Ruinenhonig

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Seize

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„Nur noch ein Volk, dann können wir sie umsiedeln.“ Peter Holm dreht sich zu seinem Sohn Fabian um, nahm den Imkerhut ab und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Sein Sohn nickte nur stumm und mit verkniffenem Gesichtsausdruck. Sie gingen durch die Hintertür wieder in das alte Herrenhaus auf dessen Balkon die Bienenhäuser standen. Sie hatten gewartet, bis in der Abenddämmerung alle Bienen zurückgekehrt waren und nun drang immer weniger Licht in die vor vielen Jahren verlassene Villa mitten im Kohlstädter Forst und lange Schatten verdrängten das Licht, das durch die leeren Fensterhöhlen drang. Sie betraten gerade den hinteren Saal. Große Säulen hatten hier einmal eine Galerie getragen, die war aber längst heruntergebrochen und versperrte jetzt den Durchgang in die Eingangshalle. Sie wanden sich nach rechts zur Treppe, durchliefen die oberen Gemächer und gingen auf den umlaufenden Balkon. Der marode Boden und die alte Konstruktion ächzten unter dem Gewicht. Schnaufend hoben Sie die Beute hoch und trugen sie die Treppe hinunter.
„Warum musstest du ausgerechnet diesen Ort für deine Völker wählen? Es war doch klar, dass irgendwann der Eigentümer etwas dagegen hat.“, presste Fabian zwischen schweren Atemzügen hervor als sie das Erdgeschoss erreicht hatten.
„Herr Fürst hatte nie etwas dagegen, dass wir uns auf dem alten Familienanwesen aufhalten. Er hat die Ländereien schon seit 30 Jahren nicht mehr genutzt und hier gibt es einfach die beste Nahrung für die Bienen. Das Grundstück und der Wald sind verwildert, es gibt in der näheren Umgebung fast das ganze Jahr über verschiedene Blüten und die Bienen sterben nicht an Pestiziden.“ Er seufzte: „Aber das hilft jetzt alles nichts. Herr Fürst ist gestorben und sein Sohn will uns hier nicht haben. Dagegen kann ich nichts machen, ich bin alleine und wer interessiert sich schon für die Belange von einem kleinen Imker und seinen paar Bienen? Ich habe schon so oft einen neuen Ort mit guter Nahrung gefunden, ich werde auch dieses Mal einen finden.“
Gerade wollten sie die Kisten wieder hochheben, als ein Lichtblitz die Ruine erhellte. Peter drehte sich erschrocken um. „Ist da jemand?“
„Keine Sorge“, kam die Antwort aus der Haupthalle. „Ulrich Baumgärtner hier, ich mache noch ein paar Fotos von den Spätblüten. Wer ist auf der anderen Seite?“
„Hallo Ulrich, Peter mit meinem Sohn Fabian. Wir bringen gerade die Bienenhäuser weg.“
„Hallo Peter, wartet kurz einen Moment dann komme ich zu euch. Ich habe tolle Bilder aufgenommen.“

Kurze Zeit später bestaunten sie die Bilder aus der der Haupthalle. Nur noch an einigen Stellen waren Reste der roten Tapete zu erkennen, aber eigentlich erinnerte nichts mehr an den imposanten zweistöckigen Raum. Die Decke war bereits vor 10 Jahren eingestürzt und die Natur hatte sie zurückerobert. Die ersten Gräser, Sträucher und Stauden hatten schon vor Jahren Wurzeln geschlagen und an manchen lichtdurchfluteten Flecken war ein wahres Blütenmeer entstanden. Ulrich Baumgärtner hatte diese in einem wundervollen Licht auf Bild gebannt und Peter konnte die Blüten förmlich riechen als er das Foto betrachtete. Er bildete sich ein, Bienen auf den Fotos zu erkennen.
„Wie geht es bei dir weiter?“, fragte er. „Betreibst du deinen Blog noch?“
„Ich denke schon. Bisher haben wir die Ruine vor der Öffentlichkeit verheimlicht, weil Herr Fürst hier keine Touristenströme wollte. Aber jetzt kann ich doch der ganzen Welt zeigen was hier passiert. Vielleicht kann diese alte Schönheit am Ende noch mehr auf Natur- und Artenschutz aufmerksam machen als es alle meine Bilder bisher konnten. Wie ist es bei dir? Hast du schon einen neuen Platz für deine Bienen?“
„Nein, leider nicht. Aber irgendwie wird es schon weitergehen. Nur mit diesem Ort nicht. Ich habe ihn immer nur als Nahrungsquelle für die Bienen gesehen, aber deine Fotos begeistern mich immer wieder. Es wäre schön, wenn zumindest deine Sache aus diesem Verlust einen Gewinn schlagen könnte.“
Ulrich machte ein trauriges Gesicht.
„Wohl eher eine Trotzreaktion. Mir wäre es lieber, wenn ich hier noch viele Jahre lang Fotos machen und beim Frühstück deinen Ruinenhonig genießen könnte. Hast du die Bagger schon gesehen? Die wollen morgen früh mit dem Abriss beginnen.“

