südmauer lagen. In den Ställen ruhten die Rentiere des Weihnachtsmanns. Alle. Und noch viele Mehr. Sauser, Brauser, Blitz und Donner und wie sie noch so hießen.
Am hintersten Ende war die Ecke von Rudi Rotnase.
Im Stall war es gemütlich warm und in den Futterkrippen lag Stroh und anderes Futter. In Trögen gluckerte frisches Wasser.
Den Tieren fehlt es an nichts.
Im Gegensatz zu den anderen Rentieren wirkte Rudi Rotnase schon von weitem tieftraurig. Er stand mit gebeugtem Kopf in der Ecke und stierte vor sich hin. Seine dicke rote Nase leuchtete kein bisschen. Der rote Knubbel wirkte schmutzig rot.
Alexander bekam sofort Mitleid und ging unbefangen auf Rudi zu. Er streichelte ihn sanft über das Fell.
Rudi hob leicht den Kopf und schaute verwundert auf die Kinder und den Sandmann. Der Weihnachtsmann hatte den Stall wieder verlassen, weil er sich um die Produktion von Holzspielzeug kümmern musste.
„Hallo Rudi,“ sagte der Sandmann, „das sind Julian und Alexander. Zwei Menschenkinder und meine Freunde. Sie wollten dich einmal kennen lernen!“
„Jaaaa,“ machte und senkte wieder den Kopf.
Julian streichelte Rudi nun auch. Aber den Kindern fiel auch nicht ein, was mit Rudi sein könnte.
„Verzweiflung!“ murmelte der Sandmann und setzte sich auf eine Futterkiste.
Da sprach Alexander plötzlich.
„Rudi. Du bist aber traurig. Ich bin auch mal traurig. Nicht immer. Aber wenn ich traurig bin, könnte ich immer zu weinen.“
Rudi nickte unmerklich und Julian streichelte das Rentier am Kopf.
Alexander fuhr fort: „Am meisten bin ich traurig, wenn meine Mama und mein Papa weg sind...“
Der Sandmann erhob sich plötzlich vom Futtertrog.
„Schaut mal!“
Die Kinder blickte in Rudis Gesicht. Dicke Tränen liefen über seine Nase.
Alexander kapierte sofort: „Vermisst du deine Mama und deinen Papa? Sind die nicht hier?“
Rudi öffnete sein Maul und sprach leise: „Sie sind weit weg und ich habe sie lange nicht mehr gesehen. Seit ich im Dienst des Weihnachtsmannes bin. Ich weis gar nicht, wie es ihnen geht...“


Alexander wurde auch traurig und Julian sagte: „Du musst sie besuchen...“
Der Sandmann rannte in Richtung Ausgang und rief den Kindern zu: „Bleibt bei Rudi. Ich komme bald wieder...“

*

Mehrere Stunden blieben die Kinder bei Rudi Rotnase und erzählten ihm von ihrem zuhause und ihren Freunden und natürlich ihren Eltern. Rudi taute etwas auf und wurde zutraulicher. Trotzdem lag über ihm eine große Traurigkeit.
„Mein Rudi!“ ertönte das eine Stimme vom Stalleingang er und die Kinder und Rudi blickten dort hin. Am Ende des Ganges standen zwei Rentiere, dahinter der Sandmann und der Weihnachtsmann.
Rudi warf den Kopf nach hinten und stieß einen lauten Ruf aus.
„Mama! Papa!“
Dann stürmte er los und jagte auf seine Eltern zu. Diese rieben zärtlich mit ihren Nase an ihrem Kind.
Julian und Alexander schauten sich freudig an.
„Geil, was!“ meinte der Ältere und schlug seinem Bruder auf die Schultern.
„Obergeil!“ meinte Alexander und kreuzte die Arme vor seiner Brut.
Als die auf die anderen zu gingen, sahen sie, wie Rudis Nase zu leuchten begann.
„Er ist wieder der Alte!“ rief der Sandmann erfreut und hüpfte vor dem Weihnachtsmann herum. Dieser wischte sich eine Träne aus dem Bart.
„Es tut mir so leid, Rudi. Wie ich vergessen konnte, dass du Eltern hast, und diese auch sehen möchtest. Verzeih mir bitte...“
Rudi rief laut „Ja“ und schmuste weiter mit seinen Eltern.
Er unterbrach kurz und sagte erregt: „Mama, Papa, bald geht es wieder los. Ich werden den Schlitten des Weihnachtsmann vorauseilen und den Weg leuchten. Ich freu mich schon drauf!“

