Sein erster Fall

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krokotraene

Mitglied
Unerbittlich zerriss das Klingeln des Telefons die Stille im Kommissariat. Niko, der junge Polizist im Innendienst, war verzweifelt, kann den der Anrufer nicht aufgeben. Er war ganz alleine und immer wieder klingelte das Telefon.

Niko stand in der Tür des verwaisten Nebenzimmers der Mordkommission und starrte auf das Gerät, das endlich zu schweigen schien. Er war doch neu hier, er sah sich außer Stande abzuheben. Was sollte er denn sagen? Da läutete es schon wieder.

"Verdammt", entkam es Niko. Wieso mußte auch der Hauptkommissar mit seiner werten Gattin seinen zwanzigsten Hochzeitstag in Madeira feiern und seine Kollegin wieder mal unter Burnout leiden. Sie mußte die Krankheit schon im Abonnement erworben haben, sooft wie sie fehlte, dachte Niko. In dem knappen halben Jahr, welches er hier schon arbeitete, hatte er sie nur sehr selten zu Gesicht bekommen, meist bei irgendwelchen Feierlichkeiten.

Das Telefon verstummte und Niko begann zu beten, wo bleiben seine Kollegen? Sie wollten doch nur kurz auf Mittagspause. Und wieder zerriss das Läuten seine Gedanken. Es wurde ihm zu bunt, zaghaft griff er zum Hörer und wisperte kaum hörbar in die Muschel, "Kommi...". Er wurde durch eine aufgeregte, ältere Frauenstimme je unterbrochen.

"Kommen Sie schnell! Da liegt eine Leiche im Garten. Oh Gott, wie konnte mir das nur angetan werden", eine Heulorgie folgte. Unter dem Tränenwasserfall sprudelte jedoch auch die Adresse hervor und Niko schrieb so gut er verstand mit. Plötzlich riss jemand die Tür auf und einer seiner Kollegen kam mit einem großen Einkaufssackerl herein. Niko war erleichtert.

"Hallo Sepp, Du da liegt eine Leiche im Garten", er schob ihm den Zettel mit der Adresse hinüber. Sepp sah den jungen Mann an, "Na und? Ist eh schon tot!"
"Willst Du nicht vorbeischauen?"
"Na, bin net von der Mordkommission. Übrigens, da ist ja derzeit kana. Die Leich muss halt warten", genussvoll biss er in seine Leberkäsesemmel. "Aber Du kannst ja gehen, schreibst alles auf. Tust auf wichtig und rufst dann die Spusi", ein kräftiger Rülpser schien seine Aussage zu unterstreichen. "Da hast, geht schon los!", er warf Niko den Autoschlüssel zu und schob ihm einen Block hinüber. "Und tschüß!", schmatze er ihm entgegen.

Niko stand da wie angewurzelt. Was sollte er machen? Dienstverweigerung wurde hier nicht gerne gesehen und auf der anderen Seite klang die alte Dame auch so aufgeregt, sie tat ihm richtig leid. Da läutete abermals das Telefon. Sein Kollege erhob sich schwerfällig, schlürfte in das Zimmer, hob ab und schrie hinein, "Der Kommissar ist unterwegs!". Er knallte den Hörer auf den Apparat und starrte Niko an, "na dann mal los! Dein erster Fall wartet."

Ehe sein Zeigefinger die Klingel erreichen konnte, wurde die Tür schon aufgerissen und zwei gichtige Hände zerrten ihn ins Innere des sehr gepflegten Gartenhäuschen in der Kleingartensiedlung am Stadtrand. Ein Platz auf dem alten Sofa wurde ihm zugewiesen und acht Frauenaugen starrten ihn an.
Als erstes fing sich Mira, wie sich später herausstellte, die Nachbarin auf der linken Seite.
"Sie sind aber jung", stellte sie mit einem eigenartigen Funkeln in den Augen fest. Niko wurde rot. Verlegen kramte er seinen Block hervor. "Ist es wohl ihr erster Fall", bohrte die alte Dame mit omamäßig ruhiger Stimme weiter und Niko nickte sachte.

"Macht nichts, junger Mann, wir waren alle mal jung", liebevoll tätschelte eine weitere Dame seine Schulter, wie bei einem Schuljungen, der gerade eine Fünf geschrieben hatte.

