Schicksal

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N.D.

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Es ist soweit. Heute wird sich mein Leben verändern. Ebenso wie das aller anderen. Heute wird unser einzelnes Schicksal offenbart werden. Niemand weiß was die Zukunft für uns bereit hält, doch das Feuer weiß es. Niemand kennt die Geschichte des Feuers. Alles was wir wissen ist, dass jeder im Alter von sechzehn Jahren sich seinem Schicksal stellen muss.

Die Zeremonie beginnt. Alle sechzehnjährigen laufen hintereinander auf das Feuer zu. Ich gehöre dazu. Als wir alle um das Feuer herum stehen, ertönt ein Trommelklang. Das ist das Zeichen unseres Stammesführers. Er ist ein paar Jahre älter als ich und sieht zugegebenermaßen ziemlich gut aus. Seinen Namen kenne ich nicht. Jeder nennt ihn nur Stammesführer. Jetzt geht er langsam auf das Feuer zu. Auf einmal bleibt er stehen und wartet ab. Er hebt seinen Kopf und ich habe das Gefühl er starrt mich an. Dann dreht er sich um und flüstert etwas in das Feuer. Es hört sich irgendwie verzweifelt an. Das Feuer breitete sich für einen Moment aus und alle Menschen jubeln. Alle. Nur ich nicht. Ich bin zu sehr auf den Stammesführer fokussiert. Sein Gesicht hat einen seltsamen Ausdruck angenommen. Er sieht mir in die Augen und versucht mir irgendetwas mitzuteilen. Ich versuche zu verstehen, doch meine Nervosität hindert mich daran. Ich weiß nicht wieso, aber etwas sagt mir, dass dieser Tag nicht gut enden wird.

Nun beginnt der wichtigste Teil der Zeremonie. Jeder wird mit seinem Namen aufgerufen und muss sich mit dem Feuer verbinden. Dieser Teil gefällt mir nicht. Man muss einen Dolch nehmen und sich in die Hand schneiden. Dann muss man ein paar Tropfen seines Blutes in das Feuer fallen lassen. So wird das Schicksal offenbart.

Ich habe Angst. Ich will nicht hier sein. Ich will weglaufen, doch ich kann nicht. Ich darf nicht.

Ich bin die Letzte. Er räuspert sich und sagt: „Und nun zum Schluss: Skasa !“

Ich zucke zusammen. Langsam gehe ich zu ihm. Er reicht mir das Messer und schenkt mir einen ermutigenden Blick.

Es ist nur ein kleiner Schnitt, Skasa. Nur ein Schnitt. Meine Hand zittert. Ich führe den Dolch zu meiner linken Hand. Die Klinge schneidet sich in mein Fleisch. Ich spüre wie das Blut herausläuft. Zitternd führe ich meine blutende Hand zum Feuer. Das Feuer zischt, nachdem ein paar Blutstropfen heruntergefallen waren. Jetzt werde ich mein Schicksal erfahren.

Es passiert erst nichts, doch dann verändert sich etwas. Das Feuer wird schwarz. Schwarz wie die dunkelste Nacht auf Erden. Etwas stimmt nicht. Das sollte nicht passieren. Die Farbe Schwarz bedeutet nämlich...es bedeutet...

Einer der Priester erscheint und wendet sich dem Stamm zu:„Das Feuer hat entschieden. Skasa, trete bitte vor. Begrüßt nun die neue Frau des Stammesführers! Skasa!“

Alle bejubeln mich. Ich stehe nur da. Ich kann mich kaum bewegen. Die Frau des Stammesführers zu werden konnte nicht mein Schicksal sein. Das Feuer muss sich geirrt haben.

Jemand nimmt meine unverletzte Hand und drückt sie fest. Der Stammesführer. Er sieht mich nicht an. Er blickt in die Menge und steht aufrecht und stolz da. Mir wird schlecht. Alles beginnt sich zu drehen. Die Farben verschwimmen. Ich sehe nur noch Umrisse. Langsam wird alles schwarz. Ich spüre nur noch wie mich jemand auffängt bevor ich den Boden berühre. Alles um mich hört sich dumpf an bis ich auf einmal nichts mehr höre. Alles ist schwarz. So schwarz.



