Schuld

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Max Neumann

Mitglied
Zwischen Trümmern und Glassplittern
Umgeben von einer Million Fremden
Graue Kleckse wie ein Ekel aus Angst
Sehen kann ich niemanden von ihnen

Ihr Atem bedeckt meine Erinnerungen
Aber ist ihr Atem nicht mein Atem?
Weil ich sie sah unter meinem Spiegel
Am Tag der verbrennenden Kinderfotos

Darf ich heute endlich hier verschwinden?
Besorge mir rote Jacke und schwarze Hose
Verbirg mein Gesicht unter deinem Lächeln
Entgehe mit mir einer Million Fremden

Längst haben sie mein Haus heimgesucht
Darum muss ich endlich entkommen
Darf ich es ohne dein Einverständnis tun?
Suche für mich eine neue große Wiese

Um auf sie Tuch und Koffer zu stellen
Breite das Tuch bitte gewissenhaft aus
Die Ränder müssen kerzenglatt sein
Wirst du das genauso erledigen?

Auf dich muss ich mich verlassen
Du bist nämlich keine Fremde mehr
Dann wirst du sorgsam den Koffer öffnen
Insbesonders auf den Verschluss achten

Zwischen zwei Zahlen ist er angebracht
Über und über mit roter Asche bedeckt
Von Trümmern und Glassplittern die Reste
An diesem Tag wird alles vorüber sein

Streiche die Ränder sehr sehr glatt
Dann öffnest du bitte den Koffer
Verstecke zuvor alle Gründe zu fühlen
Im Koffer wirst du sehr sehr viel finden
 
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Mitglied
Wie immer finde ich es mega spannend, in diese spezielle Gedanken- und Formulierungswelt einzutauchen, lieber Max.

Deine Texte sind für mich immer wie Schatzkästchen, die mit jeder Schicht, die man abhebt, weitere funkelnde Gebilde an die Oberfläche bringen und dazu einladen, mit jeder Schicht weiter in die Tiefe zu tauchen. Diese Geradlinigkeit vermischt mit behutsamer Eindringlichkeit "macht" etwas mit mir als Leserin, dem ich mich immer wieder gerne aussetze. Und immer ist es dann wie eine Reise in eine (bloß scheinbare) Parallelwelt mitten in der mir bekannten Welt. Die leichte Verzerrung von Ton und Blickwinkel, die deine Texte in sich tragen (für mich jedenfalls "klingen" sie so und fühlen sich so an), lässt deine Texte schweben, sie aber nie den Bezug zur Realität verlieren. Wie du das machst, ist mir ein Rätsel...aber eines, das ich nicht auflösen möchte, denn ich ahne: das ist der Zauber, der deine Texte so besonders macht.

Wie immer gernst gelesen!

LG,
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