Willibald
Mitglied
Runde Stunde
Schwere Stunde
Kennen Sie vielleicht die „Schwere Stunde“ von Thomas Mann? Ja? Die novellistische Studie? Wow. Dann sind Sie wahrscheinlich Deutschlehrer an einem Gymnasium. Und Sie sind am Verzweifeln. Doch, geben Sie es ruhig zu. Und die anderen, die keine Deutschlehrer sind, die treffen dann auf diese Deutschlehrer, die in der Buchhandlung, sie stehen an dem Regal, wo die Ratgeber zum Glücklichsein stehen. Jeden Tag weniger ärgern. Das kleine Buch vom wahren Glück. Die sieben Gesetze des Glücks. Der Glücksfaktor. Ab heute besser drauf. Wege zum Glück. Umarme dein Glück. Glück ist kein Zufall
Ja, doch, die Deutschlehrer dort, sie könnten Bücher schreiben. Titelvorschlag:„Wie sie sich ihr Leben gründlich versauen“. Ja, versauen, seufzen die Lehrer. Und das nicht nur wegen der Korrekturen.
Sagt der Deutschpädagoge in einer 11. Klasse: „Sie sollten gestern, bevor wir heute ins Detail gehen, die Ringparabel in Lessings Nathan der Weise lesen. Die drei Reclam-Seiten, das war Hausaufgabe. Also, da gibt es drei Brüder und diesen Ring des Vaters im Sterben. Na? Was fällt Ihnen dazu ein? Was haben Sie da gerade leise gesagt, Sven? Sagen Sie es laut, keine Sorge, vielleicht liegen sie richtig.
„Na, die Brüder sind vielleicht schwul?“ „Mein Gott, wie kommen Sie denn darauf?“. „Na, drei erwachsene Männer und sie kloppen sich um ´nen Ring.“
Oder:
„Was ist das für eine Stilfigur in Zeile 43?“ Schweigen.
„Karl, Sie sind ein intelligenter Schüler, früher hätte man gesagt, ein aufgeweckter Schüler, und wir haben schon so oft über diese Figuren gesprochen. Sie haben wirklich keine Ahnung, was das ist? Aufgeweckter Schüler: „Eine rhetorische Frage?“
Kurz und schlecht: Unser Unterricht haut keinen vom Stuhl. Aber es gibt erbauliche, es gibt tröstliche Ausnahmen, seltene Momente, seltene Stunden. Johannes Willibald Wenzel ist hierfür Zeuge und Bürge. Seine Erlebnisse, diese Geschichte jetzt, sie stützt sich auf seine tschechisch-böhmische Großmutter und seinen germanistischen Vater. Sie seien bedankt. Und wer diese Geschichte bis zum Ende aushält, möge ihnen auch danken.
?
Die Russen
Johannes war 1951 ein kleiner Junge. Der Koreakrieg machte den Leuten Angst in der kleinen Stadt am Main. Nachts träumte Johannes, dass auf das Dach eine Bombe fiel und dass alle Stockwerke bis in den Keller herunterbrachen. Sie wohnten im Erdgeschoss. Der Vater griff am Abend zu Leopold Webers „Unsere Heldensagen“ aus dem Jahre 1934, in der Schulbibliothek ausgemustert. Dietrich von Bern. Siegfried, Hagen von Tronje, Herzog Ernst. Auf dem Umschlag ein Ritter mit einem riesigen Schild, ein Helm, offenes Visier, Blick in die Ferne, rechts vom Schild ein gesenktes, langes Schwert. Blank gezogen.
Riesenstark, adlig an Antlitz und Gliedern, wuchs Dietrich heran. Lichtbraun wellte sich um die Schläfen das Haar. Versonnenen Geistes litt er lang, wenn die Spielkameraden spottend den Schweigenden reizten, geriet er aber in Grimm, dann stoben sie schreiend vor Schrecken davon, denn jählings verkehrte er sich, daß er einem Dämon gleich anzusehen war: funkensprühend sträubte sich steilauf sein Haar, und aus der entbrannten Brust schlug ihm in heißer Lohe das Feuer zum Munde hervor.