"Kaffeetscherl?", schon goss sie die braune Brühe in das mit Rosen bemalte Porzellanhäferl.

"Wissen Sie, es ist so furchtbar", schluchzte die anscheinend junge Witwe Miriam, "gestern war die Welt noch in Ordnung. Wieso gibt es so böse Menschen? Er hat doch keinem etwas getan!", sie suchte verzweifelt ein noch trockenes Eckerl in ihrem Stofftaschentuch. Mira nahm sie in den Arm. "Wissen Sie, es ist unsere erste Leiche in der Siedlung, aber wenn wir nichts unternehmen, dann wird es noch mehr geben"

Niko scharrte nervös mit den Füssen am ohnehin schon abgewetzten Teppich. Seine Finger fuhren nervig über das Häferl. Was sollte er sagen? Wie sollte er reagieren? Und vor allem, wie sollte er den Anblick der Leiche ertragen? In der Polizeischule war er zusammengekippt, als sie noch vor der Leichenhalle standen. Nur der Gedanke an einen toten Menschen brachte ihn schon zum Nervenzusammenbruch. Sein Ausbildner hatte ihn sofort abgezogen und ihm den Innendienst ans Herz gelegt. Und nun saß er den vier alten Damen gegenüber und musste in kurzer Zeit wohl oder übel seine erste Leiche im Leben anschauen.

"Wieso? Wieso? Wieso? Wie soll ich jetzt ohne ihm leben? Er war doch mehr als dreißig Jahre mein Wegbegleiter. Wer tut denn sowas? Kommissar, bitte finden Sie den Mörder. Sperren Sie ihn ein. Lebenslänglich!", schluchzte Miriam und umklammerte Niko so fest, dass dieser kurzfristig keine Luft bekam.

Er versuchte die Dame zu beruhigen, "ich werde mein Bestes tun!". Mira sprang, so schnell es eben mit geschätzten achtzig Jahren ging, auf und nahm den jungen Polizisten bei der Hand, "kommen Sie, ich zeige Ihnen die Leiche!"

Niko wurde heiß, er stammelte, "Lassen Sie uns noch ein wenig Daten aufschreiben!" Er schnappte sichtlich nach Luft und seine Hände waren klitschnass. Die Damen waren einverstanden und eine versuchte die andere zu überschreien. Jede wollte soviel Informationen wie möglich abgeben. Sie waren sich alle einig, der Mörder musste gefaßt werden.

Der Kugelschreiber flog über das Papier. "Wissen Sie, damals als Miriam und Knut hier einzogen war die Welt in Ordnung. Es muss jetzt knapp zehn Jahre her sein, oder Miriam?", Anna, die rechte Nachbarin starrte in das verheulte Gesicht.

"Miriam war so eine nette, alle haben sie geliebt. Sie kam aus der Innenstadt hier zu uns an den Stadtrand", Anna tätschelte Miriams Hand. "Und auch Knut und die anderen haben wir alle geliebt, bis auf...", sie stoppte in ihrer Erzählung und starrte in den Kaffee, als könne sie hier ein Bild erkennen.

Wanda, eine Freundin von Miriam, die zufällig auf Besuch war und wie sich herausstellte, die Leiche gefunden hatte, schrie es in die plötzliche Stille. "Sagt es schon! Außer Kathi, die Hexe." Niko zuckte zusammen, eine Leiche, eine Hexe? Was sollte ihm in dieser Kleingartensiedlung noch widerfahren?

"Wissen Sie, junger Mann, Kathi war Miriam von Anfang an neidig. Sie müssen ihren Garten sehen, ein Sauhaufen. Ein ungepflegtes Stückerl Erde, sie nennt es Naturgarten, ha, dass ich nicht lache. Kathi ist eine alte, faule Hexe. Wer von ihr auserwählt ist, wird mit einem hausgemachten Fluch belegt. Sagt sie zumindest selbst. Stundenlang stand sie mit neidvollen Blick vor der kleinen Ansammlung. Wie oft wollte sie auch so einen kleinen Mann in ihrem Garten haben. Kitschig fand sie ihn immer, aber lüstern war ihr Blick. Deshalb musste Knut auch sterben!"

