Scrabble an der ScheinBAR

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Hagen

Mitglied
Scrabble an der ScheinBAR

Obwohl oder gerade weil ein Spieleabend längst aus der Mode gekommen ist, absolvieren die Wunderbare Ulrike und ich gerne mit Freunden sogenannte Spieleabende.
Das sieht meistens so aus, das sich die Herren mit einem Bier oder Whisky behaglich zum Billard zurückziehen und die Mädels mit einem Cocktail aus der ScheinBAR, Campari oder Amaryllenlikör ebenso geruhsam Rommé spielen.
Als nun eins der Mädels mal ein Scrabblespiel mitbrachte, flippte ich fast aus. Gewiss, das Mädel meinte es gut mit dem Scrabblespiel, aber bei mir brach eine längst vergessen geglaubte Antiscrabblephobie aus, nicht unbedingt Eindrücke für das Langzeitgedächtnis.
Auslöser dieser Antiscrabblephobie und vieler anderer Phobien, war natürlich meine Lehrerin Frau Schrömpel!
Wir waren damals im Schullandheim und ich freute mich darauf, abends mit meinen Freunden Tischtennis spielen zu können. Die Tischtennisplatte war neu im Schullandheim, alle wollten spielen, sodass es eine Weile dauerte, bis ich, getreu der Liste, die wir angefertigt hatten, drankommen sollte. Ich nahm mir also meinen Jerry Cotton, den gab’s damals schon, und gedachte solange zu lesen.
Ein grober Fehler, wie ich im Nachhinein feststellte, denn Frau Schrömpel sah mich Jerry Cotton lesen und verdonnerte mich dazu, mit ihr und zwei weiteren Tussies, die offensichtlich zu blöde zum Tischtennis waren, Scrabble zu spielen. Schließlich sollte ich ja was lernen und mich nicht mit ‚Schundliteratur‘, à la Jerry Cotton und so, beschäftigen.
Wahrscheinlich wäre ihre Meinung bei Schiller, den sie bei jeder Gelegenheit zitierte, eine Andere gewesen. Hätte ich den feigen Meuchelmord an dem habsburgischen Staatsbeamten Hermann Gessler durch den hinterhältigen Armbrustschützen Wilhelm Tell gut gefunden, wäre ich sicher ihr erklärter Liebling gewesen. Kurz gesagt, mir war, als ob sich die rechte Hand des Satans auf meine Schulter legte.
Nun ja.
Da Frau Schrömpel keine Götter neben sich duldete, damals waren Lehrerinnen noch Respektspersonen, hatte ich mich zu fügen und fand mich kurz darauf neben den beiden debil dreinblickenden Tussies und Frau Schrömpel mir gegenüber, wieder.
„Es dürfen“, so betonte Frau Schrömpel, „nur Worte gelegt werden, die im Wörterbuch oder im Lexikon stehen!“
Als wir Steine zogen, murmelte ich: „Ach du meine Güte, ich habe einen Toten!“
Frau Schrömpel belehrte mich sofort: „Das sind Blankosteine oder Joker! Wenn du hier schon mitspielen willst, musst du dich auch an die Regel halten!“
Von ‚mitspielen wollen‘ konnte zwar nicht die Rede sein, aber solange rumnerven bis sie mich rausschmiss, funktionierte auch nicht. Oder höchstens mit einer Strafarbeit, und die wollte ich nicht riskieren.
Na, gut.
Irgendwann legte ich mal ‚Page‘, worauf eine der Tussies losmotzte: „Was ist denn ein Page? Das haben wir in der Schule noch nicht gehabt! Woher soll ich das denn wissen?“
Mein Gott!
Ich musste einen Vortrag über Pagen halten, so von Wegen uniformierter Hoteldiener und so, aber der Vortrag zählte nicht, weil er nur von mir war. Nun kam Frau Schrömpel!
Frau Schrömpel, die grundsätzlich alles wusste, erzählte den gleichen Vortrag nochmal und schaute in ihr Lexikon. Da stand wieder das Selbe, es wurde vorgelesen und wir gefragt, ob wir denn auch alle was gelernt hätten. Die Tussies nickten eifrig und ich hatte nicht im Geringsten das Gefühl, den Olymp zu erklimmen um mit den Göttern zu speisen. Im Gegenteil!
Im Zuge des Spiels legte ich ‚Habbakuk‘, weil ein ‘K‘ schon lag und ich meine beiden ‘B‘ elegant loswerden konnte. Ich wurde niedergeschrien, denn Habbakuk wird nach Frau Schrömpels Wissen mit nur einem ‘B‘ geschrieben. Habakuk war ein biblischer Prophet. Basta!
Da ich mich aber damals schon für Schiffe interessierte, besonders für originelle Kriegsschiffe, verwies ich auf den 1200 Meter langen und 180 Meter breiten britischen Flugzeugträger ‚HMS Habbakuk‘, der praktisch unsinkbar sein sollte! Er sollte nämlich aus Eis gebaut werden!
