Schöner Schein

Ruriro

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Schöner Schein

16.09., 04:32
Karl Schacht wurde vom Klingeln seines Telefons aus dem Schlaf gerissen. Es war dunkel und bis er sich orientiert hatte, vergingen ein paar Rufzeichen. Schließlich zog er den uralten Apparat zu sich herüber.
„Ja?“, schnarrte er ins Telefon.
„Guten Morgen, Doktor Schacht“, sagte eine Stimme ruhig und geschäftsmäßig. „Hier kam ein Anruf wegen Ruhestörung rein.“
„Wieso rufen Sie da mich an?“, unterbrach Schacht unwirsch.
„Herr Schacht, die Kollegen von der Streife vermuten, dass ein Kapitalverbrechen vorliegt und verlangen Ihre Anwesenheit. Gerade im Moment brechen sie die Tür auf. Kommissar Hausmann ist der Kollege vor Ort und vermutet ein Tötungsdelikt, das ja -“
Schacht brummte unwillig und legte auf. Diesen Kerl von der Telefonzentrale hatte er noch nie leiden können. Aber leider gehörte Hausmann zu denen, deren Intuition sie fast nie trog. Schlafen konnte er jetzt ohnehin nicht mehr, da konnte er auch zur Arbeit fahren. Er griff nach seinem Handy und suchte die Nummer von Hausmann heraus.


16.09., 06:20
Phil, kannst du nicht doch vorbei kommen? Tom ist gerade gegangen.
Kathas Stimme hallte in seinem Kopf wider und warf ein starkes Echo. Ihr anschließendes Lachen verebbte eigenartig schrill und wurde langsam von einem immer aggressiver werdenden Piepsen abgelöst.
Phil saß plötzlich mit rasendem Herzschlag senkrecht im Bett. Mal wieder hatte er von Katha geträumt. Müde fuhr er sich mit den Händen durchs Gesicht, atmete mehrfach tief durch und schlug die Bettdecke zurück.
Unter der Dusche kehrten seine Lebensgeister schlagartig zurück. Ungebeten schlichen die Erinnerungen an den Traum und das gestrige Treffen mit Katha wieder in seinen Kopf. Er hasste es, wenn sie sich mit Tom traf. Aber er konnte es nicht verhindern; sie nutzte Tom als Mann-für-zwischendurch, wenn sich gerade nichts Anderes bot und hielt ihn für ihren treudoofen Dackel. Aber er mochte ihn nicht. Irgendetwas stimmte nicht, ließ sich nicht fassen, und das machte ihn misstrauisch. Aber sie lachte nur, wenn er davon anfing.
Er drehte den Wasserhahn wieder zu. Er hatte ihr schon mehrfach gesagt, dass ihr Verhalten absolut unangebracht war, aber sie hatte immer abgewunken. Und was sollte er auch machen? Sie war doch seine Katha.
Gerade da brummte sein Handy auf dem Nachttisch.
„Ja?“, krächzte er hinein und räusperte sich, um den Kloß aus dem Hals zu bekommen.
„Philipp, sind Sie das?“ Schacht. Sein Kollege. Das war nicht gut.
„Wer sonst?“ Das Räuspern hatte nichts gebracht.
„Sie klingen so - Nicht so wichtig. Wir haben eine Leiche.“ Er machte eine Pause, bis er schließlich die Adresse nannte. „Weinweg 6.“
„Mord oder einfach tot?“, fragte Phil wie üblich, bevor er stockte.
„Mord. Auch wenn wir selbstverständlich noch auf die Obduktion warten müssen.“
„Komme“, brachte Phil gerade noch heraus, bevor er auflegte. Seine Kehle war wie zugeschnürt, sein Puls raste. In dem Haus wohnte Katha. Langsam glitt er an der Wand nach unten und schlang die Arme um die Knie. Mit äußerster Mühe gelang es ihm, nicht zu schreien. Katha. Nein. Das konnte ja gar nicht sein. Gestern Abend hatte er noch mit ihr gesprochen. Das war sie nicht. Nein. Auf keinen Fall. Das war irgendwer anders. Völlig egal. Belanglos.
Er zwang sich dazu aufzustehen und das Haus zu verlassen. Bis er den Autoschlüssel ins Zündschloss steckte, hatte er schon fünf Mal versucht sie anzurufen. Aber sie ging nicht ran. Bestimmt schlief sie noch. Ja, genau. Schließlich war es ja erst halb sieben.

