Schöner Tag, sagt sie

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Mistralgitter

Mitglied
Draußen pladdert der Regen. Es ist ein nasser trüber Tag, kein schöner Tag. Auch das Land ist „kein schöner Land“, sondern übersät mit Pfützen. Das Laub klebt auf den Wegen und Straßen und schließlich auch an den Schuhen. Ich laufe, so schnell ich kann, ohne Regenschirm zum Auto. Meine Bananen, die Äpfel, meine Schokomandeln und die Milch drücke ich in der Einkaufstasche gegen meinen Leib.

„Schöner Tag“, hatte mir die Kassiererin des Supermarktes gewünscht, als ich das Wechselgeld entgegen genommen hatte.
Ich werde mich nie an dieses falsche Deutsch gewöhnen. Gehört es etwa zur Mundart, genauso wie „Schöner Abend noch“? Oder ist es ein Zeichen von Bildungsschwäche? Der türkisch-stämmige Käsemann in seinem Verkaufswagen im Nachbarort wünscht mir immer einen schönen Tag, sagt nicht „schöner Tag“. Er hat sicher einen Deutschkurs besucht und weiß, wie es heißen muss.
„Schöner Tag“, hallt es in mir nach. Und alles in mir sträubt sich dagegen. Obendrein: Wie sollte so einer wie dieser ein schöner Tag werden?

Zu Hause verstaue ich die Lebensmittel. Die Schokomandeln locken mich, und ich probiere zwei Stück. Ich hätte es wissen müssen. Äußerlich haben sie die Form einer schokoladenüberzogenen Mandel, aber von innen sind sie ein einziger Betrug: Ein einzelner verschwindend kleiner Mandelsplitter in einem erdrückend dicken Billigschokoladenbett.

Immer wieder derselbe Fehler: Ich misstraue eher meiner eigenen Einschätzung und meiner Wahrnehmung aus Furcht davor, zu schnell anderen etwas Unliebsames zu unterstellen. In meinen Augen kann es nicht sein, dass man Mandelsplitter anstelle von ganzen Mandeln verwendet und sie in mieser Kakaomasse ertränkt, anstatt sie mit gut schmeckender Schokolade zu überziehen. Genauso will ich es nicht wahr haben, dass Menschen mich ausnutzen, für ihre Zwecke benutzen und übersehe bewusst die Warnsignale und lasse trotz allem gelten, was oberflächlich gut und verheißungsvoll erscheint. Doch anschließend liegt oft nur Ungenießbares in meiner Hand.

„Alle Ampeln hast du bei Rot überfahren“, kritisierte mich einmal ein Freund. Und er hatte Recht. Es dauerte Jahre, bis ich herausfand, dass ein Mensch zwei Gesichter haben kann: Gefühlvoll und selbstlos bis zur Selbstaufgabe und zugleich berechnend und egomanisch. „Wie schön du bist“, war ein verführerischer Satz aus dieser Zeit. Er entpuppte sich als wertloser Mandelsplitter, der aus einer Billigschokolade hervorkroch. Vielleicht bin ich zu vertrauensselig und ein zu gutmütiger Troddel.

Ich betrachte die Tüte mit den Schokomandeln. Sie liegen dick und ovalrund übereinander und nebeneinander in der durchsichtigen Verpackung. Mir vergeht bei ihrem Anblick der Appetit. Eine Spielerei mit dem süßen, schönen Schein und inhaltlosen Versprechungen. Ohne weiter nachzudenken werfe ich Tüte und Mandeln getrennt in den Müll. Es ist besser so. Wie damals.
„Schöner Tag“ echot es in mir.
 
War angetan, Mistralgitter. Zucke vor näherem Lob zurück, da es leicht als winzige Mandel, von billiger Kakaomasse überzogen, missverstanden werden könnte.

Kleiner Hinweis: Der Trottel hat nichts mit der Troddel zu tun.

Gruß
Arno A.
 

Mistralgitter

Mitglied
Draußen pladdert der Regen. Es ist ein nasser trüber Tag, kein schöner Tag. Auch das Land ist „kein schöner Land“, sondern übersät mit Pfützen. Das Laub klebt auf den Wegen und Straßen und schließlich auch an den Schuhen. Ich laufe, so schnell ich kann, ohne Regenschirm zum Auto. Meine Bananen, die Äpfel, meine Schokomandeln und die Milch drücke ich in der Einkaufstasche gegen meinen Leib.

„Schöner Tag“, hatte mir die Kassiererin des Supermarktes gewünscht, als ich das Wechselgeld entgegen genommen hatte.
Ich werde mich nie an dieses falsche Deutsch gewöhnen. Gehört es etwa zur Mundart, genauso wie „Schöner Abend noch“? Oder ist es ein Zeichen von Bildungsschwäche? Der türkisch-stämmige Käsemann in seinem Verkaufswagen im Nachbarort wünscht mir immer einen schönen Tag, sagt nicht „schöner Tag“. Er hat sicher einen Deutschkurs besucht und weiß, wie es heißen muss.
„Schöner Tag“, hallt es in mir nach. Und alles in mir sträubt sich dagegen. Obendrein: Wie sollte so einer wie dieser ein schöner Tag werden?

