Schloss der Einsamkeit

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Meral Vurgun

Mitglied
Schloss der Einsamkeit




ich überquerte den langen Weg und kam hierher
wie die Träne im Schnabel eines Finken
nun trage meine Geschichte in meinen Augen
und ich bin jetzt ein vergessener Traum
ich bin nur die gute Deutung meiner Träume

genau hier, in meiner Schläfe ist ein stechender Schmerz
in der Ferne liegt das Tagebuch der Heimat
in meiner ekstatischen Seite herrscht der Sturm des Gehens
ich bin eine Bergquelle
die Liebe ist eine tausend Jahre alte Geschichte in meinem Kopf
ich fliesse wie eine Flut
aus kleinen Seen in grosse Meere

komm entferne das Blau aus meinen Brustgefäss
wir werden wieder gehen, so wie wir kamen
mit einem jämmerlichen Schrei
du funkelst wie ein einziger Stern in der dunkelsten Nachthimmel
als wären wir all die Jahrhunderte neben einander schliefen
wenn ich nur aufwachen konnte
wird die wankelmütige Stille sich in deinen Augen erlöschen
und ich vermisse seit tausend Jahren die hellen Morgen

schau in meine Augen
deine Träume sind anders als meine
ich bin das letzte Gedicht der verendeten Liebe
die letzte Reitende und die letzte Reisende
betreten und plünderten meinen Schlaf
ich las aus dieser Nacht die neuen Wörter von alten Kalendern
ich ging durch eine trockene Wüste bevor du in meinem Herz kamst
meine vier Seiten waren ein Schloss der Kobras

ich konnte die Spuren nicht finden, die ich hinterliess
die Adresse ist in vier grossen Büchern versteckt
es ist ein geheimnisvolles Traum
ein blutjunger Wind streichelt mein Gesicht
die Einsamkeit ist jetzt ein Krokus im Delta meines Lebens
du bist wie ein Schluck Wein zwischen zwei Lippen
die Milch der Männlichkeit fliesst mir auf Knien
vertreibe mich nicht zu andere Gedichte
die Welt wird austrocknen
vor uns liegt die Eile einer unbekannten Reise
schon jetzt in der Tiefe des Herzens spüren wir seinen Schmerz
wie ein Kirschbaum wächst die Leidenschaft des Lebens in unserem Brustgefäss
komm, öffne deine Augenlider und wach auf
lass mich nicht lange warten, es wird bald regnen...
 

HerbertH

Mitglied
Liebe Meral,

Du schreibst wunderschön poetisch - auch diesmal, wie schon so oft.

Danke und liebe Grüße

Herbert
 
F

Fettauge

Gast
Das ist ein wahnsinnig schönes, beeindruckendes Gedicht, man liest es, und irgendwo weht es lange nach im Leser. Wobei ich glaube, dass du einiges noch kürzen könntest. Man hat das Gefühl, sich in einem Serail aus tausendundeiner Nacht zu befinden, in dem alles nur so vom Glanz der Edelsteine und des Goldes erstrahlt, und die Huris umschwärmen einen, dass man vergisst, dass man Mitteleuropäer ist. Und da bin ich bei dem Punkt, der mir auffällt. Obwohl du deutsch schreibst, schreibst du im Grunde ein orientalisches Gedicht, das durch seine Exotik eine fremde Welt im deutschsprachigen Leser wachruft. Vielleicht begründet diese Art von Gedichten eine neue Literaturströmung in der deutschsprachigen Lyrik, so die Vielfalt der Lebensverhältnisse im heutigen Europa beschreibend. Ich wünsche dir viel Erfolg mit deinem ersten Buch, Meral. Gruß, Fettauge
 

Meral Vurgun

Mitglied
Herzlichen Dank Fettauge.

dein lange Kommentar hat mich zum denken gebracht. ich dachte beim Schreiben nie an die tausendundeiner Nacht. ist aber schöne Vergleich.. auch die Huris. aber nur im petischen Sinne. es freut mich dass es dir so beeindruckend wirkt.

ich danke dir auch wür deine Wünsche.
und dieses schönes Glücksgefühl wünsche ich euch allen..

liebe Grüsse...
 
B

Beba

Gast
Lb. Meral,

es ist, wie Fettauge schon sagte: deine Texte schreibst du zwar in Deutsch, aber ihr Wesen ist orientalisch. Für uns wirken sie fremd und doch so poetisch, so gefühlvoll. Es ist dieser ganz besondere Reiz, den ich selbst auch schon in Kommentaren zu deinen Texten betont habe. Es schwingt etwas sehr Tiefes in deinen Gedichten mit, was es in unserer Kultur nach meinem Empfinden nicht gibt. Es strahlt so viel Wärme aus: Herzenswärme.
Ja, deine Gedichte sind ein echtes Kleinod in der LL. Immer wieder ...


LG
Beba
 

Fleur de Sol

Mitglied
"Ich überquerte den langen Weg und kam hierher
wie die Träne im Schnabel eines Finken ..." dieses Bild finde ich über alle Maßen schön.
 



 
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