Saskias Silvester

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Gegenwart, Silvester, später Nachmittag

„Wenn Sie damals etwas beobachtet haben, auch wenn Sie denken, dass es nicht wichtig ist, rufen Sie uns an! Jeder Hinweis könnte nützlich sein. Unten ist unsere Telefonnummer eingeblendet. Diese und weitere Informationen finden Sie natürlich auch auf unserer Website."
Der Moderator der Extra-Sendung „Cold Cases - Wer weiß etwas?" lächelte in die Kamera. Saskia griff nach der Fernbedienung und schaltete den Fernseher aus. Ihre Gedanken schweiften in die Vergangenheit.

Damals, 30.12.1994

„Wo ist Beate?" Saskias Mutter stürmte in ihr Zimmer. „Ist sie gestern Abend mit dir heimgekommen?"
Saskia setzte sich verschlafen im Bett auf und schüttelte den Kopf. „Was ist denn los?"
„Sie war nicht in ihrem Zimmer. Die ganze Nacht nicht! Ich rufe die Polizei."
Saskia verkniff es sich, „Schon wieder?" zu fragen. Ihre Zwillingsschwester Beate hatte die Angewohnheit, ab und zu mal über Nacht zu verschwinden. Natürlich wussten alle, dass sie bei ihrem 10 Jahre älteren Freund war, den ihre Eltern nicht tolerieren wollten. Besser gesagt, sie hatten ihr den Umgang mit ihm verboten. Aber Beate und Saskia waren vor zwei Monaten 18 Jahre alt geworden. Und Beate ließ sich nichts mehr verbieten. Gestern Abend hatten sie zusammen ihr Elternhaus verlassen, an der nächsten Kreuzung hatten sich ihre Wege getrennt. Saskia machte sich auf den Weg zu einer Freundin. Beate war nach einem kurzen Abschiedsgruß in die entgegengesetzte Richtung verschwunden, ohne zu sagen, was sie vorhatte, obwohl Saskia es sich denken konnte. Wahrscheinlich tauchte sie im Laufe des Tages auf. Ihre Mutter schrie jedes Mal, sie würde die Polizei rufen und tat es nie. Ihr Vater beschwichtigte sie regelmäßig, bis sie den Gedanken an die Polizei aufgab und schluchzend zusammensackte.
So war es auch diesmal. Nur mit dem Unterschied, dass Beate nicht im Laufe des Tages auftauchte. Auch nicht spätabends und nicht in der Nacht. Am Morgen des nächsten Tages gab Saskias Vater eine Vermisstenanzeige auf.
Beate wurde nie gefunden. Natürlich verdächtigte man zuerst den älteren Freund, doch er hatte ein Alibi: Nachweislich war er an diesem Abend am Flughafen in Frankfurt gewesen und in ein Flugzeug nach London gestiegen. Angeblich habe er nichts davon gewusst, dass Beate ihn an dem Abend besuchen wollte. Und aus London kam er erst zwei Wochen später zurück.

Nach einem Jahr fand sich die Familie mit Beates Verschwinden ab. Saskia heiratete drei Jahre später. Wolfgang war ein lieber Kerl, der seine Frau anbetete und mit dem man über alles reden konnte. In den ersten Jahren diskutierten sie darüber, was Beate zugestoßen sein könnte, danach wurden solche Gespräche seltener, und schließlich sprachen sie gar nicht mehr darüber.

