Schuld und Glaube

3,00 Stern(e) 2 Bewertungen


In der Gesellschaft ist’s halt Brauch
sich auch mal zu bedenken.
Was einer hat, will andrer auch.
Nicht immer geht’s um’s Schenken.

Und weil’s verschiedne Gaben gibt,
die man verschieden wertet,
sind Leistungen, die man dann wiegt,
auch maßgerecht geerdet.

Gleicht eine Kuh ‘nem Kieselstein,
ein Sinnen Steineschleppen?
Wer setzt den Preis dafür wohl ein?
Durch Macht sind’s keine Deppen.

Und dennoch gibt’s bilateral
ein ehrendes Versprechen,
daß wenn Verzug eintritt einmal,
darf man das Wort nicht brechen.

So hat vertraut ein guter Mann
einst seines Nachbarn Schwüre.
Als es dann kam aufs retour an,
hat dieser nur noch Schnüre.

„Du siehst, der Geier sitzt all hier
auf jedem meiner Stühle.
Zu allem Recht, gesteh ich dir,
wie auch, wie ich mich fühle.

Denn nichts von allem, was noch steht
in diesem Haus der Leere
gehört noch mir. Vom Staat verschmäht
blieb nur noch meine Ehre.“

„Das mag schon sein. Ich glaub es wohl.
Dort ändert ‘s nicht die Lage.
Wenn auch die Börse dein ist hohl,
was nun? steht hier zur Frage.“

„Ein letztes Ding, das ist noch mein.
Er schläft hinter der Ecke.
Ein Wink von dir und er ist dein.
Erlaub, daß ich ihn wecke.“

Ein Pfiff ertönt, drauf hin ein Ruf.
Was mag da bloß erscheinen?
Ist’s noch ein Hund, den Gott erschuf,
das Wesen auf drei Beinen.

Es schleift sich näher würdelos.
Bedeckt von vielen Wunden.
Die Augen zu, der Blähbauch groß,
Der Schwanz ist arg zerschunden.

„Ich frag im Ernst: Was soll denn das?
Willst du mich gar verspotten?
Das ist fürwahr ein schlechter Spaß.
Längst ist er am Verrotten.“

„Dann bleibt nur eins, wenn’s auch nicht Mod’,
was ich dir überlasse.
Dort oben schläft in meiner Not
mein Weib als letzte Kasse.“

Es geht der Gläubiger hinauf.
Die alten Stufen knarren.
Die Türe zu und wieder auf.
Man sieht sprachlos ihn harren.

Ergreift’s Geländer, will’s versteh‘n,
wankt langsam wieder runter:
„Kann ich noch mal dein Hündchen seh’n.
Vielleicht geschieht ein Wunder.“


[2021]​
 

Inge. B

Mitglied
Guten Morgen ,
das klingt nicht schlecht und man braucht viel Zeit um es zu lesen. Ab Strophe 5 bis 9 finde ich es mühsam zu lesen. Wenn ich mir die vorletzte Strophe laut vorspreche, finde ich, passt das nicht.
Gruß
Inge
 

wüstenrose

Mitglied
Hallo Heiko,
da schließe ich mich Inge an: Es flutscht nicht so richtig, soll heißen, es liest sich nicht geschmeidig. Als Leser bleibe ich immer wieder hängen, sei es rhythmisch oder, wie zum Beispiel hier, inhaltlich:

„Du siehst, der Geier sitzt all hier
auf jedem meiner Stühle.
Zu allem Recht, gesteh ich dir,
wie auch, wie ich mich fühle.
Wie lässt sich inhaltlich in Zeile 4 das "wie auch" begründen? Was ist damit gemeint? Wo ist der satzbautechnische oder grammatikalische Bezug? Da müsstest du meiner Meinung nach nochmal Zeile für Zeile deines Gedichts durchgehen und dich jeweils fragen: Steht die Wortwahl tatsächlich durchgängig der Alltagssprache nahe oder sind unschöne "Füllsel" oder Verdrehungen / Inversionen drin, die den Lesefluss unnötig hemmen? Stimmt der Rhythmus von Anfang bis Ende? Klingt es melodisch?
Anderes Beispiel:

Wenn auch die Börse dein ist hohl,
was nun? steht hier zur Frage.“
Wie kann das anders gelöst werden, ohne Inversion? Halt so, dass es mehr fließt und flutscht.
Bei einer Satzkonstruktion, die mit "wenn auch" (oder auch wenn) beginnt, erwarte ich als Leser eher so was:

Auch wenn die Börse leer ist, so ...
Auch wenn der Beutel hohl ist, kann doch / muss dennoch / ist trotzdem ...