Wanda hielt kurz inne. Alle Damen starrten auf sie und Niko spielte verlegen mit dem Kugelschreiber, bis dieser zu Boden fiel. Ungeschickt bückte er sich und spürte die Blicke der Damen auf sich gekrallt. Ihm war zum Kotzen zu Mute. Hilfesuchend schickte er Stoßgebete zum Himmel, dieser möge das Theater beenden.

"Sind Sie nicht ein wenig vorschnell mit Ihren Verdächtigungen?", Niko war stolz auf seine Frage, die er oft genug aus dem Zimmer der Mordkommission gehört hatte. Er kam sich plötzlich ganz wichtig vor.

"Nein, sie war es", ein einstimmiger Damenchor war angestimmt. "Sie können Sie gleich verhaften", Wandas Augen funkelten wie bei einer Raubkatze auf Beutezug.

Plötzlich sprang Anna auf und ergriff Nikos Hand. Sie zerrte ihn von der gemütlichen Couch auf. "Aber jetzt ist es an der Zeit, die Leiche zu begutachten. Dann reden wir weiter", sie schob den jungen Mann Richtung Terrassentür. Nikos Magen rebellierte, er wäre am liebsten auf und davon gerannt. Auf der Stirn stand Schweiß, er zitterte am ganzen Körper, seine Kehle war wie zugeschnürt, sein Herz raste als würde es das Autorennen von Monaco gewinnen wollen. Anna drehte sich nochmals zu den Damen um, "Miriam, kommst Du mit?"

Ein Heulkonzert erfaßte den kleinen Raum, Miriam schluchzte mit Tränen erstickter Stimme, "Nein, ich kann den Anblick nicht ertragen. Schafft den Toten einfach auf den Kompost!"

Niko erschrak, oh gott, in was war er da hinein geraten. Man konnte doch keinen toten Menschen auf dem Kompost entsorgen. Ihm war es zu viel, eine Leiche, eine Hexe und einen rasch entsorgter Leichnam. Die Damen schienen alle reif für die geschlossene Nervenanstalt. Er nahm seinen ganzen Mut zusammen. Wie war es in den unzähligen Tatortfolgen zu sehen? Beweise sichern? Tatort sperren? Da war doch noch etwas?

Er kam nicht weiter zum Nachdenken, da ihn Anna bereits in den Garten geschoben hatte und er nicht wusste, sollte er lachen oder weinen. Zu komisch war das Bild, das sich ihm bot. Er zückte sein Handy und machte ein paar Beweisfotos. Er war sich sicher, sein erster Fall würde in die Geschichte des Kommissariats eingehen.

Sein Kollege hielt sich den Bauch vor Lachen, die Beweisfotos wurden tausendmal über das weltweite Netz verbreitet und werden wohl in vielen Polizeistationen für einige Zeit hängen geblieben sein. Es kommt ja nicht oft vor, dass da ein Gartenzwerg mit einem Küchenmesser bäuchlings auf dem grünen Rasen in einer Kleingartensiedlung liegt.
 

Ironbiber

Foren-Redakteur
Jeder fängt mal klein an

Erst mal ein paar kleine Korrekturhinweise:

mußten -> mussten
gefaßt, erfaßte -> gefasst, erfasste
mit neidvollen Blick -> mit neidvollem Blick (Dativ!)
des sehr gepflegten Gartenhäuschen -> des sehr gepflegten Gartenhäuschens (Genitiv!)
oh gott -> oh Gott

Soviel zum formellen Teil.

Eine kleine Geschichte zum Schmunzeln, der man die österreichischen Sprachwurzeln anmerkt. Etwas fehlt mir aber der Spannungsaufbau, der zu der recht originellen Pointe führt (ich gebe zu: einen Gartenzwerg hätte ich nicht erwartet). Das aber macht die Satire hier auch etwas unglaubwürdig. Kein einigermaßen klardenkender Mensch würde einen gekillten Gartenzwerg als Mordfall der Polizei melden – dies gehört in eine Comedy oder einen Slapstick, aber nicht in eine Satire.

Sei‘s drum: Die Idee war gut und wenn du am Ende sprachlich dem Gartenzwerg noch ein [red]Messer in der Brust[/red] bescheinigst, kommt niemand beim Lesen auf die Idee, dass er es in der Hand hält und einem Herzinfarkt erlegen ist.

