Schlussakt/e

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Walther

Mitglied
Schlussakt/e


Der Stempel kommt aus seinem Kissen blau
Und kalt: markiert Papier, macht offiziell,
Was vorher noch im Ungefähren war.
Es ist nun kundig, offen und ein Akt.

Da liegt es, dieses eine Leben, kühl
Und überzeitlich für die Nachwelt ruht
Es auf dem Tisch, der silbern glänzt im Licht –
Im Dunkeln ist er still und schimmert nicht.

Man reicht sich eine kalte Hand und geht
Jetzt seiner Wege, die man gehen muss.
Es reicht für keinen Blick und keinen Kuss.

Die Türe fällt ins Schloss. Die Akte ist
Geschlossen, hängt im grauen Schrank, verstaubt.
Es ist jetzt Leere da, die Atem raubt.
 

HerbertH

Mitglied
Ein bedrückender Abschied, burokratisch abgestempelt, aber nicht minder schmerzvoll empfunden.

Gefällt mir sehr dies fast ungereimte Sonett.

Liebe Grûße

Herbert
 

Walther

Mitglied
Schlussakt/e


Der Stempel kommt aus seinem Kissen blau
Und kalt: markiert Papier, macht offiziell,
Was vorher noch im Ungefähren war.
Es ist nun kundig, offen und ein Akt.

Da liegt es, dieses eine Leben, kühl
Und überzeitlich für die Nachwelt ruht
Es auf dem Tisch, der silbern glänzt im Licht –
Im Dunkeln ist er still und schimmert nicht.

Man reicht sich eine kalte Hand und geht
Dann seiner Wege, die man gehen muss.
Es reicht für keinen Blick und keinen Kuss.

Die Türe fällt ins Schloss. Die Akte ist
Geschlossen, hängt im grauen Schrank, verstaubt.
Es ist jetzt Leere da, die Atem raubt.
 

Walther

Mitglied
danke, lieber Patrick! lg W.


lb Herbert,

danke für deinen nachdenklichen eintrag. ich bastle gerade an meinem roman rum. so kam ich zu diesem text. man versucht, den raum einer solchen entwicklung und auch das ende abzuschreiten, um es zu ermessen. ich bin zum ergebnis gekommen, daß das nicht aufgeht.

es bleibt, bilder für das unerklärliche und das unermeßliche zu finden. das habe ich versucht.

lg W.
 

revilo

Mitglied
Moin, es tut gut, mal wieder etwas von Dir ohne Trennungen und &- Zeichen zu lesen....Der Text gefällt mir, markiert er doch aus kühler bürokratischer Sicht das Ende eines Lebens ohne Wenn und Aber...Gleichzeitig bleibt da aber auch der trauernde Mensch, der sich mit diesem, leider notwendigen Übel nicht abfinden will...Inhaltlich ist das für mich eher Prosa.....Ich läse das lieber ohne Zeilenspünge..... Aber das liegt sicherlich im Auge des Betrachters.....

Lg revilo
 

Tula

Mitglied
Hallo Walther
schliesse mich den Kommentaren gern an. Man kann es wahrscheinlich zweierlei lesen: ein Abschied bei der amtlichen Scheidung zweier Menschen, die sich einst liebten. So habe ich es eigentlich zuerst gelesen.

Beim Abschied am Ende eines Lebens wäre doch zu hoffen, dass irgendwo noch jemand ein Foto im Regal zur Erinnerung stehen hat. Aber auch die bürokratischen Gänge, die der weiterlebende Partner hat, können sicher sehr bedrückend sein. Auch weil jener dann dem 'zum Anschein mitfühlenden Beamten' usw. gegenübertreten muss.

Heute mal ohne Bewertung, das würde jetzt nur den guten Durchschnitt versauen.

LG
Tula
 

Walther

Mitglied
Hi Revilo,

danke für die freundlichen worte. ich habe zwei poetologien, die ich verwende. dieses gedicht ist für den sonettfundus des dritten bandes meiner sonett-trilogie.

wenn du die beiden vorliegenden bände gelesen hast, verstehst du auch die unterschiedliche herangehensweise - wiewohl es übergänge gibt, denn meine sonette greifen natürlich auf den metaphernfundus aus beiden welten zurück.

dieses sonett ist ein solches beispiel. die ambivalenz der bilder ist absicht - der einschub in s2v4 hat methode.

schön, daß es dich erfreut, das kleine textchen.

lg W.


lb Tula,

einfach draufloswerten. der durchschnitt ist schnurz. aber dein eintrag sagt ja genug. :)

lg W.
 

