Saint-Rémy de Provence (van Gogh)

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Herr H.

Mitglied
Die kleine Zelle war sein Atelier
im alten Klosterbau der Charité.
Hier saß er oft und blickte in den Garten,
wo Kiefern düster in den Himmel starrten.

Er hatte sich nach wiederholten Krisen
selbst in die Nervenanstalt eingewiesen,
weil er zum Risiko und zur Gefahr
für sich und andere geworden war.

Als Kauz und Sonderling galt er schon lange.
Nicht wenigen in Arles war ernsthaft bange
vor ihm gewesen in der letzten Zeit,
Sie fürchteten um ihre Sicherheit.

Sein rotes Haar, der flackernd-wilde Blick –
schon davor schreckten einige zurück.
Und sprach nicht sein verkniffenes Gesicht
für einen Finsterling und Bösewicht?

Er hatte keinen „richtigen“ Beruf,
nur, dass er ständig neue Bilder schuf.
Wenn sich ein Fremder so verdächtig macht,
nimmt man sich besser vor dem Mann in Acht.

Nun war er endlich, wo er hingehörte
und brave Menschen nicht mehr weiter störte:
im Irrenhaus. Da passte er auch hin
mit seinem kranken und verwirrten Sinn.

Man schuf für ihn ein kleines Atelier
im alten Klosterbau der Charité.
Hier saß er oft und blickte in den Garten,
wo Kiefern düster in den Himmel starrten.

Er sah die Bäume durch sein Gitterfenster
als impulsiv sich schlängelnde Gespenster
und malte, wie die Szene ihm erschien:
mit rotem Ocker, Dunkelgrau und Grün.

Die leuchtend hellen Farben der Provence,
einst hilfreich für die seelische Balance,
vermied er und mit ihnen alles Schöne
und wählte nun stattdessen dunkle Töne.

Vorbei die Zeit der freundlichen Idylle,
der Sonnenblumen und der frohen Fülle,
als er auf freiem Feld und Boulevard
vom Licht des Südens überwältigt war.

Die Anstalt hatte eine Atmosphäre
von tiefer Schwermut, Feuchtigkeit und Leere.
Er war umgeben von Paranoiden,
die ihn am liebsten – so wie er sie – mieden.

Es kam bei ihm zu schweren Depressionen
mit Krämpfen und auch Halluzinationen.
Und wenn der Anfall dann vorüber war,
war er erschöpft, fast wie gelähmt und starr.

Der Arzt verschrieb ihm Bäder-Therapie
zur Linderung von Angst und Agonie,
als wäre nicht die einzige Arznei
für ihn sein Malgerät, die Staffelei.

So saß er oft in seinem Atelier
im alten Klosterbau der Charité
und blickte durch das Gitter in den Garten,
wo Kiefern düster in den Himmel starrten.

Der Garten war umsäumt von Mauerwänden.
Damit des Künstlers Sinne Nahrung fänden,
erlaubte ihm der Arzt, ihn zu verlassen,
um auch die Landschaft draußen zu erfassen.

Dort lagen Felder unterm Sonnenscheine
und karge Hügel und Olivenhaine
und schließlich, für das Auge kaum zu messen,
hochragende und mächtige Zypressen.

Da musste er sich nicht erst motivieren.
Er ließ sich von dem Anblick inspirieren,
nahm Platz, dem Panorama gegenüber,
und malte eifrig, malte wie im Fieber.

Die grauen, knorrigen Olivenbäume
verfolgten ihn noch bis in seine Träume.
Trug nicht der Wind zu ihm ihr tiefes Weh?
Er dachte schaudernd an Gethsemane.

Dann wiederum sah er die dunkelgrünen
Zypressen, die wie hohe Flammen schienen.
Erinnerten nicht ihre Proportionen
an Obelisken von den Pharaonen?

Sie loderten in einen hohen Himmel,
der gleichsam taumelte von dem Gewimmel
aus Sonnenscheiben, Sternen, Lichtspiralen
und gnadenlosen, konvulsiven Strahlen.

Mit den Gemälden wilder Sphärentänze
ging er ganz zweifellos bis an die Grenze
des Geistes und der innerlichen Kraft
und kam zum Gipfel seiner Künstlerschaft.

Schon kurz darauf verließ er die Magie
der Landschaft und die Anstalt Saint-Rémy.
Der Arzt bezeichnete im Schlussbericht
ihn als geheilt. Jedoch: Das war er nicht.

Der an der Seele und am Geist Geschwächte
war nicht mehr länger Herr der dunklen Mächte,
die ihn am Tage und bei Nacht bedrängten
und die das Pulverfass am Ende sprengten.

Die Kraft, der Finsternis zu widerstreben,
war ihm – krank, wie er war – nicht mehr gegeben.
Die Glut, die in dem großen Künstler gärte,
sie war es auch, die ihn am Schluss verzehrte.
 

petrasmiles

Mitglied
Grandios! Hätte man mir theoretisch beschrieben, was Du da gemacht hast, ich hätte es nicht für möglich gehalten.
Sehr, sehr einfühlsam. Toll!

Liebe Grüße
Petra
 

Trasla

Mitglied
Ich glaube, das ist das längste Gedicht, dass ich hier bisher gelesen habe - schon bei wesentlich kürzeren Werken finde ich oft nicht die Motivation, sie zu Ende zu lesen. Hier habe ich - mit Genuss!
 

