Salat oder Zwiebeldings?

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Beim Hörverständnis bin ich nicht gut.
Sehr oft verhöre ich mich, wenn die Menschen mit mir sprechen, selbst wenn sie das in meiner Muttersprache tun. Dann muss ich erst nachfragen und konzentriert lauschen, bis das Gemeinte bei mir ankommt.
Mit Liedtexten ist es dasselbe.
Jahrelang war ich der festen Überzeugung, in der inoffiziellen Nationalhymne „I am from Austria“ würde Rainhard Fendrich singen: „Ich bin dein Abfall, du meine Schande“ - was er natürlich nicht tut.
„Apfel“ und „Stamm“ singt er in Wirklichkeit; das klingt nur so ähnlich wie die Worte „Abfall“ und „Schande“ in jener Liedzeile im österreichischen Dialekt.

In der Straßenbahn vor ein paar Jahren ist mir auch sowas passiert.
Ich war mit meinem Sohn unterwegs, der zu der Zeit ungefähr 15 Jahre alt war.
Wir nahmen Platz auf einem der Vierer-Sitze in der Bim, wo bereits ein Mann saß.
Der Fremde war um die 40. Schon schaute der ein wenig seltsam aus. Die Haare ein bisschen wild, die Kleider leidlich abgetragen, unruhig war sein Blick.
„Wohin fahrt ihr denn?“ wollte er von uns wissen, kaum dass wir uns hingesetzt hatten.
Mein Sohn schaute mich hilfesuchend an, weil er wenig Lust auf Smalltalk mit merkwürdigen Leuten hatte, so antwortete ich höflich, aber distanziert für uns beide: „Zum Jahrmarkt fahren wir.“
Der Mann nickte, als wäre er einverstanden mit unserem Ziel oder als würde er uns gerne zur Crazy Mouse und zur Zuckerwatte begleiten wollen. Er betrachtete meinen Sohn eingehend.
Nach einer Weile stellte er die nächste Frage, diesmal direkt an den Teenager gewandt: „Und? Was willst du später einmal werden? Salat oder Zwiebeldings?“
„Salat oder Zwiebeldings?“ wiederholte der Angesprochene ratlos. Ich zuckte die Schultern, denn ich hatte das Gleiche verstanden. Wir schauten uns an und mussten lachen.
Daraufhin erklärte der Mann, was er meinte. In Worten, die von einem ausländischen Akzent gefärbt waren, und mit ausgeprägten Gesten: „Du weißt schon: Schießen! Peng! Peng! Tot!“ – dazu formte er seine Hände zu einer imaginären Waffe, mit der er ringsum sich zielte – „oder: Zwiebeldings!“

Da erst fiel der Groschen bei mir.
„Ach so, SOLDAT oder ZIVILDIENST!“ klärte ich das Missverständnis auf.
„Nun, was willst du werden? Zivildiener oder Soldat?“ übersetzte ich die Frage noch einmal für meinen Sohn, auf dass er dem Mann antworten konnte.
Ich kannte ja die Antwort bereits.
Der Sohn hatte sich längst Gedanken zum Thema gemacht und für sich eine Entscheidung getroffen. Mit 15 Jahren wusste er, dass sich diese Frage in Kürze für ihn stellen würde.
„Zivildienst natürlich!“ antwortete er dem Fremden demgemäß mit fester Stimme.
„Wir sind Pazifisten, nicht wahr?“ stupste ich meinen Sohn bestärkend an, welcher auch hier Zustimmung signalisierte.
Diese Offenbarung bewirkte was bei unserem Gegenüber.
Ein breites Lächeln machte sich auf dem Gesicht des Fremden breit. Bedächtig und zufrieden nickte der Mann. Ich meine, dass seine Augen sogar ein bisschen feucht wurden.
Ganz klar, das war jene Antwort, die er sich erhofft hatte. Der Mann war erleichtert, beruhigt.
Er streckte die Hand aus, um meinem Sohn anerkennend die Schulter zu tätscheln.
Die restliche Fahrt über strahlte er uns nur noch selig an.

Ich unterließ es, nachzufragen, warum diesem Mann das Thema so wichtig war.
Ohnehin ahnte ich es: Hier war jemand mit einschlägiger Erfahrung, der gut daraus gelernt hatte.
Am Ende, das kann man wohl sagen, haben wir uns bestmöglich verstanden.
Beim Ausstieg verabschiedeten wir uns wie Verbündete.

(Erlebt im Jahr 2018)
 
Zuletzt bearbeitet:

petrasmiles

Mitglied
Liebe Dichter Erdling,

was für eine tiefgründige Hörbeeinträchtigung - statt Apfel und Stamm zu hören, daraus Abfall und Schande zu machen, da hat der Eigensinn schon die sinnliche Wahrnehmung okkupiert. (Prima)

Und dass die Szene in der Straßenbahn nach kaum sieben Jahren nostalgisch wirkt, spricht für sich.

Da pickst Du wieder Nachdenkenswertes aus dem Alltag - danke dafür.

Liebe Grüße
Petra
 

Bo-ehd

Mitglied
Und wer verteidigt und schützt die Gesellschaft und die Zivildienst-Leistenden? Ach ja, das sind ja die anderen. Aber wenn alle die anderen sind, was dann?
 
Und wer verteidigt und schützt die Gesellschaft und die Zivildienst-Leistenden? Ach ja, das sind ja die anderen. Aber wenn alle die anderen sind, was dann?
Unser Schutz wird gerade nicht durch Vorbereitung auf künftige Kriege gewährleistet!

