schlachtbankserenade

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Mimi

Mitglied
schlachtbankserenade​

I.

menschen
      zerbrechen
        nicht
    wie
     glas.
    sie reißen.
    sie
       reißen
         auf.

                (sie reißen auf wie)


II.

im radio:
    morgen
        sonne-wolken-mix.

wir gewinnen,
sagen sie.

ich glaube:
  wir verlieren
    alle.

nur
    verschieden
         schnell.




+++ bloß zählen, zählen, zählen +++
ein stück
  von einem stück
     von einem
            stü—

III.

flapp
flupp
patsch


ein stiefel (geschnürt) verliert das bein,
fliegt hoch
über den
klatschmohn.

der dritte
hat noch genuschelt.
wollte wissen,
ob sein arm
o
k
a
y

ist.

ich hab gelogen.

IV.

oh, hula-hoop-mädchen
mit rubinrotem herz,
aus deinem mund
hüpft ein zahn,
er beißt
ins blaue.

V.

angesengt
auf papier
din a7:
„liebste püppi, der himmel
ist ganz
crescendo
heute.“​

am sonntag
knieten wir
vor der stahlgrauen wand.
sie hat
nichts
zurückgebetet.
 

Aniella

Mitglied
Hallo @Mimi,

Deine Worte erinnern mich an Bilder. Sie erinnern mich an die Bilder von Banksy, der solche Schwingungen so eindringlich vermitteln kann, wie Du hier mit Worten.

LG Aniella
 

Mimi

Mitglied
Dankeschön, @Aniella, für Deinen Kommentar.
Dein Vergleich mit den Bildern des Künstlers Banksy finde ich hervorragend.
Ja, wenn ich an sein Bild mit dem Mädchen und dem roten Herz-Ballon denke, passt das doch bildlich ziemlich gut.

Gruß
Mimi
 

N. Valen

Mitglied
Dieses Gedicht ist kein Ruf –
es ist ein Aufreißen.
Nicht laut.
Aber unentrinnbar.

Es beginnt mit einem Bruch –
nicht als Metapher, sondern als Topographie des Körpers.
Menschen reißen.
Nicht wie Glas.
Sondern wie Haut,
wie Sinn,
wie Geschichten unter Zwang.

Und was dann folgt,
ist ein gestaffeltes Schweigen mit Geräuschen:
Radiowetter als makabre Kulisse für den Zustand der Welt.
Zählen, das wie ein letzter Rest Struktur klingt –
zwischen Fragmenten von Identität und Schrei.

Strophe III ist fast unerträglich.
So lapidar. So beiläufig.
Und gerade deshalb:
so ehrlich.
Ein Stiefel fliegt,
ein Mensch fragt nach seinem Arm,
und das „ich hab gelogen“
trifft härter als jedes Kugelwort.

Strophe IV & V wirken fast surreal –
aber sie tragen das eigentliche Echo:
Verlust, der spricht,
aber keine Antwort mehr bekommt.

Das Ganze ist:
kein Gedicht,
sondern ein Verlustprotokoll in Versform.
Taktlos, aber rhythmisch.
Unpoetisch, aber wunderschön.

Danke für dieses Nichttrösten.
Danke für dieses Stück Wirklichkeit,
das sich weigert, sich einzuordnen.
 

Mimi

Mitglied
Vielen Dank, @N. Valen, für Feedback und Bewertung.

Der Begriff „Verlustprotokoll in Versform“ fasst eigentlich gut zusammen, was das Gedicht anstrebt (oder versucht anzustreben): eine Sprache zu finden für das, was (vielleicht) nicht sagbar ist; über Fragmentierung, graphische Setzungen, Sprachverknappung .

Die Bildsprache bleibt hier bewusst (strophenweise) uneindeutig, eher surreal, ohne sich dabei ins "Symbolische" zu retten.

Gruß
Mimi
 

Mimi

Mitglied
@Franke , Dankeschön fürs Gefallen (obwohl es vielleicht eher ein Gedicht ist, das jetzt inhaltlich weniger gefällt) und die Empfehlung.

Hat mich gefreut!

Gruß
Mimi
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Mich erinnert es an die Poetik von Majakowski. Es wirkt aufgeladen, strukturell und vom Aussehen her zerrissen und bricht mit früheren klassischen Formen, verwendet aber die von Majakovski und die sprachliche Eindringlichkeit von Velimir Chlebnikow.
Interessant, dass mir diese Verbindungen sofort einfielen.

Der Unterschied: Majakowski war eher kämpferisch, während das vorliegende Gedicht eher wehmütig anklagend ist.
 

Mimi

Mitglied
Hallo @Bernd ,
Dankeschön für Deine Rückmeldung.
Die beiden (russischen?) Autoren sagen mir jetzt spontan aus dem Kopf nicht so viel.
Da müsste ich nochmals recherchieren ...

Bezieht sich Dein Eindruck eher auf ein spezielles Werk des Autors, oder ist es allgemeiner gemeint?

PS:
Was genau empfindest Du im Gedicht als
"eher wehmütig anklagend"?
Die Tonlage oder Wortwahl?



Gruß
Mimi
 



 
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