flores,
habe deinen Text gerne gelesen. Du hast eine mächtige Sprache und verfügst (überwiegend) gekonnt über deinen Ausdruck. Würde meinen, Sprache ist wichtig für deine tägliche Arbeit (Unternehmensberater, Lehrer, Jurist?). Du löst Probleme, umschiffst Klippen souverän, wo viele kläglich scheitern. Es gelingt dir, eine emotionale Ebene ein zu ziehen, die (fast) über die ganze Strecke trägt. Rauscherlebnis überträgt sich ungekünstelt und eindringlich, Siehe u.a. erster Abschnitt.
Dein Tempo(wechsel), Timing passt gut; die Dynamik kann sich entfalten. Falls erforderlich, kann ich es auch mit Zitaten belegen. Manche Bilder gelingen dir sehr gut - allerdings habe ich mich gefragt, ob das Folgende:
Schwarze Milch der Frühe, wir trinken dich nachts. Plötzlich aber ergriff mich eine Hand aus der tintenen Finsternis.
ein Zitat aus einem Song ist - wäre aber nicht schlimm. Wenn nicht, dann bravo!
Ein paar Probleme, die ich nach dem ersten Lesen empfinde:
1. Das Format - Kurzgeschichte. Der Plot ist dürftig:
- Konzertbesuch
- Wut, Wahnsinn, sowas wie Waken?
- Marilyn und Marilyn
- Zurück zum... Plan, der immer schon da war
- Erinnerung/Sehnsucht/Erwachsen
Dadurch entsteht eine Unwucht in der Dramaturgie, aus der der Pathos der letzten Sätze nicht heraus führt.
Ein Plot wäre eigentlich gar nicht nötig, wenn... Tja ohne Plot hätten wir Kurzprosa, eine verdammt lange Kurzprosa. Ein Dilemma? Sehe ich nicht so! Eine gekonnt abundante Sprache, die den Wert der Differenzierung kennt und versteht, durch knapp-knackige Sätze den Unterschied zu machen, der den Unterschied macht nuancenreich und fein abgestimmt - na ja sowas braucht halt seinen Textraum und -zeit. Es ist ja nicht so, dass deine sprachlichen Maßlosigkeiten aus Unvermögen resultieren, denn sie werden stilistisch überzeugend eingesetzt.
2. Lesbarkeit
Eine gewisse zur Verschlüsselung, Verkapselung neigende Andeutungsatitüde mag der Peer-Group Anschlusspunkte liefern (die sie, gar nicht benötigt), einer breiteren Leserschaft hilft sie ohne Google nicht - und mit, erst recht nicht.
Hier wirkt manches aufgesetzt. Die SHORT STORY schöpft Energie aus dem Drama des Geschichtenkonflikts, hat es nicht nötig, sich bei externen Referenzen verankernd den Bogen zu spannen. So bleibt Text, fürchte ich, kultiges Insiderhandel, hermetisch legitim - aber schade!
3. Formulierung
Du hast bereits ordentlich in den Text investiert. Vielleicht wolltest du zunächst testen, wie er wirkt, bevor du weitere Zeit, Energie und (Ins-)Transpiration investierst.
Stellen, wie folgende meine ich:
Ja, ich hätte glücklich sein sollen, denn endlich konnte ich bei ihr sein, neben meiner blühenden, blauen Blume, an der Seite meiner Marilyn.
Sie war für mich, wenn, ich weiß nicht wie, der hurenaffinen Zeit Verrat, verlassen im Zwielicht der verdreckten Szenerie eines weiteren dieser versifften Clubs, in denen dieser Indie-Rock, mit Gitarre, Harmonika und brutal prügelndem Schlagzeug gespielt wird, indessen sie arrogant alles zu verachten schien, verstiegen, doch sirenenreizend; wie warme Wellen wog die Quelle naiver Feinheit, der seidene, honigsüße Fluss ihres Haares, wie Saphire blendend, ihre Augen, die brillant über den sanften Wangen thronten, wie ein Hauch, ihre Erscheinung, zierlich und zart, gleichwohl explizit lasziv, niedere Poesie; belanglos also haute ich sie an und wie dreist und blasiert wortlos sie mich zerriss, sollte sie doch unten im Hades nach Freiern suchen. Viel zu lange schon fieberte ich endlich zu verschwinden, weg von Disharmonie, weg von depressiver Tristesse, so dass ich gegen Rotten stereotyp-stupider Deppen anrannte.
In diesem Abschnitt schrammt der Text gerad noch mal am Absturz vorbei.
Beispielhaft noch eine Stelle:
In Desinteresse verschlossen, meisterte sie auch drinnen Elend zu kreieren, ein Elend der süffisanten Degradierung, ein Elend das seinen Ausdruck im Terror des Schweigens fand und um dieser Friedhofsruhe entgegenzuwirken sah ich mich genötigt der blechernen Verblödungskonserve auf allen Frequenzen, dem Radio, eine Chance zu geben, weil meine einzige Alternative Slipknot hieß und diese hätte wahrscheinlich den Ritus der Gottesanbeterin nachgezogen, nur ohne den ersten der beiden Akte.
An solchen Stellen kann der Text erheblich besser werden.
Wie bereits auf den Plot bezogen erwähnt:
Wie wäre alles verlaufen, wenn nicht die eine Sache gewesen wäre, wie wäre alles verlaufen, wenn damals mein Plan, der alles verändern sollte - und verändert hat - nicht gewesen wäre? Ja, ich hätte glücklich sein sollen, an der Seite meiner Marilyn.
Hätte ich diese Sätze nicht lesen müssen, hätte ich mich mit einem durchweg positiven Eindruck zum zweiten Durchgang aufgemacht.
Alles gesagte, unter dem Vorbehalt, dass meine Lesart irgendetwas mit der Autorenintention zu tun hat - sonst: Pardon!