Johannes hörte angespannt zu.
Oder der Vater sprach mit geschulter Stimme:
Phol und Wodan ritten ins Holz.
Da ward dem Fohlen Balders der Fuß verrenkt.
Da besprach ihn Wodan, wie (nur) er es verstand:
bên zi bêna,
bluot zi bluoda,
lid zi geliden,
sôse gelimida sin!
„Johannes, das heißt: Bein zu Bein, Blut zu Blut, Glied zu Gliedern, als ob geleimt sie seien.“
Die tschechisch-böhmische Großmutter aus Prag hatte anderen Trost. „Weißt Du, wenn die Russen kommen, das wird nicht so schlimm. Wir haben Hühner. Wir haben hochprozentigen Alkohol im Flascherl. Mach´ ma´ starken Eierlikör, den kriegen sie und dann lassen sie uns in Ruhe.“ Und einen Spruch hatte sie auch. Sie nahm die Hand des Kleinen. Mit dem Zeigefinger rührte sie auf dem Handteller, dann ergriff sie jeden einzelnen Finger des Jungen.
Michala myši?ka kaši?ku
(Michala mischitschka kaschischitsku)
Es rührte ein Mäuschen ein Breichen
na zeleném rendlí?ku,
in einem grünen Töpfchen
tomu dala,
dem gab es etwas
tomu taky,
dem auch
tomu málo,
dem wenig
und für diesen Kleinen
Blieb gar nichts übrig
Und der Kleine rannte, rannte
In die Speisekammer.
a tam se napapal.
Und dort aß er sich voll
Am Schluss dann lief der Finger der Großmutter in die Achselhöhle und kitzelte dort wild. — Das Kind, es kicherte und lachte und hatte keine Angst mehr.
Referendar
Johannes war 1973 erwachsen und Referendar im Zweigschuleinsatz in Fürstenfeldbruck. Viscardi-Gymnasium, ein Anfänger mit Deutsch und Latein. Seine Betreuungslehrerin in Deutsch – Frau Fischhaber – saß ihm gegenüber.
„Also Ihre Korrekturen sind sehr sorgfältig. Aber ich sag ihnen was. Zu lang. Schaun´s, ma macht sich kaputt mit solchen Romanen. Ich schreib einfach: Sprachlich oft recht geschickt, die Rechtschreibung könnte besser sein, die Gedankenführung ist meist solide, eine Gliederung ist nicht recht zu erkennen. Des sagt alles. Des glangt.
Und dann ihr Unterricht. Machen´S doch was Normales. Was im Lesebuch steht. Eine Kurzgeschichte von Borchert. Die mit der Küchenuhr. Oder die mit den Ratten. Die Merseburger Zaubersprüche. Dann leben´s länger. Moana´s, ich geh mit fünfundsechzig in Pension und stirb? Na, i stirb net, die Pension, die verputz i. Des dürfen´s ma glaubn. Ich schau mir´s an bei einem Unterrichtsbesuch. Eine runde, normale Stunde. Gell`?“
In der zehnten Klasse gab es eine neue Schülerin, Hanne Hrdy, ein tschechischer Name offensichtlich. Vor sechs Jahren nach Deutschland gekommen, so die Auskunft im neu eingelegten Schülerbogen. Der Jungreferendar fasste einen didaktischen Plan, für die nächste oder die übernächste Stunde. Am fraglichen Tag …. Frau Fischhaber hatte ihren Unterrichtsbesuch abgesagt („Wissen´s, in der ersten Stunde haben wir eine Besprechung im Personalrat“), aber sie wollte sich alles erzählen lassen…......am fraglichen Tag: Mit dumpfer Stimme werden Phol und Wodan präsentiert. Ben zi bena, bluot zi bluoda…. Was heißt das vielleicht in heutigem Deutsch?