Es grüßt der Ironbiber
 

krokotraene

Mitglied
Hallo Ironbiber,

danke für die Korrekturhinweise, ich werde sie gerne übernehmen.

Wegen des Gartenzwerges, leider gehen ja hier keine Fotos, denn ich habe am Samstag in einem Gartengeschäft eben einen Zwerg mit Messer im Rücken gesehen und fotografiert. Dazu ist mir die Geschichte eingefallen, da eine Kundin von mir so an diesen Zwergerln hängt, dass sie tatsächlich den Mörder in einem solchen Fall suchen würde. Die Geschichte ist natürlich überspitzt, sollte aber die Einsamkeit von alleinstehenden Damen (und das sind ja alle 4) in einer Kleingartensiedlung widerspiegeln. Ich weiß, die Beschreibung des Bildes ist hier nicht so einfach. Ich werde die Anregung betreffend Schluß noch übernehmen und mal versuchen es besser zu beschreiben.

Es freut mich aber, dass Du schmunzeln hast können! Und nochmals Danke!
krokotraene
 

krokotraene

Mitglied
Unerbittlich zerriss das Klingeln des Telefons die Stille im Kommissariat. Niko, der junge Polizist im Innendienst, war verzweifelt, kann den der Anrufer nicht aufgeben. Er war ganz alleine und immer wieder klingelte das Telefon.

Niko stand in der Tür des verwaisten Nebenzimmers der Mordkommission und starrte auf das Gerät, das endlich zu schweigen schien. Er war doch neu hier, er sah sich außer Stande abzuheben. Was sollte er denn sagen? Da läutete es schon wieder.

"Verdammt", entkam es Niko. Wieso musste auch der Hauptkommissar mit seiner werten Gattin seinen zwanzigsten Hochzeitstag in Madeira feiern und seine Kollegin wieder mal unter Burnout leiden. Sie musste die Krankheit schon im Abonnement erworben haben, sooft wie sie fehlte, dachte Niko. In dem knappen halben Jahr, welches er hier schon arbeitete, hatte er sie nur sehr selten zu Gesicht bekommen, meist bei irgendwelchen Feierlichkeiten.

Das Telefon verstummte und Niko begann zu beten, wo bleiben seine Kollegen? Sie wollten doch nur kurz auf Mittagspause. Und wieder zerriss das Läuten seine Gedanken. Es wurde ihm zu bunt, zaghaft griff er zum Hörer und wisperte kaum hörbar in die Muschel, "Kommi...". Er wurde durch eine aufgeregte, ältere Frauenstimme je unterbrochen.

"Kommen Sie schnell! Da liegt eine Leiche im Garten. Oh Gott, wie konnte mir das nur angetan werden", eine Heulorgie folgte. Unter dem Tränenwasserfall sprudelte jedoch auch die Adresse hervor und Niko schrieb so gut er verstand mit. Plötzlich riss jemand die Tür auf und einer seiner Kollegen kam mit einem großen Einkaufssackerl herein. Niko war erleichtert.

"Hallo Sepp, Du da liegt eine Leiche im Garten", er schob ihm den Zettel mit der Adresse hinüber. Sepp sah den jungen Mann an, "Na und? Ist eh schon tot!"
"Willst Du nicht vorbeischauen?"
"Na, bin net von der Mordkommission. Übrigens, da ist ja derzeit kana. Die Leich muss halt warten", genussvoll biss er in seine Leberkäsesemmel. "Aber Du kannst ja gehen, schreibst alles auf. Tust auf wichtig und rufst dann die Spusi", ein kräftiger Rülpser schien seine Aussage zu unterstreichen. "Da hast, geht schon los!", er warf Niko den Autoschlüssel zu und schob ihm einen Block hinüber. "Und tschüß!", schmatze er ihm entgegen.

Niko stand da wie angewurzelt. Was sollte er machen? Dienstverweigerung wurde hier nicht gerne gesehen und auf der anderen Seite klang die alte Dame auch so aufgeregt, sie tat ihm richtig leid. Da läutete abermals das Telefon. Sein Kollege erhob sich schwerfällig, schlürfte in das Zimmer, hob ab und schrie hinein, "Der Kommissar ist unterwegs!". Er knallte den Hörer auf den Apparat und starrte Niko an, "na dann mal los! Dein erster Fall wartet."

