GerRey
Mitglied
Nichts, wirklich nichts kann mir im Leben mehr sein als das Schreiben. Auch nicht die hingebungsvollste Stunde mit der schönsten Frau der Welt.
Reißt man mir nicht gerade Zähne oder ähnlich Lustvolles, gehe ich morgens schlafen und stehe nachmittags auf. Ich erwache auf der Couch im Wohnzimmer (dort ist es ruhiger als im Schlafzimmer, dessen Fenster in den Garten schauen), schlage die Augen auf und sehe seit einiger Zeit im ersten Blick des wiedergewonnen Tages das runde Bohrloch in der Wand, das ich mit weißer Spachtelmasse verschlossen habe, gleich neben einer gelungenen Kopie aus den 70er Jahren eines Bildes von Tamara de Lempicka. Eigentlich nicht schön. Das Loch - nicht das Bild! Und ich wollte den Fleck schon übermalen, bin aber nicht sicher, ob ich den richtigen Farbton der Wandfarbe hinbekomme. Das Umhängen der Bilder an der Wand wäre auch noch eine Möglichkeit, kostet aber Muße. Also werde ich den Fleck beim Erwachen dort wohl noch eine Weile anschauen müssen.
Gestern begann mich dieser Fleck plötzlich auf eine andere Weise zu interessieren. Ich fragte mich, was wäre, wenn das Loch nicht von einer Bohrmaschine stammen würde (vor kurzer Zeit hatte ich dort einen schweren Spiegel hängen, den mir aber eine Schönheit abnahm, weil sie meinte, der Spiegel würde sie schöner widerspiegeln als mich - ein Argument, dem ich mich fügen musste).
Aber jemand konnte da auch auf die Wand geschossen haben.
Ich stand auf, wusch mich und zog mich an.
Ob der, der geschossen haben könnte, mich getroffen haben würde, wenn er auf mich geschossen hätte?
Ich nahm ein Maßband und maß die Höhe.
Nein, mich würde er nicht getroffen haben. Der Schuss wäre um sechs Zentimeter über mich hinweg gegangen.
Ich wärmte mir Essen.
Warum sollte jemand auf mich geschossen haben? Und womit? Ich empfange keine Gäste, schon gar keine mit Waffen.
Beim Essen dachte ich, dass ich bei einer Biene sicher schwach geworden wäre und das Zutrittsverbot zeitweilig aufgehoben hätte. Aber Bienen schießen nicht. Bienen stechen.
Nach dem Essen setzte ich mich an den Computer und begann die bisherigen Erkenntnisse meinem Literarischen Tagebuch beizufügen. Plötzlich stand da der Beginn einer Geschichte.
“Sie hatte auf ihn geschossen. In Kopfhöhe. Sechs Zentimeter weiter runter - Kilian hatte das gleich nachgemessen - und sie hätte eine Furche auf seiner Glatze hinterlassen, wo er dereinst den Mittelscheitel seiner brustlangen Haare gezogen hatte. Und von da war es nicht weit, ihm ein drittes Auge verpasst zu haben.
Jetzt lag sie da, vom Rückstoß der Pistole gegen die Wand neben die Stereoanlage geworfen, das Haar zerzaust, die Beine ausgestreckt und weit offen, sodass man unter dem Rock ihre weiße Unterwäsche mit den Daumennagel-großen roten Herzen sehen konnte”
Der Rückstoß der Waffe? Schweres Kaliber?
Die Waffe gehört ihm. Er war damit schießen und hat sie ungesichert liegen gelassen.
Aber wie kommt er zu einer Waffe?
Da erinnerte ich mich, dass mir zur Zeit des Jugoslawien-Krieges einmal jemand in einem schummrigen Café im 10. Bezirk in Wien eine geschmuggelte Handgranate für 50 Deutsche Mark angeboten hatte.
Na wenn Handgranate, dann wohl auch Pistole! Sagen wir, für 200 DM.
Also suchte ich im Internet, welche “Spielzeuge” es da so zur Auswahl gegeben hatte. Tokarew TT-33 7,62x25mm, mit einem kommunistischen Stern als Griff-Verzierung.
Perfekt!
Aber ob die so einen Rückstoß hat, dass es die Frau gleich umhaut, dass sie bewusstlos liegen bleibt?
Vielleicht wenn sie zusätzlich stark betrunken ist?
Wie kommt die Frau ins Haus?
