Schicksalsfäden ...

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Aceta

Mitglied
Schicksalsfäden ...
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Die Sage der Nibelungen hatte sie heute wieder einmal gehört, das traurige Schicksal jener Krimhild, die als Rächerin ihrer ermordeten Liebe den Untergang ihrer eigenen Familie beschworen hatte.
Wie waren doch aus den Träumen eines glücklichen jungen Mädchens schreckliche Schicksalswendungen einer verbitternden Frau geworden!
Ein tiefer Seufzer entströmte ihrer Brust und voller Wehmut dachte sie zurück an die Jahre ihrer Jugend. So sehr hatte sie – einst selbst eine strahlende Schönheit bei Hofe – um ihrem Wiland geweint. Er war so jung und voller Begeisterung, so tatendurstig und zuversichtlich gewesen. Seine zarte Minne hatte ihr junges Herz verzaubert. Die Sünde ihres Lebens war ihr einziger Trost geworden, denn mit den Kreuzrittern war er gezogen: ihre große Liebe, der Mann, dem sie versprochen war.
Nachrichten waren rar in jener Zeit – Monate und Jahre vergingen ohne jedes Zeichen. Gerüchte konnten nie geprüft werden, manche waren nur Intrige und höfisches Geplänkel. Langsam verblühte mit den Jahren die Frische ihrer Jugend, welkte die Schönheit angesichts neuer, aufstrebender Burgdamen – ward sie letztlich auch von geringem Interesse, da doch Braut eines ehrenwerten Kreuzritters.
Trost bot sich dar in Teufelsgestalten – doch sie widerstand trutzig. Lakaien für die einsamen Nächte mochten ihre Ehre rauben und ihre Träume – nur eine kleine Lust erfüllend ...
Sie aber behielt in ihrem Herzen die Hoffnung auf seine Wiederkehr: Wiland, ihr stolzer Recke.
Wenige kamen überhaupt je wieder heim – Jahre später und um Jahrzehnte gealtert. Der grausame Krieg hatte Wunden in ihre Körper und Seelen gerissen, jeden Enthusiasmus zerstört, Hoffnungen und Freude zerschmettert.
Sarkastische alte Invalide, gemartert von Alpträumen und Schmerzen der schlecht verheilten Verletzungen, gepeinigt von Erinnerungen an verlorene Ideale, einsam geworden in Gedenken so vieler gefallener Gefährten, mit denen gemeinsam die Jugend verloren ward. - Nun zurück am welken Busen einer greis gewordenen Liebe, entfremdet und verbittert, das einzige Leben vertan zu haben mit falschen Inhalt.
Weh und Ach !

Noch heute Abend geht sein Flieger nach Japan. Geschäfte locken, viel Geld vielleicht. Wieder wird er Sake trinken – dabei verträgt er das Zeug überhaupt nicht. Aber bei diesen Geschäftsessen darf sich der Europäer keine Blöße geben. Argumente wie: der "Arzt hat mir Alkohol verboten" sind obsolet. „Die Power und das Leben" – nur damit werden Geschäfte gemacht – und in Sake konserviert.
Zurück daheim ist keine Zeit. Keine Zeit für Liebe.
Jet-Lag vielleicht ein Grund ?
- und Druck vom Büro. Die Übersetzung der Verträge muß her ... im Land der aufgehenden Sonne ist der Tag schon alt, wenn hier die Schläfer erwachen!
Wie haßt sie diese Hetze, dieses Leben unter dem Diktat der Firma!
Setzt sich in ihr Cabrio, um zum Kindergarten zu fahren – und haßt es eigentlich. - Sieht in den Spiegel und beschließt, einen neuen Termin bei der Kosmetikerin zu vereinbaren.

Fremde Betten sind kalt und leer.
Erinnerung an die Liebe daheim erfüllt keine Sehnsucht.
An der Bar versackt, gewinnt fremder Zauber – und Hände, die sich unter dem Rock zwischen ihre Beine schieben, abzuweisen, findet sie plötzlich keine Kraft mehr. Das Spiel der Lust durchschreitet animalische Barrieren – und sein Drängen wird mit einem weiteren Cubra libre versüßt.
Was geschah, ist offensichtlich, auch wenn sie sich nicht einmal daran erinnern kann ...

"Vergiß‘ den Kerl!", sagten ihr hintereinander die Freundin, die Mutter und er. Ihn kannte sie schon von Kindheit an, immer ein Freund, immer so ehrlich. Manchmal getanzt, einmal geküßt, doch als er ihren Busen sehen wollte, wies sie ihn ab. So vertraut war er – doch nicht in dieser Weise.
"Vergiß‘ den Kerl!" – aber sie hörte nicht.
Laila wurde ein süßes Kind – und was zählte schon, daß sie ihre Lehre nicht beenden konnte? Da war die verdammte kinderlose Chefin wohl neidisch ... egal! Wenn der Samstag kam, nahm die Oma das Enkelkind – und die Fete ging weiter. Schöne Stunden - irgendwie schon, oder?
Noch ein halbes Jahr hat die Beziehung gehalten, er keine Arbeit, sie keine mehr ...
Er aber war nach allem, was geschehen, immer noch da ...