Er musste nicht weit fahren. Vor ihrem Haus standen ein Streifenwagen mit eingeschaltetem Blaulicht, der Bus der Spurensicherung und ein Rettungswagen. In allen Wohnungen brannte Licht. Die Haustür stand offen.
Eine neuerliche Panikattacke wollte ihm die Kehle zuschnüren, doch dieses Mal kämpfte er sie nieder. Er stellte den Wagen ab und rannte hinüber.
Er konnte kaum noch atmen, lief aber so schnell er konnte die Treppe nach oben. Sie wohnte im zweiten Stock. Vielleicht war es ja doch irgendwo anders – nein.
Die Tür zu ihrer Wohnung stand offen und er hörte die emsige Betriebsamkeit schon vom Zwischengeschoss aus. Er stürzte mitten hinein ins Grauen.
Der Küchentisch war umgestürzt und lag in einem Meer von zerbrochenem Geschirr. Der ehemals grüne Teppich wies riesige eingetrocknete Blutflecken auf.
Sein Blick wanderte zu ihrem Bett.
Dort lag sie. Nackt. Mit weit aufgerissenen Augen. Er konnte ihre Rippen sehen. Ein Messer steckte in ihrem Brustkorb, dort, wo sich das Herz befand. So viel Blut.
Das konnte doch gar nicht alles in ihrem zierlichen Körper gewesen sein.
Er war wie in Watte gepackt. Das Blitzlicht der Polizeifotografen blendete ihn nicht und er bemerkte auch nicht, dass Kollege Schacht auf ihn einredete.
Nur die letzten Worte bekam er mit.
„- haben Sie sie angerufen? Kennen Sie sie?“
Reglos starrte er ihn an, unfähig zu antworten. Schacht schüttelte ihn.
„Wissen Sie, wer Sie umgebracht hat, Philipp? Wissen Sie es?“
Endlich schaffte er es, seinen Blick ein wenig zu fokussieren und nahm verschwommen Schachts besorgtes Gesicht wahr. Doch dann sah er wieder das Bett und Katha darauf und fühlte, wie das Zimmer sich zu drehen begann. Seine Hände tasteten nach Halt suchend zu den Seiten herum und bekamen einen Beamten der Spurensicherung zu fassen, der gerade Beweismaterial eintütete. Phil riss den Beutel an sich und erbrach sich hinein.


Er hatte wohl schon mehrere Ohrfeigen bekommen, als er endlich wieder so weit zu sich kam, dass er Schmerz empfinden konnte. Sie hatten ihn auf den Flur gebracht, aber der Geruch von Blut klebte ihm in der Nase.
Schacht ließ sich neben ihn auf den Boden gleiten.
„Sind Sie wieder da?“, fragte er vorsichtig.
Phil antwortete nicht, sondern richtete sich auf und gegen die Wand.
„Woher kennen Sie sie?“
„Aus der Schule. Sie ist – war meine beste Freundin.“
„Das tut mir Leid“, sagte Schacht und klang, als ob er es wirklich so meinte. „Hätte ich das gewusst, hätte ich Sie nicht angerufen.“
„Danke, dass Sie es getan haben, Karl“, krächzte Phil und kämpfte sich auf die Beine.
„Sie sollten sitzen bleiben“, riet Schacht und wollte ihm helfen, doch er schüttelte seine Hand unwirsch ab.
„Nein, ich gehe nach Hause“, sagte Phil. „Ich glaube, ich sollte mich ordentlich betrinken.“
„Ich bringe Ihnen Ihr Auto“, bot Schacht an. „Wenn Sie mir die Schlüssel hier lassen. Ich glaube, die brauchen Sie heute nicht mehr.“
„Gut“, brummte er und händigte sie aus. „Bis morgen dann.“
„Ruhen Sie sich aus“, sagte Schacht mitfühlend. „Sie sollten Urlaub nehmen.“
Phil nickte, klammerte sich am Geländer fest und stieg unsicher die Treppe hinunter. Kaum, dass er außer Sichtweite war, begann er zu rennen. Er wollte nicht nach Hause. Was sollte er da?
Nein, er wusste ja, wer es gewesen war. Er hatte einen Plan.


