Was an dieser Politik zynisch ist, könntest du eben im genannten Gastbeitrag des Schaubühne-Dramaturgen Stegemann in der ZEIT nachlesen. Vermutlich wirst du dich hüten, denn weder der Theatermann noch die Wochenzeitung eignen sich für die üblichen Schablonen und Schubladen. Du weißt schon: Zeichen setzen, Stirn bieten usw.
Stegemann zeigt die verblüffende Ähnlichkeit dieser Politik mit den Abläufen in Brechts "Der gute Mensch von Sezuan" auf. Stegemann:
Die Erkenntnis ist so einfach wie realistisch: Wer in einer schlechten Welt gut sein will, braucht die Hilfe eines schlechten Menschen. Das Einzige, was diesen Widerspruch aufheben könnte, wäre nicht individuelle Güte, sondern eine Revolution der schlechten Wirklichkeit.
Oder:
Die Grenze zwischen den bisherigen Parteien und der neuen AfD wird zur neuen, alles bestimmenden Opposition: Shui Ta ist der andere, mit dem man nichts zu tun haben will. Die politische Analyse bleibt schon hier weit hinter der brechtschen Erkenntnis zurück, dass jede gute Tat ihre böse Folge aus sich selbst gebiert, wenn die Welt durch individuelle Güte nicht zu verändern ist.
Oder:
Der Plan, alle mit Schleppern nach Griechenland gelangten Flüchtlinge in die Türkei zurückzubringen und dafür dieselbe Anzahl legal nach Europa einreisen zu lassen, ist von perfidem Zynismus.
Im Übrigen, Mondnein, glaubst du wirklich, der alte Trick funktioniert noch: den Kontrahenten zu verunsichern, indem man seine zeitgeschichtlich eingebettete Befindlichkeit individualisiert, personalisiert à la "deine Lebenseinstellung, deine Symptome - her mit dem Arzt"? Für so naiv halte ich dich nicht. Was soll also der untaugliche Versuch? Ich könnte mich mit weiteren Stegemann-Zitaten über die durchaus anrüchige Allianz der Kanzlerin mit ihren grünen Unterstützern und was ökonomisch dahintersteckt revanchieren ... Ach, geschenkt. Lies es selbst nach oder lass es sein. Morgen ist auch noch ein Tag.
Arno Abendschön