Ein lautes Räuspern war plötzlich aus einer besonders dunklen Ecke zu hören. Die Gruppe fuhr zusammen und sah einen gelben Bauhelm auf blauer Latzhose.
„Wir werden in ein paar Stunden mit dem Abriss dieses Gebäudes anfangen. Ich muss Sie bitten das Haus jetzt zu verlassen.“
Danach drehte er sich um und wollte wieder gehen. Die Routine dieser Worte war zu viel für Peter und er rief dem Mann hinterher: „Können Sie es mit ihrem Gewissen vereinbaren einfach alles niederzuwalzen?“
„Der Eigentümer will Geld mit dem Grundstück verdienen. Um das zu können muss dieses Gemäuer weg. Schauen sie mich nicht so an! Ich mache hier nur meine Arbeit und wenn ich es nicht tue, dann tut es ein anderer! Einen schönen Abend noch und verlassen sie das Gebäude.“

Niedergeschlagen hatten sie die letzte Beute in Sicherheit gebracht und während sie noch einen Blick auf das mittlerweile im dunklen liegende Herrenhaus waren, meinte Ulrich: „Wir sollten auch noch einen Rundgang machen. Vielleicht treffen wir bekannte Gesichter. Hinter den Wirtschaftsräumen gibt es noch eine intakte Treppe, die in die Schreibstube führt. Soviel ich weiß ist dort etwas versteckt.“
Ulrich ging voraus und Fabian hinterher. Peter seufzte, aber zum Schluss gewann die Neugier. Also ging er schweren Schrittes seinem Sohn und dem Umweltfotografen nach. Tatsächlich war im Obergeschoss eine ganze Gruppe von Leuten.
„Seht mal, dass ist doch der Imker. Schön dich mal zu treffen. Deine Bienen haben uns das Leben ganz schön schwer gemacht.“ Sprach ihn ein junger Mann in Kapuzenpulli und Schlabberjeans an.
„Schaust du dir auch nochmal die Ruine an bevor morgen alles vorbei sein soll? Ich bin übrigens Paul. Leon, Tim und ich machen Youtube-Videos von Lost Places. Als wir gehört haben, dass die alte Villa abgerissen werden soll, wollten wir noch ein Abschiedsvideo für unseren Channel machen und treffen seitdem ständig Leute. Willst du vielleicht auch ein paar Worte in die Kamera sagen?“
„Hallo. Richtig. Der Imker. Peter.“
Er ergriff die ausgestreckte Hand und versuchte sich nicht anmerken zu lassen, dass er jedes zweite Wort nicht verstanden hatte. Er schaute zu seinem Sohn. Der redete gerade in die Kamera eines anderen Kapuzenpullis und schien zu wissen was ein Channel und ein Lost Place war. Peter sah sich im Zimmer um. Nur noch einzelne Möbelstücke ließen erahnen wie prachtvoll auch dieser Raum einst eingerichtet gewesen sein musste. Die Überreste von schweren, dunklen Holzregalen an der einen, ein großer, offener Kamin auf der anderen Seite. Im Kamin hantierte gerade ein Mann und zog eine 30 Zentimeter lange Plastikkiste hervor. Peter trat zu ihm und fragte, ob das der Geocache wäre.
„Ja, das ist der beliebteste Geocache den ich jemals versteckt habe. Es gibt nicht viele Ruinen die so frei zugänglich sind wie diese und so hat er Geocacher von nah und fern angezogen. Aber jetzt werde ich ihn wohl deaktivieren müssen.“
Er drehte die Kiste traurig in den Händen und Peter konnte ihm ansehen, dass auch er unglücklich mit dem Abriss war. Er klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter und erzählte ihm von seinen Bienen und dem Ruinenhonig, der so beliebt bei seinen Kunden war. Geteiltes Leid ist halbes Leid, stellte er fest und so saß die Gruppe zusammen, erzählte sich Geschichten aus der Ruine, über den alten und den jungen Herrn Fürst und über all die Menschen denen sie in den alten Gemäuern begegnet waren. Die Geschichten waren mal lustig, mal ernsthaft, mal unheimlich, aber immer schwang ein trauriger Unterton mit und Peter fühlte sich für ein paar Stunden nicht mehr einsam und alleine mit seinen Problemen.

