Ruhestörung im Märchenland 4

Antaris

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Die Enttäuschung

Natürlich befolgte ich den Rat des Jungen und da ich mich nun schon tief im Morgenland bewegte, beschloss ich, meine Großmutter zu besuchen. Die hatte ich schon eine Ewigkeit nicht mehr gesehen, genauer gesagt, seit sie einst beschloss, in den sonnigen Süden zu ziehen.

Dummerweise hatte sie beim Abschied nur eine ungefähre Ahnung, wohin sie eigentlich fliegen wollte, und weil seither niemand mehr etwas von ihr gehört hatte, wusste niemand, wo sie letztendlich abgeblieben war. Die Suche nach ihr gestaltete sich schwierig, alleine schon, weil es fast nichts zu fressen gab. Kein richtiges Gras gab es, keine saftigen Laubbäume, das spärliche Grünzeug war ungesund zäh, und wenn ich hin und wieder ein unvorsichtiges Kamel antraf, stillte es gerade den ärgsten Hunger. So bezweifelte ich, dass sich meine Großmutter in der näheren Umgebung niedergelassen hatte, auch wenn das Klima ihre Gelenkschmerzen gewiss lindern würde. Großmutter ist immer eine sehr stattliche Erscheinung gewesen.

Dieses Gebiet war eine richtige Wüste. Nur sehr wenige Kreaturen lebten dort. Meist sah ich nur kleine Tiere oder ein paar Menschen, und ich war ratlos. Sollte ich etwa die Leute, die an einem Flussufer eine Pyramide polierten, fragen, wo und wann sie zuletzt einen Drachen gesehen hatten? Dieser Menschenschlag verhielt sich ohnehin etwas merkwürdig. Eines Morgens setzte ich mich dezent in die Nähe einer Künstlergruppe in der Hoffnung, dass wenigstens einer von ihnen sich zu einer Portraitskulptur von mir inspiriert würde. Tatsächlich löste meine Anwesenheit eine lebhafte Diskussion unter ihnen aus, und noch vor Mittag begannen die ersten, einen neuen Granitblock zu bearbeiten. Leider wurde das Kunstwerk nie fertig, denn die Pristerschaft des nnächsten Ammontempels ließ die komplette Bildhauergruppe den heiligen Krokodilen in dem großen Fluss vorwerfen. Nette Drachenportraits fielen unter irgendein Blasphemiegesetz, steinerne Sphinxe waren offensichtlich in allen Variationen erlaubt. Ich scheuerte meinen Hals an einer Sandsteinskulptur, und schon zerkrümmelte die Nase der steinernen Sphinx. Die trockene Luft bekam meiner Schuppenhaut nicht gut.

Eine lebendige Sphinx hatte ich bisher noch nie zu sehen bekommen. Sphinxe gelten als furchtlos und weise, und sie können ungefähr so alt werden wie Drachen, warum sollte ich also nicht die nächstbeste Sphinx die ich antraf, nach meiner Großmutter fragen? Der große Haken an der Idee war freilich, dass Sphinxe gemeinhin auch als wenig kommunikativ, ungesellig und reizbar verschrien sind. Letztgenannte Eigenschaft wird allerdings auch Drachen nachgesagt.

Unverhofft bald fand ich die erste Sphinx. Sie hatte ein flaumiges graubraunes Fell und schlief mit ausgestreckten Pfoten in einer felsigen dürren Senke. Wütend fauchend sprang sie auf als ich sie weckte, und dann lief sie davon, ehe ich sie nach meiner Großmutter fragen konnte.

Die Sphinx roch sehr nach Katze und ich nahm Witterung auf. Wo eine Sphinx ist, da sind bestimmt auch mehrere, auch wenn sie vielleicht nicht wie eine Herde Kühe in der Sonne liegen und dösen, dachte ich. Leider war die Sphinx sehr gut zu Fuß und erstaunlich geländegängig. Ich war längere Fußmärsche nicht gewohnt, und aus eigenem Antrieb würde ich nie felsige Abhänge hinauf klettern, oder über ausgetrocknete Wasserläufe springen. Zu Fliegen empfahl sich aber nicht, sonst hätte ich die Witterung verloren.

Der Abstand zwischen der graubraunen Sphinx und mir vergrößerte sich stetig, aber immer wieder nahm ich kreuzende Fährten anderer Sphinxe wahr und dann sah ich die beiden Riesenbiester! Mit hochmütig in sich gekehrtem Blick saßen sie einander gegenüber, die eine Sphinx im sehr hellen, fahl sandfarbenem Fell, und die andere im dunkelgrauen, fast schwarz glänzendem Fell.

Ich zögerte. Beim Umgang mit fremden Kreaturen ist erhöhte Vorsicht geboten so lange niemand genau weiß, über welche magischen Fähigkeiten sie möglicherweise verfügen, außerdem waren die beiden deutlich größer als ich. Sie sahen mich nicht an, aber da Sphinxe über unbewegliche Menschenohren verfügen war ich mir nicht sicher, ob sie mich nicht längst gehört hatten. Ich schleiche nämlich nicht gerade wenn ich zu Fuß unterwegs bin.

