Schöne Ferien

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Klaus K.

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Richard Harris hatte endlich wiedergefunden, was er suchte. Na gut, vielleicht hatte er ja wirklich einen Spleen. Dann aber einen harmlosen, das war sicher. Er liebte es, sich in seinem Urlaub nachts in Museen einschließen zu lassen, um in Ruhe und vor allem ungestört alles betrachten zu können. Grauenhaft waren die Erfahrung und allein die Vorstellung, mit einer Unzahl von Touristen durch Gänge und Ausstellungsräume geschoben zu werden. Außerdem hatte er immerhin schon beachtliche Erfolge gehabt, zudem war er für seine nächtlichen Einsätze bestens gerüstet. Perfekt ausgestattet mit extra starken Taschenlampen und einer hochempfindlichen Kamera, die ein Vermögen gekostet hatte, ging er dort ans Werk, wo er sich unbemerkt am Ende der Öffnungszeit verstecken konnte. Wo hatte es nicht geklappt?

Nun, in Abu Simbel war er chancenlos gewesen und fast von einer Horde Asiaten – es waren 17 Busse – bei seiner Vorbesichtigung erdrückt worden. Und die Museumswächter waren gnadenlos, er hatte keine Möglichkeit gehabt sich zu verbergen und wurde dann relativ unsanft nach draußen befördert. Im ägyptischen Museum in Kairo hatte er den Versuch gar nicht erst gestartet. Die Anzahl der Überwachungskameras war einfach zu groß, denn immerhin lag dort die goldene Totenmaske von Tut-Anch-Amun und zudem die Mumie von Ramses. Zu befürchten waren also peinliche Verhöre, wenn man ihn entdeckte. Gleichfalls waren Madrid, Budapest, Berlin und Paris keine aussichtsreichen Kandidaten gewesen. Das hatte er bald erkannt, sein Hobby entsprechend modifiziert und auf kleinere Museen reduziert. Damit hatte er dann Erfolg, ja richtigen Erfolg.

Begonnen hatte es im Landeszeughaus in Graz. Herrlich! Hier lagen Waffen aus Jahrhunderten des zähen Widerstandes der Steiermark gegen deren Invasoren. Auf mehrere Stockwerke verteilt hatte man das Arsenal angelegt, mit dem im Bedarfsfall jeder Bewohner bis hin zum Waldbauernbub bestens ausgerüstet werden konnte. Die Nacht war ein einziger Genuss gewesen, er konnte endlich alles anfassen, in die Hand nehmen und in der Vergangenheit schwelgen, kurz nachdem das äußerst freundliche österreichische Personal die heiligen Hallen verschlossen hatte.

Und dann Matera! Die Felsenstadt mit ihren uralten Wohnhöhlen im tiefsten Süditalien, an der Grenze zwischen Apulien und Kalabrien. Ein kleines «Museo della tortura», ein Foltermuseum in einem Felsenkeller, ausgestattet mit einer Vielzahl von Exponaten. Es war schier unglaublich, wie viel masochistische Intelligenz sich hier mit Handwerkskunst gepaart hatte. Die widerwärtigsten und gemeinsten Marterwerkzeuge hatte er fotografieren und ungestört ausprobieren können, nachdem der Mann an der Kasse das Licht ausgemacht hatte, und die Türen verschlossen worden waren. Am nächsten Morgen hatte er sich dann ganz entspannt unter die eintreffenden Besucher gemischt und seine Mission erfolgreich beendet. Wunderbar!

Und jetzt, Anfang Februar, stand er vor einem echten Trapper-Museum in Calgary, ebenfalls unterirdisch in einem Felsen angelegt. Kanada war bisher recht nett dahergekommen, aber hier erwartete ihn der absolute Höhepunkt seiner Reise. Die Vorbesichtigung war schnell verlaufen, es lohnte sich. Perfekt ausgestattet betrat er das Gebäude am späten Nachmittag erneut und wartete ab. Kurz vor 18 Uhr ertönte gleichzeitig aus mehreren Lautsprechern eine Stimme von einem Tonband: »Wir bitten unsere Besucher, das Museum jetzt zu verlassen. Wir schließen in zehn Minuten und das Licht wird ausgeschaltet. Bitte begeben Sie sich zum Ausgang!» Er wartete einige Minuten in einer dunklen Ecke und sah zu, wie alle anderen Besucher der Aufforderung Folge leisteten. Dann kam wieder die Stimme vom Band: »Achtung! Wir bitten Sie nochmals, das Museum jetzt umgehend zu verlassen. In 60 Sekunden wird das Licht automatisch ausgeschaltet und die Türen werden geschlossen. Wir danken für Ihren Besuch!» Ende.

Klack – das Licht war aus. Er hörte, wie die schwere Verbindungstür zum Kassenraum geschlossen wurde und sich der Schlüssel im Schloss drehte. Danach folgte noch das entfernte Geräusch der soeben abgeschlossenen Eingangstür. Er war allein, seiner nächtlichen Exkursion standen jetzt nichts und niemand mehr im Wege. Die Taschenlampe wurde eingeschaltet, das Licht erwies sich als völlig ausreichend, es konnte losgehen.