Dann ein Wurmsegen, in der Version der Ougenweide-Musiker:
Gang út, nesso, mid nigun nessiklinon,
út fana themo marg? an that ben, fan themo bene an that flesg,
ut fan themo flesgke an thia hud, ut fan thera hud an thesa strala.
Geh raus, Wurm, mit neun Würmelein, heraus aus dem Mark in den Knochen, aus den Knochen in das Fleisch, heraus aus dem Fleisch in die Haut, heraus aus der Haut auf diesen Pfeil.
Erstickungsanfall
Johannes spannte einen imaginären Bogen und schoss den Pfeil, auf dem die neun Würmer saßen, durch das offene Schulfenster. In der Klasse gedämpftes Amusement. Manche summten bei der Wiederholung des Liedes doch tatsächlich mit. Aber dann:
„Passt auf, ich tu´es ungern, ich habe es mir lange überlegt, aber ich riskier es. Ein Experiment. Es gibt im Althochdeutschen auch einen berühmten Schadenszauber. Es kann sein, dass bei unserem nächsten Spruch einer der Zuhörer geschädigt wird. Der Atem bleibt weg. Vielleicht bekommt er einen Erstickungsanfall." Hoho, glauben wir nicht.
Der Junglehrer ließ die Roll-Läden herunter, im Klassenzimmer wurde es dunkel. Er zündete eine Kerze an.
Ihr wiederholt jetzt, was ich euch vorspreche.
Michala myši?ka kaši?ku - Die Klasse sprach feierlich nach.
na zeleném rendlí?ku,
tomu dala,
tomu taky,
tomu málo,
tomu víc ..
Beim ersten tomu dala ertönte ein Prusten und Keuchen. Da es dunkel war, wusste man nicht, wer hier wahrscheinlich vom Zauber berührt und getroffen wurde. Entsetztes Schweigen in der Klasse, darin immer wieder Keuchen und Prusten. Atemnot? Ein Erstickungsanfall? Hanne Hrdy wollte sicher aufhören mit dem Lachen, aber Sie können sich vorstellen, wie das ist, wenn man weiß, was die Mitschüler gerade zu erleben glauben. Kurz: Das Lachen war nicht mehr zu stoppen. Hanne schlug mit der Hand auf den Tisch, sie warf sich zurück. Sie schnappte nach Luft. Und, Herrschaftsseiten, der Stuhl kippte.
Johannes Willi Wenzel betätigte den Lichtschalter. Die Stunde war nahezu gelaufen. Man war erschöpft. Im Nachklang übersetzten Hanne und Johannes kichernd den tschechischen Text und das Vergnügen kam vehement zurück. Und – noja, jetzt werde ich halt am besten klassisch.
Jene vernahmens; und wie die Woge des reißenden Stromes
überflutet das Land und unaufhaltsam dahinrast –
erst widerstehet der Damm und wehret den wütenden Wassern,
dann aber bricht er zusammen und weithin schießen die Fluten —
also ergaben die Helden sich schließlich der krampfhaften Lachlust,
ballten die mächtigen Fäuste, es brach ihr Gelächter hera-us.
Ringsum erdröhnte der Saal und weithin scholl es nach draußen.
Da klopfte es an der Tür. Die Rollos verdunkelten noch den Raum. Zwei Schüler in der letzten Reihe lagen auf dem Boden. Die Tür wurde halb geöffnet, der Lehrer der nächsten Stunde in der Nachbarklasse schaute herein, Studiendirektor Droht, schwarzer Anzug, schwarze Aktentasche, schwarzes Brillengestell, seine Fächer: Latein und katholische Religion. Hatte wohl den Lärm gehört. Wollte wohl signalisieren, dass er da war und einschreiten könnte, wenn die Meute über die Stränge schlägt. Sah die seltsame Klassenszene, öffnete die Tür ganz:
"Was ist denn hier geschehen? Was ist los, Herr Wenzel?"