Ich liege zusammen mit Mama im hohen Gras. Man hört die Vögel zwitschern, den Wind wehen und den Bach plätschern. Es ist so friedlich. Mama singt ein Lied:

Im schönsten Wiesengrunde ist meiner Heimat Haus, da zog ich manche Stunde ins Tal hinaus. Dich, mein stilles Tal, grüß' ich tausendmal! Da zog ich manche Stunde ins Tal hinaus. Muss aus dem Tal jetzt scheiden, wo alles Lust und Klang; das ist mein herbstes Leiden, mein letzter Gang. Dich, mein stilles Tal, grüß' ich tausendmal! Das ist mein herbstes Leiden, mein letzter Gang.

Sterb' ich - in Tales Grunde will ich begraben sein; singt mir zur letzten Stunde beim Abendschein: Dir, o stilles Tal, Gruß zum letzten Mal! Singt mir zur letzten Stunde beim Abendschein.


Ihre Stimme klingt so wunderschön. Sie singt wie ein Engel. Während ich ihrem Lied lausche, schaue ich in den Himmel. So strahlend blau war er schon lange nicht mehr. Mama verstummt. Ich schaue sie fragend an. Doch sie sieht mich besorgt an und sagt ich solle liegenbleiben egal was passiert. Von weitem höre ich Schritte von mehreren Personen. Mama geht auf sie zu. Ich bemerke, dass etwas nicht stimmt. Mama zuckt zusammen und fällt zu Boden. Ich weiß nicht was los ist. Ich warte bis die Menschen weg sind, dann renne ich zu Mama.

Alles was ich sehe ist Blut. Ihr Körper ist blutüberströmt. Ich schreie sie an. Ich schreie. Alles wird dunkel. Mein Weinen erstickt meine Schreie. Heiße Tränen laufen über meine Wangen. Verzweifelt versuche ich Mamas Wunde zu versorgen, doch es ist zu spät. Sie ist tot.



Als ich aufwache höre ich nur: „Es tut mir so leid.“ Es ist seine Stimme. Ich öffne meine Augen und sehe in sein Gesicht. Er braucht einen Moment um zu realisieren, dass ich wach bin.

„Geht es dir wieder besser ? Du bist ohnmächtig geworden.“

Ich versuche mich aufzusetzen, doch mir wird direkt wieder schwarz vor Augen. Schwarz. Wie ich diese Farbe hasse.

„Du solltest dich noch etwas ausruhen, Skasa“, sagt er zärtlich.

„Warum ich ? Warum ist es mein Schicksal deine Frau zu werden ? “

„Ich weiß es nicht Skasa. Ich weiß es wirklich nicht. Das Feuer lügt nie. Niemals.“

Das ´Niemals` sagte er eher zu sich selbst als zu mir. Als ob er sich selbst überzeugen müsste...

„Was ist wenn ich mich weigere dich zu heiraten ? Was passiert dann mit mir ?“

„So etwas darfst du erst gar nicht denken. Das Feuer darf man nicht in Frage stellen.“

Ich will noch etwas sagen, aber er drückt mir seine Hand auf meinen Mund und flüstert mit einer drohenden Stimme: „Wenn du dich weigerst mich zu heiraten, werden sie dich umbringen. Das lasse ich nicht zu.“

Ich hatte immer gedacht man hat eine Wahl, aber die habe ich nicht. Ich werde so oder so sterben. In meinem Stamm ist es so, dass, wenn ein Stammesführer stirbt, seine Frau umgebracht wird, um gemeinsam mit ihm im Totenreich weiter zu regieren. Das ist meiner Mutter passiert. Mein Vater war Stammesführer und starb während einer der vielen Schlachten unseres Volkes. Als der Bote gekommen war, um vom Tod meines Vaters zu berichten, machten sich die Priester des Stammes auf den Weg das Herrscherpaar wieder zu vereinen. So nennen sie das. Für mich war es Mord. Ich hatte meine Eltern verloren. Ich war ab diesem Zeitpunkt allein auf der Welt. Ich war zwar die Tochter des Stammesführers, doch dürfen Frauen den Stamm nicht anführen. Niemals. Das einzige ,das eine Frau machen darf, ist Kinder gebären. Sonst nichts.

„Die Zukünftige unseres Stammesführers ist endlich erwacht“, ruft der Priester von der Zeremonie, während er in das Zimmer stürmt. Der Priester steht vor mir und hat ein verächtliches Lächeln aufgesetzt. Ich kann ihn nicht ausstehen.

„Es wird Zeit meine Liebe. Wir müssen die Hochzeitszeremonie vorbereiten“, sagt er freudestrahlend. Er versucht mich zum aufstehen zu bewegen, doch ich weigere mich.

