schere sa deo ase

5,00 Stern(e) 2 Bewertungen

sufnus

Mitglied
Von Rühmkorf gibt es das deutlich altherrenmäßige Bonmot über eine Frauenhüfte: Ein Becken wie ein Bassin.
Und prima vista auch hier ein insgesamt ziemich harscher Blick auf einen weiblichen Körper, eine Art Blason, welches auf Hüfthöhe steckengeblieben ist, wobei dies wahrscheinlich mehr über die Erzählstimme des Gedichts als über die besungene Frau aussagt.
Und dann: Klingt in der Parenthese des "schere sa deo ase", vielleicht über das morgenländisch stimmende Oase vermittelt, auch ein bisschen die Märchengestalt der Scheherazade an?
Verführung. Ja.
LG!
S.
 
Hi Mondnein,

auch mir hat Dein Gedicht (natürlich immer in meinem Verständnisrahmen, der ja bei Deinen abstrakten Werken sozusagen immer "mitgestaltet") gut gefallen. Anbei ein paar Gedanken dazu, wobei ich versuchen möchte, den zusammenhaltenden Titel der Scheherazade (Oase/deo) nicht aus den Augen zu verlieren.

1. Vom rein Assozisativen her sehe ich in Strophe Eins eine Frau im Schwimmbad, die sich allerdings nicht sehr grazil oder erotisch in die Fluten zu verbinden versteht (aus Sicht des sich angemacht fühlenden LI), sondern eher einem Juckreiz nachzukommen scheint (scheuert im Schwimmbadbecken). Den Gesichtsausdruck auf ihrem Gesicht dabei habe ich mir hinzugedacht. Besonders gut gefallen hat mir vom Bildgehalt: "verbreiternd s becken über den Beckenrand". Ich sehe da so eine Art fluchenden Rheinhessen der in der Oase der Schwimmbadstufen -die Oase hier möglicherweise auch schon als Hinweis auf das Märchensetting der mythologischen Scheherazade in Persien- den es vor einigen Jahren nach Oberfranken oder Bayern verschlagen hat und der -selber auf dem Rücken in der Lagune der Schwimmbadtreppen liegend und keineswegs des bayerischen Dialekts mächtig- seiner Gemütsbefindung wild gestikulierend Ausdruck verleiht.

2. In Strophe zwei verdichtet sich das Bild der Schwimmbadnixe im ersten Teil in Richtung eines schmerzhaften Anstosses an die "Keramik" also die Schwimmbadkacheln. Aber möglicherweise bekommt sie auch die Unwohlbekundungen des Walrossrüden mit und die Schmerzen, die nun gewahr werden, sind auch "Herzschmerzen" (am Limit der schmerzenden Scherze / Corazon). Der letzte Satz könnte auf eine ironische Distanz zum Schwimmbadrüden hindeuten durch die Einführung der "Phrasen" und "Fresser". Die Fresser könnte nochmal rückbezüglich auf die Wasser verdrängende Leibesfülle zu verstehen sein aber auch im Sinne unkritischer Konsumenten verstanden werden.

3. Die dritte Strophe folgt der Beobachtung der Schwimmbadnixe und resümiert eine durchaus komische Ansehung derselben, Ich nehme an, das sich die Assoziationen kraft ihres Anblicks ergeben und da sind einige Skurrilitäten dabei: künstliche Wimpern, die im Schwimmbadwasser abzugehen drohen, der Badeanzug, der an den mächtigen Höfen der Brust gefährlich abzusinken droht (tüpfer nippelnde) und ihr offensichtlich wunderbar komischer Watschelgang durchs Wasser (Zipfelmützertrippeln) also so wie man sich vielleicht übergewichtige Gartenzwerge (Achtung: das soll kein Bodyshaming sein ! ;-) in der Badewanne vorstellen würde, die allesamt auf eine kleine Rettungsleiter hinwatscheln.

4. In Stophe vier wird es nun martrialischer, da kommt eine Kugelwelle, die die schwimmbadbrünhilde möglicherweise kraft ihres Zipfelmützerganges unter Berücksichtigung der Verdrängungen des gewaltigen Körpers erzeugt oder mit der sie jedenfalls interagiert, wobei die "wellende Kugel" auch unsere ungewollt komische Schwimmerin sein könnte. Wir erfahren noch etwas über den Pflegeeindruck der Seifenblasenhaut und ihrer Farbeigenschaften (bzw. der Farbeigenschafter der Interaktion mit dem Wasser bzw. der Kugelwelle) und da versetzt das Gedicht durch die evozierten Bilder für mich die Szene ins Zarte, Frische. Ich würde jetzt nicht an die Geburt der Venus denken, aber auch nicht an Scheherazade, wenn ich erhlich bin. Allein im Gestus des liegenden Rüden, aus dessen Perspektive die tänzelnde offensichtlich ihn zu beeindrucken versucht, zu unterhalten versucht, zu beschäftigen sucht (möglicherweise nur halb unvorsätzlich und damit doppelt komisch) vermag ich eine Parallele zu Scheherazades Vater Schahryâr herzuleiten. Hier, wie dort, versucht eine Frau zu "unterhalten", wobei ich zugebe, dass die Herleitung schon arg strapaziert ist.

