Arno Abendschön
Mitglied
Die Schwiegereltern meines Vaters lebten lange Jahre im Dachgeschoss unseres Hauses. Es gab für alle nur ein Badezimmer. Wenn mein Großvater es benutzen wollte und auf dem Weg dorthin meinem Vater begegnete, grüßten sie sich knapp und kühl. Mein Vater hörte sich muffig an, bei dem Alten klang es gemessen. Sie redeten sonst nie miteinander. Ihre Charaktere, ihre Lebensgeschichten hätten nicht unterschiedlicher sein können.
Mein Großvater war Zeitungssetzer gewesen, Gewerkschaftsmitglied und jahrzehntelang auch in der KP. Er hatte eine Frau geheiratet, die von sich sagte: Ich habe von Anfang an nur SPD gewählt. Sie verwaltete die Kasse und brachte mit eisernem Sparen ein kleines Vermögen zustande, das vor allem in Grundeigentum bestand. So stiegen beide aus der proletarischen Schicht ins gut situierte Kleinbürgertum auf. Ihre Vorfahren, Bergleute und Hüttenarbeiter, waren aus verschiedenen Teilen Deutschlands zugewandert. Man wusste fast nichts von den Ahnen.
Die väterliche Familie dagegen hatte im Mannesstamm vielleicht schon seit der Völkerwanderung in unserer Gegend gelebt. Es waren überwiegend Bauern gewesen, in neuerer Zeit auch ein Lehrer darunter sowie ein Berufssoldat. Um 1900 scheint der Höhepunkt des Wohlstands erreicht worden zu sein. Man raunte später noch von einem Gut und zwei Miethäusern. Das 20. Jahrhundert mit seinen Kriegen, Annexionen und Inflationen wurde zu einer langen, mühseligen Geschichte.
Mein Vater mühte sich redlich, den früheren Status wieder zu erreichen. Es gelang ihm nur teilweise. Für einen kleinen Landwirt war die Zeit nicht günstig und er auch zu schmächtig für harte Arbeit. Wenn ich die Kretschmersche Typenlehre zugrunde lege, war er der Leptosome und der Schwiegervater der Athlet. Der Alte trug gewöhnlich bequeme, weite Arbeitshosen und um sie einen Gürtel, den er nur Leibriemen nannte. Oft stand unter dem Gürtel der oberste Hosenknopf offen. Mein Vater dagegen bevorzugte engere Beinkleider und benutzte stets Hosenträger, nie einen Riemen. Sie rasierten sich auch auf unterschiedliche Weise. Mein Großvater verwendete noch das althergebrachte Rasiermesser, wogegen mein Vater sich mit dem damals neumodischen Nassrasierer schabte. Mein Vater hat niemals geraucht, dagegen der Alte unendlich viele Pfeifen und Selbstgedrehte und wurde dabei noch ein gutes Stück älter als sein ungeliebter Schwiegersohn.
Für das Wirtschaften meines Vaters hatte mein Großvater nur Spott übrig. Und die Großmutter sagte zu mir: Lern was, du siehst, wie es deinem Vater geht.
Vater und Großvater hatten auch Gemeinsames. Beide neigten zur genauen und kritischen Beobachtung ihrer Mitmenschen und bei beiden waren unverkennbar Ironie und Spottsucht vorhanden. Doch gerade das brachte sie einander nicht näher. Vielleicht lagen der Wahl meiner Mutter gerade diese wenigen Ähnlichkeiten zwischen den beiden Männern zugrunde. Sie liebte ihren Vater mehr als ihre Mutter und kam ihm doch nicht wirklich nahe. Ihre Eltern konnten sich mit der Missheirat, als die sie die Verbindung betrachteten, niemals anfreunden. So ging ein allezeit spürbarer Riss durch die Familie. Wenn ich zu den Wiesen hinter dem Haus hinaufging, sah ich diese beiden Herkünfte dreidimensional vor mir: im Süden die von dichten Wäldern umgebene Stadt mit dem Eisenwerk und den Gruben und im Norden die offene bäuerliche Kulturlandschaft alten Stils.