Gegenwart, Silvester, abends

„Schatz, bist du fertig?" Wolfgang stand neben ihr.
Saskia zuckte zusammen. „Ich hab dich gar nicht kommen hören. Ich bin gleich soweit, muss mich nur noch etwas schminken." Sie lief ins Badezimmer. Gestern vor 30 Jahren war ihre Zwillingsschwester verschwunden. Sie sollte aufhören, daran zu denken. Was brachte es denn?
Eine Stunde später saßen sie im Auto. Leichter Schneefall behinderte die Sicht.
„Hoffentlich wird das nicht schlimmer", bemerkte Wolfgang, „ich habe keine Lust, dort zu übernachten."
„Wäre doch mal etwas anderes". Saskia kuschelte sich in ihren Pelzmantel. „Wenn dein Freund die Übernachtung bezahlt ..."
„Er ist nicht mein Freund“, seufzte Wolfgang. „Er ist mein Vorgesetzter, und ich konnte die Einladung zu seinem 50. Geburtstag unmöglich ausschlagen. Und alle anderen aus der Firma auch nicht. Glaub mir, die haben alle keine Lust.“
„Aber sie werden alle kommen?“
„Klar. Warum muss der Typ ausgerechnet an Silvester Geburtstag haben? Ich wäre viel lieber heute mit dir zu Hause. Statt dessen müssen wir in ein überfülltes Restaurant, wo außer uns wahrscheinlich noch hundert Leute sind.“
„Ich dachte, das wäre eine geschlossene Gesellschaft?“
„Ja, wir haben einen Raum für uns, aber das heißt ja nicht, dass im übrigen Restaurant nichts los ist. Da ist auch Silvesterparty, und es darf getanzt werden …“ Wolfgang zog ein Gesicht, und Saskia musste lachen. „Keiner zwingt dich zum Tanzen“, versprach sie. Auf einmal war sie gut gelaunt. Dieses Silvester würde ihr zumindest keine Arbeit machen. Sie musste weder kochen noch aufräumen.
„Wird schon nicht so schlimm werden“, sagte sie laut.
Wolfgang warf ihr einen Blick zu. „Weißt du, dass du wunderschön aussiehst?“, fragte er unvermittelt, und Saskia lächelte. „Die anderen werden mich um meine hübsche Frau beneiden.“

Drei Stunden später hatten sie, wie Wolfgang es ausdrückte, „das Schlimmste hinter sich“, womit er nicht das vorzügliche Essen, sondern die Gratulationen und vor allem die Ansprache seines Vorgesetzten meinte. Jetzt kam man zum angenehmeren Teil des Abends. Eine Musikkapelle begann damit, im Saal ihre Instrumente aufzubauen. Saskia schob ihren Stuhl zurück und stand auf. „Ich muss mal meinen Lippenstift nachziehen.“
Im Waschraum blickte sie in den Spiegel. Eigentlich ist es ein schöner Abend, dachte sie. Warum war sie auf einmal so traurig?
Die Tür ging auf, und ein Schatten fiel in den Raum. Saskia drehte den Kopf und glaubte zunächst, in einen gegenüberliegenden Spiegel zu sehen. Die Frau, die eintrat, hatte dunkle schulterlange Haare, genau wie sie und die gleiche schlanke Statur. Auffällig waren die blauen Augen in dem blassen Gesicht, von der gleichen Farbe wie Saskias. Sie sah aus wie Saskias Spiegelbild, was nicht verwunderlich war, denn Beate und sie waren eineiige Zwillinge. Aber am merkwürdigsten war, dass die Frau sie ansah und lächelte.
„Beate?" Das war nicht möglich.
Die Frau nickte.
Saskia wollte vieles fragen, doch sie brachte kein Wort heraus. Sie starrte die Frau nur an.
Das Klappern hoher Absätze und zwei weibliche Stimmen waren zu hören. Und im gleichen Moment, als die Tür zum Waschraum wieder aufging und zwei fremde Frauen ihn betraten, löste Beates Gestalt sich auf.

Die beiden Frauen verschwanden in den Kabinen, und Saskia schaute verwirrt in den Spiegel. Später fragte sie sich, warum sie sich nicht erschreckt hatte, doch in dem Moment kam ihr alles vollkommen logisch vor.
Auf dem Spiegel erschienen Worte, wie mit rotem Lippenstift geschrieben:

„Gruß aus einem anderen Land

Den Lebenden wohl unbekannt

Den Liebenden ein Hoffnungsschimmer

Hoffnung, Liebe bleibt - für immer."

Sie las den Text zweimal durch, dann kramte sie in der Handtasche nach ihrem Handy, weil sie ihn abfotografieren wollte.
Als sie es herausgezogen hatte und wieder in den Spiegel blickte, war der Text verschwunden.

„Wo warst du so lange?", fragte Wolfgang. „Ich habe mir schon Sorgen gemacht. Geht es dir nicht gut?"
„Doch, Liebling." Sie hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. „Mir geht es sogar sehr gut."

Denn Hoffnung und Liebe bleibt für immer, dachte sie.
 