Im Übrigen gehört das zitierte Argument nicht zur Textarbeit. verdiente somit hier nur diese ganz kurze Gegenrede. Ausführlich ist darüber gelegentlich schon im Forum Lupanum diskutiert worden, dem passenden Ort dafür.

Der Text oben überzeugt mich formal.
 
Danke an Petra, Bo-ehd und Arno Abendschön fürs Kommentieren.

Dieser Text ist sowas wie eine Spiegelung meines anderen Kurzprosa-Stücks „Das Kind hatte Fragen“.
Ist beides tatsächlich in der gleichen Straßenbahnlinie passiert, in der gleichen Stadt, es liegen nur ein paar Jahre dazwischen.
Beim Nachdenken über das Kind, das Fragen hatte, ist mir nun auch diese Begegnung wieder eingefallen, aus dieser anderen Zeit.

Die Bemerkung von Bo-ehd möchte ich nur kurz aufgreifen, um nicht Gefahr zu laufen, ins versteckte Forum Lupanum verschoben zu werden.
Aber schon möchte ich fragen, woher denn nur die fixe Idee, kommt, wir müssten uns nach allen Seiten nur noch verteidigen und kriegerisch gebärden. Vor wem müssen wir denn so sehr beschützt werden? Überall nur noch Feinde?
Können irgendwelche Soldaten wirklich Freiheit, Wohlstand und Sicherheit garantieren?

Ich meine: Nein.
Vielmehr treten die grundsätzlichen Probleme des gelebten Weltsystems nur immer deutlicher zutage:
Es ist ein einziger Kampf, ein Gegeneinander da draußen, wo jeder zuschauen muss, dass er ein Stück vom Kuchen abkriegt oder wenigstens ein paar Brösel.
Jeder einzelne Mensch genauso wie ganze Gesellschaften und Staaten. Vom Prinzip her sind wir vor allem Konkurrenten, Gegenspieler. Feinde.
Wir als „der Westen“ sind dabei von jeher federführend und ziehen – vorerst noch – die größten Vorteile aus diesem ungerechten, harten, menschenfeindlichen System. Wer von dieser Seite nun vor allem Soldaten auffährt und auf noch mehr Aufrüstung und aggressive Gesten setzt, will also nichts anderes als das Unrecht, den Egoismus und die Menschenfeindlichkeit weiter einzementieren.

Die Welt ist so wahnsinnig schlecht und ungerecht organisiert, dass Elend, Härte, Krieg… zwangsläufig immer größere Konstanten werden. Überall.
Und ich meine:
Waffen und Soldaten ändern nichts an diesen Grundübeln.
Nirgendwo.
 

Tonmaler

Mitglied
Danke an Petra, Bo-ehd und Arno Abendschön fürs Kommentieren.

Dieser Text ist sowas wie eine Spiegelung meines anderen Kurzprosa-Stücks „Das Kind hatte Fragen“.
Ist beides tatsächlich in der gleichen Straßenbahnlinie passiert, in der gleichen Stadt, es liegen nur ein paar Jahre dazwischen.
Beim Nachdenken über das Kind, das Fragen hatte, ist mir nun auch diese Begegnung wieder eingefallen, aus dieser anderen Zeit.

Die Bemerkung von Bo-ehd möchte ich nur kurz aufgreifen, um nicht Gefahr zu laufen, ins versteckte Forum Lupanum verschoben zu werden.
Aber schon möchte ich fragen, woher denn nur die fixe Idee, kommt, wir müssten uns nach allen Seiten nur noch verteidigen und kriegerisch gebärden. Vor wem müssen wir denn so sehr beschützt werden? Überall nur noch Feinde?
Können irgendwelche Soldaten wirklich Freiheit, Wohlstand und Sicherheit garantieren?

Ich meine: Nein.
Vielmehr treten die grundsätzlichen Probleme des gelebten Weltsystems nur immer deutlicher zutage:
Es ist ein einziger Kampf, ein Gegeneinander da draußen, wo jeder zuschauen muss, dass er ein Stück vom Kuchen abkriegt oder wenigstens ein paar Brösel.
Jeder einzelne Mensch genauso wie ganze Gesellschaften und Staaten. Vom Prinzip her sind wir vor allem Konkurrenten, Gegenspieler. Feinde.
Wir als „der Westen“ sind dabei von jeher federführend und ziehen – vorerst noch – die größten Vorteile aus diesem ungerechten, harten, menschenfeindlichen System. Wer von dieser Seite nun vor allem Soldaten auffährt und auf noch mehr Aufrüstung und aggressive Gesten setzt, will also nichts anderes als das Unrecht, den Egoismus und die Menschenfeindlichkeit weiter einzementieren.

Die Welt ist so wahnsinnig schlecht und ungerecht organisiert, dass Elend, Härte, Krieg… zwangsläufig immer größere Konstanten werden. Überall.
Und ich meine:
Waffen und Soldaten ändern nichts an diesen Grundübeln.
Nirgendwo.
Kann dir da nur in allem zustimmen. Ein Wahn(sinn), der um sich greift.
Zum Text, nun, an der einen oder anderen Stelle, meine ich, könnte man noch feilen; es liest sich aber auch so schon fein runter, und einige lustige Stellen hat es auch; unterhaltsam.

Gruß
tm
 
Aloha Tonmaler!

Erbauliche Rückmeldung, die mich gefreut hat.
Ich wünsche dir einen schönen Tag, eine schöne Woche und noch mehr,

Erdling
 



 
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