*

Der Weihnachtsmann saß in seinem Wohnzimmer in seinem großen Ohrensessel. Im ganzen Raum lagen und hingen Teppiche. Viele Bilder mit Kindern aus der ganzen Welt zierten die Wände. Ein großer Kamin verbreitete wohlige Wärme.
„Vielen Dank, meine kleinen Freunde,“ sagte der Weihnachtsmann und strahlt über seine roten Wangen.
„Gerne geschehen, „sagte Julian, „wir duften immerhin den Weihnachtsmann sehen und natürlich Rudi Rotnase!“
Der Weihnachtsmann lächelte und sprach: „Ja – aber ihr dürft mit niemand darüber sprechen. Es muss euer großes Geheimnis bleiben.“
„Ehrenwort!“ riefen die beiden Jungs wie aus einem Munde.
„Der Sandmann hat schon viel von euch erzählt, wie gesagt. Und ihr seid pfiffige Kerlchen, die gerne anderen helfen.“ Die Kinder nickten eifrig.

„Ich habe für euch ein Geschenk. Ein besonderes Geschenk. Ihr müsst damit sorgsam umgehen und dürft es nie aus der Hand geben.“
Er reichte den Kindern zwei Amulette, die an einem dünnen Metallkettchen hingen. Das Amulett zeigte eine Sonne.
„Dieses Amulett schenkt euch große Macht. Ihr werdet schnell sein wie der Wind und stark wie ein Bär. Blitz und Donner gehorchen euch...“
Die Kinder wurde blass und starrten den Weihnachtsmann nur an.
„Hängt euch das Amulett um. Und wenn ihr in Not seid, oder jemand anderes, fasst das Amulett mit der rechten Hand und sprecht das Wort esantor idur. Und Ihr seid für einige Zeit nicht mehr nur Julian und Alexander sondern zwei mächtige Kämpfer, die sogar fliegen können, dank der Zauberkraft des Amuletts. Wollt ihr mit euren Kräften dem Guten dienen?“
Die Kinder nickten. Sagen konnten sie nicht fiel. Das meiste verstanden sie auch gar nicht.
Sie hängten sich die Amulette um und verabschiedeten sich vom Weihnachtsmann. Bevor sie in das fliegende Schlauchboot des Sandmannes stiegen, sahen sie noch Rudi mit seinen Eltern bei den Ställen. Sie winkten mit dem rechte Vorderhuf zum Abschied.
„Träume ich?“ fragte Julian und half Alexander in das Boot.
Den Rückflug begingen sie schweigend. Die beiden saßen eng zusammen und blickten versonnen geradeaus.
Sie bemerkten gar nicht, wie Rudi am Dach ihres Wohnhauses andockte.
„Wir sind da, Freunde. Ihr müsst in eure Betten. Der Zauberbann über eure Eltern wirkt bald nicht mehr.“
Die Kinder stiegen in das Kinderzimmer von Julian.
„Und, Kinder. Wenn ihr einen Rat braucht. Denkt nur an mich, ich versuche schnell zu kommen! Und passt auf eure Amulette auf!“
Dann flog der Sandmann davon und die Kinder schlichen sich in die Betten um tief und traumlos zu schlafen.
Und nun ist die Geschichte aus, du kleine Maus.


ENDE

Rudi Rotnase ist neben dem Sandmann eine der Lieblingsfiguren meiner Kinder. Wahrscheinlich, weil er dem mächtigen Weihnachtsmann und dem Christkind immer treu den Weg zeigt, selbst bei undurchdringlicher Dunkelheit.
 



 
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