„Nun ja“, sagte der Referendar, „ein religiöses Experiment. Wir haben mit den Merseburger Zaubersprüchen gearbeitet.“
Max Brod
Am nächsten Tag, kein Schmarrn jetzt, stand Wenzel vor dem Schulgebäude, ein Herr mit Mantel und Schal kam auf ihn zu. „Sie sind hier Lehrer?“ „Ja. Deutsch und Latein ..“ „Oh, mein Vater arbeitete beim Prager Tagblatt, war gut bekannt mit Max Brod und Otto Brod, seinem Bruder. Der Name sagt Ihnen sicher nichts?“ „Doch, Max Brod hat die Bücher von Franz Kafka herausgegeben. Obwohl Kafka ihn darum gebeten hatte, alle Aufzeichnungen zu verbrennen.“
„No, da kann ich Ihnen was erzählen. Max kam zu Otto Brod und meinem Vater, als Franz gestorben war. Was soll ich nur machen, was soll ich nur machen? Der letzte Wille vom Franz war, dass ich alles verbrennen soll. Nix soll veröffentlicht werden. Ich hab´s ihm schwören müssen. ....No, Max, weißt was. Die vom Franz gibst du heraus. Verbrennen tust die deinigen.. Meinen´s Ihr Direktor hätte Interesse, wenn ich an der Schule einen Vortrag halte?“ „Das ist eine gute Geschichte“, sagte Johannes.
Ougenweide: Merseburger Zaubersprüche
https://www.youtube.com/watch?v=emQDgoKOxog
https://www.youtube.com/watch?v=-r4kPvaYUgY
Leopold Weber: Unsere Heldensagen
https://img.oldthing.net/2515/29160333/0/n/Weber-Leopold-Unsere-Heldensagen.jpg
Das tschechische Fingerspiel
https://www.youtube.com/watch?v=PP07kWI4rEE
Tschechisch-Deutscher Skaz (Jaromir Konecny)
https://www.youtube.com/watch?v=_m4lDIJLebk
Schwere Stunde
Kennen Sie vielleicht die „Schwere Stunde“ von Thomas Mann? Ja? Die novellistische Studie? Wow. Dann sind Sie wahrscheinlich Deutschlehrer an einem Gymnasium. Und Sie sind am Verzweifeln. Doch, geben Sie es ruhig zu. Und die anderen, die keine Deutschlehrer sind, die treffen dann auf diese Deutschlehrer, die in der Buchhandlung, sie stehen an dem Regal, wo die Ratgeber zum Glücklichsein stehen. Jeden Tag weniger ärgern. Das kleine Buch vom wahren Glück. Die sieben Gesetze des Glücks. Der Glücksfaktor. Ab heute besser drauf. Wege zum Glück. Umarme dein Glück. Glück ist kein Zufall
Ja, doch, die Deutschlehrer dort, sie könnten Bücher schreiben. Titelvorschlag:„Wie sie sich ihr Leben gründlich versauen“. Ja, versauen, seufzen die Lehrer. Und das nicht nur wegen der Korrekturen.
Sagt der Deutschpädagoge in einer 11. Klasse: „Sie sollten gestern, bevor wir heute ins Detail gehen, die Ringparabel in Lessings Nathan der Weise lesen. Die drei Reclam-Seiten, das war Hausaufgabe. Also, da gibt es drei Brüder und diesen Ring des Vaters im Sterben. Na? Was fällt Ihnen dazu ein? Was haben Sie da gerade leise gesagt, Sven? Sagen Sie es laut, keine Sorge, vielleicht liegen sie richtig.
„Na, die Brüder sind vielleicht schwul?“ „Mein Gott, wie kommen Sie denn darauf?“. „Na, drei erwachsene Männer und sie kloppen sich um ´nen Ring.“
Oder:
„Was ist das für eine Stilfigur in Zeile 43?“ Schweigen.
