Schlagender Beweis

3,00 Stern(e) 1 Stimme
Mit knapp neunzehn schrieb ich mich an der Universität M. ein. Ich wusste nicht, dass es nur ein kurzes Gastspiel sein würde.

T. war einer der ersten Studenten, die ich in M. näher kennenlernte. Er wohnte in der weiteren Umgebung der Stadt und besuchte mich schon bald auf meinem Zimmer. Er war lebhaft, lachlustig und kontaktfreudig. Wir besprachen den begonnenen Studiengang. Und wir erörterten eine heikle Frage. Bei Thomas Mann nennt Felix Krull es sein "militärisches Verhältnis". Wir sollten uns beide bald mustern lassen und waren uns einig, auf keinen Fall zum "Bund" zu gehen. T. war Pazifist, er war ein sozusagen glühender Pazifist. Wie gerne ich das feststellte ... Und ich, war ich damals auch Pazifist? Ich bin mir nicht sicher.

Die Studienanfänger wurden zu Semesterbeginn von den einzelnen Vereinigungen emsig umworben. T. schlug mir vor, ihn an mehreren Abenden zu begleiten, auch zu Verbindungen. Ich runzelte die Stirn. Er sagte: "Es verpflichtet zu nichts. Es gibt Freibier ... und noch mehr. Wird bestimmt lustig. Man muss sich doch mal ein Bild von den Brüdern machen."

Die "Brüder" ließen sich nicht lumpen. Offenbar standen beträchtliche Mittel zur Verfügung. Wir saßen an langen Tischen und beobachteten, hörten zu. Das gravitätische Zeremoniell kam mir sehr exotisch vor. Ihre Farben, ihre Kappen, ihre Trinksitten, die gestanzte Redeweise, die Existenz von Füchsen, der Straftrunk - all das war eine Welt, für die ich mich nicht erwärmen konnte. T. schien es auch so zu gehen. Wir besuchten auch schlagende Verbindungen, er wollte es so. Vom Fechten hörte er gern reden, das merkte ich.

Wir gingen außerdem zu Abenden des Verbandes der Kriegsdienstverweigerer. Sie legten uns dort die Prozeduren dar, die Musterung, das Anerkennungsverfahren, die Rechtsmittel. Und sie bereiteten uns auf jene Kommission zur Erforschung unseres Gewissens vor. T. war eifrig bei der Sache, eifriger als ich. Bei ihm kam die Maschinerie früher in Gang: Musterungstermin, Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer, demnächst Termin vor der Kommission.

Da kam er mir eines Tages mit einer Neuigkeit - er war gerade einer schlagenden Verbindung beigetreten. Ich sah ihn entgeistert an: "Du - der Pazifist - bei denen?! Da lachen ja die Hühner!" Er rechtfertigte sich: "Das hat nichts miteinander zu tun. Kriegsdienst und Mensurschlagen, das sind ganz verschiedene Sachen. Du musst das auseinanderhalten."

Er lernte also fechten und bereitete sich zur gleichen Zeit auf seine erste Mensur und den Auftritt vor dem Ausschuss vor. Hoffentlich ohne Schmisse! Ich traf ihn immer seltener und sah ihn dann nur noch von fern: im Kreis seiner neuen Freunde. Wenn so einer Pazifist war, dann war ich es nicht. Ich bin einen anderen Weg gegangen.
 

Maribu

Mitglied
Hallo Arno,

dein interessanter, sehr persönlicher Text, den du gerne anderen mitteilen möchtest, ist ja eigentlich keine Kurzgeschichte!

Durch die Abkürzungen, die ja auch durch Namensveränderungen hätten ersetzt werden können, zeigst du, wie du noch immer über deinen Freund enttäuscht bist.

Der Schmiss war ja mal ein nicht übersehbares Merkmal einer selbsternannten Elite. - Vielleicht brauchte er ihn für sein Selbstbewusstsein?!

Ich gebe ihm recht: Kriegsdienst ist etwas ganz anderes!
Beim Fechten wird normalerweise niemand verletzt.

Ich würde ihm den Pazifismus deshalb nicht absprechen!
Schließe Frieden mit ihm!

Lieben Gruß
Maribu ( kein Pazifist aber gegen Gewalt!)
 
Danke, Maribu, für deine Reaktion. Obwohl der Text rein autobiographisch ist, kann er meiner Einschätzung nach durchaus als (politische) Kurzgeschichte aufgefasst werden. Du reduzierst leider mit deiner Kritik den wesentlich politischen Gehalt des Textes auf ein unerhebliches Privates. T. war durchaus nicht mein "Freund", nur ein Kommilitone.

