Sadisten, Könige und das Glühen von Tequila

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Verwundert betrachtet er sich. Wie ist er hierher gekommen, vor diesen alten, zersprungenen Spiegel mit dem Bild einer Frau zwischen Rahmen und Glas, vor diesen Spiegel, der ihm sein eigenes Bild entgegenwirft? Er ist ein großer Kerl, nicht übertrieben muskulös, aber kräftig. Blass, wo ein Mann blass sein sollte, gebräunt auf seinem rasierten Schädel, im Nacken und auf seinen Unterarmen. Hier ist seine Haut am dunkelsten, weil sein linker Arm immer aus dem Fenster seines Trucks hängt, wenn er mit achtzig Meilen die Stunde die endlosen Freeways des endlosen Staates der Sonne durchpflügt, hoch und runter, begleitet von verrückten Songs und ihren verrückten Beats, umgeben vom Nichts, von Freiheit.

Ja, Freiheit. Er schließt den schweren schwarzen Ledergürtel, dessen Silberschnalle für einen Moment das schwächer werdende Licht eines scheidenden Tages einfängt, und sein Finger bleibt auf der Schnalle liegen, nur für einen kurzen Augenblick. Das Metall fühlt sich hart an, und zunächst kalt, doch je länger seine Finger das silberne Viereck liebkosen, desto mehr erwärmt es sich. Mit einem schwachen Lächeln wendet er sich von seinem Spiegelbild ab, drückt im Vorbeigehen den Lichtschalter und bedeckt den Spiegel wieder mit der vertrauten Stille der Dunkelheit, jener Dunkelheit, die die Stöße und Schreie unter der Augenbinde besänftigt.

***

Diese Nacht ist wie Hunderte von Nächten zuvor. Er wird in diesem oder jenem Club sitzen, in der neusten Bar oder der ältesten Bar. Umgeben von vertrauten Freunden, die ihm Drinks bestellen, ihm auf die Schulter klopfen und die dreckigsten Witze erzählen. Auf diese Freunde kann er sich immer verlassen, er ist dankbar, solche Freunde zu besitzen, die sich um Nichts einen Dreck scheren – außer um ihre Freunde.

„Wir machen jeden Freitag einen drauf, meine Kumpel und ich”, erzählt er der Bedienung, die ihren Arsch gegen sein Bein schiebt, während sie die sieben Tequilashots vor ihm auf dem Tisch aufreiht. Sie lächelt, nimmt die zehn Dollar Trinkgeld, flüstert feuchte Worte an seine Wange.

„Um drei hab’ ich Schluss.“

Er umfasst ihren dünnen Arm, drückt das Muster ihrer durchsichtigen Netzbluse in ihre Haut.

„Ich weiß.“

Kneipenhuren kommen und Kneipenhuren gehen. Und diese geht mit einem Grinsen, feuchter an manchen Stellen, reicher an anderen. Den Schein steckt sie sich in ihre kurzen Shorts, hinter ihren Tanga, neben ihren warmen Morast, nur eine Fingerbreite von der Stelle, an der ihr Puls am schnellsten schlägt, entfernt.

Er lässt sie gehen und wendet sich seinem Tequila zu. Auch seine Freunde widmen sich der warmen, goldenen Flüssigkeit, und zusammen betrachten sie die Bar und ihre Insassen.

Und vielleicht ist es dieser Moment, in dem die Nacht nicht nur mehr aus mittelmäßigen Tänzen und Drinks und zweitklassigem Sex in Hinterhöfen besteht, sondern zu mehr wird. Denn der Spiegel lügt nie, und wer die feinen, weißen Linien und unregelmäßigen Risse in seiner Haut sieht, die an den Stellen, an der die Sonne versucht, die Narben auszuradieren, sogar noch weißer sind, der weiß, zu was die Nacht in diesem Augenblick wird.

Ein Raubtier schleicht sich meistens im hohen Gras an seine Beute heran, es ist immer auf der Jagd, immer und überall.

„Der da.“

Wieder berührt er das warme Metall seiner Gürtelschnalle und quetscht den letzten Rest Leben aus der Limettenscheibe, genießt das Glühen in seiner Kehle und leckt sich das Salz von den Lippen – wie das Salz auf sich wehrender Haut in der Dunkelheit.

