Ich finde den Text "fabulös", denn ich kanns nachvollziehen, das mit dem "Ich will eigentlich ..., aber ich schalte nicht um."
So gings mir gerade gestern Abend mit dem Musikantenstadl auch. Ich sah das Intro, fasziniert von meinem eigenen aufschießenden Ekel, ein seltenes, eher fremdartiges Gefühl, dem ich einfach Zeit geben musste, sich in meinem Inneren zu entwickeln.
Und währenddessen entwickelte sich der tausendbunte Musikantenstadl vor meinen faszinierten Augen, massig Publikum, eine Riesenhalle gefüllt mit Menschen, die Akteure traten auf, ein verfetteter Andy Borg (heißt der? glaube ich)auf einer Original-Bierkutsche von Anno X, jeder winkte jedem, alle zwanghaft lustig, alle zwangskostümiert in Hohlwelt-Outfits - und die ausgegebene Parole war, x-fach im Stadl wiederholt, "wir feiern".
Es war nicht ersichtlich, was zu feiern gewesen wäre, außer dem zentralen Thema: Bier, Bierfassanstich, saufen.
Das unglaubliche Ritual eines öffentlich heilig-verzauberten Alkoholikerwahns.
Nach jeder Szene wollte ich eigentlich dringend abschalten, aber ich konnte nicht, denn meine Neugierde wollte ständig auch die nächste unfassbare Szene noch erleben.
Und während die feierten, grundlos dauernd klatschten, ins Leere winkten, indem sie einfach nur sich selbst beschworen zu feiern, stellte ich mir vor, es gäbe einen Musikantenstadl, in dem statt Bierfässern und Säufern, Zigarrenkisten, Zigarettenpackungen, Tabaksballen von Kettenrauchern "angestochen" und befeiert würden.
Dann kam mir die Vermutung, das könne alles gar nicht ernst gemeint sein, es sei eine live-Satire, vielleicht ein Sketch der Monty Pythons, und ich schaute genauer hin, die Darsteller zu erkennen.
War aber nicht, Andy Borg war tatsächlich sich selbst und die anderen waren auch nur sich selbst - jeder von denen spielte sich selbst. Die gaben sich so, wie sie waren. Dies war dieser Menschen Kernbefindlichkeit.
Und alle sprachen in fremder Zunge, Hochdeutsch-fern.
Und dann kam mir gerade das grotesk und unglaubwürdig vor, denn wie können sich Jemande öffentlich selbst spielen und dabei ausschauen wie Donald Ducks und Daisies und Goofies, und dabei diesen hohlweltlichen Slang sprechen?
Wie ichs zuletzt dann doch noch zum Abschalten schaffte?
Ich stellte mir vor, dieses vor meinen Augen und Ohren Musikantenstadelige sei, aufgrund des massenhaften Zulaufes, wahrscheinlich eine der im Alltag versteckten Kernbefindlichkeiten der meisten/ allzu vieler Deutscher - und dann musste ich abschalten und -obwohl ich gar kein Fassbier getrunken hatte- einfach nur noch kotzen gehen ...
Und wieder bestätigt mein Eindruck: Fernsehen ist Körperverletzung! Nur Masochisten und Perverse setzen sich vor die Glotze und lassen sich dann von zwanghaft-gute-Stimmung-Junkies zudröhnen.
Dasselbe bei der Vorführung von Musik "alter Meister" in TV und Alltag.
Da wird in merkwürdig altmodischen Ritualen (die Verpackung) und in altmodischen Aufzügen von autoritativen Meister-Dirigenten zwanghaft und unmotiviert "Würde" erzeugt, und in dieser Schwindelpackung findet dann die "Musik" statt. Das Ritual der Erzeugung von mindestens derselben Wichtigkeit wie die dargebotene Musik. Überwertig präsentiert, weil Publikum die Konserve mit Inhalt "Hier überwertig" erwartet, weil man es diesem generationenlang wie Skinner-Ratten behavoristisch an-suggeriert hat.
Dabei, muss mal gesagt werden, sind das dann gar nicht Bach, Haydn, Pergolesi, Vivaldi, oder gar Mozart - es sind lediglich ihre Versteinerungen, die solcherart dargeboten werden können - nichts "Lebiges" ist mehr dabei, es sind lamoryante Leichenfeiern solche Darbietungen.
ZB der Mozart, mein Gott, das war ein Genie, nicht aufgesetzt, sondern wirklich, der hat mitten in seinem immer chaotischen Alltag Musik geschrieben, wie heute irgendwer eine SMS ins Handy tippt, der hat im Stehen komponiert, auf dem Klo, im Kopfstand, beim Essen nebenbei, wenns Kauen zu lange dauerte, dem fielen beim An- und Umziehen die Melodien zu, der wäre im Wachkoma noch musikalisch-genialer gewesen als einer dieser heutigen Möchtegern-Karajans, die seine Musik nur deshalb aufführen und davon leben, weil ihnen selbst keine einfällt.
Ein Mozart hätte sich die lächerlich-altbackene Aufführung seiner Kunst in heute üblicher Manier gehörig verbeten, den Karajans den Stinkefinger gezeigt, er wäre mit seinem Können 1000mal lieber lieber auf der Agora aufgetreten, als in andächtigen Krematorien vor Blinden und Tauben.
Und "der feierliche Vivaldi"? Der ist viel weniger "feierlich", als er lebendig ist und war.
Es ist ein grauenhaft-misstönender ästhetischer Fehlgriff, seine Melodien in die Bonbonieren der befrackten, vollgefressenen Feierlichkeit abzulegen.
Wer ihm richtig zuhören kann, der hört in seiner Musik die Glut der Lebens, da ist nichts Naphtalin-Mottenstaubiges, nichts Versteinertes dran und drin. Ein in befrackten Konventionen eingefrorener Vivaldi, das ist keiner mehr.
Vivaldi als Mensch/ sein Lebensgefühl:
[wikipedia erwähnts am Rande:
Vivaldi betreute (einst) das Mädchenorchester des Ospedale della Pietà, und -nota bene- zwar zunächst als Lehrer auf verschiedenen Streichinstrumenten ...] -
und so ging sein kurzes Leben auch weiter: Vivaldi und die Weiblichkeit, er als Rotschopf und gelerner Pfarrer, der seinen Job aber dann nach kurzem Antesten "aus gesundheitlichen Gründen !!!" aufgegeben hat, und welche Frau schon, wenn auch nur unbewusst, braucht keinen geistlichen und musikalischen Beistand ...
Später im Leben reist ein offenbar dann längst ge-outeter Herr Vivaldi ganz offen mit einer pubertären Göre durch die Weltgeschichte und dreht vertrockneten Zeitgenossen eine freche Nase - und was für einen Zinken der hatte!