14.10., 22:42
Schacht hängte seinen Mantel an die Garderobe und ging in die Küche, um sich einen doppelten Whisky einzuschenken.
Seit dieser schrecklichen Sache vor einem Monat war Phil verschwunden. Seit dem Tag, an dem sie seine beste Freundin ermordet aufgefunden hatten, hatte ihn niemand mehr gesehen.
Er ging in sein Büro und schaltete den Computer ein. Seine Vorgesetzten verlangten mittlerweile, den Fall von Katharina Grün beiseite zu legen, aber er weigerte sich. Obwohl alles darauf hindeutete, dass Phil sie ermordet hatte, wollte er es nicht glauben. Ein krankes Schwein war das gewesen, nicht er. Ihr Herz fehlte und es deutete einiges darauf hin, dass der Mörder es verspeist hatte. Kurz vor ihrem Tod hatte sie Sex gehabt, und das auch noch mit Phil. Ein Messer steckte in ihrem Brustkorb, in dessen Klinge sein Name eingraviert war. Eine Spezialanfertigung. Mehr als alles andere überzeugte ihn das von seiner Unschuld: Er wäre nie so dumm, ein so belastendes Beweisstück an derart prominenter Stelle zurückzulassen. Auf dem benutzten Besteck fanden sich seine Fingerabdrücke.
Es gab schlicht und ergreifend keinen anderen Verdächtigen, denn der Freund der Toten hatte ein wasserdichtes Alibi. Er hatte sich den Arm gebrochen und den ganzen Abend bis in die Nacht in der Notaufnahme verbracht. Das hatten sie am gleichen Tag noch überprüft und ihn ausführlich vernommen.
Im Laufe der Wochen hatte er mehrfach versucht, Phil zu erreichen, schon allein um ihn zu einer Befragung zu bestellen, doch er hatte nie abgehoben. Er machte sich Sorgen. Die Streife, die er vorbei geschickt hatte, hatte ihn ebenfalls nicht angetroffen, die angeordnete Hausdurchsuchung verlief ohne Ergebnis – und ohne ihn. Er hatte ihn zur Fahndung ausgeschrieben, aber es war hoffnungslos. Phil war und blieb spurlos verschwunden.
Seufzend begann er mit der eintönigen Arbeit, Berichte zu verfassen. Eine Stunde quälte er sich mit dem Versuch, Katharina Grüns Tod in nüchterne Floskeln zu verpacken und gab schließlich auf. Er stand auf, nahm das Glas in die Hand und trat ans Fenster.
Kopfschmerzen bereiteten ihm einige Aussagen, die der Freund der Toten getätigt hatte. Er hatte Phil als aufbrausend und irrational beschrieben, was Schacht nicht bestätigen konnte und was ihm schwer zu schaffen machte.
Er schloss die Augen und lauschte der Stille im Haus. Wenn seine Frau nicht da war, war sie beinahe vollkommen. Und er fragte sich, wohin und wie Phil so vollkommen verschwunden war. Sein Whisky war mittlerweile leer und er griff in die Schreibtischschublade zu seinem geheimen Vorrat. Mit dem vollen Glas in der Hand ließ er sich wieder auf den Stuhl fallen und fuhr sich durchs Gesicht. Er fühlte sich alt.


