Saure Zeiten

2,70 Stern(e) 7 Bewertungen

lapismont

Foren-Redakteur
Teammitglied
Saure Zeiten

Schrei!
Lass die Augen weit klaffen und sieh mich herbei,
schrei!
Es gibt nichts mehr zu sagen, es hört keiner hin,
wozu auch?
Der Tisch trägt die Gläser mit fettigem Rand,
zerbrich!
An der Last meiner Lügen, sie sind alle wahr.
Verzeih,
meine Gier soll dich quälen, ich frage nach Neuem,
sei still,
bleib nur einmal ganz leise, ein Raunen im Dunklen,
bereit,
für das große Finale, den Schlussstrich, my Darling,
oh Blut,
ist zu dünn für uns beide und kann nicht entflammen,
verbrenn!
In den Dünsten der Wollust, die mich von dir trennen,
für ewig,
soll dann in rot dir stehen, ein Grabstein der Liebe,
vergebens,
bis nur Aas dich bedauert und Geier dich gießen,
schrei
oh schrei,
bis am Morgen die Zeitungen singen von mir.
 

Franke

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo lap,

vielleicht liege ich ja vollkommen falsch, aber ich musste beim Lesen an einen peversen Serienmörder denken.
Mir persönlich sind die Ausrufezeichen zuviel, diese zusätzliche Dramatik hat das Gedicht eigentlich gar nicht nötig.
Auch die oh's würde ich weglassen, da kriege ich immer eine unangenehme Gänsehaut, wenn die in einem Gedicht auftauchen.

Liebe Grüße
Manfred
 
B

Beba

Gast
Oops,

ziemlich starker Tobak! ;) Sorry, ich finde keinen Zugang zu diesem lyrischen Erguss.

für das große Finale, den Schlussstrich, my Darling,
oh Blut,
ist zu dünn für uns beide und kann nicht entflammen,
verbrenn!
Ist das dein Ernst? Oder stellst du uns auf eine Probe?

Ciao,
Bernd
 
B

bluefin

Gast
hier wird nicht auf die probe, sondern in frage gestellt - und zwar, ob derlei gewaltfantasien, so man sie denn hat, zu "besingen" sind, wie dies hier geschieht.

ich halte dem moderautor zugute, dass er's nur um der effekthascherei willen tut und uns nicht damit kommen möchte, im skizzierten lust- bzw. frustmord läge ein künstlerisches momentum. und dass sein "lyrisches ich" nicht wirklich glaubt, am morgen danach würde ganz doitschland sein liedchen singen. das dachte der attentäter von winnenden auch.

wie? alles nur metapher? kein suff, kein wehrloses opfer, kein schlappschwänziger täter, kein gewaltsamer tod und keine schlagzeilen danach, sondern "nur" schwülstige zeitgeisterbeschwörung?

nein, da dank' ich. ungern lass ich mich derart vergesellschaften. da schwimm ich lieber einsam im freiwasser, auf die gesänge der bildzeitungen pfeifend...

...*bubbles*...

bluefin
 
H

Heidrun D.

Gast
Nach meinem Dafürhalten, handelt es sich um Auf- und Niedergang

a) eines Glases mit sauren Gurken und/oder
b) um die Beschreibung des Sommerlochs bei der Presse (Saure -Gurken-Zeit)

der Lustmord findet also nur insofern statt, als der Täter die Gurken verspeist. D a n a c h quakt die Zeitungsente, weil es sonst nix zu berichten gibt ...

Mir erscheint es herrlich surreal.

Grüßle
Heidrun
 

lapismont

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo ihr,

spannende Interpretationen.
Die Saure-Gurken-Zeit überrollt uns wohl alle ab und zu.
:)

Die "ohs" sind hier theatralische Gesten, dass es dabei gruselt, hätte ich aber nicht gedacht.
Die Ausrufezeichen hab ich eigentlich nur als Satzzeichen gesetzt, der Imperativ fordert das in meinen Augen irgendwie, aber ich hänge nicht an ihnen. Wenn da also eines weg soll, sags ruhig, Franke.

Tja Bernd, den Leser zu testen, liegt mir sehr fern, eigentlich entsteht so ein Text rein als Innenansicht, ein künstlerischer Prozess. Die Thematik mag zwar vorgegeben sein, aber der rest ist eher Selbsterprobung.

Für alle Musikliebhaber sei als Hintergrundmusik noch Sour Times von Portishead empfohlen.

cu
lap
 
S

suzah

Gast
hallo lapismont,

"Die Thematik mag zwar vorgegeben sein, aber der rest ist eher Selbsterprobung."

"Selbsterprobung" na das will ich doch nicht hoffen bei diesem mörderischen finale.

aber so vordergründig ist der text ja nicht gemeint.

liebe grüße suzah
 
B

Beba

Gast
Ich schäme mich ja ein wenig, dieses Werk unvorsichtigerweise ;) so schlecht bewertet zu haben und versuche es mir nun damit schön zu reden, dass ich den künstlerischen Prozess im Innern des Autors nicht nachvollziehen kann. Und doch bleibt für mich die Frage: wie wäre das Schicksal dieses Textes verlaufen, wäre nicht lapismont der Autor gewesen? Das betrifft natürlich in erster Linie die Bewertungen, denn an Kommentaren zum Text mangelt es bislang ja ein wenig.

Ciao,
Bernd
 

lapismont

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Bernd,

ja, den Autor vom Text zu trennen gelingt eigentlich nur im Anonymen.
Aber Deine Meinung zum Text ist doch richtig und ok. Ich schreib eigentlich nie komplett verständlich. (Meine Handschrift toppt das sogar :D)

Ich habe das ja schon mal geschrieben: Für mich ist so ein Text eigentlich in dem Augenblick nicht mehr "meins", wenn der Schaffensprozess vorbei ist. Sicher, es gibt noch Korrekturen, Versionen, manchmal sogar neue künstlerische Bearbeitungen, aber der Antizipationsprozess ist etwas Ureigenes, das der Leser vollbringt. Dort entsteht der Text erneut, anders. Wenn dann da nix entsteht, ist das schade und hat natürlich auch etwas mit dem Vermögen des Künstlers zu tun - aber eben nur zu einem gewissen Grad.

Ich habe mal ein Gedicht über Josef Capek geschrieben, das mir sehr wichtig ist, sich mit ihm und seiner Bedeutung als Maler und Freiheitssymbol auseinandersetzt - das hat kein Leser erkannt. Eindeutig zu sehr verschlüsselt von mir, aber genauso wollte ich es haben. Es kann eben nicht immer der Funke überspringen.
Zum Glück schreib ich ja hier aus Spaß und muss nicht davon leben.

cu
lap
 
B

Beba

Gast
Hallo Lapismont,

danke dir für die ausführliche Antwort, die ich durchaus nachvollziehen kann. Du beweist sehr fairen Umgang mit meiner Kritik.

Ciao und schönen Sonntag,
Bernd
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
und

ich schließe mich vollinhaltlich der heidrun an.
lg
ps - ihr lieben, wenn ihr gehört hättet, wie lapismont das liest, wäret ihr noch mehr begeistert!
 



 
Oben Unten