„Ihr geht es noch nicht gut genug. Sie wird so lange im Bett bleiben wie es ihr beliebt. Und die Vorbereitungen werde ich übernehmen.“

„Aber Stammesführer...“

„Genau. Stammesführer. Du wirst das tun, was ich befehle. Verstanden ?“

„Ja, Stammesführer.“ Damit verschwindet der Priester und der Stammesführer und ich sind wieder alleine.

„Danke.“

„Alles für meine Zukünftige“, sagt er mit einem Lächeln. Ich erwidere sein Lächeln. Er war wirklich nett zu mir, obwohl er mich eigentlich nicht kennt.

„Die Frage scheint dir jetzt seltsam vorzukommen, aber: Wie heißt du ?“, frage ich fast schon flüsternd. Er muss lachen: „Ich heiße Aiden. Und die Frage ist berechtigt. Jeder nennt mich nur Stammesführer.“ Aiden. Sein Name ist Aiden.

Er steht auf und verabschiedet sich. Er habe noch Dinge zu erledigen.

Jetzt bin ich allein. Ich lege mich wieder hin und schließe die Augen. Ich versuche zu schlafen, doch alle meine Gedanken drehen sich um ihn. Aiden.

Mit seinem Gesicht vor meinem inneren Auge schlafe ich schließlich doch ein.



Selbst in meinen Träumen konnte ich nicht zur Ruhe kommen. Die Farbe Schwarz verfolgt mich. Auch als ich aufwache, schwarz. Überall schwarz. Die Farbe, die mir mein Schicksal offenbarte, ist mein ständiger Begleiter. Jetzt liege ich hier schon seit Stunden und warte bis es hell wird. Doch die Dunkelheit vergeht nicht. Sie bleibt einfach da. Ich überlege die ganze Zeit, ob ich irgendwie von hier fliehen kann. Aber ich weiß ganz genau, dass es keinen Ausweg gibt. Seinem Schicksal kann man nicht entfliehen. Mama hatte recht. Ich hätte nach ihrem Tod gehen sollen. Jetzt wird mein Leben wahrscheinlich wie ihres enden.

Jemand schließt die Tür auf. Dachten sie etwa ich würde weglaufen ? Verständlich so wie ich reagiere. Ich hoffe es ist nicht der Priester. Bitte nicht er. Die Tür öffnet sich und ich sehe ihn. Aiden.

„Es tut mir leid, dass sie dich eingesperrt haben. Sie vertrauen dir nicht“, sagt er zur Begrüßung.

„Ich verstehe schon.“ Ich will noch etwas sagen, aber ich traue mich nicht. Er scheint das zu bemerken und setzt sich zu mir.

„Du kannst mir alles sagen. Egal was.“

„Ich...“

„Du musst nicht, wenn du nicht willst.“

„Ich habe Angst.“

„Wovor ?“

„Vor allem. Die Hochzeit. Mein Leben.“ Hauptsächlich habe ich Angst, dass ihm etwas passieren könnte. Wie kann ich für jemanden solche Gefühle haben, den ich kaum kenne ?

Er sieht mich besorgt an und legt seine Arme um mich. Er strahlt eine solche Ruhe aus.

„Ich werde dich beschützen. Das verspreche ich dir.“

Aiden löst sich von mir, steht auf und verabschiedet sich. Ich lächle ihn an und er geht.

So wie er gegangen ist, lege ich mich wieder hin. Er hat nicht gesagt, dass ich keine Angst haben muss. Er hat gesagt, dass er mich beschützt.