„Hallo!“, rief eine Stimme in seinem Rücken. Er zuckte fürchterlich zusammen, warf das Glas um und schnellte auf seinem Stuhl herum.
„Sie?“
„Natürlich“, antwortete Phil ruhig und warf sein Diktafon auf den Tisch.
„Wie sind Sie hier rein gekommen?“, fragte Schacht entgeistert und versuchte krampfhaft, sein wie verrückt pochendes Herz zu beruhigen
„Durch die Tür natürlich“, antwortete Phil und grinste seltsam. „Wie ein zivilisierter Mensch, was dachten Sie denn?“
Er sah fürchterlich aus. Er schien seit mehreren Tagen weder geschlafen noch geduscht zu haben, hatte gigantische Ringe unter den Augen und war kreidebleich. Sein Gesicht war hager geworden und tiefe Falten zeigten sich darin.
Schacht war nach wie vor verängstigt und überhaupt nicht beruhigt. Es war eigentlich unmöglich, eine Tür derart lautlos aufzubrechen. Er sah sich um. Aber er war natürlich allein.
„Ich habe etwas für Sie“, sagte Phil eigenartig tonlos. „Ich weiß, dass Sie mich für den Täter halten. Sie sollten sich die Aufnahme anhören. Sie dürfte einige Fragen beantworten.“
Schacht griff schweigend nach dem Gerät, ohne seinen Kollegen aus den Augen zu lassen. Er war ihm nicht länger geheuer.
Phil ließ sich umstandslos auf den Boden neben der Tür fallen und beobachtete Schacht aus fiebrig glänzenden Augen. „Worauf warten Sie? Machen Sie schon!“
Aggressiv. Das war ganz und gar nicht seine Art und Schacht bekam es nun endgültig mit der Angst zu tun. Er drückte auf Play.


Zunächst hörte man nur statisches Rauschen, bis sich nach einigen Sekunden das Geräusch einer sich öffnenden Tür ausmachen ließ.
„Hallo“, sagte eine männliche Stimme, die Schacht vage bekannt vorkam.
„Tom, lass mich rein“, sagte eine andere Stimme, die eindeutig Phil gehörte. Demnach sprach er mit dem Freund von Katharina Grün.
„Wieso?“
„Tu's einfach.“
Mit einem Quietschen schien sich die Tür weiter zu öffnen. Dann Schritte.
„Setz dich.“
„Wieso?“, fragte die Stimme von Tom.
„Mach schon."
Ein leises Ächzen von Sofafedern bedeutete, dass er der Aufforderung nachgekommen war.
„Katha ist tot.“
„Das weiß ich.“
Nach einer kurzen Pause sprach Phil weiter, als hätte er ihn nicht gehört. „Ich verstehe ja, dass dich das schockiert. Mir geht es genauso. Was ist eigentlich mit deinem Arm passiert?“
„Bin vom Fahrrad gefallen. Das hab ich deinen Kollegen aber auch schon erzählt. Was willst du jetzt von mir?“
Die darauffolgende Stille zog sich so lange hin, dass Schacht schon dachte das Band sei zu Ende. Er hörte nur ein scharrendes und seltsam unpassend klingendes Geräusch. Aber schließlich ertönte wieder die Stimme von Phil.
„Ich weiß, es ist schwierig darüber zu reden und dass du es schon erzählt hast, aber kannst du mir sagen, wo du gestern gewesen bist?“
„Im Krankenhaus, das hab ich doch gesagt.“ Toms Stimme klang resigniert und eigenartig belegt. Von seiner vorherigen Wut war nichts mehr zu hören. Schacht runzelte die Stirn.
„Und dann?“
„Dann war ich Zuhause.“
„Zeugen?“
„Nein. Ich hab versucht zu schlafen. Hat nicht so gut funktioniert."
„Wieso bist du nicht mehr zu Katha gefahren? Sie hat mir am Abend gesagt, dass ihr Jahrestag habt.“
„Ich habe sie angerufen und abgesagt.“
„Auf den Anrufprotokollen ist ein Gespräch um diese Uhrzeit nicht vermerkt.“
„Was willst du damit sagen?“
„Dass du mich in irgendeinem Punkt gerade belügst.“
„Warum sollte ich?“
„Nun, das ist relativ einfach zu beantworten: Du bist nämlich überhaupt nicht Zuhause geblieben und hast geschlafen, sondern bist doch noch zu ihr gefahren. Und du hast sie umgebracht.“

Pause.