Natürlich findet sich nicht immer eine überzeugende Lösung, aber ausgiebiges Suchen nach mehr Wohlklang und mehr Stimmigkeit scheint mir hier angebracht. Vielleicht muss an einer Stelle mal ein Reim komplett verworfen werden, weil sich mit ihm keine ansprechende Lösung finden lässt - dann eben was anderes probieren und sich nicht vorschnell mit der weniger guten Wahl zufrieden geben ...

lg wüstenrose
 
Zunächst Danke!
Sicherlich hat ein Autor manchmal mehr im Sinn, als der Leser erahnen kann.
Der generelle Ablauf ist wohl klar und eine Art Ballade ist nicht immer kurz. (siehe Schiller)
Bei der "Lesbarkeit" ist das bei mir oft so:

So hat vertraut (Minnipause wie bei einem Komma)
ein guter Mann
einst seines Nachbarn Schwüre.
Als es dann kam
aufs retour an,
hat dieser nur noch Schnüre.

"Du siehst,
der Geier sitzt all hier
auf jedem meiner Stühle.
Zu allem Recht,
gesteh ich dir,
wie auch,
wie ich mich fühle.

Denn nichts
von allem,
was noch steht
in diesem Haus der Leere
gehört noch mir.
Vom Staat verschmäht
blieb nur noch
meine Ehre."

"Das mag schon sein.
Ich glaub es wohl.
Doch ändert's nicht die Lage.
(<- ups, da hatte sich ein Fehler eingeschlichen! Dort in Doch tauschen.)
Wenn auch die Börse dein
ist hohl,

Was nun?
steht hier zur Frage."


Und so weiter.

Klar, der Schluß ist dann naturgemäß (wie ich finde) ein wenig dramatischer. Denk dir einen alten s/w Film.
Es geht einer langsam die hölzerne Treppe hinauf, unschlüssig, was er dort zu finden sucht, hofft.
Nach einem Blick ins Zimmer steht ihm das blanke Entsetzen im Gesicht und kann sich nur mit Mühe auf den Beinen halten.

Die abschließende wörtliche Rede dient nur der Verstärkung der Pointe.

Und wie gesagt, ich spiel oft ein wenig mit den Zeilen, wenn auch die Metrik durchgehen zu kurz kommen mag.
Aber mit einem Metronom dichten sagt mir nicht zu.
 
Auch dir, Wüstenrose, sei mein Dank gewiß.
Und ich hoffe, daß ich dir einige Fragen mit meiner vorigen Antwort lösen konnte.

Zu deinem Beispiel:
In der Prosa wie im täglichen Leben würde man vielleicht sagen: "Wie du selber siehst, klebt auf jedem Stuhl der Pfändungsaufkleber vom Finanzamt. Und das ist berechtigt. Und ich gestehe dir auch ein, daß ich mich deswegen nicht wohlfühle. "
Also er legt ein Geständnis ab, daß er berechtigterweise unter Pfändung steht.
Und er gesteht auch, daß er sich dabei in Anbetracht seiner Schulden dem Gläubiger gegenüber unwohl, schuldig fühlt.

Zum zweiten Beispiel:
"Wenn auch die Börse dein ist hohl." ... Was nun? ..."
"Auch wenn du kein Geld mehr hast, wie stellst du dir vor, deine Schulden bei mir zu begleichen?"

Vielleicht noch zur Satzmelodie:
Auch wenn deine Börse hohl ist, ... oder Auch wenn deine Taschen leer sind, ... klingt für mich nicht so wiegend, wie mein Original.
Vgl.: Auf einem Baum sitzt ein Vogel . <-> Ein Vogel sitzt auf einem Baum. / Auf einem Baum ein Vogel sitzt.

Übrigens, wenn ich was schreiben muß, wenn es sich mir aufdrängt, dann verfasse ich eine erste Version. Und die bearbeite ich dann schon recht intensiv.
Aber eben nach den Kriterien, die meiner Art entsprechen.

Einen schönen Sonntag euch beiden!
 



 
Oben Unten