Ruhestörung im Märchenland 2

Antaris

Mitglied
Schlaflos in Fukien

Zuerst versuchte ich es in China. Unter Drachen gilt eine Adresse in Ostasien schon lange als absolut angesagt. Ich habe einen Neffen im Fukien der mir bei jedem Besuch von dem mondänen Leben im fernen Osten vorgeschwärmt hatte. „Die Chinesen kämen nie auf die Idee, einen Drachen zu töten“, erzählte er immer wieder. „Lieber essen sie Hunde und Katzen. Sie behandeln unseresgleichen mit größtem Respekt. Sie würden es nicht einmal wagen, auch nur einen wackeligen Schuppen in die Einflugschneise vor eine Drachenhöhle zu bauen, geschweige denn, eine klotzige Burg! Ja, überhaupt, die ganzen Höhlen entlang des Gelben Flusses, die musst du einfach mal gesehen haben...“

Ich flog also nach China. Das klingt erheblich leichter als es tatsächlich ist, denn der Weg zieht sich gewaltig in die Länge und ist auch flugtechnisch recht anspruchsvoll. Zudem war ich nicht gewohnt, längere Strecken zu fliegen, und schon gar nicht mehrere Nächte hintereinander.

Auf den ersten Blick gefiel mir das Land sehr gut. Ich fraß Gras, und ich fraß manche Opiumplantage kahl, aber ich fand nichts Besonderes dabei. Später erzählte mir mein Neffe, das die Wirkung von Opium auch abhängig sei vom Körpergewicht. Die Bauern waren nicht begeistert, aber sie taten mir nichts. Tatsächlich schienen die Menschen dort Drachen viel freundlicher gesonnen zu sein als zuhause. In ihren Tempeln fackelten sie manchmal körbeweise Räuchertäbchen unseretwegen ab und bei anderen Gelegenheiten machten sie einen Höllenlärm um uns bei Laune zu halten. Dabei war ich schon froh, wenn nicht ständig irgendwer versuchte, mich mit verwunschenen Lanzen aufzuspießen!

Mit diesen Menschen käme ich gut zurecht, aber mit den Drachen war es schon schwieriger. Es gab einfach zuviele Drachen in China! Zwar stimmte es, was mein Neffe über die wirklich komfortabelen Höhlen am Gelben Fluss berichtet hatte, aber kaum spazierte ich versehentlich etwas zu dicht an einer Höhle vorbei, zeigte sich gleich eine fauchende Furie, die ihr Gelege bewachte, um Feuer und Schwefel über mich zu spucken.

Mein Neffe war auch nicht so begeistert von meinem Besuch wie ich erhofft hatte. Vielleicht schämte er sich, weil er in einer schlichten Mulde eines abgelegenen Bergtales schlief. „Ja, die besten Höhlen werden in den einheimischen Familien von Generation zu Generation weitervererbt“, erklärte er, „hier muss ein Fremder schon eine gehörige Portion Glück haben, um überhaupt eine Höhle zu finden.“

Ich richtete mir ein provisorisches Lager in einem Nachbartal ein und wurde bald zu einer Attraktion für die Nachbarschaft. Immer mehr Drachen besuchten mich, um zu erfahren, wie ich bisher gelebt hatte. Da gab es natürlich viel zu erzählen für mich. „Sie haben das Metall der Rüstung auch schlucken müssen? Ojeoje, das müssen aber arg ungesunde Verhältnisse sein! Versuchen diese Leute wirklich, einem Drachen eine Lanze in den Leib zu rammen?“ entrüsteten sie sich, als ich von dem letzten Ritter, den ich gefressen hatte, erzählte.

„Und ob!“ fuhr ich fort. „Stellen Sie sich vor, für kühne Recken ist es gerade chic, in Drachenblut zu baden. Die Menschen haben so eine fixe Idee entwickelt, dass es ihnen helfen könnte, länger zu leben.“ Ich genoss das angstvolle Funkeln in ihren Augen, und das Gefühl, selbst ein wenig als Held zu gelten.