„Karl, Sie sind ein intelligenter Schüler, früher hätte man gesagt, ein aufgeweckter Schüler, und wir haben schon so oft über diese Figuren gesprochen. Sie haben wirklich keine Ahnung, was das ist? Aufgeweckter Schüler: „Eine rhetorische Frage?“
Kurz und schlecht: Unser Unterricht haut keinen vom Stuhl. Aber es gibt erbauliche, es gibt tröstliche Ausnahmen, seltene Momente, seltene Stunden. Johannes Willibald Wenzel ist hierfür Zeuge und Bürge. Seine Erlebnisse, diese Geschichte jetzt, sie stützt sich auf seine tschechisch-böhmische Großmutter und seinen germanistischen Vater. Sie seien bedankt. Und wer diese Geschichte bis zum Ende aushält, möge ihnen auch danken.
?
Die Russen
Johannes war 1951 ein kleiner Junge. Der Koreakrieg machte den Leuten Angst in der kleinen Stadt am Main. Nachts träumte Johannes, dass auf das Dach eine Bombe fiel und dass alle Stockwerke bis in den Keller herunterbrachen. Sie wohnten im Erdgeschoss. Der Vater griff am Abend zu Leopold Webers „Unsere Heldensagen“ aus dem Jahre 1934, in der Schulbibliothek ausgemustert. Dietrich von Bern. Siegfried, Hagen von Tronje, Herzog Ernst. Auf dem Umschlag ein Ritter mit einem riesigen Schild, ein Helm, offenes Visier, Blick in die Ferne, rechts vom Schild ein gesenktes, langes Schwert. Blank gezogen.
Riesenstark, adlig an Antlitz und Gliedern, wuchs Dietrich heran. Lichtbraun wellte sich um die Schläfen das Haar. Versonnenen Geistes litt er lang, wenn die Spielkameraden spottend den Schweigenden reizten, geriet er aber in Grimm, dann stoben sie schreiend vor Schrecken davon, denn jählings verkehrte er sich, daß er einem Dämon gleich anzusehen war: funkensprühend sträubte sich steilauf sein Haar, und aus der entbrannten Brust schlug ihm in heißer Lohe das Feuer zum Munde hervor.
Johannes hörte angespannt zu.
Oder der Vater sprach mit geschulter Stimme:
Phol und Wodan ritten ins Holz.
Da ward dem Fohlen Balders der Fuß verrenkt.
Da besprach ihn Wodan, wie (nur) er es verstand:
bên zi bêna,
bluot zi bluoda,
lid zi geliden,
sôse gelimida sin!
„Johannes, das heißt: Bein zu Bein, Blut zu Blut, Glied zu Gliedern, als ob geleimt sie seien.“
Die tschechisch-böhmische Großmutter aus Prag hatte anderen Trost. „Weißt Du, wenn die Russen kommen, das wird nicht so schlimm. Wir haben Hühner. Wir haben hochprozentigen Alkohol im Flascherl. Mach´ ma´ starken Eierlikör, den kriegen sie und dann lassen sie uns in Ruhe.“ Und einen Spruch hatte sie auch. Sie nahm die Hand des Kleinen. Mit dem Zeigefinger rührte sie auf dem Handteller, dann ergriff sie jeden einzelnen Finger des Jungen.
Michala myši?ka kaši?ku
(Michala mischitschka kaschischitsku)
Es rührte ein Mäuschen ein Breichen
na zeleném rendlí?ku,
in einem grünen Töpfchen
tomu dala,
dem gab es etwas
tomu taky,
dem auch
tomu málo,
dem wenig
und für diesen Kleinen
Blieb gar nichts übrig
Und der Kleine rannte, rannte
In die Speisekammer.
a tam se napapal.
Und dort aß er sich voll
Am Schluss dann lief der Finger der Großmutter in die Achselhöhle und kitzelte dort wild. — Das Kind, es kicherte und lachte und hatte keine Angst mehr.