Herr H.

Mitglied
Die kleine Zelle war sein Atelier
im alten Klosterbau der Charité.
Hier saß er oft und blickte in den Garten,
wo Kiefern düster in den Himmel starrten.

Er hatte sich nach wiederholten Krisen
selbst in die Nervenanstalt eingewiesen,
weil er zum Risiko und zur Gefahr
für sich und andere geworden war.

Als Kauz und Sonderling galt er schon lange.
Nicht wenigen in Arles war ernsthaft bange
vor ihm gewesen in der letzten Zeit,
Sie fürchteten um ihre Sicherheit.

Sein rotes Haar, der flackernd-wilde Blick –
schon davor schreckten einige zurück.
Und sprach nicht sein verkniffenes Gesicht
für einen Finsterling und Bösewicht?

Er hatte keinen „richtigen“ Beruf,
nur, dass er ständig neue Bilder schuf.
Wenn sich ein Fremder so verdächtig macht,
nimmt man sich besser vor dem Mann in Acht.

Nun war er endlich, wo er hingehörte
und brave Menschen nicht mehr weiter störte:
im Irrenhaus. Da passte er auch hin
mit seinem kranken und verwirrten Sinn.

Man schuf für ihn ein kleines Atelier
im alten Klosterbau der Charité.
Hier saß er oft und blickte in den Garten,
wo Kiefern düster in den Himmel starrten.

Er sah die Bäume durch sein Gitterfenster
als impulsiv sich schlängelnde Gespenster
und malte, wie die Szene ihm erschien:
mit rotem Ocker, Dunkelgrau und Grün.

Die leuchtend hellen Farben der Provence,
einst hilfreich für die seelische Balance,
vermied er und mit ihnen alles Schöne
und wählte nun stattdessen dunkle Töne.

Vorbei die Zeit der freundlichen Idylle,
der Sonnenblumen und der frohen Fülle,
als er auf freiem Feld und Boulevard
vom Licht des Südens überwältigt war.

Die Anstalt hatte eine Atmosphäre
von tiefer Schwermut, Feuchtigkeit und Leere.
Er war umgeben von Paranoiden,
die ihn am liebsten – so wie er sie – mieden.

Es kam bei ihm zu schweren Depressionen
mit Krämpfen und auch Halluzinationen.
Und wenn der Anfall dann vorüber war,
war er erschöpft, fast wie gelähmt und starr.

Der Arzt verschrieb ihm Bäder-Therapie
zur Linderung von Angst und Agonie,
als wäre nicht die einzige Arznei
für ihn sein Malgerät, die Staffelei.

So saß er oft in seinem Atelier
im alten Klosterbau der Charité
und blickte durch das Gitter in den Garten,
wo Kiefern düster in den Himmel starrten.

Der Garten war umsäumt von Mauerwänden.
Damit des Künstlers Sinne Nahrung fänden,
erlaubte ihm der Arzt, ihn zu verlassen,
um auch die Landschaft draußen zu erfassen.

Dort lagen Felder unterm Sonnenscheine
und karge Hügel und Olivenhaine
und schließlich, für das Auge kaum zu messen,
hochragende und mächtige Zypressen.

Da musste er sich nicht erst motivieren.
Er ließ sich von dem Anblick inspirieren,
nahm Platz, dem Panorama gegenüber,
und malte eifrig, malte wie im Fieber.

Die grauen, knorrigen Olivenbäume
verfolgten ihn noch bis in seine Träume.
Trug nicht der Wind zu ihm ihr tiefes Weh?
Er dachte schaudernd an Gethsemane.

Dann wiederum sah er die dunkelgrünen
Zypressen, die wie hohe Flammen schienen.
Erinnerten nicht ihre Proportionen
an Obelisken von den Pharaonen?

Sie loderten in einen hohen Himmel,
der gleichsam taumelte von dem Gewimmel
aus Sonnenscheiben, Sternen, Lichtspiralen
und gnadenlosen, konvulsiven Strahlen.

Mit den Gemälden wilder Sphärentänze
ging er ganz zweifellos bis an die Grenze
des Geistes und der innerlichen Kraft
und kam zum Gipfel seiner Meisterschaft.

Schon kurz darauf verließ er die Magie
der Landschaft und die Anstalt Saint-Rémy.
Der Arzt bezeichnete im Schlussbericht
ihn als geheilt. Jedoch: Das war er nicht.

Der an der Seele und am Geist Geschwächte
war nicht mehr länger Herr der dunklen Mächte,
die ihn am Tage und bei Nacht bedrängten
und die das Pulverfass am Ende sprengten.

Die Kraft, der Finsternis zu widerstreben,
war ihm – krank, wie er war – nicht mehr gegeben.
Die Glut, die ihm so große Kunst gewährte,
sie war es auch, die ihn am Schluss verzehrte.
 

Herr H.

Mitglied
Über die positiven Reaktionen habe ich mich sehr gefreut. Die tragische Persönlichkeitsgeschichte von v.Gogh, die sich in seiner Kunst spiegelt, beschäftigt mich schon lange.

Liebe Grüße von

Herrn H.
 



 
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