Sechsfach verhobene Skepsis in 14 Versen

Walther

Mitglied
Sechsfach verhobene Skepsis in 14 Versen


Am blauen Winterhimmel jagen sich die Wolken,
Und ihnen jagt ein Schwarm von Krähen hinterher.
Vielleicht ist es auch Sommer. Weiß ich es nicht mehr?
Eventuell hab ich den Paniktraum gemolken,

Den letzten Wahnwitz aus dem Morgenrot gerufen,
Damit er sich ins Farbenspiel des Tages mischt.
Der Hoffnungsfunke, der am Bildschirm still erlischt,
Stammt aus der Zeit, als sie den Gottesglauben schufen,

Als Paradies noch Eden war, kein Pornoschuppen.
Ich schnippe in Gedanken mit den Fingerkuppen
Und reibe mir die Augen, die rot schlaflos tränen.

Am Himmel toben droben Perseiden-Schnuppen,
Die sich als Sinnestäuschung allzu rasch entpuppen
Für jene, die sich schon im Land der Wünsche wähnen.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Das Gedicht hat eine ungewöhnliche Struktur, es enthält sechshebige Verse, von denen sich einige als Alexandriner lesen lassen.
Ich habe Probleme beim lauten Sprechen.

In "Eventuell hab ich den Paniktraum gemolken," tritt eine Inversion der Betonung bei "Eventuell" auf.

Ich sehe jetzt mein Problem: Betont wird als Alexandriner und "hab" ist unbetont, dagegen ist "ich" betont, das löst hier alle meine Probleme für diesen Vers.

Inhaltlich sehe ich einige Metaphern, das Gedicht erschließt sich schwer und langsam. Das ist ein Vorteil.

Das Gedicht hat eine sehr persönliche Ebene, andererseits spiegelt es auch unsere gegenwärtige Politik, bis hin zu den Kämpfen.

Die Schnuppen sind keine, was sind sie dann?
Raketen erfüllen keine Wünsche.
 

Walther

Mitglied
lb. Bernd,

danke für deine interpretation und daß du dich des texts angenommen hast. ohne deinen kommentar hätte ich ihn mitte september gelöscht.

in der tat schaut die konstruktion erst einmal experimentell aus. in den beiden quartetten habe ich "Angst (Paniktraum gemolken)" gegen "Hoffnungsfunke" gesetzt. Ebenso habe ich "innen (träumen)" gegen "außen (am Bildschirm)" gesetzt. und drittens "Natur (Morgenröte, Wolken, Krähen" gegen "Maschine (Bildschirm)". wir haben also einen dialog, der auf drei ebenen stattfindet.

im ersten terzett führe ich die drei stränge zusammen (Synthese). das ganze wird dann im 4. terzett aufgelöst: in der realen welt ist kein platz für das paradies (Land der Wünsche), die natur kennt keine hoffnung, sie kennt nur das geschehen. damit haben wir die moral von der geschicht.

also, ohne jetzt meine definition zum bewertungsmaßstab zu erheben, ist das ein sonett im sechshebigen jambus, in der tradition von Grypius und von Platen/Rückert geschrieben, mit einem einsprengsel von Shakespeare (botschaft am ende).

ich denke schon, daß der text eine klare und nachvollziehbare aussage hat, die auch hergeleitet wurde. allerdings muß man sich der bildersprache öffnen und von den angedeuteten szenen und szenarien anregen lassen.

durch die letzten erfahrungen bin ich zu dem ergebnis gekommen, daß ich die lupenleser überfordere. vielleicht sollte ich solche texte in zukunft nicht mehr posten.

lg w.
 

HerbertH

Mitglied
Lieber Walther,

die Zeile

Und reibe mir die Augen, die rot schlaflos tränen.
funktioniert metrisch nur, wenn man gewillt ist, "die" zu betonen und das "rot" kurz zu sprechen wie "rott" - das passt aber nicht so recht, denn "rot" ist für mich lang.

Einen besseren Vorschlag habe ich aber leider nicht.

Herzliche Grüße

Herbert
 

Walther

Mitglied
Sechsfach verhobene Skepsis in 14 Versen


Am blauen Winterhimmel jagen sich die Wolken,
Und ihnen jagt ein Schwarm von Krähen hinterher.
Vielleicht ist es auch Sommer. Weiß ich es nicht mehr?
Eventuell hab ich den Paniktraum gemolken,

Den letzten Wahnwitz aus dem Morgenrot gerufen,
Damit er sich ins Farbenspiel des Tages mischt.
Der Hoffnungsfunke, der am Bildschirm still erlischt,
Stammt aus der Zeit, als sie den Gottesglauben schufen,

Als Paradies noch Eden war, kein Pornoschuppen.
Ich schnippe in Gedanken mit den Fingerkuppen
Und reibe mir die Augen, die schon schlaflos tränen.

Am Himmel toben droben Perseiden-Schnuppen,
Die sich als Sinnestäuschung allzu rasch entpuppen
Für jene, die sich schon im Land der Wünsche wähnen.
 

Walther

Mitglied
Hi Herbert,

danke für den hinweis. was hältst du von dem obigen vorschlag. man könnte noch das "schlaflos" durch "müde" ersetzen, das wäre aber etwas schwächer in der aussage.

was meinst du?

lg w.
 

Walther

Mitglied
Hi Herbert,

das ist eine gute und interessante idee, danke. da muß ich aber noch ein wenig drüber nachdenken. :)

lg w.
 



 
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