Sehnsucht

Klaus K.

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Sehnsucht

"Na Schwesterherz, was macht denn dein Don Amoroso aus dem Büro? Hat er sich endlich mal geäußert, oder turtelt er immer noch nur herum? Mir ginge das auf die Nerven, wenn ein Mann nicht Klartext redet!"
"Sei nicht so hart mit ihm, Camilla! Ich finde ihn eigentlich ganz süß, er wirkt auch so hilflos. Er kommt halt aus der eher schüchteren Fraktion, das gefällt mir. Diese Macho-Helden, große Klappe, nichts dahinter, den Kopf nur für den Friseur - von diesen Parasiten auf der weiblichen Vernunft habe ich genug erlebt. Die halten sich für unwiderstehlich, sind auf kontinuierlicher Trophäenjagd, fühlen sich unglaublich wichtig. Wer auf so einen Blender hereinfällt, erhält doch spätestens nach zwei Jahren die Quittung! Neandertaler im Maßanzug, huh, du scheues Reh, gleich hab' ich dich! Geh' mir weg mit solchen Typen, die erkennt man doch auf den ersten Blick, spätestens dann aber auf den zweiten, sie müssen doch nur den Mund aufmachen. Hohle Köpfe, hohles Geschwätz, die vermeiden auch alle ein Röntgenbild ihres Schädels, um ja nicht als medizinisches Wunder in die Presse zu kommen! Geh' mir weg, da lob' ich mir meinen tapsigen Kugelblitz mit dem schütteren Haar!"
"Hat er sich denn wieder bemerkbar gemacht? Ich habe ihn ja nur einmal ganz kurz kennengelernt, du weißt, vor zwei Wochen, nach eurem Betriebsfest. Da stand er am Eingang ziemlich hilflos herum, ich kam um dich abzuholen und habe ihn dann gefragt, ob er eine Conny Berger aus der Revision kennt - in diesem Moment kamst du aber bereits raus, und die Sache hatte sich damit erledigt. Du sagtest irgendwas mit Camilla und Schwips zu mir, ich bedankte mich bei ihm, dann ab ins Auto und das war's. Ein netter, stabiler Typ, an mehr kann ich mich aber nicht erinnern. Aber er ist es doch, oder?"
"Und ob! Die Zeiten, in denen er mir heimlich ein Bonbon oder ein Pralinchen auf den Schreibtisch gelegt hat, sind jetzt vorbei. Er ist richtig mutig geworden, mein schnuffiger Teddybär! Erst gestern hat er mir mittags am Eingang zum Casino die Tür aufgehalten, sein Pech war nur, daß sich seitlich vor mir dann plötzlich noch fünf Leute aus einer anderen Abteilung vorbeidrängelten. Ein Frechdachs meinte dann zu ihm, er solle doch den Job wechseln, Türsteher sei doch auch etwas für ihn! Dann kam ich, er lief knallrot an, stammelte irgendwas Unverständliches, und ging dann aber direkt mit mir und der Meute an die Ausgabe. Hühnchen mit Reis, er war an der Kasse vor mir dran, wir waren aber umringt von anderen Mitarbeitern. Er setzte sich an einen der großen Tische, da saßen schon einige Kollegen, die er wohl kannte. Ein Platz war noch frei, schräg gegenüber von ihm. Was meinst du wohl, wer sich dahin gesetzt hat?"
"Na, du natürlich!"
"Genau! Und seine Gesichtsfarbe, die sich gerade wieder erholt hatte, wechselte schlagartig wieder auf rot! Weiß-rot, rot-weiß, wie bei einer Zwei-Farben-Ampel! Mein Ampelmännchen, und wehe, du fügst jetzt am Anfang noch ein großes H ein!"
"Und wie ging es weiter? Mach's nicht so spannend, Conny!"
"Na, der Ärmste, jetzt mußte er ja essen. Und er versuchte, mich bloß nicht dabei anzuschauen. Aber er zitterte ganz schön, also ich meine seine Gabel, denn er wußte, daß ich ihn jetzt beobachtete. Und das war ihm anscheinend irgendwie peinlich.
Dann wurde er von einer anderen Kollegin angesprochen, die ihm eine Frage zu einem Termin stellte. Seine Rettung! Man konnte förmlich hören, wie sich die Anspannung bei ihm Luft verschaffte, er pustete förmlich, dabei löste sich aber ein einzelnes Reiskorn durch den Atem-Anstoß von seiner Gabel und landete dann auf dem Rand von meinem Teller! Er bat sofort um Entschuldigung, sein Nachbar sagte irgendetwas von einem Carsten, der auf Frauen schießt - das sollte ein Witz sein, denn das fliegende Reiskorn war auch anderweitig registriert worden. Ich reagierte jedenfalls sofort, erklärte laut und deutlich, daß das doch nicht weiter schlimm sei, und auch, daß man sich als Frau auch gerne treffen lässt, wenn das Geschoss vom richtigen Mann abgefeuert wurde! Und diese Aussage verband ich mit meinem von dir so vielgerühmten besten Lächeln und schaute ihn, also Carsten, dabei an. Erstauntes Schweigen am Tisch, aber er hatte die versteckte Botschaft auch sofort decodiert! Dumme Männer sind langweilig, langweilige Männer sind meistens dumm. Bei meinem Exemplar hier bestanden diesbezüglich keine Befürchtungen, ich registrierte einen dankbaren Blick von ihm. Mein Carsten! Ich mußte ihm nur aus seinem Schneckenhaus heraushelfen, das war mir klar."
"Wie ging es weiter? Conny, mach's doch nicht so spannend! Ich bin deine Schwester, wir wohnen im gleichen Haus, wir sind beide über dreißig, haben beide unseren Traummann noch nicht gefunden, aber du! Du bist so nah dran, an deinem Carsten Ampelmännchen!"
"Na ja, du bist ja auch die jüngere von uns, Camilla! Ich bin dir zwei Jahre voraus, also mach' dich nicht verrückt! Schnarchnasen laufen genug herum, Finger weg. Du hast sowieso einen Adonis verdient, bei deiner Figur! Also gut, wie ging es weiter? Das Mittagessen war vorbei, und wie von einer Vorsehung bestimmt trafen wir uns später am Kaffee-Automaten! Ganz allein, außer uns war niemand da und auch niemand zu sehen, der plötzlich um eine der Ecken kommen konnte - zumindest im Augenblick nicht. Ich hielt meinen Becher in der Hand, als er kam. Er sah mich, blieb wie angewurzelt vor mir stehen. Und, stell' dir vor, er stand direkt vor mir, stammelte nur irgendetwas von einer Frage, ich verstand ihn nur, als er sich entschuldigte, weil er schlagartig keinen einzigen Ton mehr heraus bekam! Er bekam mir gegenüber keinen einzigen vernünftigen Ton mehr heraus, so aufgeregt war er! Er fasste sich an den Hals, als ob das etwas nützen könnte, und dann....dann kam dieser doofe Abteilungsleiter EDV um die Ecke!"
"Und dann?"
"Ende, was sonst? Aber ich wollte Carsten doch helfen, also sagte ich völlig unverfänglich, er solle doch einfach mal schreiben!"
"Und?"
"Nichts mehr, ging ja nicht. Bin mal gespannt, das war gestern, mal sehen, was er sich einfallen lässt und ob er es überhaupt macht.... und heute war er nicht im Büro, ich hab' sofort recherchiert, die ganze Truppe war zur Präsentation auf Kundenbesuch.... "
"Sieht aber gut aus, Conny! Das ist so toll! Ich freu' mich so für dich, hoffentlich wird das was mit euch!"

