Sauvignon Blanc

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Freedom

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Zwei Herren, vielleicht Mitte vierzig, gehen vor mir in einem Tempo, das meinen Blutdruck ankurbelt. Ich bin gezwungen hinterher zu trotten, weil die Fußgängerzone durch die vielen Tische vor den Cafés zum Nadelöhr geworden ist. Na gut, vielleicht ist es auch mal angesagt, das Tempo rauszunehmen.

Beide Typen sind mit dunkelbraunen Sandalen beschuht. Der linke steckt in einer knielangen Short in marineblau und der rechte trägt eine khakifarbene Hose, die so aussieht, als hätte ihm die Gattin eine Bundfalte reingebügelt. Fesch! Die Polohemden passen zur Uniform der Langeweile. Die Männer wirken wie zwei müde Reiter auf dem Pfad der Trostlosigkeit. Aber vielleicht erhöhe ich mich mit diesem harten Urteil selbst und denke, mit meinem schwarzen T-Shirt mit Band-Aufdruck, meiner zerrissenen Short und meinen grünen Sneakers bin ich einfach ein lässigerer Kerl.

Das Gelabere der beiden nervt. Sie reden in einem nasalen Ton. Ich fühle mich unter Strom und setze zum Überholen an. Scheiße, ausgebremst. Aus einem Lokal strömt eine Menschenlawine, die alles verstopft. Trippelschritte, mehr geht nicht. Der maritime Typ unterbricht die kurz entstandene Sprechpause: „Ich hab das Gefühl, dass der Sauvignon Blanc immer mehr kommt“, näselt er und gibt das letzte Wort in einem keuchenden Ton frei. Unfassbar. Epochale Worte in der Fuzo. Spannend, ich hab gar nicht mitbekommen, wie sehr der Sauvignon Blanc am Kommen ist, aber jetzt, wo ich´s weiß…

In meinem Kopf läuft die Titelmusik von Knight Rider. Er kommt: Sauvignon Blanc. Durchs Bild fährt jedoch kein schwarzer Trans Am, sondern ein blauer, rostbefleckter Kastenwagen. Hinterm Lenkrad sitzt ein rotbäckiger Weinbauer mit glasigen Augen. Okay, die wüstenähnliche Landschaft passt jetzt nicht mehr dazu, aber egal, es ist ein schöner Stilbruch.

Endlich kann ich mich mit schnellen Schritten an den zwei Helden der Vergänglichkeit vorbei quetschen. Mir ist das hier zu viel, zu heiß, zu wuselig und ich entscheide, wieder ins Kloster zurückzufahren. Kühl und still ist es dort.

Ich komme im Kloster an, wasche mir das Gesicht und gehe ins Refektorium des Exerzitienhauses. Es ist niemand hier. Refektorium, was für ein Wort! Man könnte auch Speisesaal sagen, aber nein. Refektorium. Klingt irgendwie medizinisch. Oder gar veterinärmedizinisch. „Der Waldspatzenfink ernährt sich vorwiegend von Insekten und Würmern. Die Verdauung erfolgt mit Hilfe eines Magens und eines langen Darmtraktes, an dessen Ende das Refektorium die nicht verdaubaren Bestandteile an seine Umwelt freigibt“, höre ich eine Naturfilm-Sprecherin in sonorer Stimme informieren. Mein Gehirn ist heute ganz lustig und scheinbar in TV-Laune.

Ich gehe zum Kühlschrank, der neben einer schönen Holzanrichte steht und mein Blick fährt eilig über die Wein-, Bier- und Saftflaschen. Ich öffne die Tür, genieße den kalten Luftschwall und greife nach der Weinflasche mit dem schönen Etikett. Den Weißwein gieße ich in ein Glas und werfe den ausgeschriebenen Betrag in die Holzschatulle. An einem der Tische nehme ich Platz und mache einen Schluck, der frisch und voller Geschmack ist. Ich atme tief aus. Es ist ein guter Moment. Ein Gedankenblitz lässt fragen, ob der Tropfen gar ein Sauvignon Blanc ist. Pfuh, weiß ich gar nicht. Ich schaue nach. Nein, ist er nicht. Irgendwie bin ich froh darüber und erleichtert, sonst hätte mich gar etwas mit den beiden Langeweilern von vorher verbunden.

Ich trinke noch einmal, fühle mich entspannt und denke mir: Also, wenn der Sauvignon Blanc wirklich kommen sollte, dann sicher nicht ins Kloster. Ich lächle und mir wird bewusst, wie sehr ich Orte mag, die von Zeit und Trends unbeeindruckt bleiben.
 
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DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo fremdom,

wenn du aus dem Reflektorium ein Refektorium machst, ist der Text noch besser!

Viel Freude in der Leselupe wünscht

DocSchneider
 
Stimmt, Freedom. Ein blasiertes Werturteil, besonders über Wein, klingt meist gestelzt. Es gibt in der Tat Weine der Rebsorte Sauvignon Blanc, die ein Genusserlebnis bieten, das man durchaus kommunizieren kann. Deine beobachteten Weinkenner passen in ein gängiges Klischee von Freizeit-Genießern in Fußgängerzonen. Sich den Genuss eines wohlschmeckenden Weins in einem Kloster zu gönnen, das kommt gut. Ich kenne jedoch Örtlichkeiten, die ebenfalls geeignet sind - dem störenden Gelaber kann man auch dort aus dem Wege gehen. HG Horst
 



 
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