Zuletzt bearbeitet:

Bo-ehd

Mitglied
Hallo SilberneDelfine,
das ist wieder eine Geschichte, die Alltag spannend macht und den Leser mitnimmt. Leider steigst du in dem Moment aus, wo es spannend wird. Du führst den Leser wunderbar zu einem Geheimnis hin, aber dann lässt du alles offen. Die Story zu Ende zu interpretieren traue ich mir nicht zu; es gibt einfach zu Möglichkeiten.
Gruß ins neue Jahr
Bo-ehd
 

Frodomir

Mitglied
Hallo SilberneDelfine,

ich finde deine Geschichte auch ausgesprochen spannend und sie hat mich sehr gefesselt. Zum Teil hat sie auch einen Gruselfaktor, ich hab mehrmals Gänsehaut bekommen. Sprachlich wirkt der Text auf mich sehr reif und erfahren und auch die Dialoge haben meiner Meinung nach den richtigen Ton getroffen. Ein bisschen enttäuscht war ich allerdings, genau wie Bo-ehd auch, vom Ende, weil ich mir da eine Auflösung oder etwas Spannenderes erwartet hatte. Aber so klingt die Geschichte leider ein bisschen zu lapidar aus.

Eine Stelle ist mir übrigens noch aufgefallen, an der vielleicht ein paar kleine Änderungen den Text verbessern könnten, und zwar hier:

Gestern Abend hatten sie zusammen ihr Elternhaus verlassen, an der nächsten Kreuzung hatten sich ihre Wege getrennt. Saskia hatte sich auf den Weg zu einer Freundin gemacht. Beate war nach einem kurzen Abschiedsgruß in die entgegengesetzte Richtung verschwunden. Sie hatte nicht gesagt, was sie vorhatte, obwohl Saskia es sich denken konnte.


Über das Wort hatte bin ich hier ein bisschen gestolpert und ich habe mich gefragt, ob hier nicht weniger mehr wäre. Allerdings brauchst du ja das Plusquamperfekt und ich bin mir auch nicht sicher, wie man am besten auf ein paar hatte verzichten könnte.

Außerdem: Warum muss der Typ ausgerechnet auf an Silvester Geburtstag haben?

Insgesamt für mich ein außergewöhnlich guter Text mit viel Spannung und Gruselfaktor. Sehr gern gelesen!

Liebe Grüße
Frodomir
 
Hallo Bo-ehd,
Hallo Frodomir,

vielen Dank für eure Kommentare und die Beschäftigung mit dem Text!

Ihr habt natürlich beide recht, das Ende ist nicht so besonders. Andererseits kann eine Kurzgeschichte durchaus lapidar ausklingen.
Unter den Merkmalen einer Kurzgeschichte steht auch, dass der Schluss der Kurzgeschichte meist offen ist, siehe hier:

Dass der Schluss euch enttäuscht hat, verstehe ich trotzdem. Irgendwie juckt es mich auch in den Fingern, eine Fortsetzung zu schreiben ... mal schauen.

Frodomir, vielen Dank für das Lob über das Sprachliche! Vielleicht kann ich das mit dem „hatte" noch optimieren.

Vielen Dank auch an alle Bewerter für die Sterne!

LG SilberneDelfine
 

Bo-ehd

Mitglied
Hallo SilberneDelfine,
danke für deine Rückmeldung. Es gibt drei Sachen, die ich kurz kommentieren möchte:
1. Die vielen "hatten". Das hier wäre meine Fassung:
Gestern Abend hatten sie zusammen ihr Elternhaus verlassen. An einer Wegkreuzung trennten sie sich. Saskia wollte sich mit einer Freundin treffenen, während Beate nach einem kurzen Abschiedsgruß in die entgegengesetzte Richtung verschwand, ohne zu sagen, was sie vorhatte, obwohl Saskia es sich denken konnte.

Ich denke, die Vorzeitigkeit mit dem Plusquamperfekt ist hier nur im ersten Satz notwendig (wenn überhaupt). Da alles andere nach dem Verlassen geschah, dürfte das Imperfekt genügen.

2. Eigentlich hast du ein Ende in deine Geschichte eingebaut. Es heißt: ... löste Beates Gestalt sich auf. Aber das ist in meinen Augen genauso unbefriedigend wie gar keines. Es lässt beim Leser zu viele Fragen offen. Es wäre daher wirklich lohnenswert, den zweiten Teil der Story noch einmal zu überarbeiten und ein bisschen Konfliktstoff einzubauen.
Wie ich geschrieben habe, gäbe es sehr viele Möglichkeiten, den Inhalt weiterzustricken. Ich habe vor Jahren mal eine Story geschrieben, die ganz ähnlich gelagert war. Die Zwillinge waren aber Mann und Frau. Der Mann verschwand und tauchte in der Disko als Frau (trans) am Waschbecken neben seiner Schwester auf.

