Sankt-Nimmerleins-Tag

James Blond

Mitglied
Wenn ich an Deinen Sankt-Nimmerleins-Tag denke,
dann fällt mir, wie bei so oft bei Deinen Gedichten, allein die handwerkliche Form positiv auf: An Metrum, Reim und Rhythmus gibt es nichts auszusetzen. Auffallend ist auch Deine Vorliebe für Wiederholungen, die Spannungsbögen schafft.

Und dann macht es patsch und das Gedicht liegt auf der Nase. Da kippt in großer Pose die Statue spätestens vom Sockel, wenn in S2 auf einmal in die Vergangenheit gesprungen wird: "Wenn ich ... denke, dann lag ...". Das LyrIch denkt hier an die Zukunft, in der etwas passiert [strike]war[/strike]. Dahinter mag sich lyrische Absicht verbergen (siehe Titel), aber die schafft hier keinen besseren oder neuen Sinn, sondern stört ihn nur.

Doch ist das beileibe nicht der einzige Schnitzer. Sicher lässt sich 'Gewicht' auf 'Gesicht' reimen, aber allein dadurch wird der Ausdruck "gewinnt die Wehmut an Gewicht" nicht besser, denn Emotionen lassen sich mit dem Verstand schlecht abwägen, sie überkommen einen, nur manchmal klopfen sie auch, wie in S2, vorher an. :)

Das nächste Adjektiv 'zeitverzerrt' führt ebenfalls auf ein falsches Gleis: Eine Zeitverzerrung (im Sprachgebrauch der Relativitätstheorie) entsteht aus einer Verzerrung der Zeit, jedoch nicht aus einer Verzerrung durch die Zeit. Eine im emotionsgeladenen Rückblick verfälschte Erinnerung, die "lügt", ist nicht zeitverzerrt.

Die S2 beginnt mit einem Weiterdenken. Was kommt nach Heilig Abend? Vielleicht Neujahr? ;) Nein, hier geht es um einen Todeswunsch, der (anscheinend schon etwas länger) "auf den Lippen lag". Da frage ich verwundert: Wenn eine Art von Todeswunsch besteht (oder bestand oder gar bestanden haben wird), wieso erreicht er beim Weiterdenken über Weihnachten hinaus nun die Lippen?

Wenn jemandem 'ein Wunsch auf den Lippen liegt', dann ist er so dringlich ins Bewusstsein gelangt, dass er auch geäußert werden möchte. Doch handelt es sich hier tatsächlich um einen Wunsch nach Sterbehilfe? Ich erkenne hier keinen Appell an das in S1 erwähnte Du, von dem vermutlich nur noch "Gesichter" übrig geblieben sind. Der Autor möchte vermutlich mitteilen, dass ihm selbst ein Wunsch deutlich wird und vergreift sich wiederum in der Formulierung. Zugleich erklingt ein narzisstischer Appell: Sieh her, wie schlimm es um mich steht.


Zusammenfassend kann ich nur das wiederholen, was ich bei ADs Gedichten bereits mehrfach anmerkte: Die Vortäuschung einer Tiefenstruktur, die sich bei näherer Betrachtung als hohl erweist. Die Pose ist zwar groß, aber ihr mangelt es an Authentizität, an innerer Stimmigkeit. So etwas wird häufig auch als Kitsch bezeichnet, der hier in seiner narzisstischen Larmoyanz einen ganz besonders penetranten Geschmack entfaltet.

Gern kommentiert und dann ausgespuckt.

Grüße
JB
 
...vorweg ein gut gemeinter rat für dich: wenn du nur die hälfte an energie ...die du hier sinnlos verschwendest ... in deine eigenen texte investierst ... dann wirst du vielleicht auch wieder deinen seelenfrieden finden. meine vorlieben scheinst du ja zu kennen, aber wie steht es denn um deine? du sollst die antwort aber nicht hier und mir geben, sondern dir selbst - denn mich interessiert sie nicht wirklich. doch ist es sehr aufschlussreich, um nicht zu sagen verräterisch, dass du dich mit meiner philosphie vom schreiben, meiner intention,
meiner person, meinem gesamtkunstwerk befasst. auch wenn das nicht in deiner absicht lag, aber ein größeres kompliment konntest du mir gar nicht machen.

und ja, spucke es wieder aus, denn die haute cuisine ist nichts für fast - food - fetischisten.

mahlzeit
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
dritte Dimension

Der Analyse von James - wenn auch nicht unbedingt der etwas zu heftigen Klausel - kann ich nur zustimmen: Sie geht auf alle Schwierigkeiten eines aufmerksamen Lesers ein. Eine bessere Würdigung Deines Gedichts, liebe Zweitdimension, kann ich mir nicht vorstellen.
Du wirst wohl bemerkt haben, daß in der Lupa hin und wieder Perlen unbeachtet liegen bleiben, wo man denken mag: Gut, daß die Säue sie nicht finden. Also wenn Dein Kiesel mit dem Geologenhammer aufgeklopft wird, um zu überprüfen, ob er vielleicht eine Kristalldruse enthält, dann beklag Dich nicht, sondern freu Dich, daß das Lied Beachtung und Beobachtung gefunden hat.
 



 
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