Ich habe mich immer noch nicht daran gewöhnt so unter Beobachtung zu stehen. Jeder meiner Schritte wird bis ins allerkleinste Detail verfolgt. Ich bin die ganze Zeit angestrengt nichts falsch zu machen. Aiden habe ich schon seit ein paar Tagen nicht gesehen. Er ist mit den Männern zum Jagen ausgeritten. Er versicherte mir, dass er in spätestens drei Tagen wieder da ist. Jetzt sind es schon fünf. Ich werde immer nervöser. Hoffentlich ist ihm nichts passiert. Mir ist egal wie es um mich steht, ich will nur nicht, dass er verletzt wird. Ich glaube, ich fange an mich in ihn zu verlieben. Ich muss doch verrückt sein. Ich kenne ihn doch kaum. Eigentlich gar nicht. Aber dennoch ist da etwas. Etwas, das ich nicht erklären kann. Hat das mit meinem Schicksal zu tun ? War ich schon immer für ihn bestimmt ? Könnte ich doch nur Mama fragen. Sie hätte mir bestimmt eine Antwort geben können. Der Priester kommt hereingestürmt: „Na, über was denken wir denn nach ? Egal, komm mit. Dein Brautkleid ist fertig.“ Damit verschwindet er wieder. Wie sehr ich ihn hasse. Seine Art mit mir zu sprechen widert mich schon an. Ich wünsche niemanden den Tod, aber ihn würde ich mit eigenen Händen umbringen, wenn ich könnte. Schade, dass Priester nicht in den Kampf ziehen dürfen. Denn dann wäre er schon tot. „Kommst du endlich ?!“, höre ich ihn rufen. Egal was er sagt es hört sich so an als ob er mich hassen würde. Warum wohl ? Dieser Hass beruht jedenfalls auf Gegenseitigkeit. Ich gehe in den Anproberaum, um ihn nicht ganz zu verärgern. Zwei Frauen helfen mir das Kleid anzuziehen. Ich betrachte mich im Spiegel. Es ist wunderschön. Ich fühle mich schön. Das Kleid ist schlicht in weiß gehalten. Es reicht bis zum Boden und hat weite Ärmel. Wenn man genau hinsieht sieht man zarte Muster in den Stoff gestickt. Es ist ein Traum.

„Du siehst wunderschön aus.“ Ich drehe mich um und da ist er. Ich achte gar nicht auf die Frauen, die an mir herumziehen. Ich renne los und umarme ihn stürmisch. Zaghaft erwidert er die Umarmung. Damit hatte er nicht gerechnet. Er winkt alle aus dem Raum. Wir sind alleine.

„Ich schätze mal, dass du mich vermisst hast. Es tut mir leid. Einer der Männer war verletzt und wir mussten warten bis er wieder so weit gesund war um weiter zu reiten. Noch einmal es tu mir... “, setzte er an, doch ich konnte es nicht mehr aushalten. Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen schüchternen Kuss auf den Mund. „Du hast mich wirklich vermisst“, sagt er mehr zu sich selbst als zu mir und lächelt. „Lass mich nie wieder alleine. Nie wieder“, flehe ich ihn schon fast an.

„Nie wieder.“ Dann küsst er mich. In diesem Kuss liegt so viel Liebe, so etwas habe ich noch nie gefühlt. In Gedanken danke ich dem Feuer für dieses Geschenk. Irgendwann löst er sich von mir und wir sehen uns in die Augen. Ich glaube, er liebt mich. Ich kann es in seinem Augen sehen. Ich hoffe er weiß auch, dass ich ihn liebe. Ich könnte es ihm sagen, aber was wenn ich mich irre ? Vielleicht bilde ich mir da etwas ein, was nicht existiert ? Ich beschließe ruhig zu sein.

„Ich werde niemals von deiner Seite weichen, Skasa. “

„Ich...“, beginne ich zu sagen, doch wir werden von einer Wache unterbrochen.

„Stammesführer ! Schnell ! Feinde !“ Mit diesen Worten verschwindet die Wache wieder. Aiden sieht mich alarmierend an: „Egal was passiert, bleib hier.“ Ich nicke und er verlässt mich. Innerlich verfluche ich mich über meine frühzeitige Freude. Ich nehme alles zurück. Ich hasse das Feuer.



Ich weiß nicht wie lange ich schon warte. Langsam mache ich mir Sorgen. Ich halte es nicht mehr aus. Ich stehe auf und öffne die Tür. Keine Wachen. Seltsam. Von weitem höre ich laute Stimmen. Ich verstehe kein Wort, doch es hört sich nicht gerade freundlich an. Ich gehe weiter. Ich kann Aidens Stimme ausmachen. Er wirkt wütend. Ich bleibe stehen, so dass mich niemand sehen kann. Das Gespräch wird immer hektischer. Jeder schreit jeden an. Aiden dreht sich um, um seine Wut in den Griff zu bekommen. Er sieht mich. Seine Augen sagen mir, dass ich weglaufen soll, doch ich kann nicht, denn etwas hinter ihm erregt meine Aufmerksamkeit. Ein mir fremder Mann hält etwas in seinen Händen und richtet es auf Aiden. Ein Schwert. Er will Aiden umbringen. Ich weiß nicht was in diesem Moment in mir vorgeht. Ich spüre wie sich das Adrenalin in meinem Körper ausbreitet und ich losrenne. Ich denke nicht weiter nach, mein Körper scheint zu wissen was zu tun ist. Alles geht so schnell. Irgendwie schaffe ich es den Feind zu überwältigen und zu entwaffnen. Nun halte ich das Schwert und richte es auf ihn: „Eine Bewegung und du bist tot.“

Er hat Angst vor mir. Er zittert. Ich habe kein Mitleid. Niemand nimmt mir je wieder einen Menschen, den ich liebe. Nie wieder. Ich spüre eine Hand auf meiner Schulter. Aiden.