„Was hätte ich denn tun sollen?“, rief eine Stimme, die wohl die von Tom war, allerdings jetzt in Panik eine Tonlage zu hoch klang. „Sie hat meinen Heiratsantrag abgewiesen! Gelacht! – Gesagt, dass sie mich nie heiraten würde, wir wären ja nicht mal zusammen!“
„Wie gemein“, sagte Phil sanft. „Was ist dann passiert?“
„Sie wollte mich rausschmeißen. – und dann... dann hab ich das Geschirr auf dem Tisch gesehen. Und die Töpfe in ihrer Spüle. Sie hat gekocht, das hat sie für mich nie getan! Ich wusste einfach, dass es einen anderen gab. Sie hat mich nicht nur abgewiesen, sie hat mich auch noch betrogen! Und dann... dann hab ich rot gesehen.“
„Verständlich“, sagte Phil, aber in erhöhter Stimmlage. Bei Schacht stellte sich langsam ein mulmiges Gefühl ein. Alles auf dem Band war falsch. Aber Phil lächelte ihn an und spielte mit etwas in seiner Tasche herum.
„Ich wusste überhaupt nicht, was ich machen sollte. Ich hab erst wieder was erkannt, als ich alles umgeschmissen hatte. Alles war kaputt. Und Katha hatte blutige Schrammen an den Armen. Das hab ich doch gar nicht gewollt! Aber sie hat mich trotzdem angeschrien, als wäre ich der grausamste Verbrecher! Ein Schwein, hat sie gebrüllt!“
„Und dann?“ Phils Stimme kiekste fast auf dieselbe Tonlage wie Toms, der mittlerweile hysterisch schrill geworden war. Eine Gänsehaut kroch Schachts Rücken hinauf.
„Ich weiß es doch nicht! Ich... kann mich noch dran erinnern, dass da ein Messer auf dem Tisch lag. Plötzlich hatte ich es in der Hand und Katha... sie hatte Angst vor mir, ist immer weiter zurückgewichen. Aber ich wollte doch gar nichts Böses! Sie hat angefangen zu schreien... Als sie mit den Füßen am Bett hängen geblieben ist. Sie ist hingefallen und hat mich immer weiter angeschrien, aber ich hab doch gar nichts gemacht! Sie... sie hat mich immer nur beschuldigt, und das... hat mich einfach so wütend gemacht! Ich hatte plötzlich rote Flecken auf den Armen und im Gesicht und sie hatte endlich aufgehört zu schreien.“
„Was hast du dann getan?“, fragte Phils Stimme wieder, die sich noch weiter verzerrt hatte.
„Ich wollte sie vernichten! Für das, was sie getan hat! So, wie sie mich vernichtet hat... Ihr Herz zerstören, das eigentlich mir gehört! Nur mir!"
„Ihr Herz fehlt, Tom“, schrie Phil. „Ich weiß, ich musste es zerstören! Vernichten! Niemand anders soll es haben, nur ich, ich allein! Das Besteck lag ja noch im Zimmer und ich habe dann einfach... war ja nicht so schwierig. Diese blöde Schlampe hatte es hundert Mal verdient!“