Der nächste Tag. Camilla kam vom Einkaufen zurück und schaute in ihren Briefkasten. Ein Brief, adressiert mit Maschinenschrift an sie, Frau Camilla Berger, kein Absender. Briefmarke, und der Poststempel darauf aus der Stadt. Sie ging in ihre Wohnung und öffnete den Umschlag. Ein einziger Bogen Papier, erneut nur Maschinenschrift. Sie las, und jetzt klopfte es viermal an der Tür, ihr Geheimzeichen, es war also Conny.
"Was ist los? Warum weinst du, Camilla?"
Sie reichte ihrer Schwester den Bogen, wortlos, Tränen in den Augen.

Für Camilla

Der Wind, der die Zweige verbiegt,
er zeigt, wie Zweig an Zweig sich schmiegt
Das Bild, das die Sehnsucht weckt,
kein Zweig vor dem andern sich versteckt

Der Wind wird stärker, doch kein Zweig gibt nach
sie rücken zusammen, keiner niemals brach
Oh, wie mein Herz dieses Bild so liebt
wärst Du mein Zweig, der immer bei mir blieb!

von Carsten
 
Zuletzt bearbeitet:

onivido

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Hallo Klaus, sehr gut wie immer , oder vielleicht sogar noch besser, wegen des Verses am Schluss.
Ciao///Onivido
 

Klaus K.

Mitglied
@ Onivido

Vielen Dank! Freut mich, wenn es gefällt, Dein Lob geht natürlich runter wie bestes italienisches Olivenöl, daher diesmal mit "ciao" zurück, Klaus K.
 

Klaus K.

Mitglied
@ John

Freie Auswahl! So, wie es gefällt, es ist doch sowieso egal, denn so was wie ein Adonis hat doch meistens ganz andere Probleme. Korrigiert, s.o. - Gruß, Klaus K.
 



 
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