San Michele (Sonett)

San Michele

Venedigs Tote liegen hier; ein Steg
führt zu dem Tor, das abweisend bewacht,
als wäre es zu ihrem Schutz gemacht;
ein Mann aus Eisen weist bizarr den Weg.

Und hinter roten Mauern die Zypressen,
so dunkel drohend, wie in einem Bild
von Böcklin, das du lange nicht vergessen
und dir auch heut wie eine Warnung gilt.

Doch jenseits liegt ein wunderschöner Garten
und Palmen geben südländisches Flair,
der Duft von Rosenstöcken aller Arten

liegt schmeichelnd in der lauen Luft, als wär
es ein Gefilde voller Poesie
und nicht der Trauer und Melancholie.

Ein reizvolles Thema, lieber Hermann, und gekonnt lyrisch umgesetzt. Der Widerspruch zwischen dem vordergründig wenig einladenden Eindruck der Insel und der freundlichen Gartenlandschaft tritt plastisch zutage. Kleine Anmerkung: Die zweite Zeile erscheint mir nicht ganz rhythmisch; deshalb schlage ich vor:..Tor, das ihren Schlaf bewacht.
Die Zypressen könnten auch an van Gogh denken lassen.

LG Arnd

Hallo Arndt,
vielen Dank für Deine anerkennenden Worte. Dein Vorschlag für die 2. Zeile ist natürlich rhythmisch perfekt. Aber Du kennst meine Vorliebe für "falsch" betonte Worte. Man darf die Zeile natürlich nicht in reinen Jamben lesen:
kurz lang, kurz lang, kurz lang, kurz lang, kurz lang,
sondern:
kur lang, kurz lang, kurz lang, kurz kurz kurz lang.
Diese Triole lockert m.E. den oft etwas fade wirkenden reinen Jambenrhythmus auf.
Aber ich überlege mir Deinen Vorschlag.
Liebe Grüße
Hermann

Hallo ihr zwei,

man kann alles jambisch lesen, das paßt in meinen (inneren) ohren. wirklich wunderbar gemacht, meine hochachtung!

lg W.

Hallo Hermann,

ein schönes Sonett.

Statt "wunderschöner Garten" gefiele mir besser ein "lockend schöner Garten".

Herzliche Grüße

Herbert

Ich finde auch, dass der Rhythmus passt. Im Übrigen finde ich, ist es ein wunderbares Sonett, das die Ambivalenz dieses Ortes perfekt widerspiegelt.

Ingeborg BM