Deine Annahme, für Abfassung und Veröffentlichung sei persönliche Enttäuschung Ursache oder Anlass, ist also unzutreffend. Das Ganze ist ja fast ein halbes Jahrhundert her und die Bekanntschaft dauerte nur wenige Wochen. Seitdem haben viele Hunderte meinen Weg gekreuzt ... Sollte dir der aktuelle Bezug des Textes tatsächlich nicht bewusst sein? Dann schau mal in die Zeitungen. Mit zu den größten Kriegshetzern gehören heute die, die mit pazifistischer Propaganda Wähler geködert haben und damit an die Futtertröge gelangt sind. Das fing 1998 im Kosovo an!

Ein Detail kann ich noch nachliefern, damit die Qualität jenes Pazifismus noch ein bisschen klarer wird: T. konnte sich mit dem Anschluss an die Verbindung Hoffungen auf ein Gratis-Zimmer in deren Haus nahe der Uni machen. Ich weiß nicht, ob er es ergattert hat. Mag sein, dass den Verbindungsleuten, die politisch weit rechts standen, sein Opportunismus doch nicht schmeckte.

Merkwürdig, dass auf Initialen reduzierte Namen hier regelmäßig auf Ablehnung stoßen - dabei gibt es in der überlieferten Literatur durchaus anerkannte Beispiele dafür.

Freundlichen Gruß
Arno Abendschön
 

valcanale

Mitglied
Hallo Arno Abendschön,

ich sehe in deiner Kurzgeschichte durchaus auch einen politischen Effekt, - sogar wesentlich stärker als den persönlichen Bezug. Dass der Kommilitone dann doch der schlagenden Verbindung beitritt, war für mich auch beim Lesen sofort damit assoziiert, dass er sich einen Vorteil dadurch erhofft hat. Du sprichst es auch in deiner Antwort an. Möglicherweise würde ein Hinweis darauf die Geschichte noch etwas abrunden, da dies ja auch ein Phänomen der heutigen Zeit ist und zeigt, wie man seine "Gesinnung" schnell ändern kann, wenn - vielleicht auch ganz persönliche - Notwendigkeiten vorhanden sind.
Und: Ich breche eine Lanze für Initialen!! Mich haben sie noch nie in einem Text gestört, im Gegenteil, sie lassen Spielraum für Fantasie und können Spannung erhöhen!
LG Valcanale
 
Mit knapp neunzehn schrieb ich mich an der Universität M. ein. Ich wusste nicht, dass es nur ein kurzes Gastspiel sein würde.

T. war einer der ersten Studenten, die ich in M. näher kennenlernte. Er wohnte in der weiteren Umgebung der Stadt und besuchte mich schon bald auf meinem Zimmer. Er war lebhaft, lachlustig und kontaktfreudig. Wir besprachen den begonnenen Studiengang. Und wir erörterten eine heikle Frage. Bei Thomas Mann nennt Felix Krull es sein "militärisches Verhältnis". Wir sollten uns beide bald mustern lassen und waren uns einig, auf keinen Fall zum "Bund" zu gehen. T. war Pazifist, er war ein sozusagen glühender Pazifist. Wie gerne ich das feststellte ... Und ich, war ich damals auch Pazifist? Ich bin mir nicht sicher.

Die Studienanfänger wurden zu Semesterbeginn von den einzelnen Vereinigungen emsig umworben. T. schlug mir vor, ihn an mehreren Abenden zu begleiten, auch zu Verbindungen. Ich runzelte die Stirn. Er sagte: "Es verpflichtet zu nichts. Es gibt Freibier ... und noch mehr. Wird bestimmt lustig. Man muss sich doch mal ein Bild von den Brüdern machen."

Die "Brüder" ließen sich nicht lumpen. Offenbar standen beträchtliche Mittel zur Verfügung. Wir saßen an langen Tischen und beobachteten, hörten zu. Das gravitätische Zeremoniell kam mir sehr exotisch vor. Ihre Farben, ihre Kappen, ihre Trinksitten, die gestanzte Redeweise, die Existenz von Füchsen, der Straftrunk - all das war eine Welt, für die ich mich nicht erwärmen konnte. T. schien es auch so zu gehen. Wir besuchten auch schlagende Verbindungen, er wollte es so. Vom Fechten hörte er gern reden, das merkte ich.