3. Ich habe mir eigentlich vorgenommen, in diesem Forum nie wieder etwas über die Gattung "Kurzgeschichte" zu sagen. Wie du weißt, habe ich es mehrfach versucht, bin dabei auf taube Ohren gestoßen und habe mir dabei eine blutige Nase geholt. Dennoch, hier kann ich nicht stillhalten: Du führst die Netzadresse von wortwuchs an. Ich habe mir die Seite einmal angeschaut und muss jetzt ganz höflich bleiben: So einen Schrott habe ich über dieses Thema noch nie gelesen. Die Seite vermittelt das völlig falsche Bild von einer Kurzgeschichte und leistet sich die gröbsten Fehler gleich im Dutzend. Beispiel: ... das Ende einer Kurzgeschichte ist meist offen. Fünf Zeilen später: ... die Kurzgeschichte endet meist mit einer Pointe.
Frage: Wie kann man eine Pointe einbauen, ohne eine Geschichte zu Ende zu erzählen?Die Pointe steht doch logischerweise am Schluss, oder?

Ich will mich hier nicht weiter darüber auslassen und empfehle nur, ein paar Kurzgeschichten von Autoren aus den USA oder aus England zu lesen. Dann begreift man schnell, wo es wirklich langgeht.
Ich will vor diesem Thema und den Diskussionen nicht kneifen. Vielleicht wäre es ratsam, das Wesen der Kurzgeschichte in einem Extrathread mal zu behandeln.
Wenn du Fragen hast, nur zu.
Gruß Bo-ehd
 
Hallo Bo-ehd,

ziemlich lustig, dass du anscheinend glaubst, ich hätte noch nie Kurzgeschichten aus den USA gelesen. :) Auch in den Geschichten von Stephen King gibt es nicht immer ein für den Leser befriedigendes Ende mit Auflösung.

Ich habe auch Kurzgeschichten von Raymond Carver gelesen, und die haben mir gar nicht gefallen. Eigentlich ist es auch eine Geschmacksfrage.

Da du mit dem Link nichts anfangen kannst, empfehle ich das Buch „Short Shortstorys schreiben" von Roberta Allen. Es ist eigentlich das beste Buch, was ich je über Kurzgeschichten schreiben gelesen habe.

Ich kann mich nur an eine Diskussion über Kurzprosa hier erinnern, in die wir beide involviert waren, nicht über Kurzgeschichten. Kurzprosa ist etwas anderes als eine Kurzgeschichte.

Zu Punkt 1: Ich schrieb ja, dass ich die vielen „hatte" noch optimieren wollte. Offenbar hast du mir das nicht zugetraut ;). Ich bin immer etwas irritiert, wenn Leser versuchen, ganze Absätze umzuschreiben, erst recht, wenn es nur um Grammatik geht.
Aber trotzdem danke.

LG SilberneDelfine
 
Zuletzt bearbeitet:

Bo-ehd

Mitglied
Hallo SilberneDelfine,
wenn du amerikanische Kurzgeschichten gelesen hast, hast du bestimmt festgestellt, dass alle bis zum Schluss durcherzählt wurden. Warum tust du es dann nicht auch?
Fehlt mal der Schluss/die Auflösung/Pointe/der Twist, hat das dramaturgische Gründe. In diese Sphären will ich mich hier aber nicht begeben.
Sorry, dass ich deine Zeilen umgeschrieben habe. Wollte dich wirklich nicht irritieren.
Gruß Bo-ehd
 

Bo-ehd

Mitglied
Nein, liebe SilberneDelfine, das hast du nicht. Brich deine Story mal auf 2-3 Sätze herunter, dann wird das deutlich:
Zwei Schwestern gehen getrennt aus, die eine kommt nicht zurück. Nach Jahren erscheint die Verschollene der anderen in einer Vision. Die Suche soll weitergehen (vorher hat keine stattgefunden; jedenfalls ist sie nicht beschrieben).
Wenn das deine ganze Geschichte ist, hast du natürlich Recht.
Gruß Bo-ehd
 