Meine Großeltern waren nur meinetwegen zu uns gezogen. Aber ich verließ das Haus so früh wie möglich. Danach verschlechterten sich die Beziehungen zwischen den Generationen noch weiter. Die Kleinfamilie zerfiel endgültig und meine Großeltern zogen kurz vor dem Tod des Alten ein letztes Mal um.
Mein Großvater war Zeitungssetzer gewesen, Gewerkschaftsmitglied und jahrzehntelang auch in der KP. Er hatte eine Frau geheiratet, die von sich sagte: Ich habe von Anfang an nur SPD gewählt. Sie verwaltete die Kasse und brachte mit eisernem Sparen ein kleines Vermögen zustande, das vor allem in Grundeigentum bestand. So stiegen beide aus der proletarischen Schicht ins gut situierte Kleinbürgertum auf. Ihre Vorfahren, Bergleute und Hüttenarbeiter, waren aus verschiedenen Teilen Deutschlands zugewandert. Man wusste fast nichts von den Ahnen.
Die väterliche Familie dagegen hatte im Mannesstamm vielleicht schon seit der Völkerwanderung in unserer Gegend gelebt. Es waren überwiegend Bauern gewesen, in neuerer Zeit auch ein Lehrer darunter sowie ein Berufssoldat. Um 1900 scheint der Höhepunkt des Wohlstands erreicht worden zu sein. Man raunte später noch von einem Gut und zwei Miethäusern. Das 20. Jahrhundert mit seinen Kriegen, Annexionen und Inflationen wurde zu einer langen, mühseligen Geschichte.
Mein Vater mühte sich redlich, den früheren Status wieder zu erreichen. Es gelang ihm nur teilweise. Für einen kleinen Landwirt war die Zeit nicht günstig und er auch zu schmächtig für harte Arbeit. Wenn ich die Kretschmersche Typenlehre zugrunde lege, war er der Leptosome und der Schwiegervater der Athlet. Der Alte trug gewöhnlich bequeme, weite Arbeitshosen und um sie einen Gürtel, den er nur Leibriemen nannte. Oft stand unter dem Gürtel der oberste Hosenknopf offen. Mein Vater dagegen bevorzugte engere Beinkleider und benutzte stets Hosenträger, nie einen Riemen. Sie rasierten sich auch auf unterschiedliche Weise. Mein Großvater verwendete noch das althergebrachte Rasiermesser, wogegen mein Vater sich mit dem damals neumodischen Nassrasierer schabte. Mein Vater hat niemals geraucht, dagegen der Alte unendlich viele Pfeifen und Selbstgedrehte und wurde dabei noch ein gutes Stück älter als sein ungeliebter Schwiegersohn.
Für das Wirtschaften meines Vaters hatte mein Großvater nur Spott übrig. Und die Großmutter sagte zu mir: Lern was, du siehst, wie es deinem Vater geht.
Vater und Großvater hatten auch Gemeinsames. Beide neigten zur genauen und kritischen Beobachtung ihrer Mitmenschen und bei beiden waren unverkennbar Ironie und Spottsucht vorhanden. Doch gerade das brachte sie einander nicht näher. Vielleicht lagen der Wahl meiner Mutter gerade diese wenigen Ähnlichkeiten zwischen den beiden Männern zugrunde. Sie liebte ihren Vater mehr als ihre Mutter und kam ihm doch nicht wirklich nahe. Ihre Eltern konnten sich mit der Missheirat, als die sie die Verbindung betrachteten, niemals anfreunden. So ging ein allezeit spürbarer Riss durch die Familie. Wenn ich zu den Wiesen hinter dem Haus hinaufging, sah ich diese beiden Herkünfte dreidimensional vor mir: im Süden die von dichten Wäldern umgebene Stadt mit dem Eisenwerk und den Gruben und im Norden die offene bäuerliche Kulturlandschaft alten Stils.
Meine Großeltern waren nur meinetwegen zu uns gezogen. Aber ich verließ das Haus so früh wie möglich. Danach verschlechterten sich die Beziehungen zwischen den Generationen noch weiter. Die Kleinfamilie zerfiel endgültig und meine Großeltern zogen kurz vor dem Tod des Alten ein letztes Mal um.