Schacht spürte, wie ihm die Gesichtszüge entgleisten, als er die letzten Worte hörte. Denn nun wurde deutlich, warum Toms Stimme die ganze Zeit so seltsam geklungen hatte – nur Phil hatte gesprochen. Tom hatte er vermutlich zum letzten Mal ganz am Anfang gehört.
„Sehen Sie? Er hat sie umgebracht. Ich bin frei, oder nicht?“ Phil klang so absolut überzeugt von dem, was er sagte, dass sein Kollege nicht daran zweifeln konnte, dass er es auch meinte.
Schacht saß schwer atmend auf dem Stuhl und versuchte das Gehörte zu verarbeiten. In eine Richtung zu drängen, die nicht zu dem einen Schluss führte: Phil hatte seine beste Freundin ermordet und ihr Herz gegessen.
Phil stand auf und tigerte im Zimmer umher. Schacht folgte ihm mit den Augen. Er ahnte, dass er jetzt extrem vorsichtig sein musste. Phil schien wirklich zu glauben, dass er gehen konnte. Aber das konnte er auf keinen Fall.
„Ich kann Sie nicht gehen lassen“, sagte Schacht. „Sie müssen noch mit ins Präsidium kommen und Ihre Aussage machen.“ Gleichzeitig versuchte er, langsam zum Telefonhörer zu greifen.
„Und wieso?“, fauchte Phil, stand plötzlich vor dem Tisch und knallte seine Faust auf das Telefon. „Alles, was Sie brauchen, ist auf diesem verdammten Band!“
Schacht wich unwillkürlich zurück. Um sich nicht selbst in Gefahr zu bringen, zwang er sich zur Ruhe.
„Nun, Sie wissen ja, dass wir Ihre offizielle Bestätigung brauchen, dass diese Aussage unter Eid und ohne Zwang geleistet wurde“, sagte Schacht und überlegte wild, wie er ihn aufhalten konnte.
„Bullshit!“, schrie Phil. „Sie wollen mich also einsperren, ja?“ Er zückte ein Klappmesser und richtete es auf ihn. „Sie glauben mir nicht, ja?“
Schacht riss die Hände hoch. „Nein, natürlich glaube ich Ihnen.“ Er rollte mit dem Bürostuhl ein Stück zurück. „Die Beweislast gegen Sie ist aber so erdrückend, dass wir sehr gesicherte Beweise brauchen, um Sie zu entlasten.“
„Quatsch! Welche Beweise soll es denn gegen mich geben?“ Phil setzte dem Bürostuhl nach. „Jetzt stehen Sie schon auf!“
Schacht beeilte sich zu gehorchen, ließ die Hände erhoben. Er wich noch ein Stück zurück. Wenn er den Lichtschalter an der Wand erreichen konnte, hatte er vielleicht eine Chance.
„Phil, ich möchte Ihnen doch nur helfen!“, sagte er und konnte nicht verhindern, dass seine Stimme flehend klang.
„Oh, hat da etwa jemand Angst vor mir?“, säuselte Phil. Die Klinge hob sich ein Stück und zielte jetzt direkt auf Schachts Herz. Dann fuhr er fort und wurde immer lauter. „Aber soll ich Ihnen mal was sagen? Sie arroganter Schnösel wollen mir überhaupt nicht helfen, Sie haben solche Angst, dass Sie sich bald in die Hosen pissen werden! Ihre Loyalität war nie echt und Sie –“
Schacht machte einen Satz nach hinten und hämmerte auf den Panikknopf, der sich unscheinbar unter dem Lichtschalter verbarg.
Mit einem Aufschrei sprang Phil hinter ihm her und rammte ihm die Klinge tief in den Arm, der den Schalter erreicht hatte. Schacht warf sich geistesgegenwärtig nach hinten.
Diese Aktion überraschte Phil, der hart gegen den Schreibtisch prallte und das Messer aus der Hand verlor. Schacht griff mit der linken Hand nach seiner Schreibtischlampe und schlug sie Phil ungelenk gegen den Kopf.
Ohne einen Laut sackte er zusammen.
Schwer atmend stand Schacht am Tisch und ließ die Lampe fallen. Sie fiel mit einem leisen Plonk hinein in absolute Stille.
Phil regte sich nicht.
Schacht kniete nieder und versuchte einen Puls zu fühlen. Als er einen fand, griff er zum Telefon.
Er wählte die Durchwahl für den Kollegen Hausmann.
„Schacht?“, sagte der schließlich ins Telefon. „Die Streife ist zu Ihnen unterwegs, was ist passiert?“
Er musste mehrfach neu ansetzen. „Phil Grauenfels liegt hier. Er hat mir ein Band gebracht, auf dem man hört, wie er den Freund von Katharina Grün umbringt. Die hat er ermordet. Und ihr Herz gegessen. Und ich habe ein Messer im Arm.“
In diesem Moment blickte er hinab, sah die lange Klinge. Er legte auf und rutschte am Schreibtisch hinab zu Boden.