„Wachen ! Legt ihn in Ketten und sperrt ihn ein!“, befiehlt Aiden.

Ich umklammere den Griff des Schwertes immer noch. Ich zittere. Aber ich fühle mich lebendiger als je zuvor. Aiden nimmt mir das Schwert aus der Hand und umarmt mich. Vor allen. Es scheint ihn nicht zu stören, dass jeder uns sieht. Er löst sich aus der Umarmung und flüstert mir zu: „Ich liebe dich, Skasa.“ Ich sehe ihm in die Augen und dann wird alles schwarz. Schon wieder.

Ich spüre noch wie er versucht mich aufrecht zu halten, doch ich kann mich nicht mehr. Was passiert nur mit mir ?



„Skasa, wach auf. Wir haben keine Zeit.“ Ich kenne diese Stimme, doch das kann nicht möglich sein. Es muss ein Traum sein. Ich öffne die Augen und vor mir steht Mama. „Mama ? Wie kannst du hier sein ? Ich habe dich doch sterben sehen“, sage ich mit tränen erstickter Stimme.

„Das ist jetzt nicht wichtig. Skasa, hör mir jetzt genau zu. Traue niemanden, nur dir selbst.“

„Was ? Wieso? Was ist mit Aiden ?“

„Nicht einmal ihm. Er scheint dich zu lieben, doch sie verheimlichen etwas vor dir. Genau wie vor mir damals.“

„Mama ich verstehe nicht.“

„Die Priester. Sie werden dich umbringen. Genau wie mich. Es ist nicht so wie sie sagen. Sie vereinen das Herrscherpaar nicht. Sie wollen nur dein Leben. Sie brauchen es für das Feuer.“

„Was meinst du damit ?“

„Früher oder später musst du dem Feuer geopfert werden, damit das Feuer weiter bestehen kann.“

„Warum ?“

„Sie haben Angst.“

„Vor was ?“

„Sie haben Angst, dass eine Frau mächtiger sein könnte als sie selbst. Du bist besonders. Du hast große Kräfte.“

„Was für Kräfte ?“

„Ich weiß es nicht. Bei jedem ist es verschieden. Du wirst es schon noch herausfinden.“

Sie streichelt meine Wange. Wie damals.

„Ich muss jetzt gehen. Meine Zeit ist vorbei.“

„Geh nicht Mama ! Ich will dich nicht schon wieder verlieren.“ Ein letztes Mal lächelt sie mich an und ist auch schon verschwunden. Ich habe das Gefühl zu fallen und alles wird wieder schwarz.



Als ich wieder aufwache hält jemand meine Hand. Ich öffne die Augen und sehe in sein Gesicht. Er wirkt besorgt. „Aiden.“ Er schreckt auf und drückt meine Hand noch etwas fester. „Geht es dir besser ? Ich habe mir Sorgen gemacht.“ Ich nicke. Ich muss immer noch an das Gespräch zwischen Mama und mir denken. Kann ich wirklich niemandem vertrauen ?

„Skasa ich muss dich das jetzt fragen. Wo hast du gelernt so zu kämpfen ?“ Das habe ich mich auch schon gefragt. Ich hatte noch niemals gekämpft oder eine Waffe in der Hand gehalten. Hängt das vielleicht mit dem zusammen, was Mama gesagt hatte ?

„Ich weiß es nicht.“

„Wirklich ? Hat dir dein Vater etwas beigebracht ?“

„Nicht das ich mich erinnern könnte.“

Er sieht mich misstrauisch an. Hätte ich lügen sollen ? Wäre das besser gewesen ?

„Du weißt, dass du mir alles sagen kannst, Skasa. Du kannst mir vertrauen.“

Ich weiß nicht was ich tun soll. ´Traue niemanden, nur dir selbst`. Das hat Mama gesagt. Aber er kann mir vielleicht helfen die Wahrheit herauszufinden. Soll ich Mamas Worte ignorieren ?