Mein Neffe sah das alles ganz anders. „Mach mich bitte nicht lächerlich in der Gesellschaft mit Deinen Geschichten“, nörgelte er. „Zuerst tun sie ganz geschockt, und dann ziehen sie über uns her und nennen uns kulturlose Hinterwäldler. Dann solltest du auch nicht unbedingt weitererzählen, dass du um diese Jahreszeit die Himalayaroute geflogen bist...“

Ich wollte nicht weiter zuhören und verzog mich auf mein Lager. Übrigens wissen Drachen auch einiges über die Liebe. Wenn ein paarungsbereiter Drache vor Senhnsucht anfängt zu wimmern denken die Menschen gleich, es gibt ein Gewitter, Sturm zieht auf,oder die Welt geht unter. Da in der Umgebung ständig irgendein Drache von Herzensleid geplagt wurde, kann sich jeder ausmalen, wieviel Schlaf ich in Fukien ohne Höhle gefunden habe, also verabschiedete ich mich auch hier. Es gibt auch ohne mich zu viele Drachen in China.
 
Nicht übel, witzig und gut zu lesen. Teil 2 ist schon eine Steigerung gegenüber dem ersten Teil, bei dem sich ja auch ein paar Schusselfehler eingeschlichen hatten. Die Idee mit China und allen Implikationen (die essen lieber Hunde!) ist brilliant.
Beste Wünsche für weitere Ideen -
Stefan Seifert
 

Morgana

Mitglied
Meeeeehhhhr....

wird ja immer besser. Ich würde gerne wissen wohin unser Drachenheld als nächstest zieht. Ich hoffe du bleibst am Ball. Ich finde das ist ein guter Stoff. Machst Spaß sowas zu lesen.

Bright Blessings

Morgana
 

Phylthia

Mitglied
einladung an deinen drachen!

hi antaris!
also, wenn ich es nicht schon waere, wuerde ich spaetestens nach dem konsum deiner zweiten drachengeschichte zum drachenfan werden.
die reise nach china ist wirklich eine nette idee, die ich bis jetzt noch nirgendwo gefunden habe. ausserdem ist mir dein drache persoenlich sehr sympatisch.
mach weiter so, schick den drachen noch auf weitere reisen!

liebe gruesse,
phyl
 

Antaris

Mitglied
Hallo allerseits,

das wundert mich ehrlich gesagt schon ein wenig, dass Euch ausgerechnet so eine kleine Drachengeschichte Drachengeschichte gefällt. Den Drachen nach China zu schicken fand ich ziemlich nahe liegend. Ich war zwar noch nicht da, aber China muss voll sein von Drachen. (siehe Neujahrsfest, Feng Shui u. ä.) Da eine Phantasiegestalt zu erfinden wesentlich weniger Mühe macht als eine realistisch angelegte Person werde ich wohl bei nächster Gelegenheit wieder Drachen steigen lassen in diesem Forum.

Mit feurrigen Grüßen

Antaris
 

Ralph Ronneberger

Foren-Redakteur
Teammitglied
Verdammt, warum haben immer die anderen so gute Ideen!!!???

Hallo Antaris,

also diese beiden Geschichten fand ich schon toll, wobei mir die erste inhaltlich und die zweite stilistisch ein wenig besser gefallen hat. Gerade in der ersten Story steckt meines Erachtens noch viel mehr drin, als Du beim (eiligen -man merkt es!) Schreiben aus der Feder gelassen hast. Solche Sachen wünscht ich mir viel öfter. Diese ewigen so ermüdenden (weil tierisch ernst gemeinten) Kämpfe irgendwelcher Helden mit irgendwelchen finstren Mächten, ließen mich schon langsam gähnen. Da ist dein Drache ein richtiger Muntermacher. Nur eine Bitte. Walz doch noch ein büschen aus. Vielleicht kannst Du den Ritter leben lassen, weil Du Mitleid mit dem liebeskranken Kerl hast. Zusammen könnten sie dann nach der Maid...... Scheiße. Es ist deine Geschichte. Schade.