Er kam wieder zu sich, als Hausmann ihm Ohrfeigen verpasste.
„Sie hatten Recht“, sagte er. „Eine Streife ist gerade zu Tom Ophoven gefahren. Er sitzt mit einem Genickbruch auf dem Sofa. Seit mindestens zwei Wochen.“
Hausmann half ihm in eine sitzende Position.
Phil lag nicht mehr vor dem Schreibtisch.
„Wo ist er?“, fragte Schacht kraftlos.
„Auf dem Weg ins Krankenhaus“, antwortete Hausmann. „Ihr Schlag hat ihn ausgeknockt. Wir haben den Beutel mit der Kotze gefunden. Irgendein Idiot hat den tatsächlich analysieren lassen. Wir wissen, dass er ihr Herz gegessen hat.“
Schacht öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Dann nickte er.
Und schwieg.
 

jon

Mitglied
Teammitglied
Willkommen auf/in/unter der Leselupe!

Schön, dass du den Weg zu uns gefunden hast. Wir sind gespannt auf deine weiteren Werke und freuen uns auf einen konstruktiven Austausch mit Dir.
In den "wichtigen Themen" am Anfang dieses Forums findest du einige (hoffentlich) hilfreiche Informationen für die Krimi-Ecke der Leselupe. Darüber hinaus kannst du gern mich oder einen anderen Redakteur fragen, falls dir etwas unklar ist.
Vielleicht kannst du in deinem Profil noch ein wenig mehr über dich verraten.

Viele Grüße von jon
Redakteur in diesem Forum
 

ahorn

Mitglied
Hallo Ruriro,
ich freue mich darüber, dass du den Weg gefunden hast, den Weg in die Rubrik Krimis und Thriller.
Die Idee, der Plot für deine Geschichte halte ich für interessant.

Eine Zusammenfassung deines Textes:
Teil 1
Ein Mann, Namens Schacht – vermutlich Polizeibeamter – wird geweckt. Ein zweiter Mann, Names Phil – ebenfalls vermutlich Polizeibeamter, unterhält sich vermutlich telefonisch mit einer Frau Katha, die einen Freund Tom hat, dann wird er wach und wird – vermutlich – von Schacht zu einem Tatort gerufen.
An diesem Ort wohnt nicht nur Katha, sondern sie ist das Opfer. Phil schmiedet einen Plan.
Teil 2
Monate später - Tom hat ein Albi – will Schacht den Fall schließen. Er glaubt, Phil hat sie ermordet, aber er hat keine Beweise. Sein einziges Indiz ist, dass Phil verschwunden ist. Phil erscheint, spielt Schacht ein gefälschtes Band vor, um Tom zu belasten. Schacht fällt nicht darauf rein. Phil will ihn töten, dennoch kann Schacht ihn mit einer Schreibtischlampe überwältigen.

Die Einleitung ist zwar eine Standardeinleitung, aber nicht verwerflich. Der Schluss dynamisch und spanend geschrieben.
Einzig und allein ein Teil fehlt. Die Geschichte!
Teil 1 die Einleitung, Teil 2 ist der Schluss.
Sprachliche und logische Fehler lasse ich außen vor. Denn - soweit ich den Text lese - ist es mehr ein Konzept – ausbaufähig allemal.
Deshalb gebe ich dir den Rat, dich hinzusetzten und eine Geschichte zu schreiben, die den Leser auf eine Reise mitnimmt.

Gruß
Ahorn
 

Ruriro

Mitglied
Hallo Ahorn,

danke für Deine Rückmeldung!

Ja, ich neige immer wieder dazu, relevante Angaben nicht zu machen (mir ist das ja völlig klar) - das mit der Polizei ist so ein Fall.
Die Geschichte habe ich mal im Rahmen eines Seminars geschrieben, in dem die Aufgabe war, einen Krimi auf 5 Seiten zu erzählen. Da musste ich mir was einfallen lassen! Aber ich habe schon länger vor, diese Episode in einen größer angelegten Krimi einzubauen - da wird das Ganze dann ausführlicher und ergänzt. Ich hoffe, dass Du es dann nochmal liest, und dass es Dir dann besser gefällt! ;)

Liebe Grüße!
 



 
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