Referendar
Johannes war 1973 erwachsen und Referendar im Zweigschuleinsatz in Fürstenfeldbruck. Viscardi-Gymnasium, ein Anfänger mit Deutsch und Latein. Seine Betreuungslehrerin in Deutsch – Frau Fischhaber – saß ihm gegenüber.
„Also Ihre Korrekturen sind sehr sorgfältig. Aber ich sag ihnen was. Zu lang. Schaun´s, ma macht sich kaputt mit solchen Romanen. Ich schreib einfach: Sprachlich oft recht geschickt, die Rechtschreibung könnte besser sein, die Gedankenführung ist meist solide, eine Gliederung ist nicht recht zu erkennen. Des sagt alles. Des glangt.
Und dann ihr Unterricht. Machen´S doch was Normales. Was im Lesebuch steht. Eine Kurzgeschichte von Borchert. Die mit der Küchenuhr. Oder die mit den Ratten. Die Merseburger Zaubersprüche. Dann leben´s länger. Moana´s, ich geh mit fünfundsechzig in Pension und stirb? Na, i stirb net, die Pension, die verputz i. Des dürfen´s ma glaubn. Ich schau mir´s an bei einem Unterrichtsbesuch. Eine runde, normale Stunde. Gell`?“
In der zehnten Klasse gab es eine neue Schülerin, Hanne Hrdy, ein tschechischer Name offensichtlich. Vor sechs Jahren nach Deutschland gekommen, so die Auskunft im neu eingelegten Schülerbogen. Der Jungreferendar fasste einen didaktischen Plan, für die nächste oder die übernächste Stunde. Am fraglichen Tag …. Frau Fischhaber hatte ihren Unterrichtsbesuch abgesagt („Wissen´s, in der ersten Stunde haben wir eine Besprechung im Personalrat“), aber sie wollte sich alles erzählen lassen…......am fraglichen Tag: Mit dumpfer Stimme werden Phol und Wodan präsentiert. Ben zi bena, bluot zi bluoda…. Was heißt das vielleicht in heutigem Deutsch?
Dann ein Wurmsegen, in der Version der Ougenweide-Musiker:
Gang út, nesso, mid nigun nessiklinon,
út fana themo marg? an that ben, fan themo bene an that flesg,
ut fan themo flesgke an thia hud, ut fan thera hud an thesa strala.
Geh raus, Wurm, mit neun Würmelein, heraus aus dem Mark in den Knochen, aus den Knochen in das Fleisch, heraus aus dem Fleisch in die Haut, heraus aus der Haut auf diesen Pfeil.
Erstickungsanfall
Johannes spannte einen imaginären Bogen und schoss den Pfeil, auf dem die neun Würmer saßen, durch das offene Schulfenster. In der Klasse gedämpftes Amusement. Manche summten bei der Wiederholung des Liedes doch tatsächlich mit. Aber dann:
„Passt auf, ich tu´es ungern, ich habe es mir lange überlegt, aber ich riskier es. Ein Experiment. Es gibt im Althochdeutschen auch einen berühmten Schadenszauber. Es kann sein, dass bei unserem nächsten Spruch einer der Zuhörer geschädigt wird. Der Atem bleibt weg. Vielleicht bekommt er einen Erstickungsanfall." Hoho, glauben wir nicht.
Der Junglehrer ließ die Roll-Läden herunter, im Klassenzimmer wurde es dunkel. Er zündete eine Kerze an.
Ihr wiederholt jetzt, was ich euch vorspreche.
Michala myši?ka kaši?ku - Die Klasse sprach feierlich nach.
na zeleném rendlí?ku,
tomu dala,
tomu taky,
tomu málo,
tomu víc ..
