Schatten der Gatten -Versuche über Frau X.

I.
Kennt ihr die Frau? Ob ihr Gefährte
sie wohl das Räsonieren lehrte?
Sie trug kein Schloß an ihrer Lippe -
drum schallt ihr Name fort: Xanthippe!

Ihr Mann, der war kein bißchen leiser
und gilt noch heut als großer Weiser:
denn sprach er mal ein kluges Wort,
schrieb es sein Schüler auf sofort.

Doch was er sprach, wenn er betrunken,
ist in Vergessenheit gesunken,
und was man heut noch weiß davon,
nennt man diskret "Symposion".

II.
Daß er in Köpfen Licht entfache,
das, meint Herr S., ist Mannes Sache.
Was es an Höhlen gibt im Leib -
um diese kümmert sich das Weib.

Doch saß er abgekehrt vom Feuer,
indessen sie am Herde stand,
dann sah er, flackernd, ungeheuer,
Xanthippes Schatten an der Wand.
 

James Blond

Mitglied
Xanthippe hieß die Frau von Sokrates.
Das Höhlengleichnis mit den Schatten an der Wand stammt allerdings von Platon.

Grüße
JB
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Sehr witzig, James.

Es ist so, wie wenn man schreibt: "Das Senfkorngleichnis stammt gar nicht von Jesus, sondern von Matthäus, siehe Kapitel 13 in dessen Evangelium".

Sokrates ist immer einer der zwei oder mehr Gesprächspartner in den Dialogen Platons. Platons Lehren sind die des Sokrates, wenn es mal nicht einer der mitdiskutierenden Schüler ist, der sein Wissen oder das seines Meisters (z.B. Gorgias oder Parmenides) dem Sokrates mitteilt. Der monologisierende Erzähler des "Höhlengleichnisses" ist Sokrates, im Politeia-Dialog des Platon.

grusz, hansz
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Ein sinniges Gedicht, sinnvoll und sinnreich, annefröhlich.

James' kenntnisreiche Entdeckung Deiner Höhlengleichnis-Anspielung in II. beweist, daß es Dir nicht um altbackene Xanthippe-Witze geht, sondern um Philosophie.

Ich halte mich etwas bei dem Motiv vom betrunkenen Sokrates im Symposion auf.

Eigentlich ist Sokrates nie betrunken. Er wird nicht einmal müde vom Trinken. Der "Betrunkene" im Symposion ist der Jetsetter Alkibiades, der die letzte Rede in der Runde halten darf. Statt über den "Eros", wie alle anderen, redet er über die "Erotik" des Sokrates, der eigentlich ein häßlicher Plattfisch war (siehe im Menon, in der Mitte vor dem Geometrie-Experiment), aber der glanzvolle Alkibiades ist in diesen alten Sack verliebt, diesen (wie Menon ihn nennt) "Zitterrochen".

Alkibiades ist besoffen; Sokrates ist absolut nüchtern und verläßt am Morgen nach der durchwachten Nacht die trunkene Runde, um mit seiner Steinmetz-Arbeit das tägliche Brot für Frau und Kinder zu verdienen. (Ach quatsch, er geht Schwimmen und dann ins Lykaion, wo er sich den ganzen Tag lang aufhält.) http://12koerbe.de/pan/symp4.html

grusz, hansz
 

James Blond

Mitglied
Der monologisierende Erzähler des "Höhlengleichnisses" ist Sokrates, im Politeia-Dialog des Platon.
Das war mir nicht bekannt. Ich dachte, es wäre auf seinem eigenen Mist gewachsen.

Allerdings mündet das Gedicht eben doch in einen Xanthippe-Witz, wenn 'Herr S.' den drohend flackernden Schatten seines Weibes zum analogen Bild seiner Erkenntnistheorie macht, allerdings ein sehr guter.