Seit letztem Weihnachten schob ich an einer anderen Geschichte herum, die zu viele Elemente hatte, sodass ich nicht richtig wusste, was ich damit machen sollte. “Mot der Rocker”. Er bekam - zu Weihnachten von mir - eine “weiße Moto Guzzi V7 Special, Baujahr 1969”, weil die Geschichte von Anfang der 70er Jahre bis in die 2000er geht. Wäre doch schade, wenn das Prachtstück verkommt, bevor “Mot der Rocker” endlich in die Gänge kommt. Also leihen wir die Maschine an Kilian aus, der bei einer abendlichen Ausfahrt die betrunkene Sandra kennenlernt und seine Lebensgefährtin Elli mit Sandra betrügt. Titel: "Aber der Skorpion sticht doch".
(Die Moto Guzzi und Teile von Mot gehen auf eine reale Person zurück, meinen Freund Werner, der jetzt im besten Fall auf einer Insel in Griechenland lebt - im schlechtesten an einer Überdosis gestorben ist.)
Gegen 22 Uhr war die Kurzgeschichte fertig geschrieben und im Forum veröffentlicht. Und ich hatte von 13 - 22 Uhr damit Sex (womit natürlich die Arbeit daran gemeint ist). Da soll mir einer einmal die Frau zeigen, die da mithalten kann!
Und wenn diese Geschichte auch kein Meisterwerk ist, so ist sie doch im Netz und kann bekritelt werden wie ein Kind, das einem ständig davonläuft.
Natürlich wollen wir alle gelesen werden, weil das Teil unserer Eitelkeit ist. Aber wenn der Text draußen ist, dann ist uns eigentlich nur noch derjenige wichtig, an dem wir gerade arbeiten oder nach dem wir suchen.
Die eine Art, wie ich meine Geschichten finde, habe ich oben dargestellt. Eine andere Art sind meine Brieffreundinnen. Gäbe es sie nicht, würde ich heute schon nicht mehr schreiben. Ich würde noch lesen, sicher. Aber schreiben?
Ich hatte nie den Ehrgeiz, Autor zu werden - mich so weit zu verbiegen, um endlich angenommen zu werden. Schöner ist es, frei zu schaffen, ohne auf Verdienst hoffen zu müssen. Ich experimentiere gerne - schaue, was geht, wie man heute sagt. Und es ist meistens das Ungewöhnliche, das mich fasziniert - mit dem ich herumspiele: Personen, Gegenstände oder Begebenheiten. Und da haben mich Frauen immer schon mehr fasziniert als Männer. Das fängt bei der Kleidung an. Ich war (und bin) daran interessiert, wie sich eine Frau ausstattet - wie sie sich in Erscheinung setzen oder gesehen werden will. Und manchmal hat mich das auch eine schöne Stange Geld gekostet. Aber ich bereue nichts.
Stellen wir uns vor, eine Frau trifft sich mit einem alten Bekannten, den sie lange nicht gesehen hat. Welche Unterwäsche wird sie wählen? Eine zum Kleid passende oder …
Sie denkt an “oder …”, redet sich dann aber darauf aus, dass nichts anderes zum Kleid passte. Wie sie Miniröcke auch nur wegen der Hitze trägt, wenn man nachfragt.
So ticken viele Frauen - und ihnen dabei zuzusehen ist eine Quelle an Inspiration. Deshalb schreibe ich lieber mit Frauen als mit Männern. Denn bei Letzteren gibt's in der Regel nur Fußball, Autos und andere Wichtigtuereien. Was natürlich nicht heißt, dass man kein Thema fände, wenn man sich gegenseitig bemühte.
Corona hat viele der schönen Gesichter hinter Masken verschwinden lassen. Aber das Leuchten der Augen ist bei manchen so stark geworden, dass es einem die Seele erwärmt. Dies ist ein großer Zauber - und wer würde jetzt glauben, dass ich einem solchen im Besonderen nicht nachzugehen versuchte, wenn es mich nahezu eine Zeitlang täglich kurz berührte.
Ja, stimmt:
Diejenige, die es aussandte und nun durch Ablehnung ersetzte - an einem kalten 21. März, kurz vor sechs Uhr morgens, an einem Fußgängerübergang einer breiten Straße, im aneinander Vorbeilaufen, zwischen dem Rand der Maske unten und der pelzverbämten Mütze oben, und abwehrend die Hand bis in Brusthöhe hebend, um alles von sich wegzudrücken.
Rückkehr der Eiszeit zu Frühlingsbeginn!
Auch das gibt Anlass zum Schreiben.
Zumindest von Überschriften.
