Hallo Anders Tell,
Formale und strukturelle Aspekte, sowie Werkzeuge der Analyse sind hilfreich, wenn man sich eine gute Geschichte erschließen will. Beim Verfassen helfen sie nur dann, wenn sie den Autor nicht knebeln.
Du benennst hier eines der großen Probleme der Schreiberei: Amateurautoren halten sich nur solange an die Regeln, wie sie ihnen nicht lästig werden. Tun sie es, steigen sie aus und erzählen weiter, was ihnen einfällt oder wichtig erscheint. So geschehen in dieser Geschichte, in der es Szenen gibt, die nichts zur Geschichte beitragen. Das Ergebnis ist dann, dass sie zumindest zeitweise das Ziel ihres Textes, das gleich zu Anfang hätte festgelegt werden müssen, aus den Augen verlieren.
Diese Diskussion geistert übrigens durch alle deutschsprachigen Literaturforen; schau mal rein, es ist interessant und höchst amüsant zu sehen, wie sich Autoren beharrlich weigern, das zu tun, was sie zu guten Autoren macht.
Um die Sache zu verdeutlichen, dieses Beispiel: Du machst den Führerschein und ärgerst dich grün und schwarz über so manchen Lernstoff. Ohne Prüfung würdest du 90% davon von vornherein ablehnen oder belächeln. In der Fahrpraxis später erlebst du Situationen, in denen du das Gelernte anwenden kannst. Will sagen: Regeln, die man routinemäßig beachtet und die sich bewährt haben, gehen irgendwann in Fleisch und Blut über. Von knebeln kann dann nicht mehr die Rede sein. Man fügt sich, ohne dass man es merkt.
Für das Schreiben von Kurzgeschichten gilt folgende Arbeit im Vorfeld: Geschichte vollständig durchdenken mit Festlegung von Personen, der Handlung, des Ziels/Konflikts, des Spannungsbogens, des Endes mit Aussage und ggfs. Pointe. Diese Abfolge entspricht übrigens zu 100% dem Prinzip der Heldenreise.
Für mich persönlich ist das gar keine Regel mehr; es ist so in Fleisch und Blut übergegangen, weil es absolut logisch ist.
Dein Beispiel mit dem Musiker ist richtig, aber es widerspricht deiner Knebelthese, wenn ich es richtig verstanden habe.
Gruß Bo-ehd