Zu Hause verstaue ich die Lebensmittel. Die Schokomandeln locken mich, und ich probiere zwei Stück. Ich hätte es wissen müssen. Äußerlich haben sie die Form einer schokoladenüberzogenen Mandel, aber von innen sind sie ein einziger Betrug: Ein einzelner verschwindend kleiner Mandelsplitter in einem erdrückend dicken Billigschokoladenbett.

Immer wieder derselbe Fehler: Ich misstraue eher meiner eigenen Einschätzung und meiner Wahrnehmung aus Furcht davor, zu schnell anderen etwas Unliebsames zu unterstellen. In meinen Augen kann es nicht sein, dass man Mandelsplitter anstelle von ganzen Mandeln verwendet und sie in mieser Kakaomasse ertränkt, anstatt sie mit gut schmeckender Schokolade zu überziehen. Genauso will ich es nicht wahr haben, dass Menschen mich ausnutzen, für ihre Zwecke benutzen und übersehe bewusst die Warnsignale und lasse trotz allem gelten, was oberflächlich gut und verheißungsvoll erscheint. Doch anschließend liegt oft nur Ungenießbares in meiner Hand.

„Alle Ampeln hast du bei Rot überfahren“, kritisierte mich einmal ein Freund. Und er hatte Recht. Es dauerte Jahre, bis ich herausfand, dass ein Mensch zwei Gesichter haben kann: Gefühlvoll und selbstlos bis zur Selbstaufgabe und zugleich berechnend und egomanisch. „Wie schön du bist“, war ein verführerischer Satz aus dieser Zeit. Er entpuppte sich als wertloser Mandelsplitter, der aus einer Billigschokolade hervorkroch. Vielleicht bin ich zu vertrauensselig und ein zu gutmütiger Trottel.

Ich betrachte die Tüte mit den Schokomandeln. Sie liegen dick und ovalrund übereinander und nebeneinander in der durchsichtigen Verpackung. Mir vergeht bei ihrem Anblick der Appetit. Eine Spielerei mit dem süßen, schönen Schein und inhaltlosen Versprechungen. Ohne weiter nachzudenken werfe ich Tüte und Mandeln getrennt in den Müll. Es ist besser so. Wie damals.
„Schöner Tag“ echot es in mir.
 

molly

Mitglied
Ich habe die Geschichte sehr gern gelesen, eben mit einem kleinen Zwinkern, dass Du doch schon einwenig in Schwaben angekommen bist. Nein, muss nicht in Gänsefüßchen. Du magst doch lieber richtiges Deutsch.

Viele Grüße

molly
 

Freakingcat

Mitglied
Ein schöner Text, der für mich als Österreicher jedoch nicht so einfach war zu verstehen. Schon das zweite Wort "pladdern" musste ich im Duden nachschlagen den ich bei

Ich werde mich nie an dieses falsche Deutsch gewöhnen
in die Hand nahm, da ich plötzlich neugierig wurde, ob bewusst falsche Wörter in den Text eingebaut wurden.

Das Wortspiel von "kein schöner Land" nehme ich an hast du aus dem Volkslied

Kein schöner Land in dieser Zeit
als hier das uns´re weit und breit
wo wir uns finden
wohl unter Linden
zur Abendszeit
übernommen. Diese Assoziation gefällt mir, jedoch wie viele Leser kennen dieses Volkslied? Ein kleiner Hinweis in einem Nebensatz würde den Zusammenhang klarer herausstellen

Abschließend ein interessanter Text, der wegen seiner Detailverspieltheit sehr ansprechend wirkt.
 

Mistralgitter

Mitglied
@molly, das ist ja lustig, dass ich ausgerechnet beim "Trottel" in Schwaben angekommen bin, hat Schmunzeleffekt.

@freakingcat, daran, dass man das Volkslied "Kein schöner Land" nicht kennen könnte, hab ich überhaupt nicht gedacht. Danke für den wichtigen Hinweis. In dieser Lied-Zeile ist jedoch das "schöner" anders gemeint als in meinem Text, nämlich in dem Sinne "Es gibt kein schöneres Land in dieser Zeit...".