Wir gingen außerdem zu Abenden des Verbandes der Kriegsdienstverweigerer. Sie legten uns dort die Prozeduren dar, die Musterung, das Anerkennungsverfahren, die Rechtsmittel. Und sie bereiteten uns auf jene Kommission zur Erforschung unseres Gewissens vor. T. war eifrig bei der Sache, eifriger als ich. Bei ihm kam die Maschinerie früher in Gang: Musterungstermin, Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer, demnächst Termin vor der Kommission.

Da kam er mir eines Tages mit einer Neuigkeit - er war gerade einer schlagenden Verbindung beigetreten. Ich sah ihn entgeistert an: "Du - der Pazifist - bei denen?! Da lachen ja die Hühner!" Er rechtfertigte sich: "Das hat nichts miteinander zu tun. Kriegsdienst und Mensurschlagen, das sind ganz verschiedene Sachen. Du musst das auseinanderhalten." Etwas später gab er mir zu verstehen, er mache sich Hoffnungen auf ein Zimmer im Verbindungshaus, sehr günstig zur Uni gelegen - und auch noch gratis.

Er lernte also fechten und bereitete sich zur gleichen Zeit auf seine erste Mensur und den Auftritt vor dem Ausschuss vor. Hoffentlich ohne Schmisse! Ich traf ihn immer seltener und sah ihn dann nur noch von fern: im Kreis seiner neuen Freunde. Wenn so einer Pazifist war, dann war ich es nicht. Ich bin einen anderen Weg gegangen.
 
O, danke, valcanale, fürs Beispringen. Deine Anregung bezüglich des Zimmers hat mich gleich überzeugt, ich habe das noch eingearbeitet.

Zum Hintergrund sollte man noch wissen, dass in er 68er Zeit diese Verbindungen sich sehr anstrengen mussten, um überhaupt Nachwuchs rekrutieren zu können. Daher die materielle Großzügigkeit.

Freundlichen Morgengruß
Arno Abendschön
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Arno, das ist eher eine persönliche Reflexion denn eine Geschichte und Du hast die Authentizität ja auch bestätigt. Ich verschiebe den Text deshalb ins Tagebuch.

LG
DS
 
A

aligaga

Gast
Leider ist in diesem Erinnerungsaufsatz nichts enthalten, was den Sinn oder Unsinn einer damaligen Studentenverbindung erhellen würde und begreiflich machte, was sie denn – bei manchen – bis heute so attraktiv erscheinen lässt.

Fast jeder Student war und ist, wenn er aus der häuslichen Enge und dem Schultrott ins Freie gelangt, erst mal ein bisschen desorientiert und auf sich selbst zurückgeworfen. Er bildet dann gern Gruppen und Zweckgemeinschaften, die ihm (vermeintlich oder wirklich) dabei helfen, sein Studentenleben zu organisieren und zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen.

Studentenverbindungen, schlagende ebenso wie nichtschlagende, sind dabei nicht für jeden Mittel der Wahl. Wer glaubt, bei deren Mitgliedschaft finanzielle Vorteile und studentische Vorteile zu erlangen, ist in aller Regel schief gewickelt. Die Netzwerke der Verbindungen, die bis in die verantwortlichen Ämter, den Kapitalmarkt und die Hochindustrie reichen, verlangen bereits vom Novizen hohen finanziellen und zeitlichen Aufwand. Mittellose Studenten hatten und haben bei den etablierten Verbindungen kaum Chancen und können im Einzelfall nur dann reussieren, wenn sie besondere Leistungen erbringen. Sie erhalten dann „Stipendien“, müssen sich aber verpflichten, später im Sinne der Verbindung zu wirken und ihr zur Verfügung zu stehen – was im Übrigen die Pflicht jedes Mitgliedes ist.

In der vom Autor beschriebenen Zeit waren viele Verbindungen deutschnational und frauenfeindlich; z. T. sind sie das bis heute geblieben. Das war und ist sehr bedauerlich, denn der Grundgedanke dieser Gemeinschaften war so falsch nicht: Die Studenten und ihre Verbindungen hatten über viele hundert Jahre wesentlich am Bau einer demokratischen, aufgeklärten und frei denkenden Gesellschaft mitgewirkt. In der „DDR“ waren sie verboten.

