Saidnaja

rotkehlchen

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Saidnaja

Behäbig rumpelt der Lastwagen in den Hof, eine dicke gelbe Staubwolke hinter sich herziehend. Während sich das Tor rasselnd schließt, werden die Gefangenen von der Ladefläche auf den harten Boden gestoßen; sofort beginnt eine Gruppe von Gefängniswärtern mit Knüppeln auf sie einzuschlagen. Einer der Gefangenen, ein mittelgroßer Mann mit zerzaustem Bart und verfilzten Haaren, das lückenhafte Gebiss zu einer Angst- und Hassgrimasse gebleckt, wird hochgerissen und unter Schlägen Schritt für Schritt rückwärts in eine Ecke des Platzes gedrängt, die ein Ausweichen unmöglich macht. Seine weißen Augäpfel, brennend vor Schweiß und geweitet von unauslotbarem Entsetzen, sind auf die schwerfällig-tapsige Gestalt eines der Schläger gerichtet, ein fetter Typ in Markenturnschuhen, der mit dem Knüppel in der fleischigen Faust und mit von Blutdurst und der Freude am Totschlag gesättigtem Blick auf ihn eindringt und dickzüngig-heiser schreit: „Das Gehirn schlage ich dir zu Brei, du gottloser Verräter!“ Der Bedrängte versucht affenhaft geduckt und mit erhobenen Händen den Schlag abzuwehren, doch mit einem schauderhaft dumpf-hohlen Geräusch kracht der Knüppel auf seinen Schädel. Der andere Schläger, weniger massig als sein Kollege, mit spitzer Nase und niedriger Stirn, sonst eine feige Ratte in Menschengestalt jetzt aber stark im Schutz staatlich verordneter Gesetzlosigkeit, in der ohne Erbarmen und Angst vor Vergeltung gemordet werden kann, grölt mit widerlich hoher Stimme: „Verdammtes Schwein, wir werden dir den Rebellen jetzt gründlich austreiben!“ Die Worte kommen schrill und abgehackt, während seine Augen dem Blick des Gefangenen ausweichen.
Der Gepeinigte, mit dem Rücken an der Wand und aus klaffender Kopfwunde blutend, hebt die wollig behaarte Hand – doch krach! Knochen und Knorpel der breiten Nase sind zermalmt. Und erneut holt der Stämmige aus: Ein grauenhaft schwerer Schlag trifft den bleich-rissigen Mund, der augenblicklich zu einer formlosen Masse zerrinnt, durch die der Getroffene aufbrüllend seine ehemals fest verankerten Vorderzähne ausspuckt. Und wieder trifft ein Knüppel, wieder ist es der dicht behaarte Schädel, auf den er niedersaust; die Kopfhaut ist nun bis zur Nasenwurzel aufgerissen; dickes schwarzes Blut sickert herab auf die glühend heiße Erde. Der Mann schwankt und taumelt wie schwer betrunken, den Mund, jetzt eine blutig-schwarze Gähne, zum Schrei aufgerissen – doch außer einem blasig-gurgelnden Laut dringt nichts nach draußen. Jetzt sinkt er auf die Knie; sein blutverschleierter Blick, in dem der aberwitzige Wunsch nach Gnade haust, ist starr auf seine Peiniger gerichtet. Doch unter der Wucht weiterer Schläge bricht er zusammen, sein Kinn fällt nach vorn auf die kochende Brust. Ein Schlag auf den Kopf mit einem Geräusch, als ob jemand ein Straußenei zermalmt, wirft ihn zur Seite, ein brutaler Stiefeltritt auf den Rücken. Der massige Schläger zieht jetzt seine Pistole und entsichert sie; der kühle Stahl blitzt in der erbarmungslosen Sonne stumpf metallblau auf. Der Schuss peitscht über den Hof, die Kugel fährt in die blutbreig zerstörte Stirn. Der Gemordete bäumt sich in letzter Lebenssehnsucht zuckend auf, dann haucht er mit einem unendlich sanften Laut seine Seele aus.
Die Ratte zieht eine Trillerpfeife hervor und bläst einen scharfen Pfiff; nach einiger Zeit öffnet sich eine Tür, zwei zerlumpte Gestalten treten heraus. Sie nehmen die Leiche an den Beinen hoch und schleifen sie weg.
Die beiden Gefängniswärter drehen sich um und gehen auf eines der Verwaltungsgebäude zu. In ihren Blicken liegt die skrupellose Beruhigung, nur nach Befehl gehandelt zu haben; ein Befehl, der da lautet: Die Aufständischen mit allen nur denkbaren Mitteln einzuschüchtern. Die trügerische Gewissheit, dass die Sachwalter von Humanität und Gerechtigkeit in diesem Lande machtlos sind, beflügelt ihre Schritte.
Dies geschah im siebenten Jahr des Bürgerkrieges.
 

wirena

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Hallo rothkelchen

sehr anschaulich geschrieben – auch dies des Lebensfluss von frei gewählten Ichgestalten…. brauche eine Gedenkminute…Schweigen ist jedoch nicht die Lösung – kenne aber keine andere…

übrigens, ein i ist verloren gegangen:

Zitat: Der Schuss peitscht über den Hof, die Kugel fährt in die blutbreig zerstörte Stirn.

m.E. wäre blutbreiig richtig –

LG wirena
 



 
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