Grüße
JB
 
Zuletzt bearbeitet:
Vielen Dank für eure Kommentare! Wollte testen, was "herüberkommt", weil ich das Gedicht bei der Verbandszeitschrift des Frauenverbandes "Courage"
einschicken möchte.
Habe ein sehr altes Gedicht von mir überarbeitet (hatte es spontan als Kommentar unter Bernds Limerick "Xanthippe
streitet" gesetzt und dabei festgestellt, daß der erste Vers Quatsch war - Xanthippe gilt ja als zänkisch, nicht als "Quasselstrippe", und Frauen als Hexen zu diffamieren ist auch der Neuzeit vorbehalten geblieben). Dann suchte ich eine Überschrift (meine Gedichte haben meistens keine, aber wenn man ein
Gedicht irgendwo einschickt, sollte man eine wählen, damit ihm nicht eine "verpaßt" wird, die einem nicht gefällt), aber mir fielen lauter visuelle Metaphern ein
(BlickweXel, Licht und Schatten etc.), obwohl es doch um das geht, was gesprochen wird. So kam ich darauf, die Anspielung auf das Höhlengleichnis noch "dranzuhängen".
Ursprünglich hatte ich tatsächlich nur sagen wollen: Nun malt mal nicht so schwarz-weiß - Xanthippe wird schon ihre Gründe gehabt haben (was weiß man überhaupt von ihr?), und auch die größten Geistesheroen hatten ihre Schattenseiten (wenn er tatsächlich die ganze Nacht trinken konnte, ohne betrunken
zu werden, muß er viel Übung gehabt haben - vielleicht störte sich Xanthippe ja daran? ).
Die Formulierung "Schatten der Gatten" (normalerweise versuche ich das generische Maskulinum zu vermeiden, aber hier paßt es - die Gattin ist ja wirklich als
eigenständige Person unsichtbar geworden) brachte mich dann noch auf andere Facetten. Steht Xanthippe nur im Schatten des Sokrates oder ist sie sein
Schatten? Hat er, der alle Welt das Hinterfragen lehrte, es auch ihr beigebracht (und sich dann nicht darüber gefreut, wenn sie es auf ihn anwandte ...) oder
sie nur zum Räsonieren provoziert? Vielleicht haben sie doch voneinander gelernt. So schlecht kann die Ehe nicht gewesen sein - zumal für einen Mann war die
Scheidung damals sehr einfach, und Xanthippe war bei Sokrates` Tod untröstlich.
Aber warum sieht er nur ihren Schatten an der Wand? Sein eigener verschwindet offensichtlich darin. Auch er mußte ja die Höhle in seinem Leib, den leeren
Magen, füllen. Vielleicht lastete die Sorge um diese "niederen" Dinge ja zu sehr auf seiner Frau? (Die Sorge um eine andere Leibeshöhle war seiner Mutter,
der Hebamme, anvertraut, während er seine "Hebammenkunst" den (männlichen?) Geistern vorbehielt) Eine Weltsicht, die diese Aspekte ausblendet (sich
vom Herd abkehrt) ist auch eine "Höhle", in der man nur Schatten wahrnimmt.
Vielleicht war es dem großen Ironiker auch bewußt. Vielleicht kam ihm in der beschriebenen Situation die Idee zu seinem Höhlengleichnis ... .
Das können wir alles nicht wissen. Deshalb: VERSUCHE über Frau X.
Grüße
af
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Nicht zu vergessen: Bert Brechts Erzählung über Xanthippe und ihren humpelnden Sokrates.
 
Auch wenn ich denke, daß es sich bei Platons Behauptung, Sokrates sei immer völlig nüchtern gewesen, um eine Übertreibung bzw. Stilisierung
handelt, um die Überlegenheit seines Geistes sowohl über andere Menschen als auch über den eigenen Körper zu unterstreichen, und man
auch heute Menschen trifft, die , ohne das Format des Sokrates zu haben, in alkoholisierten Zustand noch erstaunlich präsent und artikuliert sind,
habe ich doch den dritten Vers etwas geändert:

Doch wie das war, wenn man getrunken,
ist in Vergessenheit gesunken,
und was uns heut noch kund davon,
nennt man diskret "Symposion".

Dann könnte man ihn auch so deuten, daß es Xanthippe nicht gefiel,
wenn sich ihr Mann in Gesellschaft von Leuten wie dem Alki Biades (sorry, konnte
dem Kalauer nicht widerstehen) die Nächte um die Ohren schlug.
a,f.
 



 
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