Schattenbilder

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petrasmiles

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Unsere Mütter waren die Trümmer
Unsere Väter blieben im Krieg
Der reiche Onkel aus Übersee
Wollte uns Vater und Mutter sein
Und half uns aufs Pferd

Das mit der Mutter
Hat nicht so gut geklappt
Außer vielleicht der viele Zucker
Der Vater hat uns erzogen
Umerzogen

Wir haben gelernt, ihn zu lieben
Und er hatte immer ein Auge auf uns
Über Jahrzehnte am langen Bändel
Wir spürten es
Kaum

Wir fühlten uns wohl in der Familie
Waren stolz, dazu zu gehören
Auch wenn unsere Kinder Fehler sahen
Wir haben sie reden lassen
Und ihm immer verziehen

Aber die Kinder werden einmal groß
Haben alles gelernt, um mitzuhalten
Nicht mehr nur Klassenbeste
Nicht mehr nur mitmachen
Selbst entscheiden

Freischwimmen
Wind unter den Flügeln
Erwachsenwerden
Erwachsensein
Verantwortung tragen – für sich selbst

Die warme Hand
Die eben noch leicht auf der Schulter lag
Legt sich fest in den Nacken
Bestimmt die Richtung des Blicks
Lässt nicken

Uns brauchte man keine Panzer zu schicken
Niemand verführte uns zu Abtrünnigkeit
Wir wollten auch die Familie nicht verlassen
Wir glaubten nur an Werte
An das Selbstbestimmungsrecht der Völker

Verborgen liegen sie in Trümmern
Unsere Eltern predigen Krieg
Kein Onkel
Nimmt uns an Kindesstatt
Gefesselt sind wir ans Pferd
 
Zeitgeschichte als Familienroman ... Ich habe es schon einige Male gelesen und mich darin geübt, mir vertraute Personen oder sogar mich selbst in diesem Gruppenbild wiederzufinden. Der Text folgt einem interessanten Ansatz und ist auch formal überzeugend. Mag sein, dass ich noch nicht alles darin entschlüsselt habe.

Beim Pferd (erster und letzter Absatz) fiel mir jetzt Bismarck ein, der Deutschland aufs Pferd gesetzt zu haben glaubte, doch reiten können müsse es selbst. Der Unterschied bezüglich der Position auf dem Tier - jetzt gefesselt - verweist auf den Unterschied in puncto Souveränität.

Freundlichen Gruß an Petra
Arno Abendschön
 



 
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