Schluß, aus, Micky Maus!

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Flitzi

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Schluss, aus, Micky Maus!

Ich hole tief Luft, ganz tief und stütze mich auf meiner Arbeitsplatte ab. Einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig. Klirr.
„Das darf doch verdammt noch mal nicht wahr sein!“, brülle ich unbeherrscht und beiße mir im nächsten Moment auf die Zunge, weil mir dieses verdammte „verdammt“ schon wieder mal vor den Kindern herausgerutscht ist. Ich stampfe ins Wohnzimmer zurück und blicke auf einen Ort der Verwüstung. Chaos ins seiner Reinform erzeugt Aggressionen in seiner Höchstform. Legoberge begraben Holzeisenbahngleise, zerrissene Versandkatalogschnippsel bedecken den mit Buntstiftstrichen verzierten Laminatboden und eine Tasse meines bestens Services liegt in Trümmern auf dem Tisch, nachdem mein Jüngster neue Klangerlebnisse mit dem Schlagstock seines Xylophons gesucht hat, abgerundet durch ein disharmonisches Schreikonzert zweier Streithähne, die unerbittlich um eine Plastikguitarre kämpfen.
„Da bin ich nur eben fünf Minuten im Keller, um die Wäsche aufzuhängen, die ihr beiden ständig dreckig macht, und in der Zeit verwandelt ihr das Wohnzimmer in einen schrecklichen Schweinestall“, schimpfe ich und werde lauter, nachdem mich diese frechen Knirpse völlig ignorieren.
„Es reeeeeiiiiicht!“ schreie ich und ernte ein kicherndes „Schluss, aus, Micky Maus!“, meines Ältesten. Ich brodele. Wahnsinnige Wut ergreift Besitz von mir. Am liebsten würde ich diese Hosenscheißer mit dem Kopf nach unten aus dem Fenster hängen und ihnen die Hinterteile mächtig versohlen, doch ich hole tief Luft und renne raus. Ins Klo. Ich hole tief Luft und noch mal und noch mal. Es geht mir schon besser. Ich habe eine Idee und laufe ins Kinderzimmer. Ich muss kichern, durchwühle die blaue Kiste und schleiche mich mit meiner Beute zurück ins Wohnzimmer. Ich schnappe mir die Übeltäter und kette sie mit den Sheriffhandschellen aneinander und an den Tisch, mitten ins Durcheinander. Verdutzte Gesichter. Ich baue eine Bahnstrecke um sie herum und lasse sie vom hupenden Elektrozug umkreisen. Ich mache den CD-Player an und suche die grausigste Schlagermusik heraus, die ich finden kann. Volle Lautstärke. Verdutzte Gesichter. Ich krame die verhassten Karnevalshüte aus der Wohnzimmerschublade und setzte sie den Zwergen auf die Köpfe, tupfe ihnen Niveapünktchen ins Gesicht und verknote ihre Socken. Immer noch verdutzte Gesichter. Ich hole die Sofortbildkamera, knipse ein Beweisfoto für die Nachwelt und schnapp mir dann das Keyboard, um das schrille Schlagergesäusel durch schief gesungene Kinderlieder abzurunden. Komplettes Chaos. Plötzlich fangen die verdutzten Gesichter an zu lachen. Mundwinkel grinsen bis zu den Ohren und kleine Bäuche beben vor Lachen. Und dann auch ein großer, nämlich meiner, weil ich ebenfalls Lachen muss. Befreiend und komisch. Wir lachen und dann lasse ich sie frei, die Banditen.
Zusammen räumen wir kichernd auf und das Beweisfoto hänge ich an die Pinwand. Dort bleibt es hängen, für immer, als Abschreckung, damit so etwas nie wieder passiert.
 



 
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