Durch die Mauern erschall ein heller, markdurchdringender, heulender Ton, der die ganze Gruppe zusammenzucken ließ und Peter sah im Licht der aufgehenden Sonne Staub von der Decke rieseln. War es wirklich schon Morgen? Hatten Sie so die Zeit vergessen? Er schaute in die Gruppe. Alle ließen den Kopf hängen. Ulrich war bereits aufgestanden und mahnte zum Aufbruch. Es konnte doch jetzt nicht zu Ende sein. War nicht gerade in seinem Kopf noch ein Plan herangereift, wie man die Villa doch retten und vor ihrem neuen Besitzer schützen konnte? Er richtete sich auf und wandte sich an die Gruppe: „Wartet! Wollen wir wirklich einfach so aufgeben und zusehen wie unsere Ruine eingerissen wird?“
„Nein natürlich wollen wir das nicht, aber alleine kann man halt doch nichts unternehmen. Der Fürst hat alle Trümpfe auf seiner Seite.“, kam die niedergeschlagene Antwort von Ulrich Baumgärtner.
„Genau das habe ich bis gestern auch noch gedacht: ‚Alleine kann man nichts unternehmen‘. Aber ich bin nicht alleine, denn ich habe in euch Mitstreiter gefunden. Ulrich: Obwohl du aus dem Abriss vielleicht sogar noch einen Nutzen ziehen könntest willst du, dass die Villa stehen bleibt.“ Dann zeigte er auf den Geocacher. „Auch Torsten könnte ohne weiteres einen anderen Ort für seine Cache finden, aber trotzdem wäre es ihm das Liebste, wenn er sie im Kamin liegen lassen könnte. Wenn ich in eure Gesichter schaue, dann weiß ich ganz genau, dass jeder von euch will das die Ruine stehen bleibt und nur ein einziger Mensch will, dass der Platz anderweitig genutzt wird!“ Peter hob den Zeigefinger aus der erhobenen Faust. „Wieso also sollten wir nicht weitere Unterstützer finden, die genauso wie wir wollen, dass die Villa erhalten bleibt so wie sie ist? Wir hatten gute Gründe nicht an die Öffentlichkeit zu gehen, aber jetzt haben wir einen guten Grund genau das zu tun. Das Einzige was wir brauchen ist ein wenig mehr Zeit.“
„Also was schlägst du vor? Zeit haben wir nämlich nicht“, kam die Antwort von Paul, dem der Gedanke sichtlich gefiel. Auch der Rest der Gruppe schaute gespannt zu Peter.
„Ulrich, du musst deine Fotos und deine Blogeinträge zum Kohlstädter Kurier bringen und danach in der Innenstadt dazu aufrufen, dass die Menschen herkommen und mithelfen. Paul, könnt ihr mit euren Handys ein Video ins Internet hochladen? So erreichen wir noch viel mehr Menschen. Und alle wir alle stellen uns jetzt zwischen die Villa und die Bagger und versuchen Zeit zu gewinnen. Jeder Minute die wir ihnen abtrotzen können ist eine gute Minute!“
Die Gruppe sah ihn stumm an und nickte, erst zaghaft und nachdenklich, dann überzeugter und schließlich ließen sie sich alle mitreißen. Ulrich packte seine Kamera und rannte durch die Hintertür. Die Youtuber nahmen ihre Handys und begannen in die Mikrofone zu reden. Torsten, Fabian und Peter nickten sich zu und gingen schnellen Schrittes durch den Vordereingang stellten sich in einer Reihe mit ausgebreiteten Armen auf und starrten die Abrissbagger an. Die Bagger bewegten sich unaufhaltsam auf sie zu, erst 10 Meter, dann 5 Meter. Erst als sie Schaufeln nur noch Zentimeter von Peters Gesicht entfernt waren blieben die Bagger stehen.
 