„Skasa, ich merke, dass du etwas verheimlichst.“

„Du wirst mir nicht glauben.“ Sein Blick erstarrt. „Du hast mit deiner Mutter gesprochen, nicht wahr ?“

„Woher weißt du das ?“

„Du darfst niemandem davon erzählen. Sie werden dich sonst umbringen.“ Sein alarmierender Blick sagt mir, dass ich seine Worte nicht anzweifeln sollte.

„Stimmt das, was meine Mutter gesagt hat ?“ Er nickt.

Mama hatte recht. Er hat mir etwas verheimlicht. Jetzt ergibt alles einen Sinn. Bei der Zeremonie. Er wollte, dass ich verschwinde. Er wusste was passieren wird. Mir wird alles zu viel. Ich werde panisch. Aiden versucht mich zu beruhigen, doch ich stoße ihn von mir. Ich muss hier raus. Überall ist es besser als hier. Ich renne los. Ich höre seine Rufe. Ich ignoriere sie. Ich renne einfach weiter. Niemand hält mich auf.

Als ich mir sicher bin, dass ich alleine bin, bleibe ich stehen. Ich stehe inmitten des großen Waldes, der unseren Stamm umgibt. Hier hat mich Mama oft hingebracht, als ich noch ein kleines Kind war. Ich sollte weiter gehen. Es ist schon dunkel und der Mond ist aufgegangen. Vollmond. Einmal habe ich mich bei Vollmond weggeschlichen. Das war kurz nach dem Tod meiner Eltern. Ich bin zu der kleinen Lichtung am Bach gegangen und habe das Mondlicht auf mich wirken lassen. Ich fühlte mich so stark, so voller Leben. Genau wie jetzt. Ich fühle mich frei. Ich blicke in den Sternenhimmel. Alles ist so klar und friedlich, bis ich Schritte höre.

„Hab keine Angst. Ich bin es nur.“ Aiden. Ich hätte weiter rennen sollen.

Er kommt näher. Im Mondschein sieht seine Gestalt noch elfenhafter aus.

„Komm mit. Ich hatte schon Angst, dass ich dich nicht finde.“ Er hält mir seine Hand hin. Ich starre sie an. Wenn ich seine Hand jetzt nehme, unterzeichne ich damit mein Todesurteil.

Aiden bemerkt mein Zögern. Er wird zunehmend nervöser.

„Ich kann nicht mit dir kommen.“ Es fällt mir schwer das zu sagen.

„Skasa, bitte. Tu mir das nicht an.“ Sein Gesichtsausdruck bricht mir das Herz. Eine Träne läuft meine Wange hinunter.

„Ich kann nicht Aiden. Ich kann nicht mehr zurück gehen.“ Es gibt kein zurück mehr. Nichts wird mehr wie es war. Jetzt kenne ich die Wahrheit.

„Skasa...“, setzt er an, aber ich unterbreche ihn.

„Aiden, nichts kann mehr so werden wie es war. Du wusstest, dass sie mich töten wollen. Ich kann dir nicht mehr vertrauen.“ Ich versuche meine Tränen zurückzuhalten.

„Was hätte ich denn tun sollen ?“

„Was du hättest du tun sollen ? Du hättest das ganze hier irgendwie verhindern können !“

„Wie denn ? Sie sind mächtiger als du denkst, Skasa.“

„Aber ich bin stärker. Ich werde gehen und du kannst mich nicht daran hindern.“

„Nein, das kann ich nicht zulassen. Ich liebe dich !“

Er kommt auf mich zu und küsst mich wie noch nie zuvor. Es ist ein Kuss voller Leidenschaft, doch ich muss mich lösen. Ich kann nicht länger hier bleiben. „Bleib hier bei mir. Wir finden schon einen Weg.“ Ich bin kurz davor ja zu sagen. Ich will ja sagen. Ich darf aber nicht ja sagen. Ich muss gehen. Für alle Frauen, die vor mir gestorben sind. Ich werde den Teufelskreis der Priester durchbrechen. Auch wenn ich dafür Aiden aufgeben muss.

„Ich werde jetzt gehen.“ Ich löse mich aus seinen Armen und drehe mich um.

„Wir werden uns wieder sehen, oder ?“

Ich sehe ihm in die Augen und lächle. Mein Herz zerbricht zwar in eine Millionen Stücke, doch habe ich mich nie freier gefühlt. Ich drehe mich um und gehe. Ich blicke nicht zurück.

Ja Aiden, wir werden uns wieder sehen. Wir werden irgendwann zusammen sein, doch der Zeitpunkt ist noch nicht gekommen. Aber ich verspreche dir ich kehre zu dir zurück, denn ich liebe dich.
 



 
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