"Triton Mission" - sie hat erfolgreich das Testprogramm durchlaufen, wurde angenommen und würde nun mehr als acht Jahre lang an der Weltraumexpedition teilnehmen. Jede und jeder wurde wegen der persönlichen Qualifikation ausgewählt. Freudschaften und persönliche Bindungen zählen nicht.
Miriam ist zweiunddreißig Jahre alt, hat nach der Ausbildung als Krankenschwester mit dem Studium begonnen und wurde für das MF-Studienprojekt ausgewählt. Von mächtigen Sponsoren begleitet absolvierte sie eine komplexe wissenschaftliche Ausbildung, leistete Praktika in Industrie, Krankenhäusern und Forschungsinstituten.
Als attraktive Frau hatte sie stets Verehrer, für Beziehungen hatte sie sich indes nie viel abverlangt. Doch wenige Wochen vor dem Start zur großen Mission lernte sie Marc kennen. Dieser Mann drohte, ihr ganzes Leben zu verändern.
Würde sie nun – in der Blüte ihres Lebens diese Mission antreten, gingen ihnen gemeinsam die wichtigsten Jahre verloren – Jahre, die längst angebrochen – aber noch nicht vergangen waren: in weiteren 8 Jahren wären sie vorbei!

Im Kreise meiner Schwestern sitze ich und betrachte die Lebensverläufe. Wie traurig – all diese Menschen, die Entscheidungen treffen – so unwiderruflich und unaufhaltsam damit ihr Schicksal formen! Dabei haben sie doch längst Computer erfunden, an denen es den „Reset“-Knopf gibt. Aber für das eigene Leben haben sie es nicht geschafft: da gibt es kein „Reset“.
„Soll ich als Elfe erscheinen – ihn warnen?“
Wir sehen überrascht auf und die Schwester an. Meint sie das ernst? Soll der Ritter gewarnt werden, nicht in den unheiligen „Heiligen Krieg“ zu ziehen?
„Würde er nicht gehen, verliert er an Ehre, verliert er an Achtung – und vergeht sein Stern. Ob dieser Wiland dann noch ER wäre?“
„Seine Frau verliert ihren Traum – verliert vielleicht die Achtung – und gäbe sich den Lakaien hin?“
„Das hätte sie doch nicht nötig!“
„Nötig nicht – aber die Verlockung wäre von anderer Dimension.“
"Ein neues Schicksal?“
„Ein ganz neues Schicksal!“
Lange schweigen wir und denken nach.
„Wollen wir neue Fäden spinnen?“

„Ist das, was im Leben so zentrale Bedeutung verlangt, wahrhaftig wichtig genug, die beanspruchen zu dürfen?“
„Es vermischt sich das Bedeutungsverlangende mit dem Wichtigen zu einem Brei, welcher nur mit einem Löffel aus nur einem Topf gegessen werden kann!“

„Mein Faden der Liebe ist lang – so unendlich lang, liebe Schwestern, kann das sein?“
Überrascht schaue ich zu ihr auf. Habe ich geträumt?
In meiner Hand halte ich die Schere ...
„Locken fremde Betten neue Liebe?“
„Locken Deine Lenden, wenn Du glücklich bist, Schwester?“
„Meine Lenden locken, Schwester ...“ lächeln muß ich.
Was glauben eigentlich meine Schwestern, wie weltfremd ich wäre? - Doch da lächeln sie mich plötzlich alle an.
„Den Faden lasse lang ...“ flüstern sie leise.

„Werden Fäden der Liebe gesponnen – aus schlechtem Garn?“
„Manchmal ...“
„Ist alles, was daraus erwächst ebenfalls mürbe und schlecht?“
„Nein.“
„Ohh!“
„Das Schicksal gibt immer eine neue Chance!“
„Gut!“
Wieder lächeln meine Schwestern wissend ...
„Wir.“
Da lächeln wir gemeinsam.

„Sind Chancen letztlich Risiken?“
„Tja – jaja ...“
„Verführung hat viele Gewänder!“
„Entzauberung aber auch, oder?“
„Tja – jaja ...“
„Gibt es eine Wahrheit? Gibt es eine richtige Entscheidung?“
„Spinne weiter, liebe Schwester ...!“
„- und?“
„... und warte ab, wie der Faden wird!“
 

Zeder

Administrator
Teammitglied
Hallo Aceta,

Dein Text zwingt den Leser, ihn mehrfach zu lesen: Er will assoziativ erfasst werden. Ein höchst interessanter Ansatz; stellenweise sehr gut umgesetzt, leider verliere ich gegen Ende den Bezug (was an mir liegen mag).