Ehe sein Zeigefinger die Klingel erreichen konnte, wurde die Tür schon aufgerissen und zwei gichtige Hände zerrten ihn ins Innere des sehr gepflegten Gartenhäuschens in der Kleingartensiedlung am Stadtrand. Ein Platz auf dem alten Sofa wurde ihm zugewiesen und acht Frauenaugen starrten ihn erwartungsvoll an.
Als erstes fing sich Mira, wie sich später herausstellte, die Nachbarin auf der linken Seite.
"Sie sind aber jung", stellte sie mit einem eigenartigen Funkeln in den Augen fest. Niko wurde rot. Verlegen kramte er seinen Block hervor. "Ist es wohl ihr erster Fall", bohrte die alte Dame mit omamäßig ruhiger Stimme weiter und Niko nickte sachte.

"Macht nichts, junger Mann, wir waren alle mal jung", liebevoll tätschelte eine weitere Dame seine Schulter, wie bei einem Schuljungen, der gerade eine Fünf geschrieben hatte.

"Kaffeetscherl?", schon goss sie die braune Brühe in das mit Rosen bemalte Porzellanhäferl.

"Wissen Sie, es ist so furchtbar", schluchzte die anscheinend junge Witwe Miriam, "gestern war die Welt noch in Ordnung. Wieso gibt es so böse Menschen? Er hat doch keinem etwas getan!", sie suchte verzweifelt ein noch trockenes Eckerl in ihrem Stofftaschentuch. Mira nahm sie in den Arm. "Wissen Sie, es ist unsere erste Leiche in der Siedlung, aber wenn wir nichts unternehmen, dann wird es noch mehr geben"

Niko scharrte nervös mit den Füssen am ohnehin schon abgewetzten Teppich. Seine Finger fuhren nervig über das Häferl. Was sollte er sagen? Wie sollte er reagieren? Und vor allem, wie sollte er den Anblick der Leiche ertragen? In der Polizeischule war er zusammengekippt, als sie noch vor der Leichenhalle standen. Nur der Gedanke an einen toten Menschen brachte ihn schon zum Nervenzusammenbruch. Sein Ausbildner hatte ihn sofort abgezogen und ihm den Innendienst ans Herz gelegt. Und nun saß er den vier alten Damen gegenüber und musste in kurzer Zeit wohl oder übel seine erste Leiche im Leben anschauen.

"Wieso? Wieso? Wieso? Wie soll ich jetzt ohne ihm leben? Er war doch mehr als dreißig Jahre mein Wegbegleiter. Wer tut denn sowas? Kommissar, bitte finden Sie den Mörder. Sperren Sie ihn ein. Lebenslänglich!", schluchzte Miriam und umklammerte Niko so fest, dass dieser kurzfristig keine Luft bekam.

Er versuchte die Dame zu beruhigen, "ich werde mein Bestes tun!". Mira sprang, so schnell es eben mit geschätzten achtzig Jahren ging, auf und nahm den jungen Polizisten bei der Hand, "kommen Sie, ich zeige Ihnen die Leiche!"

Niko wurde heiß, er stammelte, "Lassen Sie uns noch ein wenig Daten aufschreiben!" Er schnappte sichtlich nach Luft und seine Hände waren klitschnass. Die Damen waren einverstanden und eine versuchte die andere zu überschreien. Jede wollte soviel Informationen wie möglich abgeben. Sie waren sich alle einig, der Mörder musste gefasst werden.

Der Kugelschreiber flog über das Papier. "Wissen Sie, damals als Miriam und Knut hier einzogen war die Welt in Ordnung. Es muss jetzt knapp zehn Jahre her sein, oder Miriam?", Anna, die rechte Nachbarin starrte in das verheulte Gesicht.

"Miriam war so eine nette, alle haben sie geliebt. Sie kam aus der Innenstadt hier zu uns an den Stadtrand", Anna tätschelte Miriams Hand. "Und auch Knut und die anderen haben wir alle geliebt, bis auf...", sie stoppte in ihrer Erzählung und starrte in den Kaffee, als könne sie hier ein Bild erkennen.