Ausgehend von einer Notiz im Literarischen Tagebuch vom 13.04.2022
Reißt man mir nicht gerade Zähne oder ähnlich Lustvolles, gehe ich morgens schlafen und stehe nachmittags auf. Ich erwache auf der Couch im Wohnzimmer (dort ist es ruhiger als im Schlafzimmer, dessen Fenster in den Garten schauen), schlage die Augen auf und sehe seit einiger Zeit im ersten Blick des wiedergewonnen Tages das runde Bohrloch in der Wand, das ich mit weißer Spachtelmasse verschlossen habe, gleich neben einer gelungenen Kopie aus den 70er Jahren eines Bildes von Tamara de Lempicka. Eigentlich nicht schön. Das Loch - nicht das Bild! Und ich wollte den Fleck schon übermalen, bin aber nicht sicher, ob ich den richtigen Farbton der Wandfarbe hinbekomme. Das Umhängen der Bilder an der Wand wäre auch noch eine Möglichkeit, kostet aber Muße. Also werde ich den Fleck beim Erwachen dort wohl noch eine Weile anschauen müssen.
Gestern begann mich dieser Fleck plötzlich auf eine andere Weise zu interessieren. Ich fragte mich, was wäre, wenn das Loch nicht von einer Bohrmaschine stammen würde (vor kurzer Zeit hatte ich dort einen schweren Spiegel hängen, den mir aber eine Schönheit abnahm, weil sie meinte, der Spiegel würde sie schöner widerspiegeln als mich - ein Argument, dem ich mich fügen musste).
Aber jemand konnte da auch auf die Wand geschossen haben.
Ich stand auf, wusch mich und zog mich an.
Ob der, der geschossen haben könnte, mich getroffen haben würde, wenn er auf mich geschossen hätte?
Ich nahm ein Maßband und maß die Höhe.
Nein, mich würde er nicht getroffen haben. Der Schuss wäre um sechs Zentimeter über mich hinweg gegangen.
Ich wärmte mir Essen.
Warum sollte jemand auf mich geschossen haben? Und womit? Ich empfange keine Gäste, schon gar keine mit Waffen.
Beim Essen dachte ich, dass ich bei einer Biene sicher schwach geworden wäre und das Zutrittsverbot zeitweilig aufgehoben hätte. Aber Bienen schießen nicht. Bienen stechen.
Nach dem Essen setzte ich mich an den Computer und begann die bisherigen Erkenntnisse meinem Literarischen Tagebuch beizufügen. Plötzlich stand da der Beginn einer Geschichte.
“Sie hatte auf ihn geschossen. In Kopfhöhe. Sechs Zentimeter weiter runter - Kilian hatte das gleich nachgemessen - und sie hätte eine Furche auf seiner Glatze hinterlassen, wo er dereinst den Mittelscheitel seiner brustlangen Haare gezogen hatte. Und von da war es nicht weit, ihm ein drittes Auge verpasst zu haben.
Jetzt lag sie da, vom Rückstoß der Pistole gegen die Wand neben die Stereoanlage geworfen, das Haar zerzaust, die Beine ausgestreckt und weit offen, sodass man unter dem Rock ihre weiße Unterwäsche mit den Daumennagel-großen roten Herzen sehen konnte”
Der Rückstoß der Waffe? Schweres Kaliber?
Die Waffe gehört ihm. Er war damit schießen und hat sie ungesichert liegen gelassen.
Aber wie kommt er zu einer Waffe?
Da erinnerte ich mich, dass mir zur Zeit des Jugoslawien-Krieges einmal jemand in einem schummrigen Café im 10. Bezirk in Wien eine geschmuggelte Handgranate für 50 Deutsche Mark angeboten hatte.
Na wenn Handgranate, dann wohl auch Pistole! Sagen wir, für 200 DM.
Also suchte ich im Internet, welche “Spielzeuge” es da so zur Auswahl gegeben hatte. Tokarew TT-33 7,62x25mm, mit einem kommunistischen Stern als Griff-Verzierung.
Perfekt!
Aber ob die so einen Rückstoß hat, dass es die Frau gleich umhaut, dass sie bewusstlos liegen bleibt?
Vielleicht wenn sie zusätzlich stark betrunken ist?
Wie kommt die Frau ins Haus?