Der „Corpsgeist“, der damals wie heute in diesen Reihen herrschte, ist nicht viel anders zu sehen als das Zugehörigkeitsgefühl etwa zu einem Fußball- oder Eishockeyverein, wo die aktiven Mitglieder immer wieder neu beweisen müssen, dass sie keine Weicheier sind, im Ernstfall das Schicksal der Gemeinschaft über das persönliche stellen und sogar, wenn’s gar nicht anders geht, eine Verletzung riskieren. Wäre die idiotische Aussparung der Mädchen nicht und nicht das noch idiotischere Festhalten an schwarz-weiß-roten Nationalzöpfen, wäre gegen diese Studentenbünde nicht allzuviel einzuwenden. Wer in ihnen studentisch groß wird, hätte i. d. R. so viel Teamfähigkeit und Durchsetzungsvermögen erlernt, dass er später selber ein „Alter Herr“ sein kann, der den Jungen auf die Sprünge hilft.

Ein Text wie dieser, der Studentenverbindungen dem "Verband der Kriegsdienstverweigerer" gegenüberstellt, macht es sich ein bisschen arg leicht. Der Wehrdienst war, zumindest nach 1945, keine Kriterium für die Zugehörigkeit zu einer studentischen schlagenden oder nichtschlagenden Verbindung.

Insgesamt geht der Aufsatz ob seiner Undifferenziertheit leider ins Leere. Es scheint, der Autor versuchte, sein lyrisches Ich durch den persönlich gehaltenen Schluss als „echt“ pazifistisches gegen die dummen, plumpen Studenten zu setzen und damit zu punkten. Grundsätzlich wäre das sicher eine Möglichkeit, erforderte aber, wie schon gesagt, eine wesentlich differenziertere Betrachtungsweise.

Ich halte den Text für recht unausgegoren und daher missglückt.

Gruß

aligaga

p. s.: Sorry - ich sehe gerade, der Text wurde inzwischen ins "Tagebuch" verschoben. Wäre er von Haus aus dort gestanden, hätte ich ihn nicht kommentiert.
 
Das Folgende ausdrücklich nicht als Versuch einer Diskussion mit dem verschiebenden Redakteur, nur als Standpunkt für interessierte Mitleser: Selbstverständlich ist das hier eine Geschichte mit linearem Verlauf und keine "persönliche Reflexion". Und das Moment Authentizität spielt für die Gattungsfrage überhaupt keine Rolle. Man gebe mal das Stichwort "autobiographische Kurzgeschichte" bei Google ein, da wird man reiche Ernte einfahren.

Arno Abendschön
 

valcanale

Mitglied
Ich war auch etwas verblüfft über die Verschiebung, fand den Text bei den Kurzgeschichten gut aufgehoben, es hat für mich absolut nichts Tagebuchartiges. Wie werden da die Kriterien gesetzt?
LG Valcanale
 

petrasmiles

Mitglied
Sehr merkwürdig!
Das erscheint mir auch ein bisschen reflexartig zu geschehen - sobald man zu verstehen gibt, da sei etwas Autobiographisches enthalten. (In welchem Text denn nicht?)
Das Dumme ist nur: Sobald man es 'autobiographisch' liest, verliert der Text á la 'Arno erzählt von Früher'.
Dabei sind das ja keine Ich-Botschaften, sondern allgemeine Reflexionen.
Eigentlich ist es ärgerlich!

Liebe Grüße
Petra
 

ENachtigall

Mitglied
OFF-Toppic Verschiebungen

Ich sehe die Verschiebungen nach dem Zugeständnis von Autorenseite, dass es sich der Text auf Erlebtes stützt, auch kritisch.
Zum Einen haftet dem "Tagebuchurteil" subjektiv empfunden leider - und zu Unrecht - oft eine Abqualifizierung an, zum Anderen halte ich es für sinnvoll, immer auch die Einschätzung des Autoren selbst einzubeziehen.
Es ist mir wichtig, zukünftig möglichst einvernehmliche Lösungen zu finden.

Jeder Text hat - völlig ungeachtet seiner Einkategorisierung - einen Eigenwert. Das versuche ich bei der Betrachtung und im Hinblick auf das Hickhack um die richtige Schublade nicht aus den Augen zu verlieren.

LG

Elke
 
Danke, ENachtigall, für die Stellungnahme. Ja, so würde ich es gern allgemein gehandhabt sehen. Im Übrigen ist eine solche Verschiebung für den Autor ja fast nie ein großes Unglück oder Unrecht - umso mehr konzentriert er sich auf die Begründung des verschiebenden Redakteurs: Überzeugt sie ihn in der Sache oder tut sie es nicht? Und falls nicht, kommt er in Versuchung, über evtl. verborgene Hintergründe zu spekulieren - und liegt dann womöglich komplett falsch.

Freundlichen Gruß
Arno Abendschön
 



 
Oben Unten