Mit einer fast unmerklichen Bewegung deutet sein rasierter Kopf hinüber zur Bar, und nur ein einziger seiner Freunde bemerkt diese Geste, versteht die Bemerkung, weiß, wovon er redet – denn er ist der Freund, der nach sechs Tequilashots dasselbe Glühen unter der Haut verspürt. Es ist nicht nur der Alkohol, der sich die Wirbelsäule entlang kitzelt, seinen Weg durch die Eingeweide findet, schließlich in den Magen schießt und dort liegen bleibt wie eine herrliches, gefährliches Tier. Es ist der Trommelwirbel des Sadisten, der das Signal gibt, in die Knie zu gehen, durch das hohe Gras zu kriechen, sich erst zu verstecken und dann aufzuspringen – wenn er das Potential der möglichen Beute erkennt.

Und in L.A. ist alles möglich.

Der eine verstehende Freund, Kamerad zu seiner Rechten, verfolgt seine Blickrichtung, beobachten den Jungen und dessen Freunde an der Bar.

„Sieht so aus, als hätte jemand Daddys goldene Karte gefunden, bevor irgendeine Schlampe damit durchbrennen konnte.”

Der Freund gibt ihm einen Stoß in die Seite, und der Schmerz seiner letzten Beutejagd flammt erneut auf, erhellt das Glühen in seiner Magengegend mehr als je zuvor.

„Willst du?“

Eigentlich keine Frage. Denn Fragen benötigen Antworten, und dies ist bereits die Antwort.

„Yeah.“

Und hier fällt die Entscheidung, die Nacht wird entschieden. Den Morgen kann man debattieren, denn der Morgen hängt immer davon ab, wie lange man die Schnitte in der Nacht am Laufen erhalten kann.

Er hat sich bereits entschieden, dass der Jüngste der Gruppe derjenige sein wird, den er zuerst schlagen wird, den er am härtesten schlagen wird. Ein kleiner King, mit verräterisch schwarzen Haaren, Piercings und der nach oben gerichteten Nase jener, die meinen, sie hätten jede mögliche Scheiße gesehen – wobei sie höchsten mal erschnuppert haben, was ein Mann einem anderen Mann antun kann. Er ascht seine Zigarette in ein leeres Schnapsglas und nimmt die Hand von der Gürtelschnalle, hört, wie der Barhockercharmeur auflacht. Seine Freunde, alle in der minimalistischen Schwarz-Weiß-Mode des Rodeo Drives, fallen mit in sein Lachen ein, saugen das Licht auf, dass der kleine King mit Daddys Kreditkarte verströmt, zünden ihm seine Zigarette an und bestellen ihm Drinks. Reichtum ist eine launische Hure, sie will einem nur gut stehen, wenn man bereits gut aussieht.

„Durch den Hinterausgang. Ich seh’ zu, wie wir Vick und Drew loswerden.“

Sein Freund flüstert ihm ins Ohr, die Wärme und Nähe seiner Lippen lassen seinen Kopf näher an die Worte kommen, an die versprochene Berührung – aber nicht sofort.

„Sachte... sachte. Wir haben genügend Zeit.“

Sein Freund lacht, tief genug, um das Glühen des Tequilas aus seinem Magen in seine Kehle rumpeln zu lassen, drückt seine Zigarette auf dem blanken Tisch aus und deutete an die Bar.

***

Der dunkelhaarige Barkönig hat seinen Hocker verlassen, seine Freund folgen ihm in seiner Strömung zu Daddys teurem Wagen. Sie kümmern sich nicht um die beiden größeren Schatten, die ihnen in der Welle des dröhnenden Technobeats zum Parkplatz hinter einem der vielen Sunset Strip Clubs folgen.

„Das ist ein verdammt schöner Wagen.“

Sein Freund ist der erste, der aus dem Schatten der Backsteinwand tritt. Betont lässig zündet er sich eine Zigarette an und bläst den Rauch ins Gesicht der kleinen Schwuchtel, die groß, schwarz und schlaksig neben dem King steht.

„Yeah, ist es.“

Der King tritt zur Seite, umfasst fest seinen Schlüsselbund.

„Nein, wirklich. Ein verdammt schöner Wagen.”

Sein Freund akzentuiert seine Bemerkung noch, indem er eine Stiefelspitze auf die Stoßstange dieses selbstsüchtigen Imports stellt, der jenen vorbehalten ist, dessen Konten größer als ihre Schwänze sind. Lässt die Kippe auf den Bürgersteig fallen und dort ausbrennen, eine Ablenkung für die Freunde des Kings, die sich langsam aus dessen Orbit zurückziehen.