5. Gefallen hat mir das Gedicht auch deshalb so gut, weil sich mir beim Lesen eine stimmige und sehr unterhaltsame Geschichte vor dem geistigen Auge entfaltet hat, die in mir angelegt gewesen, aber eben bis dahin nicht ganz bewusst gewesen ist (Teile davon hab ich ja oben dargestellt. Den Rest behalt ich für mich ;-) Der Vorteil Deiner (ich meine in den letzten Gedichten immer besser werdenden) behutsamen Lenkung des Lesers durch diese doch sehr abstrakten Welten gelingt da (für mich) besonders gut, wo sehr gelungene Wortkreationen auftauchen, die frappant sind: überraschen, verblüffen und sich sehr gekonnt in abstrakte Dome, Dschungel oder Höhen entfalten, die die Neugier aufrecht erhalten. Ich persönlich finde für mich auch deutlich einfachere Zugänge zu Deinen Stücken, wenn hier und dort noch recht leicht zu findende Tore durch den Text leiten, die den Rapport für mich bis zum Ende gewährleisten und wenn am Ende auch nur eine von Dir gar nicht beabsichtigte, möglicherweise zu kitschige und oberflächliche Auslegung verbleibt. Das ist dann eben Thema des Lesers. Da bitte ich um Nachsicht.

mes compliments

Dionysos
 

mondnein

Mitglied
Das ist dann eben Thema des Lesers. Da bitte ich um Nachsicht.
Ach was, nichts mit "Nachsicht", ich sehe vielleicht der am Beckenrand der mit Schwung hinauf sich aufsetzenden Lyrsie nach, bin auch für jede fruchtbare Deutung dankbar, die auch mich hineinlockt und durchführt durch die ineinander verhakten Bilder.

Die Zwerge machen Scherezade zu einer Art Schneewittchen. Aber die Kugelwelle um den Planeten, wie beim Mondsog durch die Ozeane, gibt dem "Zwerg" eine ganz andere Gangart: Es sieht aus wie Vishnu in seiner Inkarnation als der Zwerg, der mit drei Schritten das gesamte Universum durchmißt.

Wäre eine mögliche Gangart der Versmelodie.

Ich überlege noch, wie der "fresser" (genau parallel so, wie die "corazon"-Dame ihr Herzeleid zum "kerzeleid" verharzt) "co härentne phrasen" verharzt. Wieso überhaupt ein "fresser"?

waj-jo'merû lô chûdâh chîrâtekâ we-nischemâ°ännâh
[*]Und sie sprachen zu ihm: Das Rätsel, laß du es uns raten, und wir wollen es hören!

waj-jo'mär lâhäm
und er sprach zu ihnen:

me-hâ-'okel jâzâ' ma'akâl û-me-°as jâzâ' mâtôq
[*]Aus dem Fresser hervor kam Essen, und aus dem Wilden hervor kam Süße!

verharzte ihr kerzeleid kesser co
härentne phrasen der fresser
Aber es ist der "fresser", der die zusammenhängenden Phrasen mit Harz verklebt, wohl nur deshalb, weil das so eng mit "phrasen" verkuppelt ist, wie in einer Volksetymologie: "fresser" wären dann diejenigen, die klebrig rumphrasen. Täter zum Tun, Fresser zu Phrasen. Phrasen gleich fraßen.

grusz, hansz
 
Zuletzt bearbeitet:
hi @mondnein

Es sieht aus wie Vishnu in seiner Inkarnation als der Zwerg, der mit drei Schritten das gesamte Universum durchmißt.
Das ist ein großes Symbol und versetzt das ganze Gedicht in ein neues Setting. Wer hätte gedacht, dass sich des Simson Rätsel hier auch noch verbirgt und dann macht der klebrige Honig, der ja auch Teil des Rätsels war, doppelten Sinn(mson)

compliments!

Dionysos
 
Zuletzt bearbeitet:



 
Oben Unten