Rudi und der Blues

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GerRey

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Er hing sitzend in einer Kinderschaukel auf einem öffentlichen Spielplatz. Wie er hierher gekommen war, wusste er nicht mehr. Er hing einfach da, weit zurückgelehnt wie ein betrunkener Cowboy, der beim Rodeo auf einem sich aufbäumenden Gaul nach hinten zu kippen drohte. Das macht zu viel Bier, dachte er --- das und schäumende Kotze.Dass Freiheit immer einen ekligen Nachgeschmack haben muss! Von irgendwoher kamen Stimmen. Waren sie in seinem Kopf oder außerhalb? Eine war dumpf und aufmunternd zugleich - wie weit entfernt schlürfende Schritte. Wer oder was mochte da kommen? Kommen und gehen mit einer Bestimmtheit wie dem Auftreten eines Polizisten bei einer Verkehrskontrolle. Ja, geht weiter, dachte er. Die piepsende Stimme nebenher war kaum zu vernehmen. Geht weiter und lasst mich in Ruhe! Ich glaube, ich muss kotzen. Er wendete den Kopf nach rechts und ließ es über die Schulter kommen. Danach sank er wieder in jene tiefe Mattigkeit zurück, aus der er gekommen war..

Als er dann abermals erwachte, waren da keine Stimmen mehr. Es war dunkel und kalt, und er fühlte sich schrecklich. Langsam erhob er sich aus der Schaukel, was wieder einen Sturm Übelkeit heranbranden ließ. Aber er hatte genug gekotzt. Er musste sich von hier wegbegeben, bevor man ihn erwischte. Dieser Gedanke erschreckte ihn so stark, dass er in einem aufblitzenden Gedankens die Kleidung nach seinen Sachen abgriff - Uhr und Geldbörse waren weg, und natürlich auch die Ausweise, die in der Geldbörse steckten. (Zunächst hatte er geglaubt, dass auch sein Handy weg wäre - aber das hatte er daheim beim Aufladen vergessen.)

“Verfluchte Scheiße!” entfuhr es ihm über den ärgerlichen Verlust, während er sich zu erinnern versuchte, wo er vor dem Kinderspielplatz gewesen war. Aber da war nichts, nur Schemen und das kehlige Kreischen einer der Sprache fremden Nutte, wie ihm einfiel. “Rudi, ich liebe dich”, hatte sie ein paar Mal kehlig geschrien und war mit ihren überproportionalen Körperrundungen auf seinem Schoß herumgerutscht.

Während er sich fragte, wie es so weit hatte kommen können, setzte er den Weg fort, um in eine bekannte Gegend und von da nach Hause zu kommen. Er erinnerte sich, dass er nachmittags zu Besuch bei Lara gewesen war.

Sie wäre auch gerne alleine zu Hause, um es sich auf der Couch bequem zu machen und um einen Schundroman zu lesen, hatte sie gesagt, während sie sich in ihrem Wohnzimmer gegenübergesessen hatten. Und dabei würde sie zwischendurch auch gerne auf der Couch einschlafen. Niemand störe sie dabei und das sei eine Wonne. Und mit Zwiebeln belegte Brote, von denen er ihr erzählt hatte, mochte sie ebenfalls ganz besonders, da man darauf sehr schöne Fürze lassen konnte. Dabei hatte sie Rudi abwartend angesehen, der leicht irritiert die linke Augenbraue hob, die von einigen Narben verunstaltet war. Hatte sie tatsächlich “Fürze” gesagt? Natürlich furzte man auf Zwiebelbrote, aber wenn er dem zustimmte, dann bedeutete das, dass er sich als Furzender outete (und ein solcher stank doch - oder?), und er vermutete, dass sie mit dieser Anzüglichkeit etwas bezweckte, das er nicht überschauen konnte. Aber ihr forschender Blick wich nicht und bannte die Frage über die Zeit seines inneren Zauderns in Rudis zweifelndes Selbstvertrauen hinein. Anscheinend war er ihr in eine Falle gegangen. Sie kostete die Situation mit einem süffisanten Lächeln aus. Dabei verzerrten sich die rot geschminkten Lippen genüsslich. Rudi begann nach etwas Gemeinem zu suchen, nach etwas, mit dem er sie bannen konnte und dorthin bekam, wo er sie insgeheim hin wollte: Unter sich, wo sie sich nackt winden und verzehren sollte. Zumindest in seiner Phantasie.

War es endlich dazu gekommen, fragte er sich, während er aus schmalen, müden Augen den Heimweg gefunden und eingeschlagen hatte. Sicher nicht. Sonst hätte er sich nicht so arg besoffen - nach der langen Phase, in der er von übermäßigem Alkoholkonsum bereits trocken geworden war.