Frodomir

Mitglied
Hallo SilberneDelfine,

vielen Dank zu deiner Einschätzung bezüglich des Aufbaus von Kurzgeschichten. Allerdings lege ich nicht mehr so viel Wert auf explizite Genrezuschreibungen, auch wenn das durchaus beim Lesen und Interpretieren hilfreich sein kann. Aber am meisten interessiert mich, ob und wie ein Text auf mich wirkt und ob ich für mich darin gelungene Literatur erkenne. Und diese beiden Kriterien erfüllt dein Text meiner Meinung nach mit Bravour - bis auf die kleinen Einschränkungen, die wir ja schon besprochen haben. Dementsprechend fände ich einen 2. Teil deiner Geschichte oder eine Fortsetzung begrüßenswert und sicherlich wieder spannend zu lesen.

Liebe Grüße
Frodomir
 
Ich habe den Schluss jetzt umgeschrieben (habe jetzt noch keine neuen Kommentare gelesen, wollte das als erstes machen).
Für interessierte neue Leser: Die ursprüngliche Fassung findet man in der Historie zum Vergleich.
 
Hallo Frodomir,

vielen Dank für deinen letzten Kommentar! Ich freue mich sehr über dein Lob.

Ich hatte überlegt, eine Fortsetzung zu schreiben, aber - im Fall, dass Beate noch lebt - wäre sie ziemlich lang geworden bzw. hätte wahrscheinlich ein zweiter Teil nicht gereicht. Ich hatte mal einen Krimi in mehreren Teilen hier eingestellt, und das tue ich mir nicht mehr an :).

Vielleicht gefällt euch der Schluss, so wie er jetzt ist, etwas besser.

LG SilberneDelfine
 

Frodomir

Mitglied
Hallo SilberneDelfine,

bitte gern.

Hm, ein Gedicht auf dem Spiegel ist zwar leider keine Fortsetzung, aber schon kreativ. Dann würde ich aber den allerletzten Satz weglassen, da der meiner Meinung nach zu viel erklärt:

Denn Hoffnung und Liebe bleibt für immer, dachte sie.

Überdies: Müsste es hier nicht erschrocken heißen?: Später fragte sie sich, warum sie sich nicht erschreckt hatte

Ich würde die Geschichte dann so, wie sie ist, belassen, ich denke, ohne Fortsetzung ist es nicht so leicht, ein griffiges Ende zu finden und das jetzige scheint doch besser zu sein als das alte.

Liebe Grüße
Frodomir
 
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Benn

Mitglied
Hallo SilberneDelfine.
Mit der Einleitung deiner Geschichte versprichst du dem Leser eine spannende Geschichte. Es ist wie beim Nikolaus. Er kommt mit einem großen Sack ins Kinderzimmer und öffnet ihn. Voller Erwartung möchte sich das Kind ein Geschenk heraussuchen. Doch der Sack ist leer. Dem Leser sollte man etwas bieten, um ihn an der Stange zu halte. Also: Deiner Story fehlt der Spannungsbogen. Beate ist seit Jahren (30 Jahre ist zu lange) verschwunden. Saskia lebt glücklich und zufrieden mit ihrem Mann weiter. (Ach, wie schön.) Doch dann erscheint sie in einem Spiegel. (Das ist sowieso ein alter Hut.) Das glaubte ich dir nicht. So eine Erscheint musst du schriftstellerisch in Handlung packen und vorbereiten. Z. B. Saskia muss zwanghaft jeden Tag an ihre Schwester denken. Sie bekommt Schuldgefühle. Sie träumt von ihr. Das Kinderzimmer wurde seit ihrem Verschwinden nicht verändert. Am Neujahrstag lässt sie für Beate ein Gedeckt aufgetragen, um sie willkommen zu heißen usw. Die Erinnerung an Beate darf nicht abreißen. Bei der Spiegelszene verpasst du den Twist, der es dir ermöglicht hätte, der Story eine unerwartete Richtung zu geben. Aber nein, Beate verschwindet einfach wieder (Hat sie schon mal, vor 30 Jahren) und auch der Lippenstift. Es verändert sich kein Prota (Heldenreise) und die Story endet so lauwarm wie sie nach der Einleitung begann. Schade eigentlich, weil du gut erzählen kannst.
Liebe Grüße Benn.
 