Ji Rina

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Hallo Seize,
Nun hab ich mich entschieden “Ruinenhonig” zu lesen. Jons Kommentar habe ich auch gesehen. Nun, ein bisschen Heavy kommt dieser Text auch bei mir an; so als läge ein dicker Teppich über ihm. Deine Schreibart finde ich durchaus gelungen; so auch die vielen Details und Beschreibungen, was nicht einfach ist, Du aber sehr gut beherrschst. Aber vielleicht könnte man diesem Text noch ein bisschen mehr Leichtigkeit verschaffen. Am Ende könnte man diese Geschichte wahrscheinlich auf zwei, statt auf vier Seiten erzählen. Du beschreibst unheimlich viele Dinge: Das Herrenhaus, Schatten und Licht; die Säulen einer Galeríe; die Fotos vom U. Baumgärtner, Sträucher, Stauden….Das ist sehr viel Information für eine Kurzgeschichte, denke ich. Am Ende der Geschichte werden Namen genannt: Torsten, Fabian, Peter, die Utuber. Aber ich fand keinen Zugang zu diesen Menschen, da sie nur gegen Ende kurz in Erscheinung treten. Fazit: Wäre dieser Text ein Kapitel innerhalb eines Romans, fände ich ihn adäquat, aber als Kurzgeschichte eher ungeeignet, da das gesamte Gewicht hauptsächlich auf der Beschreibung des Anwesens liegt und ganz nebenbei alles andere erwähnt wird. Als Kurzgeschichte könntest Du vielleicht eine andere Perspektive wählen: Zum Beispiel, als Allwissender Schreiber, mit dem Focus auf die Baggerfahrer; das würde aus meiner Sicht der Geschichte mehr Tempo geben: Die Baggerfahrer sind wild entschlossen dem Leben der Villa ein Ende zu setzen, erhalten jedoch unerwarteten Widerstand. So hättest Du hier den Ausgangspunkt der Geschichte und nebenbei könntest Du (jedoch im Rahmen) die Beschreibungen, Erinnerungen des Imkers etc… einfügen. Ich würds mal ausprobieren!

In Sachen Punkte: Drei aufmunternde!

Ohje…Ich hoffe, ich habe mich verständlich ausgedrückt. Dies ist nur meine ganz persönliche Meinung. Ich sage immer: Es gibt nichts schwierigeres, als eigene Texte von anderen Autoren beurteilen zu lassen. Das ist ein bisschen so, als würde man Mick Jagger oder Leonard Cohen nach ihrer Meinung zu “Ein bisschen Frieden” von Nicole, fragen. (Oder man frage Nicole nach ihrer Meinung zu Durutti Column....) ;)
Mit Gruss,
Ji
 

Seize

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Hey Ji Rina,

vielen Dank für deine ausführliche und hilfreiche Kritik. Vielleicht habe ich mich wirklich zu sehr in Beschreibungen verloren. Das Bild war in meinem Kopf so klar und wollte raus. :) Danke auch für die Alternativsicht. Wenn ich Zeit habe werde ich das gerne mal ausprobieren.

Viele Grüße
Seize
 



 
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