Walther

Mitglied
lieber Otto,
ich sehe mich als glatten durchschnitt. und der ist jedem schnurz. :)))
im übrigen: hier machen wir keine wettrennen. wir haben zusammen spaß (oder verstehen keinen bzw. das konzept dahinter nicht).
lg W.
 

Vagant

Mitglied
Ja Walther,

wenn du mich nun schon mal ansprichst, dann muss ich wohl nun doch ein paar Worte hier lassen.
Eigentlich äußere ich mich nicht zu Lyrik. Manches spricht mich an, anderes lässt mich kalt, vieles lässt mich einfach nur fragend stehen. Das mag daran liegen, dass ich doch eher aus der Pros komme und mir die abstrakten Metaphernreiter manchmal einfach 'ne Spur zu wild unterwegs sind.
Dieses reimlose Sonett hat lange in mir nachgehallt, ohne dass ich nun konkret hätte sagen können, warum. Ich nehme an, dass es einfach die Häufung der gegenständlichen Nomen im ersten Vers ist – Stempel, Kissen, Papier –, die hier schon einen fast prosaischen Lesefluss geben und das 'Ungefähre' der dritten Zeile dann eben nicht im Ungefähren schweben lassen, sonder es sehr konkret werden lässt.
Die abschließende Terzette finde ich in ihrer klaren, fast einfachen Wortwahl fast schon meisterhaft. Hier gibt es auch nicht viel zu deuten; die Dinge liegen klar auf der Hand. Kurz und knapp: ein sehr naturalistischer Text – und das mag ich halt.
So. Das war nun aber bestimmt auch das erste und einzige Mal, dass ich mich hier als 'Deuter' versucht habe; das können andere besser.

LG Vagant.
 

Walther

Mitglied
Hi Vagant,

danke für dein langes statement, das das prinzip meines vorhabens fast perfekt nachzeichnet. damit wird dokumentiert, daß der wunsch, die sprache wie selbstverständlich in die form fließen zu lassen, in erfüllung gegangen ist. das ist für mich ein großes kompliment, das versuche ich, immer wieder zu erreichen. es gelingt leider eher selten.

du schreibst, zweitens, du fühltest dich in sachen poesie und formen weniger qualifiziert. wenn ich deine texte lese, erscheint mir das doch etwas untertrieben. :) im übrigen ist der leser als kritiker mindestens so wichtig wie der experte als kritiker - ersterer kommt (a) häufiger vor und (b) kauft er am ende auch die bücher (der expertenkritiker bekommt irgend woher ein leseexemplar umsonst).

jedenfalls danke ich sehr für deinen eintrag und wünsche mir und anderen gerne weitere, auch wenn sie nicht so freundlich ausfallen.

lg W.
 
Lieber Walther,

das Werk ist keinesfalls schnurzer Durchschnitt.
Dennoch stimme ich Ottos Einschätzung fröhlich zu.

Traurig hingegen stimmt mich die in Bürokratie gehüllte erbarmungslose Einsamkeit.

Was bleibt, ist ...
...bleibt was?

Bakenfalter, gedankenversunken
 

Walther

Mitglied
Hi Baki,

weißt du, durchschnitt ist nicht schlecht. da ist die eine hälfte über und die andere unter dir, und du darfst dir raussuchen, zu welcher hälfte du gehören willst. wahnsinn, oder?

der mensch ist heute nur noch ein satz daten. damals waren das noch akten. die konnte man die hand nehmen, da konnte man dran riechen und sie knisterten. daten sind also schrecklicher als akten. da geht gar nichts mehr.

und wenn man bedenkt, daß man die liebe mal anfassen, zum knistern bringen und an ihr riechen konnte ...

... langer rede unsinn ...

ich danke dir fürs ausgraben!

lg W.
 



 
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