Beim ersten tomu dala ertönte ein Prusten und Keuchen. Da es dunkel war, wusste man nicht, wer hier wahrscheinlich vom Zauber berührt und getroffen wurde. Entsetztes Schweigen in der Klasse, darin immer wieder Keuchen und Prusten. Atemnot? Ein Erstickungsanfall? Hanne Hrdy wollte sicher aufhören mit dem Lachen, aber Sie können sich vorstellen, wie das ist, wenn man weiß, was die Mitschüler gerade zu erleben glauben. Kurz: Das Lachen war nicht mehr zu stoppen. Hanne schlug mit der Hand auf den Tisch, sie warf sich zurück. Sie schnappte nach Luft. Und, Herrschaftsseiten, der Stuhl kippte.
Johannes Willi Wenzel betätigte den Lichtschalter. Die Stunde war nahezu gelaufen. Man war erschöpft. Im Nachklang übersetzten Hanne und Johannes kichernd den tschechischen Text und das Vergnügen kam vehement zurück. Und – noja, jetzt werde ich halt am besten klassisch.
Jene vernahmens; und wie die Woge des reißenden Stromes
überflutet das Land und unaufhaltsam dahinrast –
erst widerstehet der Damm und wehret den wütenden Wassern,
dann aber bricht er zusammen und weithin schießen die Fluten —
also ergaben die Helden sich schließlich der krampfhaften Lachlust,
ballten die mächtigen Fäuste, es brach ihr Gelächter hera-us.
Ringsum erdröhnte der Saal und weithin scholl es nach draußen.
Da klopfte es an der Tür. Die Rollos verdunkelten noch den Raum. Zwei Schüler in der letzten Reihe lagen auf dem Boden. Die Tür wurde halb geöffnet, der Lehrer der nächsten Stunde in der Nachbarklasse schaute herein, Studiendirektor Droht, schwarzer Anzug, schwarze Aktentasche, schwarzes Brillengestell, seine Fächer: Latein und katholische Religion. Hatte wohl den Lärm gehört. Wollte wohl signalisieren, dass er da war und einschreiten könnte, wenn die Meute über die Stränge schlägt. Sah die seltsame Klassenszene, öffnete die Tür ganz:
"Was ist denn hier geschehen? Was ist los, Herr Wenzel?"
„Nun ja“, sagte der Referendar, „ein religiöses Experiment. Wir haben mit den Merseburger Zaubersprüchen gearbeitet.“
Max Brod
Am nächsten Tag, kein Schmarrn jetzt, stand Wenzel vor dem Schulgebäude, ein Herr mit Mantel und Schal kam auf ihn zu. „Sie sind hier Lehrer?“ „Ja. Deutsch und Latein ..“ „Oh, mein Vater arbeitete beim Prager Tagblatt, war gut bekannt mit Max Brod und Otto Brod, seinem Bruder. Der Name sagt Ihnen sicher nichts?“ „Doch, Max Brod hat die Bücher von Franz Kafka herausgegeben. Obwohl Kafka ihn darum gebeten hatte, alle Aufzeichnungen zu verbrennen.“
„No, da kann ich Ihnen was erzählen. Max kam zu Otto Brod und meinem Vater, als Franz gestorben war. Was soll ich nur machen, was soll ich nur machen? Der letzte Wille vom Franz war, dass ich alles verbrennen soll. Nix soll veröffentlicht werden. Ich hab´s ihm schwören müssen. ....No, Max, weißt was. Die vom Franz gibst du heraus. Verbrennen tust die deinigen.. Meinen´s Ihr Direktor hätte Interesse, wenn ich an der Schule einen Vortrag halte?“ „Das ist eine gute Geschichte“, sagte Johannes.
Ougenweide: Merseburger Zaubersprüche
https://www.youtube.com/watch?v=emQDgoKOxog
https://www.youtube.com/watch?v=-r4kPvaYUgY
Leopold Weber: Unsere Heldensagen
https://img.oldthing.net/2515/29160333/0/n/Weber-Leopold-Unsere-Heldensagen.jpg
Das tschechische Fingerspiel
https://www.youtube.com/watch?v=PP07kWI4rEE
Tschechisch-Deutscher Skaz (Jaromir Konecny)
https://www.youtube.com/watch?v=_m4lDIJLebk