Da dieser Text mehr als bemerkenswert ist, würde ich ihn gerne weiter bearbeitet sehen - und wenn diese Bearbeitung auch nur darin besteht, mir das Ende näher zu erklären.(ich bin egoistisch, vielleicht).

Könntest Du, Aceta, Dir vorstellen, den Text mit mir zusammen in der Schreibwerkstatt zu bearbeiten?
Das Forum der nachfolgenden Veröffentlichung weiß ich momentan nicht; es könnte sich aber herauskristallisieren.

Viele Grüße,
 

Aceta

Mitglied
Schreibwerkstatt ?!

Hallo alle -
hallo Zeder!

Vielen Dank für das Interesse - gerne mag der Text in die Schreibwerkstatt gestellt werden. Habe ihn anläßlich dieser Schreibaufgabe geschrieben - und bin gespannt, was sich noch verbessern läßt.
Habe neue Pflichten übernommen und bin leider zeitlich nicht mehr so verfügbar wie in den letzten Wochen. Bitte um Nachsicht!
Ich möchte gerne, daß der Text irgendwann wieder ins "Schreibaufgaben-Archiv" zurück geschoben wird. Ob zwischendurch noch in einem anderen Forum - wie es gefällt - da bin ich offen.

Zum Hintergrund: bei Menschen in Lebenskrisen empfinde ich gelegentlich diese schicksalshafte Bedeutung dessen, was meine Worte, meine Meinung bewirken können.
Aus meiner Kindheit traurige Essenz der Ritter- und Heldensagen war die Empfindung, wie traurig und leer das Leben der Burgfräulein gewesen sein mag - ich habe diese Erinnerung nie wieder verloren: froh, selbst nicht deren Schicksal erlitten zu haben. - Aktuelle Beispiele entstammen meiner persönlichen Reflektion: irgendwie verarbeite ich schreibend ...
Selbst betroffen, als die Liebe noch ganz jung war: da gab es das lockende Angebot, an einer mehrwöchigen (nicht jahrelangen !!) Expedition auf dem Forschungsschiff "Polarstern" der Bundesmarine in Eismeer teilzunehmen (in der Geschichte wurde daraus "Triton-Mission"). - Er hat es damals übrigens sausen lassen - meinetwegen ...
Tja ...

Mag sein, die Menschen halten die Nornen für schrullig, blind und weltfremd - tatsächlich leben deren Nachfahren (woher kommen Nachkommen wohl?) und sind wie ich ...
Ich bin schicksalshaft - ich beeinflusse, ich habe eine Meinung und gebe die kund. Ich treffe keine Entscheidungen - aber ich appelliere beispielsweise an das Gewissen, an das Gefühl, an die Ehre oder an die Macht der Liebe - ich mache es schwer, oder mache es leicht:

Irgendwie bin ich eben wohl eine Tochter der Nornen!
*lächel*

Aceta
 

Aceta

Mitglied
Hi -

Nornen, in der nordischen Mythologie die drei Schicksalsgöttinnen: Urd (Vergangenheit), Werdandi (Gegenwart), Skuld (Zukunft). Sie entsprechen ungefähr den römischen Parzen und den griechischen -> Moiren

Moira [Mehrzahl Moiren], in der griechischen Religion zunächst der Anteil des Einzelmenschen am Gesamtschicksal; dann die allmächtige Schicksalsgöttin, die das Schicksal zumaß; bei Hesiod drei Spinnerinnen (Moiren): Klotho spinnt den Lebensfaden, Lachesis teilt das Lebenslos zu, Atropos durchschneidet den Lebensfaden; in der römischen Religion den Parzen gleichgesetzt.

aus: Bertelsmann Online-Lexikon.

Vielleicht habe ich es zu kompliziert gemacht, "Nornen" statt Moiren zu wählen. Aber "Vergangenheit", "Gegenwart" und "Zukunft" waren für die Elemente der Geschichte wichtig. Andererseits lehnt sich das Bild der die (Schicksals-)Fäden spinnenden Schwestern im zweiten Teil natürlich ganz an Hesiod an ...
tja ...
*lächel*

Aceta
 
P

Papyrus

Gast
...

danke,

jedenfalls finde ich deine geschichte sehr gut
und besser als "Conny", oder gleichwertig von der Tiefe
und ob in die "Schreibwerkstatt", ich weiß nicht,
es ist doch deine geschichte,
wer soll da was rumfummeln?

manche dinge sollte man einfach so stehen lassen,
wie einen Wein
 

Aceta

Mitglied
"fummeln" ...

Hi -

da muss ich schallend lachen:
neee: mit "fummeln" iss nix !!!


danke!!!!

Hey - wenn ich - was selten ist, aber wenn:
dann schön ... ein leckeres Gläschen Wein
trinke, werde ich an Dich denken - und Dir

einen leisen, lieben Gruß schicken ...

*lächel*
Aceta
 



 
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