Das kleine Museum war relativ strukturiert aufgebaut, einzelne Abteilungen zeigten die Kleidung der Trapper, Fellmützen und Jacken, Schneeschuhe aus Holz und Horn, dann ihre Behausungen einschließlich einer voll ausgestatteten Blockhütte.

Daneben selbstverständlich ihre Waffen, riesige Bowie-Messer und langläufige Gewehre. Ein besonderes Highlight war dabei ein vollständig erhaltenes Skelett mit einer umfangreichen Erläuterung auf einer davor aufgestellten Informationstafel. «Dieses Skelett wurde 1834 in Ontario vor einer Blockhütte gefunden. Der Trapper verlor sein Leben beim Laden seines Gewehres. Der Ladestock seines Vorderladers wurde dabei durch eine versehentliche Zündung des Schwarzpulvers herausgetrieben, durchbohrte sein Kinn, dann die Mundhöhle und den oberen Teil des Schädels, in dem er dann stecken blieb. Es lag keine Fremdeinwirkung vor. Man merke: Trapper lebten gefährlich! » Herrlich! Richard Harris machte Fotos. Welch einmalige Aufnahmen für seine Sammlung!

Dann kam die Abteilung «Trapper und ihre Fallen». Was es da alles gab, war gleichfalls beeindruckend. Fast für jedes Tier existierten unterschiedliche Konstruktionen. Fallen, die die gewünschte Beute gnadenlos verletzten, aber auch so genannte «Lebendfallen». Und der absolute Höhepunkt war hierbei die Bärenfalle, allerdings jüngeren Datums.

Ein stählernes Monstrum, aufgebaut als rechteckiger Kasten mit einem Einlass. Im hinteren Teil wurde der Köder platziert. Ging der Bär in diese Falle hinein, so verschloss eine Falltür von oben den Kasten hinter ihm, und das Opfer saß fest. Eine simple, aber effektive Konstruktion, sehr schwer und fest im Boden verankert. Phantastisch! Richard Harris kroch auf den Knien hinein um die Tiefe auszuloten und an das hintere Ende zu gelangen, wo der Köder befestigt wurde. Ja, Fotos vom Detail, das war seine Sache! Er berührte den Auslöse-Mechanismus, der sich in der Mitte des Käfigs als nachgebende Stahlplatte verbarg. Das Gitter am Eingang fiel krachend nach unten. «Na, halb so wild, das haben wir gleich», dachte er und machte zuerst einmal seine Aufnahmen. Mit Mühe drehte er sich dann in dem engen Stangenkäfig um. Das Gitter am Eingang ließ sich nicht anheben. Er beleuchtete das Problem und fand schnell die Ursache. Rechts und links befanden sich am Käfig zwei Schlösser. Fiel das Gitter herunter, so arretierte jeweils ein stählerner Riegel auf jeder Seite eine der Querstreben, so dass es sich nicht mehr anheben ließ. Er versuchte, die Riegel wieder in ihre Ausgangsposition zurückzuschieben. Erfolglos, da ein Stahlstift im Schloss genau dies verhinderte. An das Innenleben dieser Mechanik kam er nicht heran, zudem fehlte ihm dafür jegliches Werkzeug. Er saß buchstäblich in der Falle und leuchtete jetzt die Umgebung aus. Da, an der Wand … da hing der Schlüssel an einem Haken. Er streckte seinen Arm durch das Gitter, ein lächerlicher Versuch, die Entfernung betrug fast vier Meter. Sehr ärgerlich, er war chancenlos gefangen. Was soll’s, dann musste er eben bis zum nächsten Morgen warten.

Bis zum nächsten Morgen? An der Außentür des Museums befand sich seit zwei Stunden ein Hinweisschild: «Verehrte Besucher: Ab morgen ist unser Museum für vier Wochen geschlossen. Wir machen Urlaub und nutzen diese Zeit auch, um neue Exponate zu sammeln. Ab dem 3. März sind wir wieder für Sie da!»
 

Klaus K.

Mitglied
Völlig korrekt der Hinweis! .....wieder (mal) gefunden....wenn das Wort "wiedergefunden" getrennt wird, dann stimmt es. Ja, es rutscht so einiges ab und zu durch....ich bitte um Nachsicht! Mit bestem Gruß und Dank, Klaus K.
 
Hallo Klaus K.,
warum nur musste ich bereits nach dem ersten Absatz an 'Nachts im Museum' denken? ;)
Aber am Ende weiß der Leser, warum die Überschrift sehr ironisch 'Schöne Ferien' heißt.
Nette Geschichte, aber ich möchte nicht vier Wochen in einem Käfig eingesperrt sein. :oops: Aber vielleicht kommt ja doch mal ein Wachdienst vorbei ... :D
Schöne Grüße,
Rainer Zufall
 



 
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