Seit letztem Weihnachten schob ich an einer anderen Geschichte herum, die zu viele Elemente hatte, sodass ich nicht richtig wusste, was ich damit machen sollte. “Mot der Rocker”. Er bekam - zu Weihnachten von mir - eine “weiße Moto Guzzi V7 Special, Baujahr 1969”, weil die Geschichte von Anfang der 70er Jahre bis in die 2000er geht. Wäre doch schade, wenn das Prachtstück verkommt, bevor “Mot der Rocker” endlich in die Gänge kommt. Also leihen wir die Maschine an Kilian aus, der bei einer abendlichen Ausfahrt die betrunkene Sandra kennenlernt und seine Lebensgefährtin Elli mit Sandra betrügt. Titel: "Aber der Skorpion sticht doch".
(Die Moto Guzzi und Teile von Mot gehen auf eine reale Person zurück, meinen Freund Werner, der jetzt im besten Fall auf einer Insel in Griechenland lebt - im schlechtesten an einer Überdosis gestorben ist.)
Gegen 22 Uhr war die Kurzgeschichte fertig geschrieben und im Forum veröffentlicht. Und ich hatte von 13 - 22 Uhr damit Sex (womit natürlich die Arbeit daran gemeint ist). Da soll mir einer einmal die Frau zeigen, die da mithalten kann!
Und wenn diese Geschichte auch kein Meisterwerk ist, so ist sie doch im Netz und kann bekritelt werden wie ein Kind, das einem ständig davonläuft.
Natürlich wollen wir alle gelesen werden, weil das Teil unserer Eitelkeit ist. Aber wenn der Text draußen ist, dann ist uns eigentlich nur noch derjenige wichtig, an dem wir gerade arbeiten oder nach dem wir suchen.
Die eine Art, wie ich meine Geschichten finde, habe ich oben dargestellt. Eine andere Art sind meine Brieffreundinnen. Gäbe es sie nicht, würde ich heute schon nicht mehr schreiben. Ich würde noch lesen, sicher. Aber schreiben?
Ich hatte nie den Ehrgeiz, Autor zu werden - mich so weit zu verbiegen, um endlich angenommen zu werden. Schöner ist es, frei zu schaffen, ohne auf Verdienst hoffen zu müssen. Ich experimentiere gerne - schaue, was geht, wie man heute sagt. Und es ist meistens das Ungewöhnliche, das mich fasziniert - mit dem ich herumspiele: Personen, Gegenstände oder Begebenheiten. Und da haben mich Frauen immer schon mehr fasziniert als Männer. Das fängt bei der Kleidung an. Ich war (und bin) daran interessiert, wie sich eine Frau ausstattet - wie sie sich in Erscheinung setzen oder gesehen werden will. Und manchmal hat mich das auch eine schöne Stange Geld gekostet. Aber ich bereue nichts.
Stellen wir uns vor, eine Frau trifft sich mit einem alten Bekannten, den sie lange nicht gesehen hat. Welche Unterwäsche wird sie wählen? Eine zum Kleid passende oder …
Sie denkt an “oder …”, redet sich dann aber darauf aus, dass nichts anderes zum Kleid passte. Wie sie Miniröcke auch nur wegen der Hitze trägt, wenn man nachfragt.
So ticken viele Frauen - und ihnen dabei zuzusehen ist eine Quelle an Inspiration. Deshalb schreibe ich lieber mit Frauen als mit Männern. Denn bei Letzteren gibt's in der Regel nur Fußball, Autos und andere Wichtigtuereien. Was natürlich nicht heißt, dass man kein Thema fände, wenn man sich gegenseitig bemühte.
Corona hat viele der schönen Gesichter hinter Masken verschwinden lassen. Aber das Leuchten der Augen ist bei manchen so stark geworden, dass es einem die Seele erwärmt. Dies ist ein großer Zauber - und wer würde jetzt glauben, dass ich einem solchen im Besonderen nicht nachzugehen versuchte, wenn es mich nahezu eine Zeitlang täglich kurz berührte.
Ja, stimmt:
Diejenige, die es aussandte und nun durch Ablehnung ersetzte - an einem kalten 21. März, kurz vor sechs Uhr morgens, an einem Fußgängerübergang einer breiten Straße, im aneinander Vorbeilaufen, zwischen dem Rand der Maske unten und der pelzverbämten Mütze oben, und abwehrend die Hand bis in Brusthöhe hebend, um alles von sich wegzudrücken.
Rückkehr der Eiszeit zu Frühlingsbeginn!
Auch das gibt Anlass zum Schreiben.
Zumindest von Überschriften.
Ausgehend von einer Notiz im Literarischen Tagebuch vom 13.04.2022
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