Ruhelos
„Herr Mattes, hören Sie? ... Sind Sie noch wach? Das ist es, was ich meine ... Ihre Ignoranz ...“
Er kann labern, so viel er will. Minutenlang schwafelt der mich zu und wundert sich, wenn ich abschalte. Meist zwei Minuten, dann schalte ich den Kopf aus, nach fünf höre ich auf, so zu tun, als würde ich ihm zuhören. Er begann zu schreien. Ich hasse das. Viel zu laut ist seine Stimme, um sie zu ignorieren. Dabei möchte ich bloß meine Ruhe.
Zwei Minuten länger ertrage ich sein Geschrei, danach reicht es mir. Ich ziehe das Jagdmesser aus dem Stiefel und schleudere es ihm entgegen. Die Klinge durchbohrt seinen Hals und er fällt röchelnd zu Boden. Dann war endlich Ruhe.
„Tut mir leid Chef“, flüstere ich ihm zu, „ aber mein Messer brauch ich wieder.“
Ich zieh das Messer aus seinem Hals, wische das Blut ab und stecke es zurück in den Stiefel. Man merkt ihm an, dass er das von einem schwachen Jungen nahe der Zwanzig nicht erwartet hatte. „Ach übrigens“, warf ich ihm zu, „ich kündige.“
Als ich das Büro verlasse, verabschiede ich mich flüchtig mit einem Nicken von den Kollegen. Alle standen in Reihen rechts und links in den Türen und Gängen. Sie wollen mir scheinbar auch Lebewohl sagen. „Der kleine Tobias“, flüstern Sie. „Hätte ich nicht erwartet ... Er war doch immer so ruhig ...“ Ihre Blicke wirken geschockt von meiner plötzlichen Kündigung. Ich hätte selbst nicht gedacht, so schnell hinzuwerfen, aber warum traurig sein? Hier ist es schon immer viel zu laut gewesen.
Eine Woche später saß ich im neuen Büro. Bin noch erschöpft von der Fahrt, drei Tage lang durch das Land, diesmal gen Westen. Ist nicht leicht, neue Jobs zu finden, doch der hier kam schnell. Grund sei meine Ausstrahlung und das professionelle Auftreten, das hatte der Chef betont. Kaum nachgefragt, schon eingestellt. Kontakte will ich keine finden. Wer weiß, wie lange ich bleibe. Menschen sind mir auch zuwider. Nur Stress bringen sie, sehen meine Schwäche, nutzen mich aus und behandeln mich wie Dreck. Hallo und Tschüss, mehr sind die mir nicht wert. Und niemand scheint mich hier zu beachten, ist auch besser für sie.
Früher ignorierte ich die Menschen gerne und egal, wie laut sie waren, es war mir gleich. Ein paar jedoch ließen dies nicht zu. Sie beleidigten mich, ich ignorierte es, sie schrien, dann schlugen sie zu. Schreiende Menschen sind gefährlich und so wurde ich es auch. Mein Vater schrie mich immer an, ich ignorierte ihn, letztlich schlug er zu. Unmöglich, dass ich mir das nach so vielen Jahren noch einen Tag länger gefallen ließe, also wehrte ich mich. Ich musste es tun, sonst würden es ihm andere gleich tun. Mein Vater hatte keine Chance mehr, es zu lernen. Gleich danach verließ ich die Stadt.
Der Chef kommt rein. Dieses Mal hat es nicht lange gedauert. Wenigstens für einen Monat wurde ich bezahlt und ich holte es gleich in bar bei der Bank ab. Und schon wieder kam das Geschwafel. „Nie pünktlich… zu viele Raucherpausen… keine acht Stunden gearbeitet… bla bla bla.“ Ich hätte es wortlos ertragen, doch dann fing er an zu schreien. Ich hasse das. Ruhe ist mir lieber. Zum Glück steht ein schwerer Locher auf dem Tisch, so brauche ich nicht mein Messer beschmutzen. Zweimal zugeschlagen und er war ruhig. „Übrigens, ich kündige“, danach verlasse ich mein Büro.
Und wieder waren da die traurigen Blicke. Ich kenne keinen von ihnen, warum dann dieses Mitleid? „Der Arme“, hör ich sie flüstern. „Warum nur?... Ich glaub‘s nicht… Dieser kleine Junge ... Er hat ihn umgebracht.“ Das habe ich wohl und es ist keine Schande. Seine Stimme war viel zu laut.
Diesmal reise ich gen Norden. Geld genug habe ich ja. Dänemark klingt vielversprechend. Ist sicher kalt da oben, aber vielleicht sind die Menschen angenehmer. Da ich nur Deutsch verstehe, stört mich ihr Geschnatter nicht. Oben angekommen war die Grenze zu. Unglaublich aber wahr, versperren die mir echt die Durchfahrt, gerade mir, der doch eh so schnell gereizt ist. Geschlagene zwanzig Minuten halten die mich auf, da kommt ein Polizist ans Fenster. Winzig sah er aus mit seiner Uniform, fast so winzig wie ich selbst. Wie ein zu groß geratener Gartenzwerg mit schwarzer Kleidung und gelber Weste. „Get out“, schrie er mich gleich an, nachdem er sah, wie schmächtig ich war, den Rest verstand ich nicht. Er war schon jetzt viel zu laut. Ich steige aus und hör ihm flüchtig zu, ganze drei Minuten, vielleicht waren es vier, da verliere ich die Geduld mit ihm. Mein Messer steckt immer im Stiefel, ich zieh es, bohre es ihm durch sein Kinn. Stark war ich nie, dafür aber schnell. Sofort war wieder Ruhe, das Messer verschwand im Stiefel.
Ich würde gern weiter fahren, kann es aber nicht. Vier Polizisten blockieren mir den Weg, vorne und hinten. Pech für sie, meine Laune ist im Keller. Der eine hielt ein Bild von mir in der Hand. Trotz der Entfernung erkannte ich mich sofort. Ein anderer wedelt mit der Hand, zeigt auf die tote Quasselstrippe und schreit. Wütend sieht er aus, aber warum? Der Tote ist jetzt ruhig und das ist gut so.
Sie nerven mich schon viel zu lange. Ich greife zum Stiefel und zieh mein schönes Messer. Von einem Jäger war es einst, handverziert, antik und wertvoll. Ich traf ihn im Wald, sah sein Messer und sprach ihn an. Verkaufen sollte er es mir und ich fragte ihn sehr nett. Der Jäger gab es mir nicht, schrie mich stattdessen an, also nahm ich es mir. Mit einem Stein auf den Schädel, er war dann ruhig und gab es mir.
Jetzt aber genug, ich gehe mit dem Messer auf den Schreihals zu. Gleich schreit er nicht mehr. Dann höre ich einen Knall, von einem zweiten gefolgt. Ich spüre nicht viel, aber warmes Blut spüre ich schon. Hat der mich etwa angegriffen? Warum sollte er das tun? Dafür muss er sterben! Noch ein Knall und ein weiterer, dann war endlich wieder Ruhe.