petrasmiles

Mitglied
Liebe SilberneDelfine,

mir hat die Geschichte in beiden Fassungen gut gefallen - Du schreibst richtig gute Dialoge!
Tatsächlich hat das erste Ende zur Folge, dass man sich denkt, wieso sucht sie erst jetzt, was hat sie bisher daran gehindert, also irgendwie eine falsche Richtung.
Demgegenüber passt die Spiegelgeschichte mit dem Gedicht zu der spooky Ursprungshandlung der verschwundenen Schwester; es ist ja bekannt, dass Zwillinge eine ganz besondere Beziehung haben, die von außen auch als spooky betrachtet werden kann.

Natürlich kann man einen Plot auf unzählige Weisen erzählen - und ich finde es vollkommen in Ordnung, wie Du sie erzählt hast.

Liebe Grüße
Petra
 
So eine Erscheint musst du schriftstellerisch in Handlung packen und vorbereiten. Z. B. Saskia muss zwanghaft jeden Tag an ihre Schwester denken. Sie bekommt Schuldgefühle. Sie träumt von ihr. Das Kinderzimmer wurde seit ihrem Verschwinden nicht verändert. Am Neujahrstag lässt sie für Beate ein Gedeckt aufgetragen, um sie willkommen zu heißen usw. Die Erinnerung an Beate darf nicht abreißen. Bei der Spiegelszene verpasst du den Twist, der es dir ermöglicht hätte, der Story eine unerwartete Richtung zu geben. Aber nein, Beate verschwindet einfach wieder (Hat sie schon mal, vor 30 Jahren) und auch der Lippenstift. Es verändert sich kein Prota (Heldenreise) und die Story endet so lauwarm wie sie nach der
Ach Benn - in solchen Fällen bin ich dafür, dass der Leser, der mit nichts einverstanden ist, sich die Geschichte selbst schreibt, wie er sie haben will.
;). Ich glaube, ich habe noch keine Kritik von dir gelesen, wo du mit einer Geschichte, so wie sie ist, einverstanden gewesen wärst (ich meine jetzt auch die Geschichten von anderen Autoren).

@Bo-ehd

ich dachte, du hältst nichts von Regeln und befürwortest jetzt die Regeln der Heldenreise?

Liebe Petra,

vielen Dank für die Sterne und deinen Kommentar!

Und ich werde jetzt wieder Gedichte schreiben. Kann ich zwar auch nicht.:cool: ;). Aber da sind die Diskussionen nicht so aufreibend.

LG SilberneDelfine
 
Zuletzt bearbeitet:

Bo-ehd

Mitglied
Hallo SilberneDelfine,
da hast du etwas gründlich missverstanden. Ich betrachte mich als ausgesprochenen Befürworter von Regeln fürs Schreiben. Schreiben ist Handwerk, Handwerk hat ein Regelwerk. Und wenn man das Regelwerk versteht und anzuwenden bereit ist, ist es eine unglaublich große Hilfe beim Verfassen von Prosatexten. Schau dir mal meine älteren Kommentare an. Dort wirst du sehen, wie ich mich z.B. für die Struktur der Kurzgeschichte stark gemacht habe. Bei der Diskussion um die Kurzprosa war es ähnlich. Es hat nur kaum jemand meine Kommentare ernst genommen. Das Gegenteil war eher der Fall. Deswegen sind wir jetzt wieder am Anfang dieser Diskussion.
Das alles entscheidende Regelwerk für die erzählende Prosa ist die Heldenreise. Ihre wichtigsten Merkmale sind in meinen früheren Kommentaren erwähnt. (BTW: Ich schreibe gerade eine Abschlussarbeit über die Heldenreise des Tarot)

Steck bitte nicht den Kopf in den Sand. Du hast eine schöne Sprache und kannst den Leser mitnehmen. Das ist mehr als die halbe Miete. Was dir hier fehlt, ist die zu Ende gedachte Story. Das lässt sich doch ändern, oder täusche ich mich da?

Gruß Bo-ehd

Wenn du in die Lyrik abwandern willst, tust du dir nicht unbedingt einen Gefallen. Ich halte diese Sparte hier für die mit Abstand schwächste. Kann mir nicht vorstellen, dass du da etwas dazulernst.
 



 
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