Schließlich setzte ich mich in ihre Mitte und fragte die beiden wann sie zuletzt einen Drachen gesehen hatten der mir ähnlich sah.

In ihren Minen spiegelte sich nicht das leiseste Anzeichen von Überraschung. "Bist du ein Drachen?", fragte die helle Sphinx, und ich nickte.

"Dann sehen wir gerade einen Drachen", folgerte sie.

Die Bemerkung fand ich nicht witzig, aber der Höflichkeit halber lächelte ich ein wenig. "Bin ich der einzige Drachen, den Ihr je gesehen habt?" fragte ich.

"Drachen treffen wir nicht so viele hier", sprach die dunkle Sphinx, "genauer gesagt, es kommen fast keine hier vorbei."

"Aber einen, wenigstens einen einzigen Drachen habt ihr schon gesehen", hakte ich nach.

"Er flog direkt über unsere Köpfe hinweg", antwortete die helle Sphinx.

"Wo ist er hin?"

"Also, er ist in keinem Sandsturm verloren gegangen", überlegte die Dunkele, die offensichtlich für negative Antworten zuständig war,"und er ist nicht in der großen Mutter aller Flüsse ertrunken."

"Sagt bloß, er ist noch hier in der Gegend" Vor Ungeduld konnte ich kaum mehr stillsitzen. Dass die Konversation mit einer Sphinx meistens sehr Nerven aufreibend ist falls sie sich zu einer solchen überhaupt herablassen, hatte ich schon mehrfach gehört. Manche Sphinxe sprechen nur in Rätsel, und viel brauchbarer als Rätsel waren die Antworten der beiden bestimmt nicht.

"Nein, er ist fort", sprach die Dunkle, "die Wüste taugt für Drachen nicht."

Auf die letztgenannte Erkenntnis wäre ich zur Not noch selbst gekommen. "Wohin ist er denn geflogen", flehte ich.

"Von der einen Richtung ist er gekommen, in die andere ist er gezogen", seufzte die Helle, "als ob Raum und Zeit von Bedeutung wären!"

In diesem Augenblick hörte ich ein Fauchen hinter meinem Rücken. Ich drehte mich um und blickte direkt in die leuchtend grünen Augen der kleinen graubraunen Sphinx. Dabei hatte ich Glück, denn manche Sphinxe können mit ihren Blicken töten. "Vernichtet diese Kreatur", giftete sie und erhob drohend eine Vordertatze, "sie hat den heiligen Schlaf einer Sphinx gestört."

Der eigene Schlaf war diesen eingebildeten Faulpelzen also wichtiger als das Wohl meiner Großmutter! Augenblicklich duckten sich die beiden großen Sphinxe zum Sprung, und ich wusste, dass mich aus dieser misslichen Lage nur meine Flügel retten konnten. Markerschütternt schreiend setzte die Helle mir nach, ich spürte den Lufthauch ihrer krallenbewehrten Pranken an meiner Schweifspitze, aber ich entkam.

Die Wüste taugt wirklich nichts für Drachen, überlegte ich, und da sie in dem großen Fluss bestimmt nicht ertunken ist, so ist Großmutter wahrscheinlich den Flusslauf entlang gesegelt, und genau das tat ich auch. Bald schmerzte mein guter Schweif ganz fürchterlich, denn die krallen der Sphinx hatten ihn doch noch erwischt, aber die Kratzer waren nicht sehr tief. Allem was auch nur im entferntesten nach eine Sphinx ausschaute, ging ich nun tunlichst aus dem Wege, und hin und wieder fraß ich ein Flusspferd. So gut wie richtige Pferde sind Flusspferde lange nicht, aber sie sättigen.

Die Landschaft wurde freundlicher, und einige Nächte später erreichte ich einen großen See. Da Großmutter immer viel Respekt vor größeren Gewässern hatte, rechnete ich nicht damit, sie in der Nähe des Sees anzutreffen. Ich streifte über das Land, fraß viel Steppengras und manchmal einen Gnu, und als ich eines Nachts über eine Menschengruppe an einem Lagerfeuer flog, die mein Anblick nicht gleich in Panik versetzte, ahnte ich, dass Großmutter nicht mehr weit entfernt sein konnte.

Als die Morgendämmerung den Horizont rötete wollte ich mich schlafen legen. War es die Nachwirkung meiner kürzlich überstandenen Krankheit, eine Steppenstaubunverträglichkeit, oder nur ein dummer Zufall, dass ich nießen musste? Im Nu stand jedenfalls das dürre Gras vor mir lichterloh in Flammen, und das Feuer breitete sich so rasend schnell aus ,dass ich Mühe hatte, mich rechtzeitig in Sicherheit zu bringen. Bis auf weiteres sollte ich besser nur auf felsigem Untergrund schlafen.