Das "pladdern" ist lautmalerisch und kommt aus dem norddeutschen Sprachraum - und nun kommt meine ganze Vergangenheit zum Vorschein: Meine Mutter stammt aus Mecklenburg, mein Vater aus Oberbayern, ich bin im Ruhrgebiet zur Schule gegangen, hab in Hessen studiert, hab dann jahrzehntelang in Baden gewohnt und lebe jetzt seit Kurzem auf dem Land im Schwäbischen. Da soll sich nun einer auskennen mit den Sprachgewohnheiten. Das geht dann manchmal nahtlos in einander über, naja, zum Teil. Ich kann nämlich keinerlei Mundart - und weiche daher ins Hochdeutsche aus ;-)
 

Mistralgitter

Mitglied
Draußen pladdert der Regen. Es ist ein nasser trüber Tag, kein schöner Tag. Auch das Land ist „kein schöner Land“*, sondern übersät mit Pfützen. Das Laub klebt auf den Wegen und Straßen und schließlich auch an den Schuhen. Ich laufe, so schnell ich kann, ohne Regenschirm zum Auto. Meine Bananen, die Äpfel, meine Schokomandeln und die Milch drücke ich in der Einkaufstasche gegen meinen Leib.

„Schöner Tag“, hatte mir die Kassiererin des Supermarktes gewünscht, als ich das Wechselgeld entgegen genommen hatte.
Ich werde mich nie an dieses falsche Deutsch gewöhnen. Gehört es etwa zur Mundart, genauso wie „Schöner Abend noch“? Oder ist es ein Zeichen von Bildungsschwäche? Der türkisch-stämmige Käsemann in seinem Verkaufswagen im Nachbarort wünscht mir immer einen schönen Tag, sagt nicht „schöner Tag“. Er hat sicher einen Deutschkurs besucht und weiß, wie es heißen muss.
„Schöner Tag“, hallt es in mir nach. Und alles in mir sträubt sich dagegen. Obendrein: Wie sollte so einer wie dieser ein schöner Tag werden?

Zu Hause verstaue ich die Lebensmittel. Die Schokomandeln locken mich, und ich probiere zwei Stück. Ich hätte es wissen müssen. Äußerlich haben sie die Form einer schokoladenüberzogenen Mandel, aber von innen sind sie ein einziger Betrug: Ein einzelner verschwindend kleiner Mandelsplitter in einem erdrückend dicken Billigschokoladenbett.

Immer wieder derselbe Fehler: Ich misstraue eher meiner eigenen Einschätzung und meiner Wahrnehmung aus Furcht davor, zu schnell anderen etwas Unliebsames zu unterstellen. In meinen Augen kann es nicht sein, dass man Mandelsplitter anstelle von ganzen Mandeln verwendet und sie in mieser Kakaomasse ertränkt, anstatt sie mit gut schmeckender Schokolade zu überziehen. Genauso will ich es nicht wahr haben, dass Menschen mich ausnutzen, für ihre Zwecke benutzen und übersehe bewusst die Warnsignale und lasse trotz allem gelten, was oberflächlich gut und verheißungsvoll erscheint. Doch anschließend liegt oft nur Ungenießbares in meiner Hand.

„Alle Ampeln hast du bei Rot überfahren“, kritisierte mich einmal ein Freund. Und er hatte Recht. Es dauerte Jahre, bis ich herausfand, dass ein Mensch zwei Gesichter haben kann: Gefühlvoll und selbstlos bis zur Selbstaufgabe und zugleich berechnend und egomanisch. „Wie schön du bist“, war ein verführerischer Satz aus dieser Zeit. Er entpuppte sich als wertloser Mandelsplitter, der aus einer Billigschokolade hervorkroch. Vielleicht bin ich zu vertrauensselig und ein zu gutmütiger Trottel.

Ich betrachte die Tüte mit den Schokomandeln. Sie liegen dick und ovalrund übereinander und nebeneinander in der durchsichtigen Verpackung. Mir vergeht bei ihrem Anblick der Appetit. Eine Spielerei mit dem süßen, schönen Schein und inhaltlosen Versprechungen. Ohne weiter nachzudenken werfe ich Tüte und Mandeln getrennt in den Müll. Es ist besser so. Wie damals.
„Schöner Tag“ echot es in mir.

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Anmerkung* "Kein schöner Land" ist die Anfangszeile eines Volksliedes

Kein schöner Land in dieser Zeit
als hier das uns´re weit und breit,
wo wir uns finden
wohl unter Linden
zur Abendzeit.

Da haben wir so manche Stund´
gesessen da in froher Rund'
und taten singen,
die Lieder klingen
im Eichengrund.

Dass wir uns hier in diesem Tal
noch treffen so viel hundertmal,
Gott mag es schenken
Gott mag es lenken
er hat die Gnad'.

Nun Brüder eine gute Nacht.
Der Herr im hohen Himmel wacht,
in seiner Güte
uns zu behüten
ist Er bedacht.

Text und Musik: Anton Wilhelm Florentin von Zuccalmaglio 1838. Nach der Veröffentlichung von „Kein schöner Land“ 1912 im Liederbuch „Unsere Lieder“ des Österreichischen Wandervogels etablierte sich das Lied in der Wandervogelbewegung. (Quelle:http://www.volksliederarchiv.de/kein-schoener-land-in-dieser-zeit/)
 



 
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