Zuhause angekommen, übermannte ihn schrecklicher Hunger. Er plünderte, was der Kühlschrank bot - das Wertvollste war eine große Dose kaltes Bier. Mit dieser Beute setzte er sich an den Computer, um nach passender Musik zu suchen. Ein Konzert der Rolling Stones in Wien lenkte ihn vom Blues der letzten Stunden ab. Während er aß, trank und das Musikvideo hörte und sah, wunderte er sich, dass noch immer so viele Menschen den greisen Stones zujubelten. Und besonders Mick Jagger schien kein Alter zu kennen, als er über die Bühne hüpfte und sprang - fast wie in alten Tagen.

Die meisten, die auf diesem Konzert waren, dachte Rudi nach einem tiefen Schluck Bier, mit dem er den Bissen Wurst und Käse, den er sich in den Mund gestopft hatte, hinunterspülte, hatten wahrscheinlich keine Ahnung von der Bedeutung dieser Band und ihrer Musik. Sie wussten nicht, wer Charlie Watts war, als Mick Jagger sagte, dass der Verstorbene der Band sehr fehlte, erkannten Mick nicht an einem Würstelstand in Wien. Sie wussten nicht, dass Keith Richards so stark Drogen konsumiert hatte, dass er einmal im Jahr zum Bluttausch in ein Schweizer Sanatorium musste. Wussten nichts von Altamont. Die meisten waren einfach nur neugierig, ohne richtig zu wissen warum.

“Das hier sind die Bad Boys aus meiner Jugend”, gab sich Rudi kämpferisch gegenüber einer rockenden Zuschauermaße, die ihm die Konzertbilder auf dem Computer suggerierten. “Deren Musik hat es mir ermöglicht, auch ein Bad Boy zu sein!”

Hier war sie wieder, diese verfluchte Sentimentalität, die im Alter in zunehmendem Maße zum Vorschein kam. Rudi versuchte, sie mit Bier, das ihm mit jedem Schluck wohler werden ließ, wegzuspülen. Dann fiel ihm sein Handy ein. Er holte und öffnete es. Als sich das Video der Frau in dem roten Kleid zeigte, schaltete er die Stones aus, ließ das Bier stehen und zog sich mit dem Mobiltelefon zurück auf sein Bett.

Die Frau in dem Video sah scheinbar Nachrichten, während sie mit elegant gespreizten Fingern an sich spielte. Zumindest klang die Stimme aus dem Off wie von einem Nachrichtensprecher ... Aber zwischendurch war unter dem behutsamen Spiel der weiblichen Hand auch das saftige und schmatzende Geräusch ihrer sich öffnenden Schamlippen leise zu vernehmen - und das war sehr erregend.

Sie hatte Geld für das Video verlangt. 2 Hunderter für ein Video von 15 Sekunden, das er - wie jetzt - meist in Dauerschleife laufen ließ. Einmal warnte er sie, dass er sich nicht immer nur allein sein Sperma vom Bauch wischen wollte. Aber sie blieb erbarmungslos. Sie brauche eine Klimaanlage, eine Waschmaschine und ein Motorrad - ob er ihr nicht helfen wolle? Also gut, warum nicht?, hatte Rudi gedacht. Er war zwar nicht vermögend, hatte aber schon immer genügend Geld besessen, ohne es an die große Glocke zu hängen. Sie würde ihn dafür lieben, und geliebt wurde Rudi schon lange nicht mehr. Das war ein tröstlicher Gedanke, und er schlief jetzt darüber ein, während sich das Video mit der Frau im roten Kleid weiter und weiter abspielte.
 

aliceg

Mitglied
Lieber GerRey,

der arme Rudi hatte ja eine ganze Palette von bluesigen Emotionen auf seinem Heimweg vom Besäufnis.
Und was reißt ihn wieder heraus? Stones-Musik und die Lady In Red.
Nur eines bleibt für neugierige Leser offen: wo ist bloß sein Börsl samt Ausweisen geblieben?

lg aliceg
 

GerRey

Mitglied
Hallo aliceg!

Rudi ist nicht Dante, der von Vergil durch die neun Kreise der Hölle geführt wird. Für ihn gibt es nur die Rille einer Schallplatte, auf der er surft. Das Koma oder der Schlaf dazwischen stellen ihn abermals auf Anfang. Und sobald die ersten Stones-Takte erklingen, zupft es an Rudis Marionettenfäden und er wird zum "Street Fighting Man", der mit erneut geladener Energie und dem Bewusstsein anrennt, dass es kein Aus in einem glücklichen Horizont gibt. Es zählt also nur das Abenteuer - dessen Ausgang ist unwichtig. Und da können auch schon Mal ein paar Wertgegenstände auf der Strecke bleiben ... weggeworfen, verloren oder geklaut ... wen interessiert's.

Danke fürs Lesen und Bewerten.

Gruß
GerRey
 



 
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