Im Dezember 1942 begannen die Briten nachweislich mit dem Bau dieses außergewöhnlichen Flugzeugträgers. Die HMS Habbakuk sollte den deutschen U-Booten trotzen. Das interessierte mich, aber Frau Schrömpel meinte, dass es blöde wäre, sich für sowas zu interessieren. Schließlich gäbe es noch prächtige Blumen, wunderschöne Rosen, den gemeinen Schachtelhalm und so ein Zeugs, das wäre doch viel schöner!
Frau Schrömpel tippte sich an die Stirn. Da hatte sie doch noch nie was der HMS Habbakuk gehört, obwohl sie Geschichte unterrichtete, und deswegen gab es die ‚HMS Habbakuk‘, auch nicht.
Punkt!
Sie pflegte sich, nebenbei bemerkt, stets in epischer Breite über die hohe Kultur der Germanen auszulassen, denn als die Griechen noch die Tempel bauten, die heute noch bestaunt werden, hatten die Germanen schon Lehmhütten!
Die debil dreinblickenden Tussies, die nicht wussten, was ein Page ist, tippten sich auch an die Stirn, schlugen sich opportunistisch auf die Seite Frau Schrömpels, und erklärten mich für blöd weil ich mich nicht für den gemeinen Schachtelhalm oder schöne Rosen interessierte.
Ich erhielt Strafpunkte, eine Variante des Scabblespiels, die Frau Schrömpel sich spontan ausdachte. Das traf mich wie der Flügelschlag eines Engels mit Besoffenheit.
Egal.
Die Tussies und Frau Schrömpel legten sodann die Namen von irgendwelchen Kosmetikprodukten, von denen ich wiederum noch nie was gehört hatte, die auch weder im Lexikon noch im Wörterbuch standen, aber zur ‘Allgemeinbildung‘ gehörten. Das ging glatt durch. Gegen drei Frauen kam ich nicht an.
Als ich im weiteren Verlauf des Spiels ‘Gaffel‘, die oben am Mast angebrachte oder heiß bare, nach hinten aufwärtsragende Stange bei Segelschiffen, an der Segel oder Flaggen angebracht werden, legte, war natürlich wieder was los.
Frau Schrömpel brauchte nicht im Lexikon nachsehen, denn sie wusste alles. Was eine Gaffel ist, wusste sie nicht, und deswegen gab es sowas auch nicht.
Punkt und Strafpunkte für mich.
Ich konnte einem paranoiden Anfall nur entgehen, indem ich mir Frau Schrömpel aufgeknüpft an einer Rahe oder Gaffel vorstellte, wie es meuternde Besatzungsmitglieder mit ihren Kapitänen zu tun pflegten.
„Schön, dass du wieder lächelst“, sprach Frau Schrömpel daraufhin zu mir. „Du lächelst sicher, weil du wieder was gelernt hast!“
Als das Spiel endete, hatte ich auf Grund der Strafpunkte die wenigsten Punkte und musste am Tisch bleiben, weil ich noch was zu lernen hatte. Die debil dreinblickenden Tussies wurden durch andere ebenso debil dreinblickende Tussies ersetzt, weil sich die intelligenten Mädels unserer Klasse rechtzeitig in Sicherheit bringen konnten.
Also auf zum nächsten Spiel, das wollte ich so schnell wie möglich hinter mich bringen und endlich Tischtennis spielen.
Nachdem ich die Steine auf meinem Brettchen geordnet hatte, sprang mir das ‘f-Wort‘ in die Pupille. Ich legte es aber nicht, obwohl es im Wörterbuch steht. Möglicherweise hätte ich damit ein weiteres Desaster heraufbeschworen und Strafpunkte erhalten. Auf diese Erfahrung konnte ich genauso verzichten, wie auf ein Rektalthermometer.
Die Strafpunkte erhielt ich aber, weil die debil dreinblickenden Tussies irgendwelche Wörter auf Plattdeutsch legten, die nicht im Wörterbuch vorkamen und mit denen ich nichts anfangen konnte.
Jedenfalls kam ich den ganzen Abend nicht vom Scrabbletisch weg um Tischtennis zu spielen, weil Frau Schrömpels Hobby Plattdeutsch, was sie sorgsam pflegte, war.
Seit dem bin ich, was Scrabble betrifft, ein wenig traumatisiert und spiele lieber Billard.
Die Wunderbare Ulrike kann mit meiner Liebe zu Billard gut umgehen. Sie meint sogar, dass Frau Schrömpel den Grundstein dazu gelegt hat, dass ich mich als ‚bekennender Macho‘ bezeichne.
Auch damit kann sie gut umgehen, sie ist eben eine wunderbare Frau!
 