Wanda, eine Freundin von Miriam, die zufällig auf Besuch war und wie sich herausstellte, die Leiche gefunden hatte, schrie es in die plötzliche Stille. "Sagt es schon! Außer Kathi, die Hexe." Niko zuckte zusammen, eine Leiche, eine Hexe? Was sollte ihm in dieser Kleingartensiedlung noch widerfahren?

"Wissen Sie, junger Mann, Kathi war Miriam von Anfang an neidig. Sie müssen ihren Garten sehen, ein Sauhaufen. Ein ungepflegtes Stückerl Erde, sie nennt es Naturgarten, ha, dass ich nicht lache. Kathi ist eine alte, faule Hexe. Wer von ihr auserwählt ist, wird mit einem hausgemachten Fluch belegt. Sagt sie zumindest selbst. Stundenlang stand sie mit neidvollem Blick vor der kleinen Ansammlung. Wie oft wollte sie auch so einen kleinen Mann in ihrem Garten haben. Kitschig fand sie ihn immer, aber lüstern war ihr Blick. Deshalb musste Knut auch sterben!"

Wanda hielt kurz inne. Alle Damen starrten auf sie und Niko spielte verlegen mit dem Kugelschreiber, bis dieser zu Boden fiel. Ungeschickt bückte er sich und spürte die Blicke der Damen auf sich gekrallt. Ihm war zum Kotzen zu Mute. Hilfesuchend schickte er Stoßgebete zum Himmel, dieser möge das Theater beenden.

"Sind Sie nicht ein wenig vorschnell mit Ihren Verdächtigungen?", Niko war stolz auf seine Frage, die er oft genug aus dem Zimmer der Mordkommission gehört hatte. Er kam sich plötzlich ganz wichtig vor.

"Nein, sie war es", ein einstimmiger Damenchor war angestimmt. "Sie können Sie gleich verhaften", Wandas Augen funkelten wie bei einer Raubkatze auf Beutezug.

Plötzlich sprang Anna auf und ergriff Nikos Hand. Sie zerrte ihn von der gemütlichen Couch auf. "Aber jetzt ist es an der Zeit, die Leiche zu begutachten. Dann reden wir weiter", sie schob den jungen Mann Richtung Terrassentür. Nikos Magen rebellierte, er wäre am liebsten auf und davon gerannt. Auf der Stirn stand Schweiß, er zitterte am ganzen Körper, seine Kehle war wie zugeschnürt, sein Herz raste als würde es das Autorennen von Monaco gewinnen wollen. Anna drehte sich nochmals zu den Damen um, "Miriam, kommst Du mit?"

Ein Heulkonzert erfasste den kleinen Raum, Miriam schluchzte mit Tränen erstickter Stimme, "Nein, ich kann den Anblick nicht ertragen. Schafft den Toten einfach auf den Kompost!"

Niko erschrak, oh Gott, in was war er da hinein geraten. Man konnte doch keinen toten Menschen auf dem Kompost entsorgen. Ihm war es zu viel, eine Leiche, eine Hexe und einen rasch entsorgter Leichnam. Die Damen schienen alle reif für die geschlossene Nervenanstalt. Er nahm seinen ganzen Mut zusammen. Wie war es in den unzähligen Tatortfolgen zu sehen? Beweise sichern? Tatort sperren? Da war doch noch etwas?

Er kam nicht weiter zum Nachdenken, da ihn Anna bereits in den Garten geschoben hatte und er nicht wusste, sollte er lachen oder weinen. Zu komisch war das Bild, das sich ihm bot. Er zückte sein Handy und machte ein paar Beweisfotos. Er war sich sicher, sein erster Fall würde in die Geschichte des Kommissariats eingehen.

Sein Kollege hielt sich den Bauch vor Lachen, die Beweisfotos wurden tausendmal über das weltweite Netz verbreitet und werden wohl in vielen Polizeistationen für einige Zeit hängen geblieben sein. Es kommt ja nicht oft vor, dass ein Gartenzwerg mit einem Küchenmesser im Rücken, bäuchlings auf dem grünen Rasen in einer Kleingartensiedlung liegt.
 



 
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