Gruß Ralph
 

Antaris

Mitglied
Danke, Ralf, für Deine anregende Kritik. Ich bin ohnehin fest entschlossen, die erste Drachengeschichte ziemlich zu verändern. Ob sie Dir dann noch gefällt, weiß ich natürlich nicht, aber es erscheint mir jetzt keine schlechte Idee, den Ritter leben zu lassen.

Die Ideen speziell für solche Geschichten zu bekommen ist nicht schwierig. Wenn Du Dir konsequent Perspektivaufgaben stellst kommen sie von alleine, und Deine Geschichten kannst ohnehin nur Du selbst schreiben.

Mit feurigen Grüßen

Antaris
 

Ralph Ronneberger

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Antaris,

selbst auf die Gefahr hin, hier für ziemlich doof gehalten zu werden, frage ich einfach mal: Was sind Perspektivaufgaben? Das würde mich schon interessieren, denn Ideen kann man ja immer gebrauchen.

Gruß Ralph
 

Antaris

Mitglied
Lieber Ralph,

es soll tatsächlich auch bekannte, erfolgreiche Autoren geben, die Spielchen mit Perspektiven für kompletten Blödsinn halten. Tatsächlich wird Dir jeder bestätigen, der die Sache inigermaßen ernsthaft betreibt, dass Perspektivaufgaben eine superzuverlässige Quelle interessanter Ideen sind. Am besten fängst Du so an:

1. Du suchst Dir einen gewöhnlichen Gegenstand aus Deinem täglichen Leben aus, je trivialer, desto besser. Dein Bleistift, eine Tischdecke, ein Radiergummi (schau, ich habe mich völlig aufgerieben für Dich), der BH Deiner Liebsten, Dein PC, eine Konservendose, ein Katzenklo, alles kann gut genug sein.

2. Ehe Du den ersten Buchstaben schreibst, setzt Du Dich in eine ruhige Ecke, machst vielleicht die Augenzu, und versuchst zu fühlen (!) was Dein auserwählter Gegenstand fühlen kann.

3. Wenn Du schreibst, achte peinlich genau darauf, dass Du aus der Perspektive dieses Gegenstandes erzählst. Egal welche Einschränkungen Dir das Schreiben schwer machen mögen, achte darauf, dass Du die Perspektive keinesfalls verläßt. (Stühle können beispielsweise nicht wegrennen wenn das Haus brennt)

4. Natürlich schreibst Du in der Ich-Form. Eine Seite oder eine halbe genügen, wenn es Dir liegt, geht natürlich auch ein Gedicht. Später, wenn Du in der Ausführung sehr routiniert kannst Du probehalber mal ins Personal wechseln, aber wetten, dass Dich dann schnell die Angst beschleicht, die Nähe zu Deinen Figuren zu verlieren?

Wenn Du dir alle vier Wochen einen "Gegenstand des Monats" auswählst, wirst Du bald auch bei den "lebendigeren" Figuren ungewöhnliche Perspektiven entwickeln. Auf die Gefahr hin, dass Dich Deine Umwelt für komplett verrückt hält ist es vielleicht gut, die Aufgabe zunächst alleine durchzuziehen, oder in einer Schreibgruppe, falls Du eine hast. Du wirst feststellen, dass sich manche Texte supergut entwickeln und immer länger werden, mit anderen wirst Du nicht so zufrieden sein. Wirf sie nicht weg! Nie!!!Steck sie lieber weg und schau sie Dir nach einem Jahr oder so nochmal an.

Das ist das Wichtigste, was ich über Perspektivaufgaben weiß, also viel Spass! Ich mache das seit ungefähr drei Jahren.

Mit feurigen Grüßen

Antaris
 



 
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