Klaus K.

Mitglied
Hagen,

deine Frau Schrömpel weckt auch bei mir Erinnerungen! Der Anteil an völlig Durchgeknallten in allen Bevölkerungsschichten war bereits immer schon sehr hoch.- Das "f-Wort" habe ich auch bei mir im Wörterbuch nicht gefunden, irgendein Ferrückter hat dazu alle Seiten herausgerissen. Zum Glück funktioniert mein Gedächtnis noch. Fielleicht fergnügt der sich ja jetzt damit.
Das war aus dem Leben! Klasse! Gruß, Klaus
 

Hagen

Mitglied
Bester Klaus,
ja, ja, das f-Wort!
Wie gut dass es heute immernoch das Internet und diie Heilige Schrift, die da heisst Wikipedia, gibt.
Da kann man nämlich keine Seiten rausreissen. Allerdings, wenn man des Hackens kundig ist, dieverse Seiten schwärzen.

Nun denn, in diesem Sinne, wir sehen uns in der ScheinBAR!
Zudem lesen wir uns weiterhin!
... und bleib' schön fröhlich, gesund und munter, weiterhin positiv motiviert sowie negativ getestet, guten Willens, moralisch einwandfrei und stets heiteren Gemütes!
Herzlichst
Yours Hagen
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Die, die das richtige Wort beherrschen, beleidigen niemanden.
Und sprechen trotzdem die Wahrheit.
Ihre Worte sind klar, aber niemals gewaltsam ....
Sie lassen sich nicht demütigen und demütigen niemanden.
Buddha​
 

Aufschreiber

Mitglied
Oh ja, lieber Hagen!

Nicht nur im Schulumfeld gibt es solche Personen.
Ich erinnere eine Geschichte, die ich für eine Zeitschrift geschrieben hatte. Die Redaktion bestand darauf, diese noch einmal zu lektorieren.
Allerdings hatte die "Lektorin" erhebliche Vokabularprobleme, so schlimm, dass sie mir meine Story kaputt korrigierte.
Eine Beispielpasssage:
"Die junge Frau da drüben, die hätte gern einmal sein (eines Müllbehälters im Stadtpark) Innerstes erkunden dürfen. Die bewegte sich fließend und wogte an den richtigen Stellen"
Nach der "Bearbeitung" stand da:
"Die junge Frau da drüben hätte ihm gern näher kommen dürfen. Sie bewegte sich gefällig und wägte ..."
Auf meine Beschwerde erhielt ich zur Antwort:
"Ein Wort wie 'wogte' existiert nicht!"

Ich habe denen dann die Veröffentlichung des Textes untersagt.

Beste Grüße,
Steffen
 

Hagen

Mitglied
Hallo Steffen,

Sprächen die Menschen nur von Dingen, von denen sie etwas verstehen, die Stille wäre unerträglich.
Es gibt zwei Dinge, die unendlich sind:
Die menschliche Dummheit und das Universum. – Beim Universum bin ich mir noch nicht so sicher.

Albert Einstein

Ausserdem möchte ich Dir die Geschichte Nie wieder Weihnachtsbaum! warm ans Herz legen.

Nun denn, in diesem Sinne, wir sehen uns in der ScheinBAR!
Zudem lesen wir uns weiterhin!
... und bleibt schön fröhlich, guter Dinge, gesund und munter, weiterhin positiv motiviert, negativ getestet und stets heiteren Gemütes!
Herzlichst
Yours Hagen

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Bedenke: Wenn du das Licht am Ende des Tunnels erkennst und diesem zustrebst,
wirst du, nachdem eine Rückkehr unmöglich ist, erkennen,
dass es sich um das Licht eines sich schnell nährenden D-Zugs handelt!


Merke: In Eisenbahntunnels sind keine Notfallbuchten vorgesehen!
 



 
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