“Junge ist das möglich!” Eine wohlbekannte Stimme riss mich zeitig am Abend aus dem Schlaf. “Bist du tatsächlich den weiten Weg gekommen, um deine alte Großmutter zu besuchen! Nein was für eine Überraschung! Als die Medizinmänner der Menschen hier etwas von einem Zauberer erzählten, der große Buschfeuer entfachen kann, wurde ich neugierig, und habe mich gleich auf die Suche gemacht...”

Da stand Großmutter tatsächlich vor mir, größer und breiter als ich sie in Erinnerung hatte, und sie redete, redete und redete, als habe sie jahrhundertelang mit niemandem ein Wort gewechselt. “... du siehtst etwas schmächtig aus, mein Junge,” bemerkte sie schließlich. Nanu, das hatte noch nie jemand von mir behauptet! “Willst du nicht einmal ein gegrilltes Rhinozeross probieren? Die Leute verstehen sich meisterhaft auf die Zubereitung von Delikatessen.”

“Oh ja, ich mag Pferde sehr gerne”, antwortete ich, “am liebsten belgische Ritterrösser, aber momentan würde mir auch eins von den wilden, schwarzweiß gestreiften Ponies genügen wenn ich es nur erwischen könnte.”

“Ponies”, wiederholte Großmutter geringschätzig. “So ein frisch gegrilltes Rhinozeross ist mit keinem Pony zu vergleichen, und du brauchst dich um nichts zu kümmern. Die Menschen hier liefern alles auf Bestellung.”

Klein und dunkel waren die Menschen dort, kleiner als gewöhliche Menschen, aber so klein wie Zwerge nun wieder auch nicht, und sie gehörten zu den nettesten Leuten, die ich mir vorstellen kann. Morgens stellte sich Großmutter vor das nächstbeste Dorf, deutete auf ihren Bauch, und abends war der Rhinobraten fertig. Dazu ließ der Häuptling dann meist noch eine Tanzdarbietung für uns organisieren, und der Medizinmann sprach vor dem Essen seinen Segen.

Weniger angenehm waren die langen Vorträge, die Großmutter mir hielt, und die vielen Kleinigkeiten an mir, an denen sie etwas auszusetzen hatte. Dass ich wärend der Trockenzeit in diesem Land möglichst nicht nießen sollte, konnte ich noch nachvollziehen, dass ich schon kurz nach Sonnenuntergang aufstehen sollte, empfand ich allerdings als Zumutung, und wenn alte Drachen anfangen, von der letzten Eiszeit zu erzählen, mochte ich ohnehin nicht mehr zuhören. Da Großmutter kaum noch flog und wenig spazieren ging, hate sie viel Zeit zum Erzählen. Wenn ich dagegen erzählen wollte, wie ich mich mit der hellen Sphinx angelegt hatte, hörte sie überhaupt nicht hin und beklagte sich über den Rest der Familie, der sie zu selten besuchte. So hatte ich mir den Besuch bei meiner Großmutter nicht vorgestellt.

Nächtelang überlegte ich, wie ich mich von meiner Großmutter verabschieden konnte ohne sie zu sehr zu kränken. "Junge, musst du wirklich schon fort", jammerte sie als ich schließlich etwas sagte. "Du hast noch nicht einmal einen gebratenen Elefanten gegessen. Für mich allein ist ein Elefant zuviel, das solltest du dir wirklich gut überlegen. Elefanten fangen die Leute nicht jeden Tag."

"Ich bin längst ein erwachener Drachen und muss zuhause nach dem rechten schauen", erwiederte ich.

"Ach Junge, wenn du schon nicht das Ende der Regenzeit abwarten willst, dann versprich mir wenigstens, dass du dich vor tropischen Gewittern in acht nimmst", mahnte sie.

"Ja, Großmutter", antwortete ich artig. Bei dem Gedanken an das Ende der Regenzeit lief mir ein unangenehmes Kribbeln über meine Rückenzacken, denn die Trockenzeit war ja noch nicht einmal zu Ende. "Bis später", sagte ich und machte mich auf den Weg.
 

Arathas

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mh...

Ich muß ehrlich sagen, daß mir diese Story von allen vieren am wenigsten gefällt. Ihr fehlt die Kurzweil, der Witz, die Originalität, eben das, was die anderen auszeichnete... Schade eigentlich, denn aus dem Thema hätte man noch mehr machen könnnen - du ziehst nicht zufällig in Erwägung, sie nochmal zu schreiben? :)
 

Antaris

Mitglied
Hallo Arathas,

doch, das ziehe ich in Erwägung. Die Geschichte gefällt mir so auch nicht, deswegen habe ich relativ lange gebraucht. ( und weil ich zu ko. in den vergangen Tagen war) Der Drachen schaut nicht gut aus neben den Sphinxen und neben seiner Großmutter,aber ich weiss momentan nicht, wie ich das ändern kann.

Mit feurigen Grüßen

Antaris
 

Arathas

Mitglied
Sphinx

Mh... laß die Sphinxe ungewöhnliche Rätsel stellen - die der Drache dann noch ungewöhnlicher und mit viel Witz beantwortet! :)
 



 
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