„Nehmt ihr uns auf eine kleine Spritztour mit?“

Jetzt tritt auch er aus dem Schatten hervor. Sie machen es jedes Mal so, sein Freund spielt den Starken, weil er stärker aussieht, und er tritt immer dann hervor, wenn der Zeitpunkt näherrückt, an dem die Fäuste eingesetzt werden, und er die ungläubigen Blicke entgegennehmen kann, die Männer auswerfen, die gleichzeitig angelogen und geschlagen werden.

„Nee, Mann. Vielleicht ein anderes Mal.” Der Turm des Kings beginnt zu wanken, seine Armada von namenlosen und gesichtslosen Bekanntschaften zieht sich hinter die schützende Front des Wagens zurück. „Verzieht euch, ihr Spinner!“
Den folgenden zwanzig Minuten mangelt es an hochnäsiger Atmosphäre in Kaffeehäusern und Gourmetrestaurants mit Biscotti und Chardonnay – stattdessen fliegen Fäuste.

Zusammen mit seinem Freund stürzt er das Fußvolk des Königs mit mehreren gutplatzierten Tritten und Hieben, die Höflinge weichen von der Seite ihres versnobten Anführers und retten sich über den Hof und den anliegenden Rosengarten in die Dunkelheit.

Er packt den kleinen King beim Kragen, blickt in das blasseste, süßeste Gesicht, das er jemals gesehen hat. Selbst das Blut, das ihm aus einem Nasenflügel fließt, nimmt ihm nicht sein hübsches Gesicht, seine gerade Nase, die dunklen Augen, die vollen Lippen. Ein Gesicht, dass im nächsten Augenblick gefickt werden wird.

„Tu das nicht.“ Der King fragt ein einziges Mal.

Er bettelt nicht, es ist eine einfache Frage, die ein Mann einem anderen Mann stellt. Er kniet sich auf den Bürgersteig, drückt den King fest auf den Boden, lockert den Griff um seinen Hals, aber hebt gleichzeitig die Faust auf Schlaghöhe in die Luft.

„Warum nicht?“, fragt er den King.

Eigentlich kümmert ihn die Antwort gar nicht, er will nur noch einmal die tiefen Töne der Stimme des Kings hören, bevor diese höher werden wie die eines verstimmten Klaviers mit ausschließlich schwarzen Tasten. Zwischen den steifen Laken endloser Momente würden sich nun Lust und Schmerz vereinigen – und er würde wieder einmal Verzückung verspüren.

„Weil es wehtut.“ Die Lippen des Kings bewegen sich kaum.

Bei Gott, es ist so einfach und so wahr. Sein Freund schnaubt auf und tritt in den Reifen des Wagens.

„Genau, deshalb mache ich das hier ja.“ Er zieht den King beim Kragen hoch und küsst ihn hart. Soviel Freude liegt in Blut und Spucke, den natürlichen Gleitmitteln des Lebens, die da durch seinen Mund und um seine Zunge rinnen, und er bemüht sich, alles gierig aufzusaugen, bis sein Freund ihn mit der Stiefelspitze anstößt.

„Es reicht.“

Er lässt den erschlafften Nacken fallen und steht schwankend auf. Genießt den Anblick des zerknitterten Kindskönigs, mit seinen zerwühlten Haaren, blutiger Nase, verrücktgewordenen Augen und einem Ausdruck tiefster Erniedrigung, der seine gerade gefickten Lippen krönt. Wendet sich seinem Freund zu, der die Hand um seinen Nacken legt, spürt den kurzen Schmerz, und da ist das Glühen, der dünne Rinnsal von Blut, das über seine Haut fließt.

Ein letztes Mal blickt er den kleinen König an, wie er da auf dem harten Boden liegt, direkt neben Daddys Wagen. Ein bisschen hat er Mitleid mit ihm, vielleicht weil sein Geschmack noch immer auf seinen Lippen liegt, er damit an ihn und seinen Schmerz gefesselt ist.

Aber Träume sind etwas für Kinder und Engel.

Die Realität besteht aus Drücken und Ziehen von Metall, aus Fleisch, das sich auf und in die Haut bohrt, und aus dem Blut, das deswegen fließt. Die Realität ist die Hülle, die den Spiegel umgibt, eine Decke, ja, aber eine, unter der man noch die Schläge und Schreie hart umkämpfter Verzückung hört.
 

GabiSils

Mitglied
Beeindruckend

Hallo Girl,

es fällt mir schwer, hierfür Worte zu finden - grausam, dicht, erschreckend und hervorragend geschrieben. Keine schöne Geschichte, aber eine gute. Respekt.

Gabi
 



 
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